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Nach dem länger als 24 Stunden dauernden Taleban-Angriff auf den Flughafen Kandahar am Dienstag und neuerlichen Vorwürfen über Sicherheitsmängel an seine Adresse hat Afghanistans Geheimdienstchef Rahmatullah Nabil seinen Hut genommen. Er reichte seinen Rücktritt per Brief an Präsident Aschraf Ghani und stellte gleichzeitig sicher, dass der Rücktritt angenommen würde, in dem er dafür sorgte, dass sein Gesuchen in sozialen und anderen Medien sofort bekannt wurde. Ghani nahm den Rücktritt inzwischen an.

Der bisherige afghanische Geheimdienstchef Rahmatullah Nabil. Foto: Tolo.

Der bisherige afghanische Geheimdienstchef Rahmatullah Nabil. Foto: Tolo.

 

Nabil, ein Paschtune aus Wardak, hatte ursprünglich als Vertrauter Ghanis gegolten, wenn er auch – als einziges Kabinettsmitglied – als gemeinsamer Kandidat Ghanis und seiner Quasi-Premiers Abdullah aufgestellt worden war. Der Präsident ist aber auch dafür bekannt, dass er sehr kritikfreudig ist und auch enge Mitarbeiter hart anfässt. Die Behörde, der Nabil vorsteht – das Nationale Direktorat für Sicherheit (NDS; riasat-e amniat-e melli), ihr Chef hat Kabinettsrang –, wird seit 2001 von der CIA beraten und ausgebildet. Nabil stand seit Juli 2010 als erster Nicht-Panjschiri an ihrer Spitze, hatte anfangs als Übergangskandidat gegolten. 2014 wurde Karzai-Intimus Assadullah Khaled an die Spitze des NDS gestellt, wurde aber wenige Monate später durch ein Attentat so schwer verletzt, dass Nabil zurück ins Amt geholt wurde (eine AAN-Biografie hier).

Nabil war bereits nach der zeitweiligen Eroberung von Kundus Ende September durch die Taleban in schwere Kritik geraten. Im Bericht einer Untersuchungskommission (dt. hier; engl. hier) – die pikanterweise von seinem Vorgänger Amrullah Saleh geleitet wurde, dem Ambitionen auf eine Rückkehr in die Regierung nachgesagt werden – war ein Versagen des Geheimdienstes als eine der Hauptursachen für die moralisch verheerende Niederlage ausgemacht worden. (Mehr Hintergrund dazu bei AAN hier.) Es ist zu hören, dass sie von vielen afghanischen Flüchtlingen als Ursache dafür angegeben wird, dass sie das Land verlassen haben.

Nabils Vorgänger Amrullah Saleh (Mitte). Foto: Tolo.

Nabils Vorgänger Amrullah Saleh (Mitte). Foto: Tolo.

 

Afghanische Medien zitierten ausführlich aus der Rücktrittserklärung Nabils, die auch Vorwürfe gegen Ghani enthält. Nabil sprach von „Druck“ des Präsidenten auf ihn, sein Amt zur Verfügung zu stellen; dies habe es ihm unmöglich gemacht, seine Aufgabe fortzuführen. In der Erklärung des Präsidentenbüros hieß es jedoch, Ghani habe „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ keine Veränderungen im Geheimdienst geplant gehabt.

Nabil griff erneut Pakistan an und sprach davon, dass „eindeutige Einmischung einer Reihe feindseliger Staaten, besonders Pakistans, in Afghanistans innere Angelegenheiten“ anhalte und zu einer größeren Bedrohungslage geführt hätten. In einem Facebook-Eintrag vom Vorabend hatte er noch schärfere Worte gewählt: „Unschuldige afghanische Zivilisten wurden auf dem Kandaharer Flugplatz, in Chaneschin in Helmand, in Tachar und Badachschan zum selben Zeitpunkt [von den mit Pakistan verbündeten Taleban] massakriert und enthauptet, als Nawaz Scharif seine Rede hielt – und dabei Afghanistans Feinde auch als Feinde Pakistans bezeichnete.“ Es ist schon außergewöhnlich, wie führende Politiker in Afghanistan nicht der Versuchung widerstehen können, sich über die sozialen Medien zu äußern.

Nabil führte zu seiner Verteidigung an, dass er während seiner Amtszeit dafür gestritten habe, politische Einmischung und ethnische Ausrichtungen von seiner Behörde fernzuhalten. Dies, so Nabil, habe Ghani bestätigt, der bei einem Besuch der Behörde ins Gästebuch geschrieben habe, Nabil habe sie „vom 20. Ins 21. Jahrhundert geführt“. Er forderte die Regierung auf, nun für seine Sicherheit und die seiner Familie zu sorgen.

Das afghanische Parlament hatte schon am 29. September die Spitzen des afghanischen Sicherheitsapparates vorgeladen und scharf kritisiert. Innenminister Nur-ul-Haq Ulumi überstand einen Misstrauensantrag. Das Parlament hat die Möglichkeit, Minister jederzeit vorzuladen, zu befragen und, wenn das nicht zur Zufriedenheit verläuft, auch abzusetzen. Es hat davon auch immer regen Gebrauch gemacht. Nabil wollte dem offenbar zuvorkommen.

(Aus ähnlichen Gründen hat Afghanistan seit über einem Jahr auch keinen Verteidigungsminister; alle Kandidaten Ghanis waren im Parlament durchgefallen – einschließlich des derzeitigen Amtsinhabers Massum Stanaksai, dessen Weiterarbeit geltendem Gesetz widerspricht. Dass das bisher keine konkreten Folgen hatte und Ghani weiter an ihm festhält, zeigt, wie schwach die Institutionen sowie der Respekt vor dem angeblich existierenden Rechtsstaat auch unter neuen Regierung immer noch ist.)

Inzwischen hat Ghani eine der bisherigen NDS-Vizechefs, Massud Andarabi, zum amtierenden Behördenleiter ernannt. Man darf gespannt sein, ob er mehr als eine Übergangslösung sein wird. Andarabi gehört dem Lager von CEO Abdullah an, das seit einem Jahr beklagt, dass alle Sicherheitsbehörden von Paschtunen geleitet würden. Das stimmt zwar auch – aber Innenminister Ulumi wurde von Abdullahs Lager nominiert.

Der neue amtierende NDS-Chef Massud Andarabi Foto: Tolo.

Der neue amtierende NDS-Chef Massud Andarabi Foto: Tolo.

 

Friedensgespräche

Offenbar gab es aber auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Nabil und Ghani, u.a. über die Rolle Pakistans im angestrebten Friedensprozess mit den Taleban. „Unglücklicherweise ist die Arbeitsatmosphäre für mich über die letzten Monate etwas schwierig geworden, da ich nicht die Ansichten über eine Reihe von Politikfeldern teile“, schrieb Nabil an Ghani; das habe auch das „Vertrauen“ in ihn „untergraben“. Schon im Mai hatte sich Nabil angeblich geweigert, ein Protokoll zum Austausch von Informationen mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI zu unterzeichnen.

Ghani setzt darauf, dass Pakistan die Taleban an den Verhandlungstisch zwingt, um eine politische Lösung zur Beendigung des Krieges zu erreichen – er hat das bereits einmal im Sommer erreicht; allerdings brachen die Gespräche schnell zusammen (siehe mein Kommentar hier). Nabil und des NDS – so war in Kabul zu hören – verfolgten eher die Strategie, die Taleban zu spalten und zu schwächen. So kamen wohl die Meldungen im Sommer über den Tod Mullah Omars schon zwei Jahre zuvor sowie auch über die Verwundung bzw den Tod seines Nachfolgers Mullah Muhammad Achtar Mansur (die sich inzwischen als falsch erwiesen, jedenfalls was seinen Tod betrifft – mehr dazu unten) aus dieser Quelle. Der NDS ­– wohl auch schon unter Saleh – hatte offenbar auch versucht, zumindest punktuell Gruppen der pakistanischen Taleban in ihrem Vorgehen gegen die pakistanische Regierung zu unterstützen (siehe hier und hier) und damit sozusagen Pakistan für dessen Unterstützung der afghanischen Taleban in gleicher Währung zurückzuzahlen.

Ghani versucht gerade wieder, den gleiche Weg – nämlich über Pakistan – zu beschreiten – während des gegenwärtigen Treffens des sogenannten Heart of Asia (bzw Istanbul)-Prozesses, eines Versuchs, die regionale Zusammenarbeit mit Afghanistan zu fördern (hier die Webseite der afghanischen Regierung dazu). Ghani war dazu nach Islamabad gereist und hatte ein turnusmäßiges Treffen zusammen mit dem pakistanischen Premierminister Nawaz Scharif eröffnet. Er hatte Scharif auch bereits während des Pariser Klimagipfels getroffen, vermittelt vom britischen Premier David Cameron, und dort auf eine Wiederaufnahme der von Pakistan vermittelten Gespräche mit den Taleban gedrängt.

Ghani und Scharif eröffnen das Heart-of-Asia-Treffen in Islamabad. Foto: Tolo.

Ghani und Scharif eröffnen das Heart-of-Asia-Treffen in Islamabad. Foto: Tolo.

 

Während seiner etwas inkohärent wirkenden Rede in Islamabad (jedenfalls in der englischen Version auf der präsidialen Webseite) war Ghani allerdings gar nicht auf die Gespräche eingegangen. Er hatte lediglich – in überraschender Imitation seines Vorgängers Karzai – „alle Bewegungen, die Waffengewalt verwenden“ aufgefordert, „sich in politische Parteien umzuwandeln und sich in legitimer Weise am politischen Prozess zu beteiligen.“ Solche Angebote hatten die Taleban stets ausgeschlagen. Er erklärte ferner, dass „in Afghanistan erhebliche Unsicherheit darüber“ bestanden habe, „ob Pakistan wirklich den souveränen afghanischen Staat anerkennen würde“, dass Scharif aber diese Bedenken zerstreut habe; er regte auch eine engere bilaterale „Staat-zu-Staat-Kooperation“ an, darunter wieder zwischen den Geheimdiensten. (Beides hatte möglicherweise Nabils Facebook-Reaktion hervorgerufen.)

Ferner schlug Ghani vor, einen „Verifizierungsmechanismus“ über den Istanbul-Prozess und in Assoziation mit regionalen und internationalen Sicherheitsorganisationen” einzurichten, um herauszufinden, welche Art von Akteuren unsere gemeinsamen Interessen bedrohen …, um zwischen versöhnungsbereiten und unversöhnlichen [Kräften] zu differenzieren…, zu sehen, wie diese Terrornetzwerke sich koordinieren, wer sie finanziert, wie ihre Verbindungen mit der kriminellen Wirtschaft und der Drogenökonomie im besinderen aussehen… Was sind die Netzwerke, die solche Leute in den Zustand versetzen, sich weiterhin der Gewalt anstatt politischem Dialog zu verschreiben?“ Das alles hört sich sinnvoll, allerdings – angesichts der bilateralen Konstellation und besonders der Rolle des pakistanischen Geheimdienstes – auch politisch naiv an. (Hier Ghanis vollständige Islamabad-Rede auf Englisch.)

 

Neuer Taleban-Chef doch nicht tot

Vor einigen Tagen, wie berichtet, sah es noch unklar aus, ob die Berichte von Anfang des Monats über eine Verwundung oder sogar den Tod des neuen, erst im Sommer an die Taleban-Spitze gerückten Taleban-Chefs Mullah Achtar Muhammad Mansur den Tatsachen entsprechen oder nicht. Die Taleban hatten sofort dementiert, waren aber nach dem Verschweigen des Todes von Mullah Omar nicht mehr glaubwürdig. Dann kam am 5. Dezember eine Audio-Botschaft Mansurs, in dem er die Berichte der Schießerei, bei der er verletzt worden sei, als unwahr bezeichnete (Original hier). Da er auch Ereignisse vom gleichen Tage erwähnte, schien die Botschaft echt zu sein; auch seine Stimme wurde klar erkannt. Die Nachricht von seinem Tod ist damit vom Tisch, aber nicht die die, dass er doch verwundet worden sein könnte. Am 7. Dezember sagte auch Ghani in Kabul: “Es gibt keinen Beweis, dass Mullah Mansur getötet worden sein könnte.” Auch das lag im Widerspruch von Erklärungen des NDS.

Taleban-Führer (von r.o. im Uhrzeigersinn): Mullah Rasul, Mullah Achtar Mansur, Mullah Manan Niazi, Mullah Mansur Dadullah.

Taleban-Führer (von r.o. im Uhrzeigersinn): Mullah Rasul, Mullah Achtar Mansur, Mullah Manan Niazi, Mullah Mansur Dadullah.

 

In eigener Sache

Das gibt mir auch die Gelegenheit, eine Korrektur anzubringen. Neulich hat mich die Deutsche Welle mit einigen Aussagen zu Mansur zitiert, die aus einem AAN-Artikel entnommen, aus dem Zusammenhang gerissen und dann auch noch falsch übersetzt worden sind. Die DW hat das inzwischen korrigiert und sich auch entschuldigt. Leider geistert der Beitrag aber immer noch durchs Internet – unter anderem über Microsoft News (MSN), hier.

Ich bitte, falls Ihnen dieser Artikel unterkommt, meine o.g. Erklärung zu berücksichtigen und das möglichst nicht weiter zu verbreiten.