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Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan hat seit der Wiederaufnahme der Zusammenarbeit im Jahr 2002 eine Vielzahl von Erfolgen erzielt, sagt das BMZ. Laut Entwicklungsminister Müller hat sich die Bundesregierung auf die Schwerpunkte Bildung, Wirtschaftsentwicklung und Energieversorgung konzentriert. „Entwicklungsfortschritte gibt es beispielhaft in nachfolgenden Bereichen“, so weiter in Müllers Mitteilung vom 18. November d.J.:

Strategie-Konferenz des BMZ 2014. Screenshot.

Strategie-Konferenz des BMZ 2014. Screenshot.

 

Bildung und Ausbildung

  • Seit 2010 wurden Schulgebäude für nahezu 600.000 Schülerinnen und Schüler renoviert oder gebaut und 100.000 Lehrerinnen und Lehrer aus- und fortgebildet.
  • In den Lehrerausbildungszentren (Kabul, Mazar-e-Sharif) werden aktuell 1.225 Studierende (40 Prozent Frauen) ausgebildet.

 

Wirtschaftsentwicklung

  • Durch den Bau beziehungweise die Instandsetzung von Bewässerungskanälen (rund 86 Kilometer) profitieren knapp 349.000 Menschen von höheren landwirtschaftlichen Erträgen.
  • Über die Unterstützung des Mikrofinanzwesens konnte rund 56.000 Kreditnehmern (Frauenanteil: 16 Prozent), 1.000 kleinen und mittleren Betrieben und 75.000 Mikrosparern geholfen werden.
  • Seit 2005 wurden Kredite in Höhe von 125 Millionen US-Dollar an kleine und mittlere Betriebe in Afghanistan garantiert, damit konnten über 3.500 Unternehmen mit mehr als 33.000 Beschäftigten unterstützt und etwa 6.000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden.

 

Wasserver- und Abwasserentsorgung

  • Rund 800.000 Menschen profitieren von 613 Trinkwassersystemen, die neu gebaut oder restauriert wurden.
  • Über 600 Personen wurden im Sektor Wasser fortgebildet und können ihr Wissen als Multiplikatoren weitergeben.

 

Energieversorgung

  • Knapp 1,23 Millionen Menschen profitieren von 600 Kilometern neu verlegten elektrischen Leitungen.
  • 40 Kraftwerke und Umspannwerke wurden neu gebaut oder renoviert.
  • Über 2.500 Personen wurden im Sektor Energie fortgebildet, darunter waren mindestens 110 Frauen.

 

Gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit

  • Über 57.700 Personen wurden unter anderem zu den Themen Anti-Korruption, Rechtsstaatlichkeit und Polizeiwesen fortgebildet.
  • Ein Studienzentrum zur Ausbildung von Frauen im Rechtswesen wurde an der Universität Balkh gegründet.

Zwei Universitäten und 25 Regierungsgebäude wurden gebaut.

Weitere Details über deutsche EZ-Aktivitäten finden sich im letzten Afghanistan-Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2014 (Kapitel 3.3.).

 

Minister Müller sagte weiter:

Die Menschen in Afghanistan brauchen Sicherheit und bessere Perspektiven. Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit kann die Entwicklungszusammenarbeit nicht wirksam sein. Wir müssen den Menschen Chancen im eigenen Land bieten. …

Wir werden weiter hart daran arbeiten, dort wo es die Sicherheit erlaubt, die Entwicklungserfolge abzusichern und auszubauen. Die Menschen in Afghanistan müssen in ihrem Land eine Perspektive erhalten, jenseits von Krieg und Gewalt.

 

Und was ist mit der Nachhaltigkeit?

Zur Nachhaltigkeit der BMZ-Programme und -Projekte sagte er nichts. Im Gegensatz zum damaligen Afghanistan-Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan, Michael Koch vom AA, der in seiner „Zwischenbilanz zum [deutschen] Afghanistan-Engagement“, einem Anhang zum letzten Afghanistan-Fortschrittsbericht der Bundesregierung, schrieb:

So lässt sich zum heutigen Zeitpunkt in vielen Teilen insbesondere nichts Definitives über die Nachhaltigkeit der bereits eingetretenen umfänglichen Fortschritte sagen.

Warum kommt der Begriff Nachhaltigkeit bei Minister Müller nicht vor? Welches andere Kriterium für Erfolg oder Misserfolg von EZ-Maßnahmen gibt es eigentlich?

In der Praxis gab es deutscherseits bisher nämlich keinerlei öffentliche und umfassende Evaluierung oder sonstige Bewertung des deutschen Afghanistan-Einsatzes in allen seinen Komponenten – militärisch, politisch-diplomatisch und entwicklungspolitisch. Bisher gab es (sicher neben internen) nur eine öffentliche Evaluierung der Selbstevaluierungen der staatlichen Entwicklungsakteure durch das vom BMZ ins Leben gerufene Institut DEval. Im Vorwort dessen Berichts steht:

Das DEval kann gegenwärtig noch nicht das Mandat wahrnehmen, Evaluierungen von Maßnahmen der anderen am Aufbauprozess Afghanistans beteiligter Bundesministerien (also AA, BMVg, BMI, BMEL) durchzuführen.

Mit anderen Worten: die anderen involvierten Bundesministerien, inklusive Kochs AA, sperren sich bisher sogar gegen solch eine Evaluierung. Vielleicht liegt das auch daran, dass es die Bundestagsfraktion der Linken war, die solch eine umfassende Evaluierung in einer großen Anfrage von 2014 (beantwortet im Februar 2015, hier) anmahnte. In ihrer Stellungnahme zu dieser Antwort, die ihnen weitaus zu lückenhaft ausgefallen ist, schreiben die Linken auch, dass die regierende Koalition „mit allen Mitteln verhindern [will], Rechenschaft über ihr Tun in Afghanistan ablegen zu müssen“.

Im Abschlussbericht des DEval zu den Selbstevaluierungen im BMZ-Zuständigkeitsbereich („53 % des gesamten zivilen Engagements Deutschlands in Afghanistan“) heißt es, „dass die vorliegenden Evaluierungsberichte auf Projektebene von relativ guter Qualität sind“.

Aber was ist nun mit einer Ergebnis- bzw Nachhaltigkeitsanalyse? „Am nächsten kommen dem eine Wirkungsanalyse, die der Sonderforschungsbereich 700 der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem BMZ seit 2007 alle zwei Jahre in Nordafghanistan durchführt, sowie ein strategischer Portfolio-Review, den das BMZ bei einer Forschergruppe unter der selben Leitung 2012 in Auftrag gegeben hat“, heißt es im DEval-Bericht. Und weiter:

Ohne die Wirkungsstudie und den ergänzenden Portfolio-Review lägen aus der laufenden Evaluierungsarbeit kaum Analysen vor, die Entscheidungsträgern Anhaltspunkte liefern könnten, ob beispielsweise die Auswahl der fünf BMZ-Schwerpunktsektoren und der Projekte innerhalb der Schwerpunkte effektiv ist, ob sie in verschiedenen Szenarien in der Zukunft nachhaltig sein kann, ob der Einsatz von Fonds als Finanzierungsinstrument erfolgreich oder die gewählte Genderstrategie wirksam ist. Es könnten auch kaum Aussagen darüber gemacht werden, in welchem Maße die übergeordneten Ziele der deutschen EZ in Afghanistan erreicht wurden.

Trotzdem hat das BMZ im vergangenen Jahr eine neue entwicklungspolitische Strategie für die Zusammenarbeit mit Afghanistan im Zeitraum 2014–2017 vorgelegt. Es finden sich auch Materialien von einer Konferenz zu diesem Thema, einschließlich (recht zahmer oder höflicher) afghanischer Kommentare zur Strategie.

Ganz anders geht es in den USA zur Sache, wo ein „Sonderinspekteur für den Wiederaufbau in Afghanistan“ (SIGAR) fast wöchentlich gröbsten Missbrauch, Verschwendung und Korruption in den eigenen Wiederaufbauprogrammen zu Tage fördert – seine Berichte finden sich hier. Auch Norwegen hat eine 10-köpfige unabhängige Kommission für den Gesamteinsatz (also den militärischen, politischen und EZ-Teil) berufen, die ich vor einigen Tagen in Kabul traf.

Ich kann mir vorstellen, dass es deutschen Verantwortlichen vor einer ähnlichen Evaluierung graust. Allerdings hätte das umgangen werden können, wenn man von vornherein die Schönfärberei in Sachen Afghanistan-Einsatz sein gelassen und den (offenbar unterschätzten) Wählern offen erklärt hätte, dass in einem extrem komplizierten Umfeld wie Afghanistan natürlich nicht alles optimal laufen kann.