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Seit 2014 hat es keinen offiziellen deutschen Regierungsbericht zur Lage in Afghanistan mehr gegeben. Bis dahin wurden jährliche Fortschrittsberichte veröffentlicht, die ein mehr oder weniger geschöntes Bild der Lage im Land zeichneten. Und während derzeit viele auf den neuen, überfälligen Bericht zur asylrelevanten Lage warteten, kommt nun dieser Bericht – der nun „Bericht der Bundesregierung zu Stand und Perspektiven des deutschen Afghanistan-Engagements“ heißt. Breiten Raum darin nehme „das Thema Flucht und Migration im Bericht ein“, heißt es in einem Bericht der ARD-Tagesschau (hier zur vollständigen Meldung); als erstes hatte das ARD-Hauptstadtstudio das Papier und berichtete exklusiv.

Es ist aber nicht klar, ob er dieser Bericht nun den Bericht zur asylrelevanten Lage ersetzen soll.

[Aktualisierung 7.3.18, 7.45 Uhr:

In einem neuen, ausführlichen Bericht der Deutschen Welle heißt es:

Am deutlichsten werden die Verfasser aus dem Auswärtigen Amt auf Seite 20. Dort ist zu lesen, dass sich die Rahmenbedingungen für das zivile Engagement Deutschlands in Afghanistan seit dem Ende des NATO-Kampfeinsatzes im Dezember 2014 „deutlich verschlechtert“ hätten:

„Kampfhandlungen, Anschläge und Entführungsgefahr erlauben Investitionen und Beratungsleistungen inzwischen nur noch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und erschweren ein langfristiges, an nachhaltigen Wirkungen orientiertes Engagement durch internationale Fachkräfte.“

Das heißt im Klartext: Die Sicherheitslage ist so schlecht, dass eine effektive, zivile Hilfe nicht mehr möglich ist. Das Papier deutet an, dass sich die deutsche Hilfe derzeit auf „sichere und zugängliche Regionen“ konzentriere. Welche das sind, bleibt unklar. Doch die meisten zivilen Aufbauhelfer aus Deutschland arbeiten in der Hauptstadt Kabul und in der nördlichen Provinzhauptstadt Mazar-i-Scharif – meist hinter hohen Sprengschutzmauern, abgeschnitten von der afghanischen Bevölkerung. (…)

Der Bericht wirft ein besonderes Schlaglicht auf den Norden Afghanistans, der seit 2003 unter dem Schutz deutscher Soldaten steht. (…)

Um politische Versäumnisse geht es nicht. Der neue Bericht der Bundesregierung macht vor allem den schnellen Abzug der NATO-Kampftruppen Ende 2014 für das afghanische „Sicherheitsvakuum“ verantwortlich.

Das ist definitiv zu kurz gegriffen und umschifft die deutsche Mitverantwortung – nicht nur der Bundeswehr – gerade für die sich seit 2008 kontinuierlich verschlechternde Lage in Nord-Afghanistan. Dass dieser „unter dem Schutz deutscher Soldaten“ stehe ist schon fast Hochstapelei – die Hauptrolle, welcher Qualität auch immer, haben dort immer US-Sondereinheiten und afghanische Kräfte gespielt.]

Die ARD berichtet weiter:

Der Bericht soll am Mittwoch vom Kabinett beschlossen und dann an den Bundestag übergeben werden. Er war vom Parlament unter anderem für die Beratungen über die Zukunft des Bundeswehrmandats in Afghanistan angefordert worden.

Mir liegt der Bericht noch nicht vor, und es gibt erst erste Agentur- und Medienberichte dazu – zu früh, um wirklich zu kommentieren. Zwei Bemerkungen aber doch schon – erstens: Wieder wird der Begriff „strategisches Patt“ verwendet, um die Situation in Afghanistan zu beschreiben. Wenn damit gemeint ist, dass keine der beiden Seiten die Aussicht hat, in absehbarer Zeit militärisch zu siegen, dann ist er richtig. Aber die konkrete Lage ist kein Patt: Noch immer sind die Taleban auf dem Vormarsch, wenn auch weniger als etwa 2016; der Trend ist trotz entgegengesetzter Verlautbarungen der USA und der NATO noch nicht umgekehrt. Noch immer haben sie die Initiative und die afghanischen Streitkräfte reagieren meist nur. Ein Fortschritt ist das nicht. [Aktualisierung 7.3.18, 7.45 Uhr: Auch die jetzt ausführlicher zitierte Behauptung, „erst seit Ende 2016 sei es den afghanischen Streitkräften mit internationaler Unterstützung gelungen, „die Stabilisierung eines strategischen Patts zu erreichen“, ist falsch. Und wenn behauptet wird, die staatlichen Sicherheitskräfte hätten sich aus den ländlichen Regionen zurückgezogen und konzentrierten sich auf den Schutz der Bevölkerungszentren, dann war das keine freiwillige Entscheidung, sondern spiegelt wieder, dass sie trotz Milliardenaufwendungen und einem Mannschaftsbestand von etwa 350.000 nicht in der Lage sind, das Land insgesamt zu verteidigen.]

Ob in Afghanistan wirklich ein „Patt“ herrscht, bitte hier lesen.

Zweitens sind die (wie gesagt bisher nur aus zweiter Hand bekannten) Ausführungen zu den Wahlen interessant. Die ARD zitiert:

Erhebliche Sorgen verbinden sich mit den für 2018 und 2019 anstehenden Wahlen. (….) Der beginnende Wahlkampf und ein möglicher unklarer Ausgang würden aber neue Unsicherheiten schaffen. Die Absicherung der Wahlen würden „einen zusätzlichen Anspruch an die Schutzfähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte stellen“ und damit auch an die Unterstützung durch die Bundeswehr und ihre Verbündeten.

Das widerspiegelt stärkeren Realismus, als was man zur Zeit in Kabul hört: etwa dass die Parlamentswahlen noch 2018 „um jeden Preis“ durchgeführt werden sollen, auch wenn der inoffiziell vorgesehene neue Termine in der ersten Oktoberhälfte einige wichtige Gebiete des Landes aus klimatischen Gründen bereits von der Wahl ausschließen könnte. Und wie die bisher letzte Parlamentswahl 2010 zeigte (sie ist bereits drei Jahre überfällig), ist angesichts der unreformierten Wahlinstitution erneut ein monatelanges Hickhack vorprogrammiert, das auch auf die für 2019 anstehende Präsidentenwahl ausstrahlen wird.

[Aktualisierung 7.3.18, 7.45 Uhr:

Zum Behandlung des Themas Migration in dem Bericht schreibt die deutsche Welle weiter:

Migrationsursachen seien „insbesondere eine unbefriedigende Wirtschaftsentwicklung und Korruption, die Sicherheitslage sowie ein hohes Bevölkerungswachstum“. Auffällig ist, dass das fehlende Wirtschaftswachstum an erster und die fehlende Sicherheit erst an zweiter Stelle genannt werden. Deutschland sucht nach Wegen, um Abschiebungen nach Afghanistan weiter zu rechtfertigen. Flüchtlinge müssen geschützt werden, Wirtschaftsmigranten nicht.]

Hier geht es zum Bericht bei Spiegel online.

Hier kann man meine Analyse des letzten Afghanistan-Berichts des Auswärtigen Amtes, die „Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag vom 31. Mai 2017″, lesen und hier meine Analyse des Berichts des Auswärtigen Amtes von Ende 2016 „über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan“.

Und hier schließlich gehts zum letzten Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2014:

20141119-Fortschrittsbericht_AFG_2014

 

 

Eine Panne in Kundus. Foto: Thomas Ruttig (2006).