Schlagwörter

, , , , , , , , , , , ,

Wie freiwillig ist „freiwillig“?

Im Mai 2017 sorgten er und seine Mitschüler an einer Nürnberger Berufsschule für Schlagzeilen: Sie widersetzten sich der Polizei, als Asif N. direkt aus dem Klassenzimmerauf den Abschiebeflieger nach Afghanistan verbracht werden sollte. Es folgten Prozesse, Verurteilungen,

Er wurde nur deshalb nicht abgeschoben, da an diesem Tag nahe der deutschen Botschaft in Kabul eine riesige LKW-Bombe explodierte; die legte die Botschaft lahm, die deshalb auch nicht die Abgeschobenen in Empfang nehmen konnte.

Asif N. war im Dezember 2012 als knapp 16-jähriger, unbegleiteter Flüchtling in Nürnberg gelandet, lernte Deutsch, absolvierte ein Berufsgrundbildungsjahr als Schreiner, schloss die Schule erfolgreich ab und fand einen Betrieb mit einem Chef, der ihm eine Ausbildungsstelle anbot. Aber bereits im Oktober 2013 war sein Asylantrag abgelehnt worden, er wurde nur noch geduldet. Dann wurde sein Antrag auf Ausbildungserlaubnis abgelehnt. Die Lehre konnte er nicht antreten.

Wohl im Mai ist Asif nach Afghanistan zurückgekehrt – „freiwillig“. Das berichteten die Nürnberger Nachrichten Ende Juli, und sein Anwalt bestätigte es. Er sagte auch, Asif sei mürbe geworden und habe nicht mehr die Geduld gehabt, auf eine Entscheidung in dem Asylfolgeverfahren zu warten. In einem Interview, das nach seiner Abreise ebenfalls die Nürnberger Nachrichten veröffentlichten, sagte er, es konnte es „nicht aushalten drei Jahre rum[zu]laufen und nichts [zu] machen. (…) Nicht arbeiten dürfen, das ist die größte Scheiße für mich. (…) Und das Ausländeramt ist schlimm (…), sie benehmen sich so als wären sie ganz oben und wir ganz unten“. Und weiter:

In Afghanistan stirbt man einmal, weißt du, in Deutschland stirbt man jeden Tag, bei jedem Stress. Viele sagen in Deutschland ist Frieden, in Afghanistan ist Krieg. Aber Deutschland ist wie ein Friedhof für mich, du liegst nur da und kannst nicht machen, dich nicht bewegen.

Er sagte auch, er kehren „nicht freiwillig“ zurück, sondern weil er „hier machtlos“ sei. „Die Leute in Deutschland kennen nicht meine Situation, sie verstehen es nicht. Sie denken, ich gehe freiwillig. Aber ich gehe nicht freiwillig“.

In der taz schilderte am 6.8.19 der Schriftsteller und Unterstützer Leonhard F Seidl den Fall, und der bei dem Protest von einem Polizisten mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen wurde; das Verfahren gegen den Polizisten wurde eingestellt. „Wie immer stieg die Zahl der verletzten Polizist*innen von Stunde zu Stunde. (…) Die Manipulationen und Halbwahrheiten seitens der Polizei und Politik sind ein weiterer Fausthieb in unser Gesicht“, schreibt Seidl.

In der Tat: seine Rückkehr ist politisch gewollt, ebenso der Druck, der auf solche Flüchtlinge aufgebaut wird, der solche Nicht-Freiwilligkeit erzeugt.

 

Wie Familien auseinander gerissen…

Im bayerischen Schwaben, in Lindau, reißen die Behörden eine afghanische Familie auseinander. Ein Sohn der studierten Grundschullehrerin Sharifa Azizi, Farid (19), wurde bereits 2018 abgeschoben – in ein Land, dass er nicht kennt und wo er keine Verwandten mehr hat. Die Familie – zu der auch die jetzt 22-jährige Fariha gehört – war bereits vor etwa 18 Jahren nach Iran geflohen, lebte dort aber nur von Almosen, und die Kinder konnten nicht zur Schule gehen. (Afghanen wurden dort bis vor kurzem auch offiziell diskriminiert.) Der Vater war in Afghanistan geblieben, aber zu ihm ist der Kontakt abgebrochen; es ist unklar, ob er noch lebt.

Farid hat deshalb Afghanistan inzwischen wieder verlassen und sich in die Türkei durchgeschlagen, wo er aber nicht arbeiten dürfe„spärlich finanziell unterstützt von einem Helferkreis aus Lindau“, wie ein Teilnehmer sagt. Auch Farid hatte in Lindau eine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher absolvieren wollen.

Jetzt soll jetzt auch ihr Ältester, der 23-jährige Fareidon, aus Deutschland abgeschoben werden, berichtet die Schwäbische Zeitung ebenfalls Anfang August. Und das, obwohl er in der Ausbildung steht, eine Voraussetzung für die oft beschworene Integration. Sein Asylantrag sei kürzlich in letzter Instanz abgelehnt worden. Gegen die Abschiebung mobilisieren Unterstützer und auch Fareidons Chef.

Der 16. August ist der letzte Tag der Ausreisepflicht, die nach der Ablehnung gestellt wurde. Ende August geht wohl der nächste Abschiebeflug nach Kabul.

 

… und wie Ehen verhindert werden (sollen)

Bereits im Mai berichtete das Main-Echo von einem Fall, in dem der 23-jährige afghanische Flüchtling Fawad Pardis (23) im Januar 2019 kurz vor seiner geplanten Hochzeit mit einer Deutschen im unterfränkischen Lohr am Main abgeschoben wurde. „In Deutschland ist die Eheschließung an Unstimmigkeiten bei Fawad Pardis Geburtsdatum gescheitert“, schreibt die Zeitung; dabei sollte inzwischen bekannt sein, dass das afghanische Personenstandswesen lückenhaft ist und viele Afghanen ihr eigenes Geburtsdatum nicht kennen. Zudem sind Fälle bekannt, in denen die deutschen Behörden bei der Erstaufnahme afghanischen Asylbewerbern das falsche Datum in die Dokumente schreiben.

Dann aber folgte die deutsche Verlobte dem Abgeschobenen und heiratete ihn im März in Kabul mit Zustimmung der dortigen Familie:

Jetzt heißt es warten: (…) auf die Eheurkunde und deren Anerkennung in Deutschland. Schließlich auf den Termin in der deutschen Botschaft in Pakistan, wo Fawad ein Visum zur Familienzusammenführung beantragen kann. Neun Monate wird es mindestens dauern, schätzt Elisa, bis sie ihren Mann wieder in die Arme schließen kann. (…) Für Fawad eine lange, ungewisse Zeit, während der er im unsicheren Afghanistan täglich sein Leben riskiert.

Aufgrund der Abschiebung gelte allerdings für 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung ein „Einreise- und Aufenthaltsverbot“. „Eine Verkürzung oder Aufhebung des Verbots müsste bei der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken (als zuletzt zuständige Ausländerbehörde) beantragt werden, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligen würde und auch nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt entscheiden könnte“.

Angesichts der Umstände ist es schwer zu erklären, warum nicht abgewartet werden kann, bürokratische Kleinigkeiten wie ein unklares Geburtsdatum zu regeln und sofort abgeschoben werden muss. Ein weiterer Beleg für die bürokratische und politisch gewollte Unmenschlichkeit im deutschen Asylwesen.

 

Härtefälle und Verzögerungen mit Abschiebegefahr

Wie es sich unter der ständigen Abschiebedrohung lebt, schilderte die taz am 3.6.19 am Beispiel der beiden afghanischen Flüchtlinge Mujtaba S. und Ali Merzai.

Mujtaba S. hat einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung zum Elektriker im Iran absolviert. Weil es lange dauert, diese in Deutschland anerkennen zu lassen, hat er hier seinen Hauptschulabschluss nachgemacht. Im September könnte er noch einmal eine Ausbildung zum Elektriker anfangen. Ein Angebot dafür hat er. Doch die Behörden haben ihre Genehmigung verweigert, weil sie ihn abschieben wollen. (…)

Mujtaba S. (…)  hofft nun auf die Hilfe der Härtefallkommission. Angesiedelt beim Bayerischen Staatsministerium des Innern macht diese es bei „besonderen Einzelschicksalen und in humanitären Ausnahmefällen“ möglich, eigentlich ausreisepflichtigen Ausländer*innen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. (…) Zurzeit liegt der Fall beim bayerischen Innenministerium, das prüft, ob es Einwände hat.

So lange droht weiter die Abschiebung, wie Merzai erfahren musste, zu dessen Gunsten die Kommission im November 2018 entschieden hatte. Aber es fehlte, „als letzte Formalie (…)noch die Unterschrift des Innenministers.“ Und der ließ sich Zeit – stattdessen sei Merzai, so Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat, auch in dieser Zeit für einen Abschiebeflug gesucht worden. „Hätte die Polizei ihn damals angetroffen, wäre er heute nicht mehr hier“, sagt Dünnwald.

 

Angedrohte Abschiebung während Antrag auf Ausbildungsduldung

Im Raum Coburg soll der 18-jährige Afghane Bilal Y. aus Logar trotz eines laufenden Antrags auf Erteilung einer Ausbildungsduldung und zugesagter Lehrstelle abgeschoben werden, berichtete die Neue Presse. Für ihn setzt sich der Landtagsabgeordnete Michael Busch (SPD) ein.

 

Radikale Ablehnung selbst bei Lebensgefahr

In Schleswig-Holstein droht jetzt einem zum Christentum übergetretenen Afghanen die Rückschiebung in sein europäisches Erstankunftsland Norwegen (sog. Dublin-Fall, nachdem sich selbst Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und beim BAMF vergeblich für ihn eingesetzt hatte. Zum Christentum übergetretenen Afghanen kann dort die Todesstrafe drohen, vor alle weil solch ein Schritt gesellschaftlich inakzeptabel ist und  bei Anzeige zu Scharia-Gerichtsschritten führen kann. Norwegen aber schiebt noch rabiater ab als Deutschland.

 

Neues (Altes) von der Balkanroute

2015 und 2016 war viel von der Balkanroute zu hören, über die viele Flüchtlinge nach Zentral-, West- und Nordeuropa kamen. Inzwischen ist die Route dicht, mit Stacheldrahtzäunen und elektronischer Überwachung – bezahlt auch von unseren Steuergeldern. Trotzdem kommen weiter Flüchtlinge über diesen Weg (siehe AAN-Berichte hier und hier).

In Ungarn, Bulgarien und Kroatien gehen die Behörden zum Teil rabiat gegen die Flüchtlinge durch, und auch rechtswidrig, mit sogenannten Pushbacks – also gewaltsames Zurückbringen, wenn es Flüchtlingen gelungen war, die Grenze zu überwinden, ohne dass sie überhaupt Asylantrag stellen können, was dann ihr Recht ist.

Am 5. August berichtete die taz aus dem bosnischen Bihac, wo auf einer ehemaligen Müllkippe Endstation für viele Flüchtlinge ist, die immer noch nach Europa wollen – und zum Teil zwischen Europas Stacheldrahtwehren gestrandet sind. Selam Midžić, der Chef des Roten Kreuzes in der Sradt, spricht von zur Zeit 5000 oder mehr Flüchtlinge, die es über die Türkei, Griechenland oder Serbien geschafft hätten, herzukommen: „Die Leute aus Pakistan, Afghanistan, Syrien und Marokko wollen dort oben hin, an die Grenze mit Kroatien, weiter nach Westen, in die EU. (…) Auf unserer kleinen Stadt lastet das Migrationsproblem Europas.“ „Jeden Tag machen sich Flüchtlinge auf den Weg durch Wälder und die Minenfelder der ehemaligen Frontlinie. Manche in Gruppen bis zu 30 Leuten. Doch die wenigsten kommen durch“, schreibt die taz. Und weiter:

In einer ordentlichen Schlange warten ein Dutzend Männer auf die Behandlung. Die meisten von ihnen sind an den Beinen verletzt. Ein Mann zieht die Hose bis zum Knie hoch. Die Haut besteht nur noch aus blauen Flecken und offenen Wunden. (…)

Der Nächste in der Reihe, ein schlaksiger, höchstens 18 Jahre alter Afghane, schaut säuerlich. „Mein Fuß ist gebrochen, die kroatischen Polizisten haben mich mit ihren Stiefeln getreten, mir alles Geld abgenommen und dann noch mein Handy kaputtgemacht.“ Die Männer, die in der Reihe anstehen, berichten allesamt ähnliche Erfahrungen.

Nur jene, die 1.000 bis 3.000 Euro aufbringen können, um einen Schleuser mit guten Kontakten zu kroatischen Polizisten“ zu bezahlen, hätten eine bessere Aussicht, doch noch nach „Europa“ zu gelangen. 

 

Gestrandet wegen EU-Verteilblockade

Auch die griechische Insel Lesbos vor der türkischen Küste ist einer der Orte, wo Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa gestrandet sind. Dort leben etwa im und neben dem Lager Moria. Von dort berichtete die taz am 19.6.19:

3.000 Plätze gibt es offiziell, im vergangenen Oktober waren rund 10.000 Menschen hier. Heute sind es nach Zählung der Lagerleitung 4.390, davon 285 unbegleitete Minderjährige. (…) Dazu gibt es die Zonen „Olivenhain Nord“ und „Olivenhain Süd“. Rund um das eigentliche Lager haben Flüchtlinge und Helfer Hütten aus Planen errichtet…

Von den insgesamt etwa 6000 Menschen, die meisten von ihnen wahrscheinlich Afghanen (siehe auch hier).

Birgalai Douraim ist 46 Jahre alt, in seine grüne Cargohose krallt sich ein kleiner Junge. „Wir warten monatelang, niemand kümmert sich um uns“, sagt er. Fast 30.000 Euro habe es gekostet, seine Familie hierherzubringen. „Ich war nicht arm in Afghanistan, ich habe bei den ausländischen Truppen gearbeitet, frag nach in Washington, D.C.,“ sagt er. Am Ende hätten die Amerikaner ihm 1.300 Dollar im Monat bezahlt, beschützen konnten sie ihn nicht. Also floh er. „Es schmerzt mich“, sagt er, wie sie hier leben müssen. „Meine Frau fühlt sich hier genauso wie in Afghanistan: wie im Gefängnis.“

Während er spricht, kommt ein anderer Afghane. Er kramt in seiner Tasche und zeigt eine Karte. Sie soll beweisen, dass er für die afghanische Nationalversammlung gearbeitet habe. Eine Frau gesellt sich hinzu. Sie lebt allein mit ihrer Tochter im Lager. „Gestern habe ich um einen Termin beim Arzt gebeten. Sie haben gesagt, ich soll einen Monat später wiederkommen. Ein anderer junger Afghane berichtet, er sei 2018 hier angekommen. Sein Termin für das Asylinterview sei für den Juni 2020 vorgesehen.

Auch das gehört zur Zermürbungsstrategie gegen die Flüchtlinge. Die bürokratischen Mühlen mahlen so langsam, dass die EU offenbar hofft, dass viele freiwillig umkehren.

90 Euro bekommt jeder im Lager pro Monat zusätzlich zum Essen. Je Familie ist die Leistung allerdings auf 330 Euro gedeckelt. Semeen Alizada, einst Lehrerin in Herat in Afghanistan, verdient sich etwas dazu. Sie hockt in einem schwarzen Gewand vor einem Loch im Boden. Einen Lehmofen hat ihre Familie dort eingelassen, sie hat sich das abgeschnittene Hosenbein einer Jeans über den Arm gezogen und wendet damit die Fladen, die an der Innenseite des Ofens kleben. 50 davon verkauft sie am Tag, für 50 Cent das Stück. (…)

Athen will kein Geld für die Flüchtlinge. Die Regierung will, dass andere EU-Staaten sie aufnehmen.

 

EU-Organisation Frontex

Vor wenigen Tagen berichtete das ARD-Magazin Monitor über die Zustände an den EU-Außengrenzen in Griechenland, Ungarn, Bulgarien (AAN-Bericht hier) und Kroation, und berichtete ebenfalls von Menschenrechtsverletzungen durch Grenzschützer wie Hundebissen (siehe auch hier) und Pushbacks (siehe auch hier), auch von unbegleiteten Minderjährigen. Frontex bestreitet, an diesen Verletzungen beteiligt zu sein – aber das wird auch gar nicht behauptet. Sondern dass die EU-Agentur in diesen Ländern EU-Grenzschutzmaßnahmen gegen Flüchtlinge finanziert, ihr solche Berichte seit längerem vorliegen, sie aber nicht gehandelt hat.

Das ist überfällig, denn Menschenrechtsorganisationen haben bereits seit einigen Jahren Fälle über Fälle zusammen getragen. Auch wir bei AAN berichteten (z.b. hier).

Im übrigen sind Afghaninnen und Afghanen 2019 bisher (Stand 5. August) wieder de größte Gruppe, die trotz EU-Abschottungspolitk und Abschiebungen das Mittelmeer auf der gefährlichen Seeroute überqueren – Widerspiegelung der Tatsache, dass Afghanistan auch wieder der schwerste Krieg weltweit ist. 4524 Afghanen kamen im ersten Halbjahr in Europa auf dem Seeweg an, 15 Prozent aller Ankömmlinge – alle in Griechenland (wo es 35% aller Ankömmlinge sind)

 

Durch Abschiebungen „mehr von der Welt sehen“

Frontex organisiert auch die Abschiebeflüge, darunter nach Afghanistan. Beim bisher letzten, Ende Juli (meine Zusammenfassung hier), war wohl erstmals eine Journalistin dabei, von der Nachrichtenagentur dpa. Ihren Bericht zufolge sind auch Frontex-Beamte mit an Bord.

„Dass die Beamten mit Gesichtern und Familiennamen nicht in den Medien auftauchen wollen, hat damit zu tun, dass Abschiebungen gesellschaftlich nicht unumstritten sind“, heißt es in dem Bericht.

Über Sammelabschiebungen berichten die Behörden in der Regel erst hinterher, kurz und knapp. Journalisten an Bord sind eigentlich nicht erwünscht. „Rückführungen sind in mehrfacher Hinsicht sensible Maßnahmen und erfolgen deshalb unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, erläutert ein Sprecher des Innenressorts. „Da sie zugleich häufig Gegenstand von zum Teil unberechtigter [hört, hört!], schwerwiegender Kritik sind, wurde nach intensiver Abwägung auf Leitungsebene im Bundesinnenministerium entschieden, um hier mehr Transparenz zu schaffen, ausnahmsweise einem Medium mit großer Reichweite die Begleitung zu ermöglichen.“

Hier Auszüge aus ihrem Bericht, der u.a. in der Schwäbischen Zeitung, in der Welt und bei Bild erschien:

Als erstes müssen sich die Männer auf einen Stuhl setzen, der am Eingang einer kleinen Halle steht. Dort gibt es eine Art Einweisung. Wer auf dem Stuhl sitzt, wird umringt von Polizisten. Die Bundesbeamten tragen gelbe Westen, auf denen „Escort“ zu lesen ist oder „Backup Team“ – Begleitperson oder Ersatz-Team. Neben ihnen steht ein Übersetzer. Dieser erklärt, was nun folgt: Durchsuchung, Warten, dann fährt ein Bus zum Flieger.

Das Durchsuchen, das hinter einer geschlossenen Tür passiert, ist für alle Beteiligten unangenehm. „Aber ohne geht es nicht“, sagt ein Bundespolizist aus Sachsen. (…) Die 74 Männer und Frauen der Bundespolizei, die mitfliegen nach Kabul, sind unbewaffnet.

In einer zweiten fensterlosen Halle sitzen sie später an schweren Holztischen neben den Ausländern, die sie in den nächsten neun Stunden nicht aus den Augen lassen werden. Wer zur Toilette muss, wird begleitet. (…)

Es ist dunkel, als zwei Busse vor die Halle rollen. Eine kurze Fahrt zum Flieger. Dann wieder warten. Je zwei Polizisten haken einen Afghanen rechts und links unter. Einzeln werden die Männer die Flugzeugtreppe hochgeführt. Drinnen in der Maschine warten Flugbegleiterinnen einer Chartergesellschaft. Sie tragen braunkarierte Kleider und roten Lippenstift. Die Stewardessen lächeln professionell. Auch als zwei Männer ins Flugzeug gebracht werden, denen die Polizisten mit einem schwarzen Gurt die Arme am Rumpf fixiert haben. „Body Cuff“ nennen sich die Vorrichtungen, die sich locker oder fest anziehen lassen. (…)

Frontex duldet nicht, dass auf Fotos von Abschiebungen das Logo der Charterfluggesellschaft zu erkennen ist. (…)

Wer sich vorhin in der Halle gewehrt hat, wer wiederholt aufstehen und hinausgehen wollte, wird im hinteren Teil der Boeing 767 platziert. „Das sind die Schwererziehbaren“, heißt es im Polizei-Jargon. (…)  

Wenn einem der Bundespolizisten mit den gelben Westen die Augen zufallen, kommt jemand aus dem Ersatz-Team. Warme Sandwiches und kalte Getränke werden serviert. Tee und Kaffee gibt es für die Abgeschobenen nicht — aus Sicherheitsgründen. (…)

Zügig steigen [in Kabul] die Abgeschobenen die Flugzeugtreppe hinunter, begrüßen afghanische Polizisten mit Handschlag. Zwei Mitarbeiterinnen der deutschen Botschaft, die ebenfalls unten stehen, schauen zu.

Dann geht es per Bus zum Terminal. (…) In einem Nebenraum gibt es Geld, rund 150 Euro von einer UN-Behörde. Das reicht, um einige Tage in einer billigen Unterkunft zu schlafen und zu essen. Was danach kommt, wissen die meisten Rückkehrer noch nicht. (…)

Matthias, 54 und aus Brandenburg, arbeitet regulär am Flughafen. Der ehemalige DDR-Bürger hat sich 1992 freiwillig gemeldet, um Abschiebungen zu begleiten, auch weil er mehr von der Welt sehen wollte.

Im übrigen: Diese Begleiter steigen in Kabul nicht mit aus. Hinterher geht es nach Georgien.

Am nächsten Morgen beim Frühstück in Tiflis sehen die Polizisten aus wie eine Ausflugsgruppe. Viele tragen kurze Hosen.

 

Einer der Seehofer-69

Ein weiterer dpa-Bericht erzielte nicht die gleiche Reichweite. Er erschien nur beim Online-Portal Qantara, einem Projekt der Deutschen Welle, das zum Dialog mit der islamischen Welt beitragen will, so die Selbstdarstellung, sowie in der Gießener Allgemeinen. Das ist aber nicht die Schuld von dpa. Der Bericht befasst sich mit dem Thema, wie es den Abgeschobenen hinterher in Kabul ergeht, und schließt damit an die o.g. Berichte über Asif N. sowie Farid und Fareidun Azizi an.

Dschafari wurde im Januar aus München nach Kabul abgeschoben. Er sprach Deutsch, war gut integriert, wie er berichtet, hatte keine Probleme mit der Polizei und einen Ausbildungsvertrag als Bäcker in der Tasche. Den Tag seiner Abschiebung, sagt Dschafari, werde er nie vergessen. Am Vormittag war er noch in der Schule, nur Stunden später legten ihm Polizisten Hand- und Fußfesseln an. «Das ist doch unmenschlich», sagte er zu ihnen. «Ich bin doch kein Schaf». (…) 

Die ersten zwei Wochen lebte er erst in einer Unterkunft, die damals noch jedem Abgeschobenen von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) angeboten worden war. Danach mietete er ein Zimmer. Irgendwann riefen Freunde aus Deutschland an und sagten, er könne in Westkabul bei einem Zivilrechtsaktivisten leben, der immer wieder Abgeschobene aus Deutschland aufnehme. Seither lebt er bei dem alten Mann (…). 

Abdul Ghafur, der Direktor der afghanischen Flüchtlings-NGO Amaso, verfolgt seit langem das Schicksal aus Deutschland Abgeschobener.

«Die meisten können hier nicht mehr überleben», sagt er. Der Großteil jener, die er beobachtete, habe das Land wieder verlassen – wer dort Familie habe, gehe in den Iran. Andere hätten sich in die Türkei durchgeschlagen, auch bis nach Griechenland. Den Abgeschobenen fehle das in Afghanistan wichtige soziale Netzwerk, nachdem sie über viele Jahre im Ausland waren. Das mache sich schon bei den einfachsten Dingen wie der Suche nach einer Unterkunft bemerkbar. Ohne männlichen Bürgen wird in Kabul kein Zimmer vermietet. Auch Jobs werden zumeist an Verwandte oder Freunde vergeben. Die Abgeschobenen überfordere aber auch die Gewalt im Land, sagt Ghafur. Manche würden ihre Zimmer aus Angst nicht verlassen. 

Dschawad (Name geändert, Anm.) wurde mit dem berüchtigten Flug im Juli vor einem Jahr abgeschoben. (…) Auch Dschawad ist nicht mehr in Kabul, er lebt mittlerweile im Iran. (…) Die Taliban hätten im Vorjahr in seinem Heimatdorf in einer südlichen Provinz Angriffe verübt und Häuser angezündet, sagt er. «Danach – was wäre mir noch geblieben?» Auf die Frage, wie sein Leben denn nun im Iran aussehe, das selbst unter einer massiven Wirtschaftskrise leidet und aus dem immer wieder Berichte über massive Diskriminierung von Afghanen kommen, antwortet er nicht mehr. 

 

Hinterm Balkan

Aus der Türkei berichtete die taz am 25.7.19:

In der Türkei wächst der Druck auf Geflüchtete. Insbesondere in Istanbul verschärft der Staat die Suche nach illegalen Einwanderern – und will die nicht in der Stadt registrierten Geflüchteten in andere Provinzen bringen.

Allein in den letzten zwei Wochen sind rund 6.000 Menschen ohne gültige Papiere in Istanbul festgenommen und abgeschoben oder in Lager in andere Provinzen gebracht worden, darunter knapp 3.000 Afghanen, die über die Grenze in den Iran abgeschoben wurden. (…)

Hintergrund dieser Maßnahmen dürfte sein, dass der Unmut gegenüber Geflüchteten in der türkischen Bevölkerung auch angesichts der Wirtschaftskrise im Land spürbar wächst. In Umfragen in den letzten Monaten werden die knapp vier Mil­lio­nen Geflüchteten immer häufiger als größtes Problem des Landes bezeichnet.

Am 2.8.19 berichtete wieder die taz:

Am 22. Juli kündigte das Gouverneursamt von Istanbul der Presse an, gegen „irreguläre Migration“ vorgehen zu wollen, und noch am gleichen Tag nahmen die Kontrollen der Sicherheitskräfte, insbesondere gegen Syrer*innen, stark zu. Den Betroffenen wurde eine Frist gesetzt: Wer nicht in Istanbul registriert ist, muss die Stadt bis zum 20. August verlassen. (…)

Das Innenministerium gab bekannt, dass bei den Razzien im Juli 6.122 nicht in Istanbul registrierte Personen in Untersuchungshaft genommen wurden – darunter auch 2.600 Afghan*innen. 

 

Ende Rechtsstaat

Im Nachbarland Österreich ist die Situation zum Teil noch schlechter. Dort schließt mit Ronald Frühwirth in Graz jetzt einer der besten Asylanwälte des Landes seine Kanzlei, weil er nicht mehr an den Rechtsstaat glaubt, berichtet das Nachrichtenmagazin Profil. Am hätten Ende „zu viele Gespräche mit Blicken voller Verzweiflung geendet“, erklärt Frühwirth auf seiner Homepage: „Zu viele meiner Mandantinnen und Mandanten wurden in Elend, Lebensgefahr und Not abgeschoben.“Zu viele Menschen seien ohne Zuflucht, zu viele ohne juristisch durchsetzbaren Anspruch auf Schutz geblieben, „weil es politisch nicht opportun ist“. Nun schreibt er: „Meine Bilanz ist erschreckend.“ Seit 2015 seien so gut wie alle seine asylrechtlichen Revisionen zurückgewiesen worden. 

Wilfried Embacher, namhafter Asyl- und Fremdenrechtsanwalt aus Wien, wird mit dem Kommentar zitiert: „Von außen schaut alles rechtsstaatlich aus, dahinter geht es mitunter nur noch darum, Menschen ins Messer rennen zu lassen. Und die Höchstgerichte, wo das auffallen müsste, schauen oft nicht einmal mehr hin.“ Es zähle das Ergebnis: der negative Bescheid, die Abschiebung.