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[Die Korrektur betrifft die Überschrift – ursprünglich „… sagt Afghanistan-Abkommen ab“ –; ich habe hier den Begriff verwendet, auf den Trump sich bezieht, siehe Absatz 8. Damit dürfte aber auch das im Entwurf vorliegende Abkommen „tot“ sein.]
Wie sich leider schon andeutete, ist der Afghanistan-Deal zwischen Washington und den Taleban auf den letzten diplomatischen Metern noch geplatzt (meine Bewertung vor dem vergangenen Wochenende hier). Oder, wie man lieber sagen sollte, zum Platzen gebracht worden.
Wie ebenfalls schon lange befürchtet worden war, kam der Todesstoß für das Abkommen – das, so weit seine Konturen hervorgetreten waren, tiefgreifende inhärente Mängel hätte, aber doch trotzdem noch die einzige realistische Chance zu einem Durchbruch zum Frieden darstellte – per Tweet von dem Einzelentscheider aus dem Weißen Haus. Von einem „Tweet des Damokles“ war schon seit Beginn der Verhandlungen die Rede gewesen, auch wenn die Furcht ursprünglich gewesen war, dass Trump ganz ohne Abkommen einen einseitigen Truppenabzug und dann auch die Einstellung oder eine starke Kürzung der Militär- und Wirtschaftshilfe für Afghanistan anordnen könnte (wie Jelzin 1992 für Nadschibullah). Das würde angesichts der starken Abhängigkeit Afghanistans davon zu einer Auflösung der staatlichen und vor allem militärischen Strukturen führen. (Im übrigen eine Option, die immer noch nicht ausgeschlossen ist.)
Es waren eigentlich drei Tweets:
Unbekannt für fast alle, war geplant, dass die hauptsächlichen Taleban-Führer und, separat, der Präsident Afghanistans [kein Name genannt], mich am Sonntag unter Geheimhaltung in Camp David treffen. Sie sollten heute nachts in die Vereinigten Staaten kommen. Unglücklicherweise gaben sie zu, um sich einen falschen Einfluss zu verschaffen…
… einen Angriff in Kabul verübt haben, bei dem einer unseren großartigen Soldaten und elf andere Menschen getötet wurden. Ich sagte sofort das Treffen und die Friedensverhandlungen ab. Was für Leute sind das, die so viele Menschen töten, um anscheinend ihre Verhandlungsposition zu stärken? Es ist ihnen nicht gelungen; sie …
… haben sie nur schlimmer gemacht! Wenn sie nicht einem Waffenstillstand während dieser wichtigen Friedensgespräche zustimmen können, und selbst 12 unschuldige Menschen töten, dann haben sie wahrscheinlich ohnehin nicht die Macht, ein sinnvolles Abkommen abzuschließen. Wie viele Jahrzehnte lang wollen sie noch kämpfen?
Während es vereinzelt Hoffnungen gab, Trump würde noch zurückrudern, z.B. in der New York Times. (auch der Ex-UN-Sondergesandte Kai Eide sprach von „moderaten Reaktionen“ von Außenminister Pompeo und den Taleban – die hatten gesagt, sie hätten sich für ein Abkommen eingesetzt, würden aber auch „bis zum Sieg“ kämpfen), machte Trump gestern abend bei einer Kurzpressekonferenz beim Einsteigen in dem Hubschrauber alles klar (Video hier):
„Sie können das mit mir nicht machen. Was mich anbelangt, sind sie tot“, sagt er [Ergänzung am 10.9.: auf die Frage eines Journalisten (hier ganz am Anfang hörbar), „sind die Friedensgespräche mit den Taleban tot?“]. Und er fügte hinzu: „Es war meine Idee, das Treffen zu haben, und es abzusagen. Ich habe das mit niemandem diskutiert. (…) Auf keinen Fall treffe ich mich auf dieser Grundlage; auf keinen Falle treffe ich mich [mit den Taleban].“
In verschiedenen US-Medien herrscht die Auffassung (siehe wieder die NYT), dass Trump das Treffen und damit den Abkommensschluss an sich ziehen und damit den Lorbeer für einen Friedensschluss (den Friedensnobelpreis, zum Beispiel) einheimsen wollte. Offenbar war zunächst ein Treffen in Washington geplant, dann kam Trump mit der Camp-David-Idee, dem Ort, wo 1978 Israel und Ägypten ihren Separatfrieden schlossen – eine Idee, die in den USA am Vorabend des 9/11-Jahrestages kaum jemand für gut hielt.
Es wird auch spekuliert, dass Sicherheitsberater und Super-Scharfmacher John Bolton Trump geraten habe, dass er einen Teiltruppenabzug – sein 2016er Wahlversprechen – auch ohne ein Abkommen mit den Taleban umsetzen könnte, das selbst in seiner Republikanischen Partei abgelehnt wird (da damit die Erfolge der USA in Afghanistan in Frage gestellt würden).
Wahrscheinlich ist, dass Trump davon ausgegangen war, dass die Taleban ihm die Einladung nicht abschlagen konnten, sie das aber getan hätten – weil sie das Abkommen in Doha unterzeichnen wollten, und erst dann nach Washington reisen wollten. Trump, so die US-Medien, aber habe geplant, in Washington noch letzte Dinge in dem Dokument zu klären (oder so zu tun), so dass er als derjenige dastehen würde, der den Deal erzielt habe.
Die Taleban behaupteten, ihre Führung habe die Einladung abgelehnt – gegen die Meinung der Mehrheit ihrer Verhandlungsdelegation in Doha –, weil in die USA zu reisen wie eine Kapitulation ausgesehen hätte.
Zu den vielen inhärenten Mängeln des Abkommen zählte, dass es nicht den in Afghanistan erwarteten und dringend notwendigen Waffenstillstand bringen würde. Davon hatte sich US-Chefunterhändler Khalilzad durch die Verweigerungshaltung der Taleban abbringen lassen, um überhaupt ein Abkommen zu erreichen.. Außerdem war die Sequenzierung der Umsetzung unklar. Z.B. war von einem „bedingungsabhängigen“ Truppenabzug die Rede (als abhängig von Fortschritten in innerafghanischen Friedensgesprächen, die erst nach Abkommensunterzeichnung beginnen sollten), während klar war, das Trump den Abzug noch 2020 beendet haben wollte (mehr hier: https://thruttig.wordpress.com/2019/09/01/us-taleban-abkommen-am-wochenende-3-mein-artikel-in-der-welt-31-8-19/). Auch war es Khalilzad nicht gelungen, die Taleban dazu zu bringen, die afghanische Regierung als dritte Partei zu den Doha-Verhandlungen zu bringen. Und grundsätzlich wiegte sich Washington in der Illusion, den Vermittler in einem Krieg spielen zu können, in dem es Partei ist.
Natürlich kann man weder die Taleban noch die afghanische Regierung von einer Mitschuld an dem Scheitern freisprechen. Die Taleban haben mit ihrer anhaltenden Blockade eines Waffenstillstands und weiteren Anschlägen dazu beigetragen, dass gerade die viele, wenn nicht die meisten Afghanen ihnen einen Willen zum Frieden nicht abnahmen. (Den sie im übrigen so auch nie formuliert haben; für sie ist und bleibt der Rückzug der ausländischen Truppen das oberste Ziel. Das könnte ihnen anschließend leichteres Spiel in der innenpolitischen – politischen und/oder dann auch wieder bewaffneten – Auseinandersetzung bringen.)
Aber die eskalierende Gewalt nur den Taleban zuzuschreiben, wie es Trump tat, ist ebenfalls nur die Hälfte der Geschichte. Auch das US- und das afghanische Militär haben die Taleban massiv angegriffen, viele ihrer Kommandeure getötet, und dabei im 1. Halbjahr 2019 nach UN-Zahlen auch mehr afghanische Zivilisten als die Aufständischen (Taleban und IS) zusammen – und dabei noch die eigenen Zahlen schönreden, um – im Falle der USA – ihr „Selbstbild“ von der „Präzision“ ihrer Operation nicht zu gefährden (siehe hier), während die afghanische Seite sich ebenfalls in durchsichtigen Fake News übt (ein Beispiel hier). Und seine Begründung, das Treffen und die Verhandlungen wegen des am Donnerstag (5.9.19) getöteten US-Soldaten abgesagt zu haben, wirkt fadenscheinig: Während der Verhandlungen sind 2019 schon 16 Soldaten getötet worden, mehr als jeweils in den vergangenen vier Jahren – keiner der früheren Fälle aber führte zum Gesprächsabbruch.

Während der Kämpfe in Kundus am 31.8.19. Foto: Tameem Tawfique/Twitter
Für die Menschen in Afghanistan ist das Scheitern der Gespräche eine Katastrophe, weil ein Abkommen, so fehlerhaft es war, doch wenigstens noch die Chance auf einen (allerdings wenig wahrscheinlichen) Durchbruch zu Friedensgesprächen und ein Ende des Krieges eröffnet hätte, vor allem, wenn es dabei professionelle internationale Mediation o.ä. gegeben hätte; was bei den beabsichtigen innerafghanischen Verhandlungen in Norwegen wohl der Fall gewesen wäre.
Nun ist viel diplomatisches Porzellan zerschlagen worden (nämlich das bisschen Vertrauen, das bei den Doha-Gesprächen aufgebaut wurde, und durch Trumps Bekanntgabe von Details auch die Chance, diese geheim zu halten und eventuell noch einmal für einen Neuansatz zu verwenden). Und die extrem unprofessionelle und gleichzeitig bis an den Größenwahn selbstbewusste afghanische Regierung spürt Oberwasser, und nimmt nun großsprecherisch für sich in Anspruch, die Friedensgespräche überhaupt initiiert zu haben (mit ihrem sog. Kabul-Prozess, an dem außer ihr selbst niemand teilgenommen hat, und ihrer handverlesenen Friedens-„Loja Dschirga“), aber nie wirklich einen nationalen Konsens über Gespräche mit den Taleban herstellen konnte. Im Resultat ist wohl der Weg zu einer Verhandlungslösung erst einmal auf absehbare Zeit verschüttet, und wie ein Neuansatz gelingen soll, ist fraglich. Damit wird auch der Krieg weitergehen und, wie ich gestern auch dem Spiegel sagte, werden beide Seiten ihn wohl den Krieg weiter eskalieren (hier schon erste Ankündigungen des US-Militärs). Trotz möglicher Kriegsmüdigkeit bei den Taleban auf individueller Ebene, kann man nicht erwarten, dass sie die Waffen niederlegen, ohne dass es ein Abkommen gibt, das aus ihrer Sicht den Sinn ihres Kampfes wahrt. Die Taleban als Organisation haben sich als äußerst widerstandsfähig erwiesen.
Zum Abschluss nochmal zurück zu Trump. Er hat von seiner Abneigung gegen den Afghanistan-Einsatz und die Afghanen („undankbar“, „bringen unsere leute um“ – als ob alle Afghanen Taleban wären…) ja nie einen Hehl gemacht – hier eine Zusammenstellung seiner Afghanistan-Tweets aus seinem vorigen Wahlkampf. Wie es bei ihm üblich ist, hat er das sogar weiter auf die Spitze der Abscheulichkeit getrieben, in dem er mehrere Male (also nicht nur bei einem „Ausrutscher“) betonte, dass er ja den Krieg in Afghanistan in „zehn Tagen“ bzw „ einer Woche“ gewinnen könne, das aber nicht tun wolle, weil das sonst „zehn Millionen Tote“ kosten und Afghanistan „vom Angesicht der Erde getilgt“ würde – zuerst am 22.7.19 in einem Fernsehinterview, dann kurz darauf bei einem Treffen mit Pakistans Regierungschef Imran Khan und erneut vor Reportern im Weißen Haus am 20.8.19, wo er noch extra betonte, dass er dabei nicht an „nukleare Waffen“ denke. Also muss er wohl doch daran gedacht haben…
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