Der folgende Artikel erschien in einer leicht gekürzten Version am 1.12.2021 in der Berliner taz (online hier), dort unter folgendem Titel: 

Cannabis-Ernte. Foto: Pajhwok.

Joint Venture mit den Taliban: Cannabis-Kooperation mit deutscher Firma

Mit Hilfe einer Firma im Rheinland wollen die Taliban die gesamt Landesproduktion an Cannabis in den legalen Bereich überführen

„Du schwoaza Afghane“, sang der Wiener Barde Wolfgang Ambros über eine gern gerauchte, aus dem Land am Hindukusch stammende Sorte Haschisch. „Kumm spüh ma wos vua/ I bin so allane/ A Gramm wa scho g’nua“. Das war 1976, zwei Jahre bevor der sowjetische Einmarsch in Afghanistan die relativ ungestört Zufuhr von „Gras“ vom Hindukusch über den Hippietrail unterbrach. Bis dahin verkehrten regelmäßig Busse von München nach Indien und Nepal und zurück, mit Stopp in Kabul, wo, wie sich unter den Touristen bald herumsprach, das Haschisch besonders gut und billig war. Zu dieser Zeit soll das Land zwischen 150 und 400 Tonnen Haschisch produziert haben.

Heute ist Afghanistan wahrscheinlich zweitgrößter Produzent des schwarzbraunen Harzes, das aus der Cannabispflanze gewonnen wird, die auch als Indischer Hanf bekannt ist. Aktuelle Zahlen hat nicht einmal die Fachorganisation, das „UNO-Büro zu Drogen und Kriminalität“ (UNODC). In ihrem jüngsten „Bericht zur Drogensituation in Afghanistan“ vom November heißt es nur, dass das Land zwischen 2015 und 2019 weltweit – nach Marokko – am zweithäufigsten als Herkunftsland beschlagnahmten Haschischs festgestellt wurde. Letzte genauere Daten zur Produktion aus Haschisch stammen aus den Jahren von 2009 bis 2012, als sie auf 1300 bis 3500 Tonnen geschätzt wurde – in den letzten beiden dieser Jahre habe ihr Wert bei 65 bzw. 95 Millionen US-Dollar gelegen. Die Zahlen für Rohopium lagen 2020 bei 350 Millionen Dollar, drei Jahre vorher sogar bei 1,4 Milliarden Dollar. Landesweit wird weit mehr Schlafmohn angebaut, weil er weniger bewässerungs- und arbeitsintensiv und länger lagerfähig ist. Für den einzelnen Bauern, so das UNODC, ist der Cannabisanbau allerdings deutlich profitabler. 2012 lag das Verhältnis zu Rohopium bei 6400 zu 4600 US-Dollar pro Hektar. Jüngste Verkaufspreisdaten deuteten daraufhin, dass das immer noch so sei. 

Allerdings hat der Cannabisanbau technologiebedingt in den letzten Jahren zugelegt. Fazl Rahman Muzhary vom Afghanistan Analysts Network (AAN)* fand im Frühjahr 2020 im südostafghanischen Distrikt Dela intensivierten Anbau auf noch im Jahr zuvor unbewässertem Ödland: „Jeden halben Kilometer waren 25 bis 30 Solarpanels an relativ frisch gegrabenen Brunnen zu sehen. Jeweils daneben standen improvisierte Lagerhütten, ein paar Räume aus Lehmmauern, mit Plastikplanen abgedeckt. Darin hing die komplette Ernte des Vorjahres zum Trocknen, bereit zum Dreschen und Sieben.“ Anwohnern zufolge sei dies alles erst seit 2019 entstanden. 

Dass UNO und westliche Regierungen trotzdem mehr wissen über die Produktion von Opium, Heroin sowie Afghanistan neuesten Exportschlager Methamphetamin – gewonnen aus einem wildwachsenden Bergstrauch, auch als Ephedra bekannt [daraus wiederum wird in Afghanistan Crystal Meth hergestellt; eine AAN-Analyse dazu hier] –, liegt offenbar daran, dass im Gegensatz dazu Schwarzer Afghane vor allem innerhalb der Region geschmuggelt und konsumiert wird, in Indien, Pakistan, Iran, auf der arabischen Halbinsel, in Russland und den zentralasiatischen Republiken [, die anderen Substanzen aber auf den westlichen Markt kommen]. Dazu kommt Eigenbedarf, der in Afghanistan laut UNODC auch in „kleinen Küchengärten“ angebaut wird. 2012 rauchten 8 Prozent der afghanischen Bevölkerung regelmäßig Tschars, wie es lokal genannt wird. Den Markt in Westeuropa dominiert im Gegensatz dazu Haschisch aus Nordafrika, der sogenannte „grüne Marokkaner“. 

[Nachtrag: Laut dem Afghanistan-Drogenexperten David Mansfield haben die Taleban gerade die Ernte der Pflanze Ephedra (dt.: Meerschaum) verboten – nach Ende der Erntesaison.]

Esel transportieren geerntete Cannabis-Pflanzen. Foto: Archiv.

Offenbar gibt es nun findige Unternehmer, die das wieder ändern wollen. Am 24. November schrieb der Sprecher des Taleban-Innenministeriums Qari Saeed Khosti auf Twitter, man habe mit Vertretern der deutschen Firma CPharm einen Vertrag abgeschlossen, der vorsehe, dass sie in Afghanistan eine Fabrik zur Verarbeitung von Cannabispflanzen „in Arzneimittel und Cremes“ errichtet und dafür 450 Millionen Dollar investiert. Die Firma soll sogar ein Monopol erhalten. Khosti schrieb, nach Vertragsabschluss solle „das Cannabis des Landes nur an diese Firma gegeben werden“. Sie wolle zudem die derzeitige Cannabis-Gesamtanbaufläche von 4000 auf 6000 Hektar erweitern. Das afghanische Innenministerium ist auch für die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels zuständig. Die „Entwicklungsgesellschaft CPharm International mbH (ECI)“, wie die deutsche Firma offiziell heißt, ist in Vettelschoß bei Bonn ansässig. Laut Webseite bietet sie „Hilfe bei der Erarbeitung von Gesetzen, Zertifizierungen, Zulassungsvorschriften sowie bei Bau und Betrieb von Produktionsstätten und der Errichtung von zertifiziertem Feldanbau/Kontrakt Farming“ von Cannabis-Produkten an und habe Projekterfahrung in neun Ländern, darunter in Marokko. Auch Afghanistan wird bereits genannt.

Noch Anfang 2020 hatten die Taleban in jenen Gebieten, die sie damals schon beherrschten, ein Anbauverbot für Cannabis erlassen, wie Muzhary berichtete. Sie waren vor allem besorgt über den steigenden Konsum im eigenen Land. Nun, an der Regierung in Kabul, suchen sie offenbar nach Wegen, die Produktion durch ein staatlich gelenktes Aufkaufsystem, wie es auch bei legalen Agrarkulturen besteht, in den legalen Bereich zu verlagern. Vor allem wollen sie die Staatseinnahmen steigern, um die unter westlichen Sanktionen leidende Gesamtwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Das ist clever: Die bisherige Besteuerung der illegalen Drogenwirtschaft brachte ihnen international Schelte ein – und vor allem war sie bei weitem nicht so hoch, wie von ihren militärischen Gegnern oft dargestellt. David Mansfield, führender Experte auf diesem Gebiet, schätzt sie bei Opiaten auf 20 Millionen Dollar pro Jahr. Cannabis dürfte kaum mehr eingebracht haben. Die Gesamtstaatseinnahmen der Taleban werden derzeit auf 1,2 bis 2,5 Millionen Dollar pro Tag geschätzt. Wie viel ihnen aus der CPharm-Fabrik zufließen wird, ist unklar. Unter der bisherigen, neoliberal beeinflussten Regierung gab es lediglich eine Umsatzsteuer-Flatrate für Unternehmen von 2 Prozent.

Die Sanktionen des Westens dürften es CPharm schwer machen, Gewinn aus Afghanistan zu transferieren. Dafür braucht es Ausnahmegenehmigungen vom US-Finanzministerium, und die US-Regierung hat wenig Interesse, die Taleban-Regierung zu stärken. Die kann allerdings argumentieren, die Fabrik schaffe Arbeitsplätze und verringere die Armut, unter mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leiden. Tendenz steigend. CPharm-Geschäftsführer Werner Zimmermann äußerte sich dazu auf schriftliche Anfrage der taz [bisher] nicht.

* Transparenzhinweis: Der Autor ist Mitbegründer von AAN, war an dieser Recherche aber nicht beteiligt.

Hier ein zweiteiliger, sehr interessanter AAN-Artikel (auf Engl.) von Fabrizio Foschini zur Geschichte und Kulturgeschichte des Cannabis-/Haschischgebrauchs in Afghanistan: Teil 1 und Teil 2.

Und hier ein AAN-Dossier zu Drogen in Afghanistan.