Schlagwörter
Arbeitslosigkeit, Aufnahmeprüfungen, Badachschan, Bewegung der Frauen Afghanistans für Gleichheit, Bildungswesen, Farhad Darja, Frauenradio, Ghasni, Herat, Kabul, Proteste, Sarifa Jakubi, Taleban, Universitäten, Verhaftungen, Verschleierung, Welle der Veränderung
Trotz erheblicher Risiken von Verhaftung und Misshandlung haben Ende Oktober in Afghanistan innerhalb dreier Tage wieder mutige Frauenaktivistinnen und Mädchen, letztere in ihren Schuluniformen, gegen ihre Entrechtung protestiert. Laut einem Bericht von Tolo-News nahmen auch Lehrerinnen und Mütter von Schülerinnen daran teil, die von den Taleban ausgesperrt wurden.
Proteste
Es gab gleich drei neuere Vorfälle, über die Medien berichteten. Laut der Frauen-Nachrichtenwebseite Ruchschana zogen in Kabul „Dutzende Frauen und Mädchen“ vor drei Schulen – den Gymnasien Al-Fath im dritten Mikrorayon, Maleka (Königin) Soraja (benannt nach der Frau des afghanischen “Reformerkönigs” Amanullah, 1919-29) in Taimani and Bibi Sara –, um symbolisch Einlass zu begehren. Sie trugen Schilder mit dem Slogan „Unterricht ohne Angst“ (dars bedun-e tars) (hier ein Video), der auf einen Aufruf des im Exil lebenden afghanischen Sängers Farhad Darja zurück geht. Protestteilnehmerinnen wiesen auch darauf hin, dass ihre Töchter wegen des Schulausschlusses an Stress und Depressionen litten.
Nach Aussage einer der Aktivistinnen verweigerte der Schulleiter ihnen den Zutritt und rief die Taleban. Vor deren Eintreffen hatten sich die Demonstrantinnen zurückgezogen. „Wir werden unseren Kampf so lange weiterführen, bis die Schulen wieder offen sind“, zitierte Ruchschana eine Protestierende.

Kabuler Schülerinnen mit dem „dars bedun-e tars“-Slogan. Foto: Ruchschana.
In Faisabad, Hauptstadt der Nordost-Provinz Badachschan, protestierten am 30. Oktober Studentinnen der dortigen Universität dagegen, dass die Moralpolizei (Amr bi-l-Maruf) einigen von ihnen sowie Professorinnen wegen nicht ausreichender Verschleierung den Zugang zum Campus verwehrt hatte, wie die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok berichtete. Laut Ruchschana riefen die Protestierenden Anti-Taleban-Parolen. Eine Sprecherin der Protestierenden sagte Pajhwok, dass einige Studentinnen Covid-Masken statt des vorgeschriebenen Gesichtsschleiers trugen. Die Taleban hätten erklärt: Die Masken gälten nicht als Hidschab, denn sie würden „von Ausländern hergestellt. Ihr müsst Burkas tragen.“ Dutzende junger Frauen hätten sich an dem Protest beteiligt. Naqibullah Qazizada, Rektor der Universität Badachschan, bestätigte den Vorfall. Laut Ruchschana zerstreuten „Taleban-Kräfte“ den Protest „unter Anwendung von Gewalt und verbaler Beleidigungen“. Dieses Video aus sozialen Medien scheint diesen Protest zu zeigen.(Interessanterweise machte mich darauf eine Taleban-Quelle auf Twitter aufmerksam.)
Der Chef der örtlichen Moralpolizei sagte, seine Behörde suche täglich verschiedene Regierungseinrichtungen auf und „leiteten die Menschen an“. (Hier erklärt ein afghanischer Analyst, welche Arten von Verschleierung laut Taleban zulässig sind.)
Am 31. Oktober versammelten sich im Kabuler Schahr-e Nau-Park nun arbeitslose ehemalige Mitarbeiterinnen von Regierungseinrichtungen, um für das Recht auf Arbeit zu demonstrieren. Als Zeichen ihres Protests zeigten sie Plakate mit ihren Zeugnissen, um ihre Qualifikation zu verdeutlichen. Eine der Protestierenden sagte laut Tolo-News: „Die Dokumente, die wir in unseren Händen halten, sind nutzlos, denn wir ale sitzen zu Hause, weil wir keine Arbeit haben.“ Sie verlangten auch die Wiedereröffnungen der Mädchenschulen ab Klasse 6. Laut Rukhshana zerstreuten Taleban auch diesen Protest und hinderten Journalisten an der Berichterstattung darüber. Eine der Protestierenden sagte laut Ruchschana, dass die Taleban die anwesenden Journalisten auf ein nahes Polizeireview abgeführt hätten, wo sie Erklärungen unterschreiben mussten, künftig nicht mehr über Proteste zu berichten.

Frühere Regierungsangestellte protestieren in Kabul gegen Arbeitslosigkeit. Foto: Ruchschana.
Auf den Webseiten der in Afghanistan bisher relativ ungehindert weiter arbeitenden Fernsehsender und Nachrichtenagenturen Tolo, Ariana und Pajhwok fanden sich am Freitag (4.11.) – mit wenigen Ausnahmen – keine Berichte von den Protesten (mehr), weder auf der englisch- noch den Dari-/Paschto-sprachigen Seiten. Dafür berichtete Tolo am 3. November darüber, dass in Kabul eine ungenannte Organisation Unterricht für ältere Mädchen durchführt.
Zuvor gab es Anfang Oktober über sechs Tage verteilt Straßenproteste von Schülerinnen in den Provinzen Herat, Bamian, Balch und Nangarhar gegen den Anschlag auf das Kabuler Kaadsch-Bildungszentrum (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/kabul-anschlag-249.html) am 30.9.2022 zu protestieren, bei denen zahlreiche Abiturient:innen, fast alle Mädchen, getötet wurden. Am 6. Oktober schlossen sich Mädchen in den überwiegend von Hasaras bewohnten Distrikten Dschaghori und Malestan (Provinz Ghasni) an. Auch forderten sie uneingeschränkten Zugang für Mädchen zur Bildung.
Verhaftungen
Am 3. November nahmen Taleban die Frauenrechtlerin Sarifa Jakubi sowie andere Teilnehmer:innen einer Pressekonferenz im Westkabuler Stadtteil Dascht-e Bartschi fest. Sie wollten dort die Gründung einer Frauenbewegung unter dem Namen „Bewegung der Frauen Afghanistans für Gleichheit“ (Jombesch-e Zanan-e Afghanistan bara-je Barabari) bekannt gegeben. (Hier ein Foto der afghanischen Nachrichten-Webseite Reporterly davon.) Dem Bericht von Kabul Now zufolge seien die Teilnehmer:innen geschlagen worden. Die afghanische Webseite Zan Times berichtete, einigen seien ihre Handies weggenommen worden und die Taleban hätten sie aufgefordert, am nächsten Tag mit ihren männlichen Angehörigen zu einem Geheimdienstbüro zu kommen, um sie wieder abzuholen. An ihrer Durchsuchung seien Taleban-Polizistinnen beteiligt gewesen. Der UNO zufolge seien vier „männliche Kollegen“ Jakubis mit ihr festgenommen worden (hier ihre Fotos).

Die verhaftete Sarifa Jakubi. Foto: Freedom Now.
Einem Bericht von Radio Azadi (RFE/RL) zufolge seien später auch Jakubis Schwester Arifa Jakubi und deren Ehemann festgenommen worden.
Sarifa Jakubi hatte auch am Kabuler Protest am 31.10. (siehe oben) teilgenommen. Sie ist ferner eine der Gründungsmitglieder der Partei „Welle der Veränderung“ (Hesb-e Maudsch-e Tahawul-e Afghanistan), die 2013 von der ehemaligen Parlamentsabgeordneten Fausia Kufi gegründet worden war. Auf Englisch nennt sich die Organisation „Movement of Change for Afghanistan“; auf Dari wird – wie diese Fotos zeigen – aber das Wort „Partei“ verwendet. Frau Kufi wies in ihrer Erklärung zur Verhaftung Jakubis auch nochmal auf deren Mitgliedschaft im Exekutivrat ihrer Partei hin, was sie allerdings eher noch mehr gefährden könnte. (Parteien sind in Taleban-Afghanistan de facto verboten.) Im März hatte die Partei noch mit Kufis Konterfei in Kabul demonstriert und zuvor eine Pressekonferenz zum Weltfrauentag am 8. März organisiert.
Die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) und der UN-Menschenrechtsrat in Genf haben die Verhaftungen verurteilt. UNAMA hat sich an die Taleban um Aufklärung über den Verbleib der Verhafteten gewandt und das Recht aller Afghan:innen auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung ohne Furcht vor Bedrohung oder Verhaftung unterstrichen. Über ihren Verbleib und den der Mitverhafteten war bis Veröffentlichung dieses Texts nichts bekannt.
Weitere Einschränkungen
In Herat ordnete Abdul Aziz Nemani, Rektor der dortigen Universität mit einem auf den 21. Oktober datierten Brief für alle Studentinnen an, nur lange schwarze oder dunkelblaue Schleier zu tragen und sicherzustellen, dass ihr Kleidung weder zu enganliegend noch bunt sei. Bei Zuwiderhandlung drohe ihnen der Ausschluss vom Studium. Die Professoren und Angestellten der Universität werden angewiesen, die Studentinnen auf korrekte Verschleierung hinzuweisen. Das berichtete Ruchschana, der der Brief vorliegt.
In Masar-e Scharif rief die Taleban-Moralpolizei Anfang November laut Ruchschana die örtlichen Händler, einschließlich der Schneider, auf, keine Frauen mehr zu bedienen, die nicht den „vollständigen islamischen Hidschab“ (Verschleierung) beachteten. Auch hier wurde den Männern ihrer Familie mit Bestrafung gedroht.
In Ghasni hätten die Taleban Mitte Oktober nach einer Feier des Lehrertages zwei Dozenten einer Privatuniversität festgenommen, weil sie westliche Kleidung getragen hatten. Se wurden am selben Abend wieder frei gelassen, nachdem Kollegen sich für sie verbürgt hätten. Zuvor hatten die Taleban in der Stadt ein Englisch-Sprachzentrum geschlossen, nachdem sie in einer der Klassen ein Mädchen entdeckt hätten.
HRW-Bericht
Wie gefährlich Proteste und ein frauenrechtliches Engagement unter den Taleban ist, schildern Aussagen dreier verhafteter und dann wieder freigelassener Demonstrantinnen, die die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zusammengetragen hat (deutsche Kurzfassung hier, ausführlicher auf Englisch hier). Die Frauen waren im Februar 2022 in einer „Schutzunterkunft in Kabul willkürlich verhaftet“ und von den Taleban-Behörden mehrere Wochen lang im Innenministerium fest gehalten worden, „offenbar als Vergeltung dafür, dass sie Proteste für Frauenrechte mit vorbereitet und an ihnen teilgenommen hatten. Nach ihrer Freilassung konnten sie aus dem Land fliehen.“ An der Festnahme waren Taleban-Polizistinnen beteiligt.
Die drei Frauen berichteten, wie sie mit ihren Familien, darunter auch kleinen Kindern, inhaftiert wurden und Drohungen, Schlägen, prekären Haftbedingungen, der Verweigerung eines ordentlichen Verfahrens, unrechtmäßigen Bedingungen für ihre Freilassung und anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wurden.
Zunächst seien sie fünf Tage lang mit insgesamt 21 Frauen und sieben Kindern in einem einzigen engen und überhitzten Raum festgehalten worden, in dem es so gut wie keine Nahrung, kein Wasser und keine Toiletten gab. Die Taleban verhörten sie unter Missachtung der Menschenrechte, ohne ihnen Zugang zu einem Rechtsbeistand oder andere Rechte zu gewähren, und erzwangen dadurch Geständnisse, dass sie männliche Familienangehörige in ihrer Hörweite folterten, u.a. mit Elektroschocks. Mehrere Tage lang hätten sie nur altes Brot zu essen erhalten, das Wasser in dem Raum sei abgestellt worden und die Kinder hätten das Wasser trinken müssen, in dem die Taleban-Wärterinnen ihre Kleider gewaschen hätten. Durch die Hitze in dem Raum (offenbar keine Zelle in einem Gefängnis). Nach sechs Tagen wurde ein Arzt gerufen, der den Taleban sagte, dass die Gefangenen ohne Essen und Wasser sterben würden. Daraufhin ließ ein hochrangiger Taleb sie in einen Raum mit besserer Versorgung verlegen.
Die Taleban warfen den Frauen vor, dass sie dafür verantwortlich seien, dass ihr Regime international nicht anerkannt werde, da sie sie „in schlechtes Licht“ setzten. Die Taleban hätten gefragt: „Wo wart ihr in den letzten 20 Jahren, als die Amerikaner uns und unsere Frauen töteten?“ Sie warfen ihnen auch Verbindung zur Nationalen Widerstandsfront, einer bewaffneten Anti-Taleban-Gruppe vor. Die Frauen mussten aufschreiben, an welchen Aktivitäten sie beteiligt gewesen und wer ihre Unterstützer seien, und später auf Video ein von den Taleban choreografiertes Geständnis abgeben, dass Mitglieder des afghanisches Exils sie beeinflusst hätten (es gab Kontakte auf den konfiszierten Telefonen) und sie nur protestiert hätten, um politisches Asyl im Ausland erhalten zu können.
Als Preis für ihre Freilassung zwangen die Taleban die Familien der drei Frauen, die Originalurkunden für ihre Wohnungen oder Landbesitz auszuhändigen und drohten damit, dieses Eigentum zu konfiszieren, sollten die Frauen sich erneut an Protesten beteiligen, wozu sie sich schriftlich verpflichten mussten. Ihre Familien mussten sich verpflichten, sie nicht mehr aus dem Haus zu lassen.
Die Frauen erklärten später, sie hätten erkannt, dass ihre Männer noch schlechter behandelt wurden als sie, nämlich körperlich misshandelt. In anderen Quellen haben Demonstrantinnen angegeben, dass sie protestierten, weil sie wüssten, dass Männer von den Taleban noch schlimmer als sie behandelt würden. So viel zu Vorwürfen, dass Männer sich nicht an den Protesten in Afghanistan beteiligten.


Sarifa Jakubi (Mitte, mit grünem Kopftuch) bei einem früheren Protest in Kabul. Obe: Die Pressekonferenz der neuen Frauenbewegung kurz vor dem Eindringen der Taleban. Fotos: Kabul Now.
Studienfach-Beschränkungen für Studentinnen
Anfang Oktober erschienen erste Berichte unter Berufung auf Studentinnen in Afghanistan, denn zufolge ihre Auswahl an Studienfächern beschränkt worden sei, z.B. hier und hier. Es war nicht klar, ob es sich um eine neue Politik der Taleban oder willkürliche Maßnahmen örtlicher Untergliederungen handelte. Der Sprecher des Hochschulministeriums erklärte nach den ersten Berichten, es gäbe keine Restriktionen von zentraler Instanz. Einige Universitäten könnten aus eigenem Antrieb entschieden haben, für Mädchen nicht „das volle Spektrum an Kursen“ anzubieten, zitierte ihn die regime-eigene Afghanistan Times.
Die oppositionelle Online-Zeitung Hascht-e Sobh berichtete unter Bezug auf eine Quelle im Hochschulministerium, dass es dort solche Festlegungen gegeben habe und im Oktober eine Delegation des Ministeriums in die Provinzen gereist sei, um die Universitäten diesbezüglich anzuweisen. Es sei ausreichend, wenn Frauen Lehrerinnen und Hebammen würden. (Hascht-e Sobh gilt in letzter Zeit aber als nicht unbedingt zuverlässig.) Tolo zitierte einen Uni-Dozenten, dass solche Einschränkungen eine Verletzung des Hochschulgesetzes seien.
Am 14. Oktober erschien dann bei der BBC eine umfangreichere Recherche zu diesem Thema. Darin hieß es einführend: „Ein Jahr, nachdem die Taleban den meisten Mädchen im Teenageralter den Schulbesuch verwehrt haben, verhängen sie weitreichende Beschränkungen, welche Studiengänge Frauen an öffentlichen Universitäten belegen können.“ Für männliche Studenten gelten diese Einschränkungen offenbar nicht. Aber wie sie für Studentinnen umgesetzt werden, unterscheidet sich doch von Universität zu Universität.
An der Universität Nangarhar in Dschalalebad etwa konnten Studentinnen sich nur für sieben der 13 Fakultäten einschreiben, darunter Geburtshilfe und Literatur. Von Journalismus, Landwirtschaft, Veterinärmedizin, Ingenieurwissenschaften und Wirtschaft sind sie ausgeschlossen. Vorab war das nicht bekannt gegeben worden. Die Studentinnen fielen bei ihrer Bewerbung aus allen Wolken.
Nach der BBC-Recherche stehen Mädchen die Fächer Medizin und Krankenpflege, Lehramt und Islamische Studien überall offen; Journalismus nur an wenigen Universitäten, z.B. in Kabul. Landwirtschaft, Veterinärmedizin, Ingenieurwissenschaften und Wirtschaft sind ihnen landesweit verschlossen. Wer zu bestimmten Fachrichtungen nicht zugelassen wird, kann nicht beliebig eine andere Universität wählen. Die Taleban haben laut BBC das Land in eine Anzahl von Zonen unterteilt, über die Mädchen nicht hinausgehen dürfen.
Die Taleban versuchten auch später, die Restriktionen herunter zu spielen. Abdul Qadir Chamusch, Chef der Prüfungsabteilung im Hochschulministerium, erklärte der BBC, Mädchen könnten alle „bis auf drei oder vier“ Fächer wählen. „Wir müssen separate Klassenräume für Frauen haben. In einigen Gegenden ist die Zahl von Kandidatinnen [für bestimmte Studienrichtungen] niedrig. Deshalb lassen wir Frauen nicht zu bestimmten Kursen zu.“ In der Provinz Laghman fiel die Zahl der Uni-Aspirantinnen von fast 1200 im vorigen auf ganze 182 in diesem Jahr. In Urusgan sei die Gesamtzahl(?) von 2000 auf 350 zurückgegangen.
Natürlich ist das nicht zufällig. Die Taleban haben durch frühere Restriktionen wie dem Schleierzwang einiges dafür getan, Mädchen vom Studium abzuschrecken oder ihren Eltern, sie studieren zu schicken. Aus Kabul wurde berichtet, dass Wohnungsbesitzer nicht gern an Studentinnen vermieten, aus Angst, sie könnten Ärger mit den Taleban bekommen.
Die Aufnahmeprüfungen mussten Studentinnen und Studenten ebenfalls getrennt ablegen. Die Taleban begannen bereits nach ihrer erneuten Machtübernahme, auch die Hörsäle für beide zu trennen oder zumindest durch Vorhänge oder ähnliches zu teilen. (Das wird auch in privaten Bildungszentren umgesetzt, wo Studentinnen und Studenten Testaufnahmeprüfungen ablegen können. Beim Anschlag auf das Kabuler Bildungszentrum Kaadsch Ende September führte das dazu, dass fast nur Mädchen – die vor einer Trennwand saßen – vom Attentäter getroffen wurden. Im August hatten die Taleban sogar angeordnet, dass Studentinnen und Studenten in solchen Zentren sogar in getrennten Räumen arbeiten sollen, aber das war wohl noch nicht vollständig umgesetzt.)
Die Aufnahmeprüfungen finden simultan in allen Provinzen statt, nur in Kabul gesondert zum Schluss. Die Taleban-Behörden rechneten mit insgesamt 145-150.000 Anwärter:innen, davon etwa 30.000 in Kabul, gaben aber nicht bekannt, wie viele männliche bzw. weibliche darunter. Im Vorjahr waren es etwa 200.000. In Kabul wurde es an zwei Tagen durchgeführt, einem für männliche, dem zweiten für weibliche Bewerber. Nach Taleban-Angaben stünden 115.000 Studienplätze zur Verfügung, fast 30.000 mehr als im Vorjahr.
Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Aufnahmeprüfungen kamen Zweifel an deren Ergebnissen auf, nachdem die ersten zehn Plätze von männlichen Bewerbern belegt waren und keine Mädchen unter den Top-10 waren. In drei der vier vergangenen Jahre hatten Bewerberinnen jeweils sogar den ersten Platz belegt. Einen Tag darauf wurden dann die Ergebnisse der Mädchen bekannt gegeben, und es stellte sich heraus, dass einige ebenfalls weit vorn auf einer gemeinsamen Liste gestanden hätten. Es war aber nicht klar, ob die Taleban-Behörden jetzt gesonderte Liste für Mädchen führten.

Immer noch nicht ganz vorschriftsmäßig bekleidete Studentinnen. Foto: Ruchschana.
Mehr Islamunterricht
Mitte August hatte Hochschulminister Abdul Baqi Haqqani angekündigt, dass auch der Umfang der religiösen Ausbildung an den Universitäten ausgeweitet werde. Die Zahl der obligatorischen Stunden in diesem Fach werde von einer auf drei pro Woche und die Zahl der „Themen“ (nicht klar, was das bedeutet) um fünf auf 13 erhöht.
ToloNews berichtete Mitte September, dass das Taleban-Hochschulministerium nicht mehr – wie bisher üblich – die Gehälter von Hochschuldozenten weiterzahle, die sich zur Weiterqualifizierung im Ausland aufhielten. Das Ministerium führte Geldmangel als Grund an, wolle aber die alter Regelung wider aufnehmen.
In Kandahar zwang die dortige Taleban-Bildungsbehörde einem Medienbericht zufolge Lehrer und Schüler weiterführender Schulen ab Klasse 9 eine Verpflichtung zu unterschreiben, dass sie der Scharia folgen. Das Dokument, das in dem Beitrag zitiert, aber nicht abgebildet wird, laute: „Ich, Sohn des … verspreche, dass ich der Sunna des Propheten Muhammad und allen Prinzipien der Scharia folge“. Die Bildungsbehörde und das Bildungsministerium beantworten keine Fragen des Mediums. Es war auch nicht klar, ob diese Maßnahme alle Schulen der Stadt oder der Provinz betraf.
Ausschlüsse aus Mädchen-Grundschulen
Nach mehreren Medienberichten kämmten Taleban auch die obersten Klassen von Grundschulen in mehreren Provinzen durch, um bereits pubertierende Mädchen vom Unterricht auszuschließen. Das weist darauf hin, dass es ihnen tatsächlich darum geht, erwachsen werdende Mädchen aus dem Bildungssystem zu entfernen. In Kandahar seien „hunderte“ Mädchen aus den Klassen entfernt worden. Darunter waren offenbar ältere Mädchen, die aus Kriegs- oder anderen Gründen bei ihrer Einschulung schon älter waren, Klassen wiederholen mussten oder Lernprobleme hatten. Der Chef der örtlichen Bildungsbehörde Mawlawi Fachruddin Naqschbandi bestätigte, dass Mädchen ab 13 Jahre oder in der Pubertät ausgesondert würden.
Im Viertel Chaled Ibn Walid von Masar-e-Scharif hätten die Verantwortlichen einer öffentlichen Sekundärschule Mitte September Familien aufgefordert, ihre Töchter nicht mehr zur Schule zu schicken, berichtete Ruchschana am 4. Oktober 2022. An der Schule lernten Jungen und Mädchen bis Klasse 9, allerdings in unterschiedlichen Schichten. Die Eltern wurden ferner aufgefordert, das Thema nicht außerhalb der Schule anzusprechen. Sollten Mädchen weiter zum Unterricht kommen, würde er sie bei der nächsten Prüfung durchfallen lassen, hieß es in dem Bericht. Die meisten Eltern seien der Aufforderung bis dahin aber nicht nachgekommen, und viele Mädchen besuchten weiter diese Schule. Der Schuldirektor habe durchblicken lassen, dass die Taleban ohnehin – wie in den meisten anderen Provinzen – auch dort die höheren Mädchenschulen schließen würden.
Zum Abschluss: Frauenradio unter den Taleban sieht unterdessen jetzt so aus (der Sender heißt Radio Stimme der Frauen – Radio Seda.je Banuan)
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