Schlagwörter
Afghanistan, Aufnahmeprüfung, Balch, Frauenrechte, Hochschulministerium, Kabul University, kankur, Studentinnen, Taleban
Die Taleban haben die privaten Hochschulen und Bildungseinrichtungen darauf hingewiesen, „bis auf weiteres“ keine Studentinnen aufzunehmen. In einem Schreiben des Leiters der Abteilung für Student:innenangelegenheiten des Hochschulministeriums, Muhammad Salim Afghan, vom 28. Januar zur Bekanntgabe der Termine für die Aufnahmeprüfungen (kankur, von frz. concours) heißt es, dass „die Einschreibung von Studentinnen (muhaselin-e tabaqa-je anas) und ihre Ablegung von [Aufnahme-]Prüfungen für Master- und Promotionsstudiengänge entgegen schon bestehender Festlegungen nicht gestattet“ ist. Zuwiderhandlungen seien Rechtsbruch. Damit wird den betroffenen Einrichtungen indirekt mit Strafen gedroht.
Zudem werden sie aufgefordert, ihre konkreten Termine für die Aufnahmeprüfungen rechtzeitig der nationalen Prüfungsbehörde beim Hochschulministerium bekannt zu geben.
Damit schließen die Taleban ein Schlupfloch. Verschiedene Bildungseinrichtungen hatten jungen afghanischen Frauen zuletzt zumindest die Möglichkeit zum Weiterstudium offen gehalten, indem sie auch nach dem generellen Studierverbot für Frauen durch Taleban-Hochschulminister Neda Muhammad Nadim kurz vor Weihnachten noch Prüfungen für sie durchführten.
[Nachtrag 30.1.23, 19.30 Uhr: Mohammad Karim Nasiri, der Medienmanager der Vereinigung Privater Universitäten, gab gegenüber der afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok an, dass es landesweit 140 private Universitäten in 24 Provinzen mit insgesamt etwa 200.000 Studenten gebe. Davon seien 35 Prozent Frauen. Er geht von 65.000 bis 70.000 Frauen aus, die an solchen Hochschulen und ähnlichen Einrichtungen studierten.]

Der neue Taleban-Verbotsbrief an die privaten Hochschulen. Quelle: Khaama.
Zuletzt hatte es Unklarheiten darüber gegeben, ob auch Medizinstudentinnen von dem generellen Verbot betroffen seien. Die Augsburger Allgemeine hatte am 27.1.2023 unter Berufung auf den Leiter der deutschen Hilfsorganisation Kinderhilfe Afghanistan, Reinhard Erös, berichtet, dass die Taleban „das Bildungsverbot für Frauen im Bereich Medizin aufgehoben“ hätten. Medizinstudentinnen hätten wieder Zugang zu den Universitäten, und „gleichzeitig können Mädchen und Frauen nun wieder ihre Ausbildung in medizinischen Berufen aufnehmen beziehungsweise fortsetzen und als Ärztinnen, Hebammen oder Krankenschwestern arbeiten.“ Erös bezog sich auf persönliche Gespräche mit dem Taleban-Gesundheitsminister Qalandar Ibad, wie er in einem Interview am gleichen Tag mit dem Deutschlandfunk wiederholte. Allerdings sagte er nicht, was genau der Minister ihm mitgeteilt habe.
Insbesondere geht es um die Kabul Medical University (KMU). Sie befindet sich in der Nähe der Universität Kabul (KU) und wird oft für einen Teil der KU gehalten, ist jedoch unabhängig von dieser. Im Gegensatz zu ihr untersteht die KMU dem Gesundheits- und nicht dem Hochschulministerium. Zudem konnten die Studentinnen der KMU nach Informationen aus Afghanistan ihr Semester im Dezember noch regulär abschließen und am Tag nach dem Verbot auch die Jahresabschlussprüfung ablegen. An anderen Hochschulen wurde hingegen der Betrieb während der Jahresabschlussprüfungen unterbrochen. Zudem gibt es Informationen, dass die Taleban verschiedene Geber kontaktiert hätten, um eine Finanzierung für den Transport von Geburtshilfe-Studentinnen zu bekommen. Damit soll offenbar vermieden werden, dass sie eigenständig zur Vorlesung und damit möglicherweise mit Studenten in Kontakt kommen – so die Vorstellung der Taleban von der Geschlechtertrennung an den Hochschulen.
Daraus schlossen verschiedene Beobachter, dass das Studierverbot für Frauen dortige Studentinnen oder generell Medizinstudentinnen nicht beträfe. Ferner nahmen sie an, dass Medizinstudentinnen von bereits früher gegenüber mehreren NGOs verkündeten Ausnahmeregelungen für Frauenarbeit im Gesundheitssektor fielen.
Genau klären lässt sich die Frage im Moment nicht, da zur Zeit Semesterferien sind. In den sogenannten warmen Gebieten Afghanistans enden sie Mitte Februar, in den sogenannten kalten Gebieten (der größere Teil) zum dortigen Neujahrsfest, zu unserem Frühlingsanfang (dies haben die Taleban als offiziellen Feiertag abgeschafft).
Allerdings gibt es Hinweise, dass auch die KMU-Studentinnen schon gegenüber den männlichen Mitstudenten benachteiligt werden. Eine Studentin berichtete aus Kabul, dass sie nach ihrem Studienabschluss ihre Dokumente nicht in Empfang nehmen und beglaubigen lassen könnten, im Gegensatz zu ihren Kommilitonen. Die Studentin sagte, ihr sei nicht klar, ob sie nach der Winterpause weiterstudieren dürfe oder nicht. Eine offizielle Verlautbarung dazu gäbe es bisher nicht. Der o.g. Brief vom 28.1. betrifft die KMU als staatliche Hochschule formal nicht.
Ähnliches hatte der afghanische Exilsender Amu TV am 21.1. aus der Nordprovinz Balch berichtet. So seien Studentinnen an der Universität Balch in der Stadt Masar-e Scharif die Aushändigung ihrer Abschlusszertifikate verweigert worden, mit denen sie sich für ein Studium im Ausland bewerben wollten. Zuvor seien bereits gesonderte Bürozeiten für Studentinnen und Studenten eingerichtet worden; nun gäbe es ein generelles Betretungsverbot für Studentinnen. Eine Studentin berichtete, dass Sicherheitskräfte ihr den Zutritt zur Universität verwehrt hätten. Ein Dozent der Universität bestätigte anonym, dass bisher keine Abschlusszeugnisse für Studentinnen ausgefertigt worden seien.
Zahlreiche ausländische Hochschulen haben Sonderstipendien für afghanische Studentinnen ausgeschrieben. Auch das deutsche BMZ hat solche Stipendien in Aussicht gestellt.
Die neue Taleban-Anordnung dämpft Hoffnungen auf eine baldige Milderung der Verbote für Frauen, die der UN-Chefkoordinator für Humanitäres, Martin Griffiths, nach seinem jüngsten Afghanistan-Besuch geweckt hatte.
Eine kürzere Version dieses Textes erschien heute (30.1.2023) online bei der taz und wird morgen in der Druckausgabe zu finden sein.

Afghanische Studentinnen stehen zur kankur-Prüfung vor dem Taleban-Verbot an. Foto: Ariana.
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