Schlagwörter
Afghanistan, Arbetsverbot, Dekret Nr. 8, Frauenrechte, Hilfsorganisationen, Karsai, Koedukation, Mullah Omar, Schinwari, Taleban, UNO
Die folgenden beiden Artikel von mir veröffentlichte die taz am 8.7.2000 unter dem Titel „Bart ist Trumpf: Afghanistans Taliban-Regierung verbietet Beschäftigung von Frauen in Hilfsorganisationen“ und am 4.8.2000 unter dem Titel „Taliban-Edikt gegen Frauen: Nichtregierungsorganisationen, die in Afghanistan Frauen beschäftigen, fördern angeblich die Prostitution“. Es ist schon erstaunlich, die Parallelen zwischen dem Vorgehen der Taleban 2000 und 2021-23 nochmal vor Augen zu haben, aber auch einige Unterschiede. Vor allem wichtig: Das Hin-und-Her um das Arbeitsverbot für Frauen bei NGOs zeigt, dass – entgegen der Behauptung der Taleban – auch Dekrete des amir ul-momenin, also des Talebanführers, zurückgenommen werden können, wenn auch nur von diesem und auch, wie dieses Beispiel zeigt, um Bestimmungen noch weiter zu verschärfen.
Artikel leicht bearbeitet; erklärende Hinzufügungen [in eckigen Klammern].
Afghanistans Taleban-Regierung verbietet Beschäftigung von Frauen in Hilfsorganisationen
Am Donnerstag, den 6. Juli 2000, gegen Mittag erhielt das Büro des UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in Kabul Post von den Taleban. Die Mitteilung war lakonisch kurz gehalten. In ganzen acht Zeilen teilte das für die Zusammenarbeit mit den ausländischen Hilfsorganisationen zuständige Planungsministerium einen Beschluss des Taleban-Ministerrats mit: “Keine internationale oder nationale NGO und UN-Agentur kann formal oder informell Frauen beschäftigen.” Als Begründung wird angegeben, dass Frauenarbeit “der Politik des Islamischen Emirats Afghanistan” – so nennen die Taleban ihren Embryonalstaat – “zuwider läuft”.
Interessanter Weise enthält die Note des Planungsministeriums weder einen Termin, wann das Verbot in Kraft tritt, noch macht es deutlich, ob damit ausschließlich afghanische Frauen gemeint sind. Ferner mitgeteilt wird nur, dass bei einer Sitzung im Planungsministerium am nächsten Montag morgen weitere Informationen bekannt gegeben werden sollen.
Diese Mitteilung der Taleban beendet eine von zwei Möglichkeiten für afghanische Frauen, noch berufstätig zu sein. Nachdem die Koranschüler-Miliz ab Ende 1994 schrittweise die Macht in etwa neun Zehnteln Afghanistans übernommen hatte, schloss sie alle Bildungseinrichtungen für Mädchen und Frauen und schickte alle weiblichen Berufstätigen nach Hause. Zunächst wurde zumindest jenen Frauen, die im staatlichen Sektor – vor allem in der Verwaltung – arbeiten, der Lohn weiter gezahlt. Nach internationalen Protesten und vor allem der Einsicht, dass das Gesundheitswesen für Frauen ohne Ärztinnen zusammenbrechen würde, hoben die von Pakistan beratenen Taleban zumindest das Arbeitsverbot für Frauen in Krankenhäusern auf. Nach und nach konnten auch humanitäre UN-Unterorganisationen und nichtstaatliche Organisationen wie die Welthungerhilfe Afghaninnen wieder in ihren Programmen beschäftigen. Dies wurde sogar durch ein Dekret von Taleban-Chef Mulla Muhammad Omar [vom Juni 1997] untermauert. Doch das scheint jetzt nicht mehr zu gelten.
Die Lage für die Frauen hatte sich bereits im Frühjahr erheblich verschärft, als die Taleban die formale Weiterbezahlung jener Frauen einstellten, die im Staatsapparat gearbeitet hatten und die sie dann nach Hause schickten. Damals wurden auch zahlreiche männliche Beamte mit der Begründung einer “Effektivierung” des Staatsapparates entlassen.
Wie viele Frauen von dem erneuten Arbeitsverbot betroffen sein werden, ist schwer einzuschätzen. Die Zahl dürfte bei mehreren Tausend im ganzen Land liegen. Allein das UN-Welternährungsprogramm WFP beschäftigte in Kabul 600 Frauen in so genannten Frauenbäckereien, die vor allem allein stehenden Frauen oder Witwen Arbeit gaben und über die vor allem besonders von Hilfe abhängige Familien mit dem Grundnahrungsmittel Brot versorgt wurden. NGOs wie die Welthungerhilfe und das Schwedische Afghanistan-Komitee setzten Frauen bei vorbereitenden Haus-zu-Haus-Untersuchungen für Hygiene-Projekte ein. Dies alles soll nun nicht mehr möglich sein.
UN-Mitarbeiter vor Ort in Kabul zeigten sich zunächst überrascht von dem Taleban-Verbot, wollten es aber vor der montäglichen Runde im Planungsministerium noch nicht kommentieren. Es wurde aber erwartet, dass der UN-Sicherheitsrat das Thema am Donnerstag bei seinem Afghanistan-Briefing aufgreifen würde. Eine Verurteilung des Arbeitsverbots gilt als sicher.
Taleban begründen NGO-Frauenarbeitsverbot mit Förderung der „Prostitution“
Jetzt haben sie es schriftlich. Die humanitären und nichtstaatlichen Organisationen, die in Afghanistan einheimische Frauen beschäftigen, fördern damit “Verderbtheit” oder sogar “Prostitution”. So steht es im Farman [Dekret] Nr. 8 des Sonderbüros der Taleban, der den Hilfsorganisationen in Kabul am Montag, den 31. Juli 2000, zugestellt wurde und die neueste Etappe in der Kulturrevolution der afghanischen Radikal-Islamisten markiert. Unterschrift: “Mulla Muhammad Omar Mudschahed, Diener des Islam”, wie sich das geistliche Oberhaupt der Taleban offiziell nennt.
Die Taleban versuchen, eine eigenwillige und äußerst strikte Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, in dem mittelasiatischen Land durchzusetzen. Ein zentraler Punkt dabei ist es, die Frauen vom öffentlichen Leben abzuschotten, durch Zwangsverschleierung, Ausschluss aus dem Bildungswesen jenseits der Primärstufe und Arbeitsverbot, ausgenommen nur Angestellte des staatlichen Gesundheitswesens. Die Taleban begründen dies damit, dass sie auf diese Weise die Ehre der Frauen schützen wollen, die während der sowjetischen Besatzung und des anschließenden Bürgerkrieges mit Füßen getreten worden sei. Westliche Vorstellungen von Frauenrechten lehnen sie ab.
Ihre jüngste Postsendung steht in Einklang mit vorangegangenen Erklärungen hoher Regierungsvertreter des international nicht als legitime Regierung Afghanistans anerkannten “Islamischen Emirats”. So erklärte Taleban-Außenminister Wakil Ahmad Mutawakkil, der als engster Vertrauter Mulla Omars gilt und seine Karriere einst als dessen Vorkoster und Berater begonnen hatte, hohen UN-Vertretern deutlich, dass die Entscheidung diesmal auf höchster Ebene gefallen und deshalb endgültig sei. Niemand könne dies rückgängig machen. Um dies mitzuteilen, bemühte er sich in der letzten Woche sogar persönlich in das Kabuler Büro des UN-Entwicklungsprogramms.
Zuvor hatte der für Afghanistan zuständige UN-Koordinator fur Humanitäres, der Niederländer Eric de Mul, zweimal in Kabul bzw. Kandahar versucht, das Edikt rückgängig zu machen, und anschließend optimistische Stellungnahmen abgegeben. Er hoffte auf die Erfahrung, dass sich die internationale Gemeinschaft schon einmal gegen die Taleban durchsetzen konnte, als sie 1998/99 versucht hatten, die Hilfsorganisationen aus ihren Büros zu werfen und auf dem zerbombten Gelände des Kabuler Polytechnikums, einer einst von der Sowjetunion erbauten Hochschule, zu konzentrieren und abzuschotten.
[Die NGOs verweigerten den Umzug, drohten mit Abzug, die Taleban ihrerseits damit, die NGOs zu schließen. Irgendwann 1999 ließen die Taleban das Thema ohne Erklärung fallen. Im Unterscheid zur Frauenarbeit war die Grundlage dieser Entscheidung aber „nur“ ein Beschluss des Ministerrates und kein Farman/Dekret/Edikt des Taleban-Chefs.]
Im vorigen Sommer wiesen die Taleban die ausländischen Hilfswerke an, Frauen nur noch strikt getrennt von Männern zu beschäftigen. In der Praxis heißt das: separate Büros mit separaten Eingängen, damit kein Blickkontakt zustande kommt. Bei Zuwiderhandlung wird verhaftet.
Doch diesmal scheint es ernster zu sein. Alle bisherigen Taleban-Andeutungen, es gebe Spielraum in der Frage der Frauenbeschäftigung, haben sich als leere Worte heraus gestellt. Auch dass der neue Afghanistan-Beauftragte Kofi Annans, Francesc Vendrell, dem Taleban-Außenminister Ende letzter Woche in Kabul die “Besorgnis der Geberländer” übermittelte, die das Verbot “sehr, sehr ernst” nehmen würden, hat bisher keine Wirkung gezeigt. So liegen alle Projekte, in denen afghanische Frauen beschäftigt sind, seit Wochen auf Eis. Die NGOs hatten sie nach dem Verbot ausgesetzt.
Vielleicht gibt es aber doch noch Lücken im Gesetz. Hohe Taleban-Vertreter deuteten an, es solle eine Liste von elf Berufen veröffentlicht werden, in denen Frauen doch arbeiten dürften. Andere deuteten privat an, dass sie den Farman missbilligten und baten ausländische Helfer privat um Rat, wie dem Verbot beizukommen sei.
In dem jetzt zugestellten Farman wird – im Gegensatz zum ursprünglichen Brief des Taleban-Planungsministeriums vom 6. Juli, in dem das Arbeitsverbot angekündigt worden war – die UNO nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Dort ist nur von “ausländischen und nichtstaatlichen Organisationen” die Rede. Dies könnte aber auch ein Versuch der afghanischen Machthaber sein, einen Keil zwischen die Hilfswerke zu treiben, die sich derzeit um eine gemeinsame Haltung zu dem Verbotserlass bemühen.

Anmerkungen 2023
Das offizielle Datum des Farman Nr. 8 ist der 17.04.1421 – nach dem von den Taleban verwendeten islamischen Mondkalender. Das entspricht dem 19.7.2000. Der Farman setzte explizit auch alle anderen vorangegangenen – die noch eine gewisses Maß an Frauenbeschäftigung zuließen – außer Kraft, die im ersten Artikel erwähnt sind.
Mir liegt der Originaltext des Farmans nicht mehr vor, ich habe nur englische Übersetzungen. Dort ist davon die Rede, dass Frauenbeschäftigung „adultery“ fördere, was „Ehebruch“ bedeutete. Ob im Original beide oben genannten Begriffe – “Verderbtheit” und “Prostitution” – vorkamen, kann ich im Moment nicht mehr rekonstruieren. Ich werde aber weiter suchen…
Farman Nr. 8 waren, beginnend im Februar 1997, mindestens 43 Taleban-Dokumente mit Bezug zur Frauenarbeit vorausgegangen, wovon 18 explizit Restriktionen für Hilfsorganisationen enthielten. Diese Angaben beruhen auf einer damaligen Studie einer Arbeitsgruppe der in Afghanistan tätigen NGOs, die solche Taleban-Verlautbarungen untersuchten, d.h. aus ganz praktischen Gründen untersuchen mussten.
Allerdings hieß es noch im Bericht des damaligen UN-Sonderberichterstatters zu den Menschenrechten in Afghanistan vom Februar 2001, dass noch „1999 und in ersten Vierteljahr von 2000 eine Anzahl positiver Entwicklungen der Gemeinschaft der Hilfsorganisationen Zeichen gegeben haben, dass die schweren Restriktionen für Bildung und Beschäftigung von Frauen von den Autoritäten langsam überdacht werden“.
In der erwähnten Studie der Hilfsorganisationen heißt es interessanterweise auch, dass einige der dafür interviewten Gesprächspartner den Eindruck hatten, dass „nach der Verhängung von Sanktionen [gegen die Taleban durch den UN-Sicherheitsrat nach al-Qaeda-Anschlägen] im November 1999, und der wachsenden Erkenntnis unter den Taleban, dass ihre Versuche, bei der UNO eine Anerkennung zu erreichen, nicht funktionierten“ sowie „inmitten der schlimmsten Dürre in 30 Jahren…, sie das veranlasste, eine negativere Haltung gegenüber der Gemeinschaft der Hilfsorganisationen einzunehmen“.
Genauso interessant sind die Schlussfolgerungen der Studie zur Haltung der NGOs und der Gründe dafür. Hier im Wortlaut:
Aus NGO-Perspektive kann die allgemeine Reaktion auf die jüngsten Dekrete, die die Beschäftigung von Frauen einschränken, wie folgt charakterisiert werden: kein Rückzug, keine Konfrontation, sich aus der politischen Arena heraushalten, über Fachministerien [d.h. auf zentraler und Provinzebene] auf die Taleban zugehen, den Dialog offen halten, langsam handeln, unauffällig und abwartend bleiben [keeping a low profile and adopting a wait-and-see attitude]. Es wird auch die Notwendigkeit anerkannt, geduldig zu sein, keine schnellen Ergebnisse zu erwarten oder mit reflexartigen Reaktionen im Umgang mit Behörden zu reagieren. Das Bewusstsein ihres „Gästestatus“ scheint NGOs auch kulturell sensibler in ihrem Verhalten zu machen und sie davor zu bewahren, eine aggressive Haltung einzunehmen. Darüber hinaus besteht ein Merkmal der NRO-Reaktion darin, zu versuchen, Kontakte mit den Autoritäten zu vermeiden und das auf das unbedingt Notwendige [„needs-must“] zu beschränken. Obwohl die jüngsten Dekrete die Tätigkeit von NGOs (Frauenbeschäftigung) direkt in Frage stellen, scheinen diese Organisationen bereit zu sein, ihre Arbeit in dem zunehmend restriktiven Umfeld fortzusetzen. Es scheint, dass die NGOs kein „Grundlinie“ [bottom line] definiert haben, an dem sie es für notwendig halten, sich aus dem afghanischen Kontext zu lösen, wenn auch nur aus operativen Gründen.
Die oben skizzierte Haltung wird von NGOs damit gerechtfertigt, dass die Taleban keine große Sorge um das Wohlergehen bestimmter Bevölkerungsgruppen gezeigt haben, dass es gemäßigte Elemente innerhalb der Taleban-Bewegung gibt, die für niedrigschwellige NGO-Angebote empfänglich sind und dass es die überwältigende Priorität der Hilfsgemeinschaft ist, den Afghanen zu helfen, die vielen Entbehrungen zu überwinden, die ihr Überleben bedrohen. Damit verbunden ist die Wahrnehmung einiger NGOs, dass es wichtiger ist, „konkreten“ Fragen der Lebensgrundlagen im Zusammenhang mit familiären Bedürfnissen Vorrang vor „abstrakteren“ Begriffen der Geschlechtergerechtigkeit einzuräumen. Bei der Annahme dieser Strategie müssen NRO darauf achten, die größeren und längerfristigen Auswirkungen auf die Frauenrechte nicht aus den Augen zu verlieren.
Die expliziten Kampagnen von Interessengruppen, die sich der „afghanischen Sache“ verschrieben haben, aber weit entfernt vom Feld angesiedelt sind, werden von vielen Mitarbeitern von Hilfsorganisationen als auf einem mangelnden Verständnis der Komplexität der Situation beruhend und als Untergrabung konkrete Initiativen zur Unterstützung afghanischer Frauen sowie ihrer Kinder und Männer angesehen. Eine weitere Schwierigkeit bei solchen Gruppen besteht darin, dass sie zu glauben scheinen, dass die Beseitigung der Taleban automatisch die Probleme und Hindernisse beseitigen wird, mit denen afghanische Frauen konfrontiert sind.]
Im Mai 2000 hatte ich für die Wochenzeitung „Freitag“ (Artikel nicht online) folgendes berichtet:
Mädchen sollen nach den Vorstellungen der Taleban nur noch drei Klassen in der Moscheeschule absolvieren. Dort findet man im Lesebuch auf der ersten Seite gleich folgenden Satz: “Taleb [das ist ein Name und gleichzeitig die Bezeichnung für die Mitglieder der gleichnamigen Bewegung] ist ein guter Schüler, er bringt den Afghanen das Wissen.” Wie das für die “weibliche Klasse” (tabaqa-ja anas) – wie die Frauen hier oft genannt werden – aussieht, bringt die Losung auf einem Blechschild knapp zum Ausdruck, das verbogen und verbeult an einer belebten Kabuler Kreuzung steht: “Die kluge Frau ist die Zierde des Hauses und [kleide sich] einfach.”
Zuvor hatte eine Kommission des Ministerrats, der zwei der wichtigsten Hardliner im Kabinett – Justizminister Nuruddin Turabi und Bildungsminister Amir Chan Mutaqi – sowie der Vizechef des Geheimdienstes angehörten, alle von ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) geleiteten Schulen im Lande evaluiert. (….) Das Resultat fiel nicht zur Zufriedenheit der Taleban aus. Es folgte der Beschluss, dass diese Schulen künftig dem offiziellen Lehrplan des Bildungsministeriums zu folgen hätten und die NGOs die Lehrer nicht mehr direkt bezahlen dürften. Damit wollen sich die Taleban nicht nur die ideologische Lufthoheit im parallelen Bildungssystem sichern, wenn sie es schon nicht zerschlagen können, sondern auch den Zugriff auf dessen finanzielle Ressourcen.
Entstanden waren diese NGO-Schulen als inoffiziell geduldete Alternativen zum offiziellen, aber völlig darnieder liegenden Bildungssystem. Das war spätestens zusammen gebrochen, als die Taleban die weiblichen Lehrkräfte nach Hause schickten. Frauen hatten nicht nur die Mädchenschulen am Laufen gehalten, sondern auch die für Jungen. 70 bis 80 Prozent aller afghanischen Lehrkräfte waren Frauen.

September 2021: Einer der ersten Frauenproteste in Kabul nach der Machtübernahme der Taleban – mit der Forderung: „azadi“ (Freiheit). Foto: Tolo.
Postskriptum aus dem Januar 2003
Auch in der von den USA gestützten Nachfolgeregierung der Taleban gab es gewichtige Stimmen gegen die Gleichbehandlung von Frauen und Mädchen im Bildungswesen und in der Arbeitswelt. In der taz berichtete ich damals:
In Afghanistan mehren sich die Anzeichen, dass die islamischen Gelehrten die Öffnung der Bildungseinrichtungen wieder zurückdrehen wollen. Jungen und Mädchen sollen in den Schulen getrennt lernen, fordert Afghanistans Oberster Richter Fazl Hadi Schinwari. In einem Interview verkündete er, dass koedukatives Lernen von Mädchen und Jungen „islamische Verbote“ und die „soziale Moral“ verletze.
Dass Schinwari ein Verbot gemeinsamen Unterrichtens gegen Interimsstaatschef Hamed Karsai und dessen westliche Unterstützer durchsetzen kann, ist ebenfalls fraglich. Das würde ein zu schlechtes Licht auf die neue afghanische Staatlichkeit werfen und ganz sicher viele Entwicklungshilfegeber verprellen. Einige von ihnen wie die EU und Schweden haben schon früher mit Zahlungseinstellungen gedroht, sollte es in Sachen Frauenrechte Rückschritte geben.
Gemeinsamer Unterricht von Mädchen und Jungen war schon vor den Taleban eher die Ausnahme und auf die unteren Klassen – bis zur angenommenen Geschlechtsreife der Mädchen – sowie auf Universitäten beschränkt. Heute fehlt es an Schulen und ausreichend qualifizierten Lehrkräften, um des Andrangs nach dem Sturz der Taleban Herr zu werden.
Allerdings existieren in der herrschenden Koalition um Karsai, vor allem unter den Warlords und früheren Mudschaheddin-Kommandeuren, starke islamistische Tendenzen. Die unterscheiden sich oft nicht von den Praktiken der Taleban. So untersagte der Warlord der westafghanischen Großstadt Herat, Ismail Chan, bereits Anfang Januar gemeinsames Lernen in den äußerst populären privaten Englisch- oder Computerkursen. Das trifft eher ältere Jugendliche. Dort dürfen männliche Lehrkräfte auch keine Mädchen mehr unterrichten. Da gerade hier – wegen des Taleban-Bildungsverbots – Lehrerinnen fehlen, bedeutet dies das Aus für Kurse, die auf das weibliche Publikum zielen. Frauen aber haben nach den Taleban den größten Aufholbedarf. Interessant an Schinwaris Interview ist, dass er Ismail Khans Anweisung ausdrücklich gutheißt.
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