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Wie viel die Taleban derzeit für den Bildungssektor ausgeben, ist unklar. Im Mai vorigen Jahres veröffentlichte ihr Finanzministerium zwar das Gesamtbudget für das am 20. März zu Ende gehende Jahr 1401, aber nur drei Ministerien legten einen detaillierten Haushalt vor (Bergbau, Stadtentwicklung, Gesundheit). Das Bildungsministerium und das Hochschulministerium waren nicht darunter. (Alle folgenden Zahlen aus dem neuen AAN-Bericht „What Do The Taleban Spend Afghanistan’s Money On?“ vom 16.3.2023.)

Einzige Vergleichsgröße ist das Gesamtbudget, das die Taleban für das letzte Quartal des Jahres 1400 (21.12.2021-20.3.2022) vorgelegt hatten und in dem die geplanten(!) Ausgaben für alle Ministerien aufgeführt worden waren. Es betrug 53,9 Milliarden Afghani (634 Millionen US-Dollar). Hochgerechnet auf das Jahr wären das (theoretisch) etwa 215 Milliarden Afghani (2,536 Milliarden US-Dollar)

Daran hatte das Bildungsministerium mit 15,3 Prozent den drittgrößten Anteil erhalten, nach dem Innenministerium und dem „Generaldirektorat für Sicherheit des Ministerpräsidenten“ (eine Behörde, über die kaum etwas bekannt ist und sich vom Geheimdienst unterscheidet, der Generaldirektorat für Nachrichten[beschaffung] heißt), nämlich 8,246 Milliarden Afghani (etwa 97 Millionen US-Dollar). Unter der Vorgängerregierung waren es 39 Milliarden Afs für das gesamte Jahr 1400, also knapp 10 Milliarden Afghani pro Quartal, etwa 15 Prozent mehr als im beschriebenen Quartal unter den Taleban.

Dem Ministerium für Hochschulbildung wurden 1,3 Milliarden Afs (15,5 Millionen USD) bzw. 2,4 Prozent des Gesamtbudgets zugeteilt. Interessanterweise klassifizierten die Taleban für 1400 auch ihr „Moral“ministerium (Vice and Virtue/ Amr bi-l-Maruf) unter Bildungs- (oder Erziehungs-)ausgaben, mit einem Budget von 245 Millionen Afs (2,9 Mio. USD) oder 0,5 Prozent.

Der neue Taleban-Bildungsminister Maulawi Habibullah Agha (oben) und der neue für das Hochschulwesen, Neda Muhammad Nadim (unten) – beides Hardliner. Foto: Twitter/Tolo.


In Afghanistan ist jedes Budget traditionell zweigeteilt, in laufende Kosten (Gehälter usw.) und das sogenannte Entwicklungsbudget für neue Projekte. 95 Prozent des Taleban-Budgets für das Bildungsministerium waren für die laufenden Kosten geplant. (8,8 Mrd Afs waren es unter der Vorgängerregierung.) Das gibt kaum Raum etwa für neue Schulbauten, die notwendig wären, um die von den Taleban angeblich angestrebte Trennung von Mädchen- und Jungenschulen wirklich umsetzen zu können.

Das neue Gesamtbudget für 1401 hatte einen Umfang von 244 Milliarden Afghani (2,87 Milliarden US-Dollar) und lag damit um 7 Prozent höher als das Q4-Budget von 1400 (auf ein Gesamtjahr umgerechnet) und bei den Entwicklungsausgaben sogar um 11,5 Prozent (angegeben mit 28 Mrd Afs = 329 Mio USD). Allerdings sah das Budget ein Defizit, also ungedeckte geplante Ausgaben von 57 Mrd Afs vor, fast einem Viertel. Es war unklar, wie die Taleban dies decken wollten – vielleicht durch erhoffte Entwicklungseinnahmen oder private Investitionsprojekte (siehe etwa hier; der Westen hat solche Ausgaben ja gestoppt, auch wenn bestimmte Möglichkeiten unter dem Stichwort humanitär+ existieren, v.a. etwa im Gesundheitssektor). Sollte das Defizit nicht gefüllt werden, könnte sich das auf die Entwicklungsausgaben auswirken und im schlimmsten Fall diese faktisch auf Null fallen.

Es ist nicht klar, ob diese Sätze beim Wachstum der geplanten Ausgaben (bei gleichbleibend hohem Anteil am Gesamtbudget) auch für das Bildungsministerium im Jahr 1401 angesetzt werden können. Aber wenn das der Fall sein sollte, würde das an der Gesamtsituation – kaum Raum für Schulneubauten etc. – wenig ändern. Nimmt man 12 Prozent (Entwicklungsbudget) von 15 Prozent (Anteil am Gesamtbudget in Q4 1400) an, käme man auf 4,14 Mrd Afs (48,7 Mio USD) für das Entwicklungsbudget des Bildungsministeriums.

2017 förderte das Auswärtige Amt des Bau eines Gebäudes für eine Mädchenschule in Afghanistan mit ca. 540.000 Euro**. Legt man diese Summe grob zugrunde, würde das für etwa 100 Schulneubauten im Jahr reichen. Sollen nach Taleban-Vorstellungen für alle 19.000 existierenden Bildungseinrichtungen (s.u.) separate Gebäude für Schülerinnen und  Studentinnen errichtet werden, würde das Dutzende Jahre dauern. (Auch wenn schon viele gesonderte Mädchenschulen existieren; aber es gäbe ja noch keine Einrichtung und zusätzliche Lehrerinnen-Gehälter etc.) Schulneubauten werden oft auch von örtlichen Gemeinschaften organisiert und finanziert (siehe z.B. hier).

Konkrete Angaben zum Budget kamen auch nicht bei den sogenannten Rechenschaftssitzungen, bei denen im Laufe des Jahres 2022 verschiedene Ministerien, darunter am 16.8. das Bildungsministerium, ihre Arbeit vor Journalisten vorstellten. Diese trauten sich dabei allerdings kaum nachzufragen. So blieb es bei vagen Zahlen, die staatliche und private Bildungseinrichtungen zusammenwarfen. Davon gebe es insgesamt 19.000, mit einem Personal von 242.000, darunter 92.000 Lehrerinnen, sowie 10.147.024 Schüler:innen, davon 3.903.215 Mädchen. (Für mich hört sich das wie – manipulierten – die Zahlen der Vorgängerregierung an. V.a. die Zahl der Mädchen ist sehr wahrscheinlich deutlich übertrieben.)

Immerhin kann man angesichts des Löwenanteils für laufende Kosten davon ausgehen, dass Gehälter weiter gezahlt regelmäßig gezahlt werden, auch für die Lehrerinnen und Dozentinnen, die nicht weiter arbeiten dürfen. Dass sie seit Beginn des Jahres 1401 pünktlich weitergezahlt werden, und zwar auf die individuellen Bankkonten, wurde AAN in Interviews auch bestätigt; auch noch ausstehende Gehälter seien größtenteils gezahlt worden, in einigen Fällen sogar aus der Zeit der Vorgängerregierung. (Die hatte in ihren letzten Wochen alle Gehaltszahlungen gestoppt und alle Gelder in die Streitkräfte umgelenkt.)

Die Lohnfortzahlung hat aber ein erhebliches Manko. Taleban-Ministerpräsident Mulla Muhammad Hassan hatte bereits im November 2021 das Finanzministerium angewiesen, aus Einsparungsgründen die Gehälter der Regierungsangestellten zu kürzen, und zwar im Durchschnitt um fast 10 Prozent. Außer Lehrer:innen betrafen die Kürzungen das Militär und die Polizei, die Richter und hohe Beamte.

Inflationsbereinigt wäre das ein Kaufkraftverlust von über einem Viertel. Während die meisten Menschen bereits unter der Armutsgrenze leben (und viele dicht daran), sind das einschneidende Verschlechterungen für die Lebensumstände von Hunderttausenden Haushalten.

Die Vorgängerregierung hatte unter dem Druck des Parlaments für diese Berufsgruppen für das Jahr 1400 Gehaltserhöhungen von je 2000 Afs (23,50 USD) beschlossen. Dies wurde aber nicht mehr praktisch umgesetzt. Sie hatte auch eine Prüfung weiterer Erhöhungen für 1401 zugesagt, da die neuen Löhne für viele Berufsgruppen immer noch kaum die Existenzgrundlage deckten. Damit betreffen die Kürzungen der Taleban das alte, niedrigere Lohnniveau.

Zu den jetzigen Gehältern kommen Zuschläge von je 30 Afs für Mittagessen und 70 Afs für das Abendessen. Dafür wurden frühere Zuschläge gestrichen, wie für Transport, Telefonkarten oder Benzin. Vor allem Überstunden werden generell nicht mehr bezahlt; der entsprechende Budgetposten der Vorgängerregierung wurde gestrichen. Das drückt noch einmal auf die Einkommen. Für höhere Beamte kommt dazu ein Bewirtungszuschuss (chardsch-e dastarchan; wichtig in der afghanischen Kultur, wo man in jedem Büro erstmal einen Tee angeboten bekommt). Die Taleban hatten ihn erst gestrichen, jetzt aber wieder eingeführt.

Nach Aussagen von Interviewten gibt es Gehaltsunterschiede nach Bildungsgrad und Berufserfahrung, wobei bei letzterer auch die Teilnahme am Dschihad (Kampf gegen die frühere Regierung und die westlichen Truppen) angerechnet werde. Das bevorzugt ehemalige Taleban-Kämpfer, die jetzt oft Bürojobs ausführen müssen (und sich, wie dieser AAN-Bericht aufzeigt, dabei oft wenig wohlfühlen, sich stattdessen nach dem Dschihad zurücksehnen). Oft würden sie ohne die dafür notwendigen Prüfungen eingestellt.

Der Ministerpräsident genehmigte sich –im Vergleich zum ehemaligen Staatspräsidenten ebenfalls gekürzte – 198.250 Afs (2.332 USD).  Das sind 6,5mal mehr als die höchste Lohngruppe der Staatsbediensteten. Bei der Vorgängerregierung lag der Betrag 15mal höher.

Die einzigen, die eine Lohnerhöhung erhalten zu haben scheinen, sind Universitätsdozenten.

Auch die Rentenzahlungen an Versehrte und Familien von Märtyrern (also im Kampf Gefallenen) sind inzwischen wieder aufgenommen worden, aber nicht für alle. Handelt es sich um Angehörige der früheren Regierungsstreitkräfte oder ihre Familien, scheint die Fortzahlung – gelinde gesagt – schleppend zu verlaufen. Ähnlich ist es bei den Renten der Staatsangestellten, v.a. für Angehörige der früheren Regierungsstreitkräfte. (Für Staatsangestellte war ein Rentenfonds eingerichtet worden, in den ein Teil des Gehalts überwiesen wurde.) Wo ausgezahlt wurde, hat es offenbar ebenfalls teilweise Kürzungen gegeben, obwohl schon die ursprünglichen Beträge sehr niedrig waren. Ein Lehrer, der bei einem Bombenschlag ein Bein verloren hat, etwa erhielt 5000 Afs (knapp 59 USD) im Monat; dasselbe erhält er unter den Taleban.

Teil1: „Neues Schuljahr wohl ohne (die meisten) Mädchen“ hier.

Mädchenschule in Jaghori vor den Taleban. Foto: Freundeskreis Afghanistan.


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