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Auch Naurus durfte am Dienstag (21.3.2023) in Afghanistan nicht öffentlich gefeiert werden. Die Taleban hatten 2022 das persische Neujahrsfest als offiziellen, arbeitsfreien Feiertag abgeschafft. In diesem Jahr veröffentlichten sie wenige Tage zuvor eine mit Zitaten des Propheten Muhammad, der ersten Kalifen und klassischer islamischer Gelehrter gespickte, ausführliche Erklärung, warum das Begehen von Naurus nicht scharia-gemäß (na-mashru’) und „eine Tat gegen die Scharia“ (amal bar-khelaf-e shar’) und damit für Muslime „nicht legitim/zulässig“ sei (jawaz ne-darad).

Im wesentlichen geht es darum, dass Naurus ein „Feiertag der Magi“ (der Priester der altiranischen Staatsreligion, des Zarathustrismus), also vorislamischer Herkunft sei (ein AAN-Beitrag zur Geschichte von Naurus hier). Laut Muhammad habe „Allah der Allmächtige“ anstelle von Naurus und eines anderen vorislamischen Feiertags, Mehrgan (Herbstanfang), zwei andere Feiertage für die Muslime „gewählt“, Eid-ul-Fitr, das sogenannte Zuckerfest zum Ende des Fastenmonats Ramadan, und das spätere Opferfest Eid-ul-Azha. Allerdings hätten einige Perser nach ihrer „Unterwerfung durch den Islam“ an Naurus festgehalten. Wer weiterhin als Moslem Naurus feiere, begehe aber ein Nachahmung (mushabehat) von Ungläubigen und stelle sich damit außerhalb des Islam.

In der Erklärung heißt es: „Hierzulande wird der Weg der Scharia des Islam befolgt. In der Scharia gibt es keinen Naurus-Feiertag, weil dieser ein Feiertag der Magi ist.“ Wer sich trotzdem daran beteilige oder es nur unterstütze (in der er/sie z.B. Plakate aus diesem Anlass anfertigt), mache sich dadurch zu einem Ungläubigen. Auch andere Feiertage, die Muslime nicht nachahmen sollen, werden aufgezählt: Weihnachten, „der Tag der Liebenden“ (Valentinstag), Geburtstage, der 1. April und der Internationale Frauentag. (Das ganze gibt es auch als Video.)

Im nordafghanischen Masar-e Scharif untersagten die Taleban wie schon im vorigen Jahr die traditionelle Hissung der Dschanda, der Neujahrflagge, die sonst Hunderttausende aus dem ganzen Land anzog, sowie eine ähnliche Zeremonie im schiitischen Teil Kabuls. An beliebten Picknickplätzen ließen Patrouillen der Taleban-Sittenpolizei keine Familien zu. Auf Naurus-Jahrmärkten durften ältere Mädchen und Frauen nicht Karussell fahren. 

In Masar zeigte Tolo den sonst dicht gefüllten Platz vor der „blauen Moschee“ und interviewte Hotel- und Restaurantbetreiber, die sagten, dass sie im Gegensatz zu früheren Jahren, als sie völlig ausgebucht waren, jetzt Leere herrschte. Nur wenige Besucher seien gekommen, auch wegen der weit verbreiteten wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

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Hissung der Dschanda (oben). Neujahrsauflauf in der Großen Moschee von Masar (unten). Fotos: Thomas Ruttig (2005).

Davon sprechen auch fünf Afghaninnen und vier Afghanen in AAN-Interviews, die in diesen Bericht einflossen (die Interviews sind in voller Länge im Anhang zu finden). Darin heißt es, dass die Naurus-Atmosphäre noch gedrückter sei als im letzten Jahr. Eine Frau in Paktia erzählte, dass vor dem Fall der Vorgängerregierung in der Provinzhauptstadt Gardes ein farbenfrohes Fest stattgefunden habe: Die Leute und die Stadtverwaltung „machten Festbeleuchtung an, der Basar war geschäftig und die Leute kauften getrocknete Früchte und andere Dinge für Naurus. Es gab Konzerte und die Leute machten mit ihren Familien Ausflüge ins Grüne. Die Jugend tanzte den traditionellen Atan und sang. Man kochte sein Essen im Freien. In der Vergangenheit gingen die Jugendlichen, Familien und sogar wir, die Lehrer, zu den Picknicks, aber in diesem Jahr gibt es soetwas nicht.“

Allerdings veranstalteten oppositionell gesinnte Afghanen auf dem Kabuler Schuhada-je Salehin-Friedhof eine alternative Flaggenhissung. Dort wagten die Taleban nicht einzugreifen.

Menschen aus Kabul berichten auch, dass zu Naurus viele Staatsbedienstete nicht zur Arbeit erschienen seien. Die Taleban hättn an diesem Tag in manchen Büros dreimal überprüft, wer anwesend war.

Zum Frauentag am 8. März stufte die UNO Afghanistan als repressivstes Land für Frauen ein. Der ebenfalls UN-inspirierte „Weltglücksbericht“ nennt es jetzt das „unglücklichste Land der Erde“.

Aber, wie der persische Klassiker Hafez sagt: Das Leben ist zu kurz, um nicht glücklich zu sein – wenigstens manchmal.

Blumenverkäufer in Herat im März 2021 (im Hintergrund die weltberühmte Mussala, die verbliebenen Minarette einer Koranschule aus dem 15. Jahrhundert, erbaut unter Königin Gauharschad). Foto: Reza Kazemi/AAN.


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