Hier im Rückblick – und als Hintergrund zu meinem Beitrag hier vorgestern über Mutmaßungen über einen eventuellen Eintritt ehemaliger Taleban ins neue Kabinett – ein Papier, das ich 2007 für die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik geschrieben habe. Untertitel: Afghanistan: Lokaler Ansatz nicht-militärischer Konfliktlösung zum Scheitern gebracht

Infolge einer gezielten militärischen Eskalation ist der erste Versuch von ISAF zusammengebrochen, durch indirekte Abmachungen mit lokalen Taleban eine Stabilisierung kleinerer geografischer Einheiten in Süd-Afghanistan zu erreichen. Unabhängig davon, welche Seite das Ende des sogenannten Musa-Qala-Protokolls auslöste – es wird weitreichende Konsequenzen für den künftige Umgang mit den Taleban haben: die Weichen könnten in Richtung verstärkter militärischer Auseinandersetzungen gestellt und ein negativer Präzedenzfall für künftige friedliche Stabilisierungsversuche gesetzt worden sein. Im Kampf um die ‚Herzen und Hirne’ der örtlichen Bevölkerung wird entscheidend sein, wem sie die ursächliche Verletzung des Protokolls zur Last legt.

Helmands Distrikte (Musa Qala hellgrün im Norden). Quelle: Wikipedia.

Helmands Distrikte (Musa Qala hellgrün im Norden). Quelle: Wikipedia.

Anfang Februar [2007] beendete eine militärische Eskalation – gezielte Luftangriffe auf örtliche Taleban-Führer und ein Gegenschlag der Aufständischen – nach 142 Tagen de facto den ersten Versuch der ISAF/NATO-Truppen, über örtliche Stammesführer indirekte Abmachungen mit Taleban zu treffen, um begrenzte Gebiete zu demilitarisieren und damit für Wiederaufbau-Maßnahmen zu stabilisieren. Ursachen dafür waren sowohl tiefgreifende Meinungsunterschiede zwischen den USA und Großbritannien über den Umgang mit den Taleban sowie Kursänderungen bei der Umsetzung der Abmachungen innerhalb der afghanischen Regierung.

Im Sommer 2006 hatten Taleban-Dauerangriffe auf einen vorgeschobeben briti-schen Stützpunkt im Distrikt Musa Qala – im Norden der südafghanischen Provinz Helmand gelegen, dem weltweit größen zusammenhängenden Anbaugebiet von Opiummohn (20 Prozent der Weltproduktion) – und präzedenzlosen Verluste der dortigen ISAF-Truppen deren Kommandeur General David Richards bewogen, ein Vermittlungsangebot örtlicher Stammesältester aufzugreifen. Dies sah vor, das Distriktzentrum von Musa Qala zu demilitarisieren und in Abstimmung mit der Regierung in Kabul die Verwaltung in die Hände eines Ältestenrates zu legen.

Unterzeichnet wurde das Protokoll am 7. September 2006 vom Provinzgouverneur und 15 Stammesältesten der vier wichtigsten Unterstämme aus der unmittelbaren Umgebung des Distriktzentrums – also nicht des gesamten Distrikts. Deshalb be-schränkte sich sein Geltungsbereich auch auf einen Radius von drei Meilen (5 km) um den Basar von Musa Qala. Weder Taleban noch ISAF waren direkt Parteien des Protokolls.

Dessen 14 Punkte verpflichteten den Ältestenrat u.a.

  • unter afghanischer Flagge zu arbeiten,
  • ‚das Beste’ zu tun, der afghanischen Verfassung zu folgen, ‚Sicherheit und Gesetz’ aufrecht zu halten,
  • Bewaffneten den Zutritt zu verwehren,
  • örtliche Stammeskräfte als Hilfspolizei (Afghan National Auxiliary Police/ANAP) zu rekrutieren,
  • Regierung, NGOs und Sicherheitsfirmen freien Zugang zu gewähren sowie den Transit nationaler und internationaler Sicherheitskräfte zu ermöglichen,
  • staatliche Steuern zu erheben,
  • Wiederaufbau und Entwicklung zu fördern.

Die wichtigsten Punkte des Protokolls wurden in der Folgezeit umgesetzt bzw. ihre Umsetzung in Angriff genommen. Noch Mitte Januar war Musa Qala – anders als seine Nachbardistrikte – frei von Kämpfen zwischen Taleban und ISAF-Truppen. Nach einem Wechsel im Gouverneursamt im Dezember 2006 geriet das Abkommen jedoch zunehmend in Turbulenzen.

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