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In meinem Vorab-Beitrag zum 12. Abschiebeflug nach Afghanistan am 24.4.18 war ich schon kurz darauf eingegangen, dass Deutschland nicht nur direkt, sondern über das sogenannte Dublin-Verfahren auch in andere europäische Länder wie Norwegen und Bulgarien abschiebt, von wo aus es bereits mehrmals zu Weiterschiebungen – sogenannten Abschiebungen – gekommen ist.

Hier mehr zur Lage afghanischer Flüchtlinge in Bulgarien. Zunächst ein kurzer Beitrag, den ich schon am 15.12.17 hier darüber veröffentlicht hatte (hier):

Wie alle eingereisten Flüchtlinge werden sie in Bulgarien interniert und oft unter Druck gesetzt, „nach Hause“ zurückzukehren. Dazu kommen regelmäßige Misshandlungen und andere Übergriffe durch die Polizei, das Vorenthalten von juristischer Beratung sowie sogenannte Freiwilligentrupps, die an der Grenze und im Hinterland staatlich geduldet Jagd auf Flüchtlingen machen, berichten bulgarische NGOs. Das führt zu einer relativ hohen Zahl von „freiwilligen“ Rückkehrern (nach IOM-Zahlen 404 bis Mitte August in 2017; 2015: 16; 2016: 276). Dazu kommen möglicherweise Abschiebungen in oder über die Türkei und Rückführungen in andere EU-Staaten (wohl v.a. Griechenland), aber die bulgarischen Statistiken schlüsseln diese Zahlen nicht nach Herkunftsländern auf.

Bulgarien hat dem UNHCR zufolge unterdessen in 2017 seine Grenze mit der Türkei weiter mit Zäunen ausgebaut, was „Menschen, darunter solchen, die internationalen Schutz benötigen, den Zugang auf bulgarisches Gebiet und zum bulgarischen Asylprozess, verwehren könnte“; auch eine „Anzahl an Push-backs“ – Zurückweisungen trotz Asylbitte – seien berichtet worden.

Bulgarien hat mit 2 Prozent auch die europaweit niedrigste Anerkennungsrate von afghanischen Flüchtlinge.

Von bulgarischen Milizen „festgenommene“ afghanische Flüchtlinge. Foto: c/o AAN

Wegen dieser Zustände im 80 Kilometer nördlich der türkischen Grenze befindlichen und laut ARD „chronisch überfüllten“ Lager Harmanli setzten sich 2016 Flüchtlinge zur Wehr. Hier ein Spiegel-Bericht dazu, der allerdings verkürzt von „Auseinandersetzungen“ spricht; die ARD nennt das wohl ganz „unparteiisch“ Krawalle. Vielleicht könnte man das auch Aufstand aus Verzweiflung nennen.

Denn warum es dazu kam, schilderte der österreichische Standard im Oktober 2017:

Mehr als 90 Prozent der jungen Asylsuchenden, die über die Balkanroute flüchten, sind Gewalt ausgesetzt. Dafür sind in den wenigsten Fällen Schmuggler oder Menschenhändler verantwortlich, wie ein Bericht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) zeigt. 76 Prozent der 15- bis 25-Jährigen, die im ersten Halbjahr 2017 in den psychologischen Einrichtungen der NGO betreut wurden, berichten von Gewalt durch Behördenvertreter – vor allem EU-Grenzbeamte. Knapp die Hälfte aller Gewaltberichte handelt von bulgarischen Grenzschützern, die die jungen Flüchtlinge und Migranten verprügeln, Hunde auf sie hetzen oder mit Pfefferspray besprühen.

Die Schweizer WoZ berichtete im vergangenen Juni  aus Harmanli, wo sich die Zustände nicht verbessert hatten:

Noch immer leben rund 1500 Geflüchtete in der Militäranlage, als wir im Juni 2017 in Harmanli eintreffen. Die Gestrandeten kommen zu etwa gleichen Teilen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. (…)

Gelder, die eigentlich dafür gedacht sind, die Geflüchteten menschenwürdig unterzubringen, zu verpflegen und möglichst rasch durch das Asylverfahren zu führen. In Bulgarien scheinen die Behörden diese Gelder indes lieber in den Grenzschutz fliessen zu lassen. Das Land soll als Fluchtroute oder Fluchtdestination so unattraktiv wie möglich gemacht werden.

Viele der im Flüchtlingszentrum in Harmanli gestrandeten Menschen sind immer und immer wieder von den bulgarischen Behörden beim versuchten Grenzübertritt verhaftet und auf türkischen Boden zurückgeschafft worden, bevor es ihnen gelang, in Bulgarien einen Asylantrag zu stellen. Ein Grossteil von ihnen verfügt mittlerweile über eine sogenannte Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen. Doch mit diesem Status haben sie kaum Aussichten, in ein anderes europäisches Land weiterreisen zu können. Denn dazu bräuchten sie ein Visum von einem dieser Länder.

Bilder aus dem Lager vom MDR hier.

Weitere detaillierte Informationen zur bulgarischen Flüchtlingspolitik v.a. gegenüber Afghanen hier bei AAN.

Die Flüchtlingsfeindlichkeit der bulgarischen Behörden kommt offenbar von ganz oben. Der „rechtsnationalistische“ bulgarische Vizeregierungschef und Integrationsbeauftragte Waleri Simeonow falle „ immer wieder mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen auf“, berichtete die Deutsche Welle. 373 bulgarische Menschenrechtler und Intellektuelle hätten deshalb im vergangenen Mai in einem offenen Brief seinen Rücktritt gefordert. Es sei eine Schande, wenn „prononcierte Unterstützer einer faschistischen und Neonazi-Ideologie“ solche Positionen bekleideten, so die Autoren des Briefes, so DW weiter.

Zudem gab es wiederholt Berichte (z.B. hier), dass die bulgarische Regierung örtliche Milizen zumindest toleriert, oder sogar mit ihnen zusammenarbeitet, die an der bulgarisch-türkischen Grenze auf Flüchtlingsjagd gehen (hier ein ARD-Bericht von April 2016). Darin wird sogar der immer noch amtierende Premierminister des Landes, Boiko Borisow, zitiert, wie er die Milizen öffentlich pries:

„Jede Hilfe für die Polizei, die Grenzpolizei und den Staat, ist willkommen. Man darf nur seine Befugnisse und das Gesetz nicht überschreiten. Der Staat gehört uns allen. Jeder, der hilft, verdient ein Dankeschön.“

(Später, nachdem Videos der Aktivitäten der Milizen öffentlich wurden, distanzierte er sich wieder.) Laut einer Umfrage unterstützten sie auch 86 Prozent der Bevölkerung. In der Hauptstadt Sofia berichteten afghanische Flüchtlinge AAN von Skinhead-Übergriffen und dass die Polizei tatenlos geblieben sei.

Die taz brachte im Sommer 2016 eine Reportage. Darin wird u.a. beschrieben, dass die Milizen

… seit neuestem […] mit extrem rechten Gruppen aus ganz Europa zu einer Allianz vereint. Gegründet wurde sie unter anderem von Tatjana Festerling. Die einstige Pegida-Aktivistin hat die einzelnen Initiativen miteinander vernetzt und dem Bündnis ein Label verpasst: „Fortress Europe“.

Die FAZ berichtete ausführlich über Festerlings Aktivitäten in Bulgarien und zeigte sie in Fotos in der Phantasie-Uniform der Miliz. Die Zeitung beschreibt:

Laut Festerling werde im bulgarisch-türkischen Grenzgebiet unter schwersten Bedingungen – „sengende Hitze, unbefestigtes Gelände, dschungelähnlicher Wald und Moskitos“ – gegen die „Invasorenströme aus der Türkei“ gekämpft. 

Anhand von zurückgelassenen Kleidungsstücken, Tablettenpackungen, leeren Brause-Dosen sowie Papieren mit arabischen Schriftzeichen schlussfolgerte Festerling, dass dort keinesfalls Flüchtlinge vorbeigekommen sein können, sondern „eiskalt berechnende Krieger des Islam, die aus verrohten Kulturen kommen und die mit unserer freien, dekadenten Lebensweise nicht das Geringste zu tun haben wollen, sondern sie zutiefst verachten und bekämpfen“.

Gleichzeitig appellierte sie an die „Männer Europas, möglichst Veteranen aus Militär und Polizei“, nach Bulgarien zu reisen und die angeblichen Grenzhelfer zu unterstützen und die „Invasoren auf ihrem Raub- und Rape-Feldzug im Namen des Islam“ zu stoppen. (…)

Festerling imponiert das [Treiben der Milizen] sichtlich. In Bulgarien werde nicht nur von der „Festung Europa“ geredet, sondern gehandelt, erklärte die frühere Hamburger AfD-Politikerin, die noch bis vor kurzem von Sachsen aus für eine Revolution kämpfte.

Auch der Tagesspiegel berichtete über ihre Aktivitäten (hier).

Aus einem ihrer Facebook-Post geht auch hervor, dass offenbar auch deutsche Afghanistan-Veteranen in Bulgarien zu Gange sind. Einer von ihnen, „wieder in Deutschland“ habe dort „fehlende Ausrüstung gekauft und nach Bulgarien geschickt“.

Wie der Tagesspiegel am 29.3.18 berichtete, wurde Ende 2016 in Leipzig ein Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang eingestellt – die Justizbehörde fand keine Bestätigung dafür, dass sich Festerling des Anwerbens für einen fremden Militärdienst schuldig gemacht habe. (Wahrscheinlich weil Milizen kein Militärdienst sind…) Die Zeitung berichtete unter Berufung auf die Berliner Wochenzeitung „Jungle World“ weiter, dass Festerling unter anderem im August 2017 wieder nach Bulgarien reiste, kurz darauf auf ihrem Youtube-Kanal taktische „Trainings in Bulgarien mit den dortigen Militärveteranen“ anbot und ein Interview mit einem Funktionär der Gruppe ins Internet stellte. In diesem Jahr gab Festerling in ihrem Profil auf dem aus Russland stammenden sozialen Netzwerk vk.com an, sie sei seit 2017 bei einer bulgarischen Bürgerwehr „International Relations Manager“.

Die NGO Bordermonitoring Bulgaria berichtete jetzt, dass ebenfalls für den 24.4.18 die erste Gerichtsverhandlung gegen 21 Afghanen terminiert sei, die an den Unruhen am 24.11.16 in Harmanli beteiligt gewesen sein sollen. Es dürfte damit zu rechnen sein, dass sie bei einer Verurteilung ebenfalls direkt nach Afghanistan abgeschoben werden dürften.

Logo of the new European Campaign against Deportations to Afghanistan