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Wie dpa soeben kurz meldete, ist heute (12.3.20) morgen der monatliche deutsche Abschiebeflug nach Afghanistan in Kabul gelandet. An Bord der Maschine, die gestern vom Flughafen Leipzig-Halle abflog, seien demzufolge 39 abgeschobene Afghanen gewesen, so Beamte am Flughafen Kabul.

[Aktualisierung 12.3.20, 11.50 Uhr: Die Zahl 39 wurde inzwischen vom Bundesinnenministerium auf Anfrage bestätigt. Demzufolge befanden sich unter den abgeschobenen Afghanen Männer aus den Bundesländern Sachsen (12), Hessen (1), Bayern (7), [ergänzt 13.3.: Baden-Württemberg (4),] Berlin (2), Nordrhein-Westfalen (1), Rheinland-Pfalz (3), Schleswig-Holstein (2), Sachsen-Anhalt (6) und Thüringen (1). Davon seien 22 Straftäter, verurteilt unter anderem wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung, versuchten Totschlags und Drogendelikten. Auf welche und wie viele der Abgeschobenen diese Angaben exakt zutrafen, wurde erneut nicht aufgeschlüsselt. Es bleibt der Verdacht, dass zumindest einige der Abgeschobenen wegen relativ geringer Straftaten oder sogenannter Mitwirkungsverweigerung auf den Flug gesetzt wurden.

[Aktualisierung 12.3.20, 15.10 Uhr: Sachsen stellte sogar einen neuen Negativrekord auf und schob nach Angaben des Sächsischen Flüchtlingsrats zwölf Personen ab. In einem 13. Fall aus Chemnitz wurde versucht, einen Afghanen von seinem Arbeitsplatz abzuholen – das schlug fehlt, weil er gerade nicht im Betrieb war. In keinem der Fälle griffen Rechtsmittel zur Verhinderung der Abschiebung. Sein Arbeitgeber bemüht sich nun , ihn mit rechtlichen Mitteln vor einem weiteren Abschiebeversuch zu schützen.]

[Aktualisierung 13.3.20, 11.30 Uhr: Damit war Sachsen erstmals das Bundesland, das die meisten Afghanen abschob. Bisher war das immer Bayern. Neben Sachsen (12) schob diesmal auch Sachsen-Anhalt (6) die bisher höchste Zahl von Menschen pro Flug nach Afghanistan ab. Damit sorgten die ostdeutschen Länder fast die Hälfte aller Abschiebungen, und rechnet man Berlin hinzu, sogar mehr als die Hälfte – wohl auch eine Novität.

Für die Abschiebezahlen pro Bundesland bin ich dem freien Journalisten Mathias Herwix dankbar, der sich in seinem datenjournalistischen Projekt „Back To War“ mit der Sicherheitslage in und Abschiebungen nach Afghanistan beschäftigt.]

Abschiebung Nr 33 nach Afghanistan am 11.3.2020, Aufschlüsselung nach Bundesländern. Quelle: Mathias Herwix, Back to War

 

[Weiter von 12.3.20, 11.50 Uhr: Wie dpa weiter berichtete, war für die meisten der größtenteils jungen Männer die Ankunft „erst einmal ein Schock. Viele wissen nicht, wie es weitergehen soll. Einige schmieden schon Pläne für eine Rückkehr nach Deutschland.“

Die Agentur zitierte Malangshah Delawarzada (18) aus der westlichen Provinz Herat: „Ich weiß wirklich nicht, warum ich abgeschoben wurde. Mein Antrag wurde einmal abgelehnt, darüber wurde ich nicht einmal informiert.“ Er habe in Deutschland studiert und wolle jetzt erst einmal in Afghanistan bleiben. „Aber ich bin nicht sicher über die Zukunft und weiß nicht, was passieren wird.“ Mohammad Fahim Noori, (23), der auch aus Herat stammt, war nach eigenen Angaben fünf Jahre in Deutschland und lebte zuletzt in Berlin. „Jetzt ist der Plan, dass ich wieder zurück in den Iran gehe und von dort in die Türkei. Dort würde ich zwei Jahre bleiben und dann wieder nach Deutschland.“ Er fügte hinzu: „Wir werden nicht so lange hier in Afghanistan bleiben, weil wir hier nicht leben können. Wir wollen nach Deutschland zurückgehen.“]

[Aktualisierung 13.3.20, 16.30 Uhr:

Aus Sachsen wurde bei einem weiteren der von dort 12 Abgeschobenen inzwischen die Identität klar, und auch, dass das Gerede von Integration regierungsseitig eben das ist – nämlich Gerede. Hier die Informationen vom Sächsischen Flüchtlingsrat:

„Wir werden die Lücke zeigen, die er hinterlässt“

Am Samstag, dem 14. März, hat „Endland“ Premiere am Zittauer Gerhart-Hauptmann-Theater. In der Dystopie, in der Schutzsuchende nur noch „Invasor*innen“ genannt werden, spielen Jugendliche und junge Erwachsene. Einer davon ist Herr S. Der 21-jährige ist nun in Kabul. Das Theater ist tief betroffen, Patricia Hachtel ist Regisseurin des Stücks und kannte Herrn S. gut. Sie erzählt, wie schockiert die anderen Schauspieler*innen nun sind. Das Stück wird dennoch stattfinden. „Wir werden die Lücke zeigen, die er hinterlässt.“ sagt sie. Das Stück beginnt 19.30 Uhr. Vorher wird um 18 Uhr bei einer Podiumsdiskussiondie Frage diskutiert, ob die Dystopie Endland nicht eigentlich schon begonnen hat. Unter unteren wird Franziska Schubert, MdL, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN teilnehmen. Mit Angela Müller und Steffen Miroll von der Dresdner Asylberatungsstelle des SFR wird der Flüchtlingsrat an diesem Tag in Zittau zugegen sein.

Eine Unterstützerin von Herrn S. hatte gestern bis zum Schluss versucht, Herrn S. aus den Fängen der Abschiebehehörden zu befreien, telefonierte mit der Bundespolizei, Verwaltungsgericht und vielen mehr. Sie war heute morgen nicht in der Lage, Worte für das Geschehene zu finden, schreibt aber gegen Mittag in einer Nachricht: „Eine Woche vor seiner Abschiebung saßen wir in meiner Küche und haben durchgezählt, wieviele Sprachen er inzwischen spricht, wir sind auf acht Sprachen gekommen. Er war all die Zeit in einer Gemeinschaftsunterkunft, alleine jeden Tag über Jahre dort zu sein macht kaputt. Die Kinder dort haben ihn geliebt und jeden Tag sein Zimmer gestürmt.“ Sie schließt mit den Worten: „Unsere Gleichgültigkeit und Gefasstheit bei diesen Thematiken ist so gruselig.  […] So bescheuert es klingt, ich denke, wir laden Schuld auf uns. Unterlassene Menschlichkeit.“]

Damit erhöht sich die Zahl der per Sammelabschiebung nach Afghanistan zurückgebrachten abgelehnten Asylbewerber aus dem Kriegsland auf 907.

Hier die Informationen lesen, die bis gestern abend vorab zu diesem Abschiebeflug vorlagen.

Dieser Text wird in den nächsten Tagen weiter aktualisiert – also bitte immer nochmal vorbeischauen.

Foto: Ruttig

 

Hier eine Übersicht der bisherigen Flüge seit Wiederaufnahme der Sammelabschiebeflüge im Dezember 2016:

Hier die Gesamtübersicht über die bisherigen Abschiebungen:

 

2020:

März: 39

Feb: 31

Jan: 37

Summe 2020 bisher: 107

 

2019:

Dez: 44

Nov: 36

Okt: 44

Aug: 31

Juli: 45

Juni: 11

Mai: 24

April: 32

März: 21

Feb: 38

Jan: 36 (einer von den afghanischen Behörden zurück geschickt, d.h. 35)

2019 insgesamt: 361

 

2018:

Dez: 14

Nov: 42

Okt: 17

Sept: 17

August: 46

Juli: 69

Juni: —

Mai: 15

Apr: 21

März: 10

Feb: 14

Jan: 19

Summe 2018: 284

 

2017:

Dez: 27

Nov: —

Okt: 14

Sept: 8

Mai-Juli: —

Apr: 14

März: 15

Feb: 18

Jan: 25

Summe 2017: 121

 

2016:

Dez: 34