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Der Lehrter Bahnhof ist mit Fahnen und Tannengrün geschmückt. (…) Der Sonderzug wird so dirigiert, dass der Salonwagen genau vor dem roten Teppich hält. Es erfolgt hierauf die Begrüßung durch den Herrn Reichspräsidenten an den König, Vorstellung des Herrn Reichspräsidenten an die Königin.

Amanullah trug einen hellblauen Waffenrock. Goldbestickt, mit Orden übersät, scharlachrote Hosen, eine tschakoähnliche Uniformmütze mit Brillant-Agraffe und Reiherstutz. Ein schwarzer Umhang wallte um die Schultern des jungen sympathischen Königs.

(aus dem Radio-Essay „Ullemulle, König der Herzen: Wie Amanullah Chan die Weimarer Republik im Sturm eroberte und Kabul verlor“ des Deutschlandfunk, Erstsendung am 26.12.2009; Text zum Nachlesen hier).

König Aman Ullah von Afghanistan, seine Gattin, sowie Särde Mohammed Hassan Jahan, der Schwager des K... und höhe Staats- und Würdenträger bei der Ankunft auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin.

König Amanullah von Afghanistan, seine Gattin, sowie Sardar Mohammed Hassan Jahan, der Schwager des K… und höhere Staats- und Würdenträger bei der Ankunft auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin.

 

Es war exakt 11 Uhr 15, als die „Reichsbahn“-Lok den Sonderzug am Mittel-Perron stoppte: Was für ein Bahnhof im Lehrter Bahnhof – die Republik stand Kopf, die Berliner gaben sich monarchistisch-wilhelminisch. Am 22. Februar 1928 war’s, als der afghanische König Amanullah mit seiner bildhübschen Königin Suraya zur Seite in die Reichshauptstadt einfuhr. Das blaue Blut vom Hindukusch befand sich auf einer Goodwill-Tournee durch Europa: Berlin bescherte ihm all den Prunk und die Pracht der bescheidenen Weimarer Republik. Und die Berliner riefen wahlweise „Amanullerich“ oder fast zärtlich „Ullemulle“, wenn sie vom König sprachen. Denn „Willem zwo“ sass ja auf Schloss Doorn in Holland und hackte Holz. Die Deutschen hatten zehn Jahre kein gekröntes Staatsoberhaupt zu Gesicht bekommen. Da tschingdabumste die Reichswehr-Kapelle sogar „Preußens Gloria“.

Ein Souverän aus dem Morgenland. Die Republik liess sich den teuren Spass rund eine halbe Million Reichsmark kosten.

Das schrieb Die Welt 2002, als ein weiteres, damals noch (ob seiner Garderobe) vor allem aus exotischem Blickwinkel betrachtetes afghanisches Oberhaupt Berlin seine Aufwartung machte – Hamed Karsai. Und weiter:

Als der Salonzug Amanullahs hielt, lüftete Reichspräsident Paul von Hindenburg den Zylinder. Kantiger Schädel, eisgraues Haar… Amanullah trug einen hellblauen Waffenrock. Goldbestickt, mit Orden übersät, scharlachrote Hosen, eine tschakoähnliche Uniformmütze mit Brillant-Agraffe und Reiherstutz. Ein schwarzer Umhang wallte um die Schultern des jungen sympathischen Königs.“ So jubilierte ein zeitgenössischer Reporter-Kollege. (…)

"Amanullah Enters Berlin" NYT 1928.

„Amanullah Enters Berlin“ NYT 1928.

 

Vom Bahnhof gings auf eine große Tour durchs Berliner Zentrum. Tausende standen Unter den Linden und in der Friedrichstraße, um einen Blick auf das afghanische Königspaar zu erhaschen – darunter auch meine Großmutter Herta, damals 14 Jahre alt, die mit ihren Klassenkameradinnen zur Spalierbildung aus der Schule beordert worden war. (Sie erzählte mir davon, als ich ihr mitteilte, dass ich „Afghanistik“ studieren würde – und so erfuhr ich, dass ich nicht der erste in meiner Familie mit einer Afghan Connection war…)

Berlin, Brandenburger Tor, Amanullah, König von Afghanistan, und Reichspräsident von Hindenburg

Berlin, Brandenburger Tor, Amanullah, König von Afghanistan, und Reichspräsident von Hindenburg

 

Am Brandenburger Tor, so berichtet der Deutschlandfunk weiter, stand eine Gruppe deutscher Kommunisten, die über den monarchistischen Besuch gar nicht erfreut war – und „Nieder mit dem König!“ rief:

Auf die Frage des Königs an den ihm beigegebenen Botschafter Rosen, was der von geballten Fäusten begleitete Ruf bedeute, erwiderte dieser geistesgegenwärtig: „Gott schenke Euer Majestät ein langes Leben.“ Freudig wendete sich der König im Auto um und winkte dafür den überraschten Kommunisten freundlich zu.

Der Spiegel erklärte bereits 1949, warum ausgerechnet Rosen mit im Auto saß: 

Dr. Rosen, ehemaliger Außenminister und vordem Gesandter in Persien, eine Autorität auf dem Gebiet nahöstlicher Sprachen und Gebräuche, wurde mit einem Sonderzug zur deutsch-schweizerischen Grenze geschickt, um Seine Majestät zu empfangen.

König Amanullah von Afghanistan verläßt nach dem Besuch das städt. Rathauses in Berlin.

König Amanullah von Afghanistan verläßt nach dem Besuch das städt. Rathauses in Berlin.

 

Bekannte deutsche Dichter äußerten sich zum Amanullah-Besuch. Berühmt wurde Mühsams Schmähgedicht Hilfe in der Not, das allerdings eher den restmonarchistischen Untertanengeist der zwangsrepublikanisierten Deutschen aufs Korn nahm als den afghanischen Gast:

 

Mit Pomp und Glanz fährt deutschlandwärts

der König der Afghanen.

Da puppert in der Brust das Herz

Ex-Wilhelms Untertanen…

 

(hier weiter zum restlichen Text: )

Mühsams Amanullah-Gedicht_20150122_0001

 

Auch Tucholsky dichtete (als Theobald Tiger) zum Amanullah-Besuch:

 

Ersatz

 

Aman Ullah-Chan in Berlin

Einen richtigen König? Wir haben keinen

und daher borgen wir uns einen.

 

Sei gegrüßt, du schöne Gelegenheit!

Alles ist wie in alter Zeit:

 

Straßenabsperrung und Schutzmannsgäule,

Neugier der Kleinbürger, Hurra-Geheule,

Monokel-Kerle die Kreuz und die Quer

und: Militär! Militär! Militär! …

 

Zum Weiterlesen hier entlang.

Amanullah, König von Afghanistan, und Reichspräsident Paul von Hindenburg im Auto (Im Berliner Lustgarten?)

Amanullah, König von Afghanistan, und Reichspräsident Paul von Hindenburg im Auto (Im Berliner Lustgarten?)

 

Zurück zur Retro-Repiortage der Welt: 

„Janz Berlin“ war jedenfalls „janz aus’m Häuschen“: Der Herrscher, damals erst 36 Jahre alt, und seine junge Gemahlin (sie wagte auf Empfängen gar einen Hauch von Dekolleté in Kleidern der führenden Berliner Couture-Häuser) hätten wochenlang die „yellow press“ mit ihrem Charme und ihrem exotischen Reiz gefüllt – hätte es dergleichen in den „roaring twenties“ schon gegeben.

So schrien die Zeitungsjungs vom „8-Uhr-Blatt“ oder anderen druckfrischen Gazetten die schönsten Schlagzeilen heraus: „Königin jetzt mit Bubikopf“!

König Amanullah (reg. 1919-29) mit Königen Soraya. Foto: Archiv.

König Amanullah (reg. 1919-29) mit Königen Soraya. Foto: Archiv.

 

Sieben Tage blieben König Amanullah und Königin Soraya in Berlin.

Der König liess nichts aus: Nahm die Parade von vierzig Flugzeugen auf dem Tempelhofer Feld ab – und eine einmotorige „Junkers“ gleich mit ins mittelasiatische Reich. Seine Kolonne fuhr hinaus nach Döberitz – und Reichswehr-Soldaten hechelten schwitzend mit Panzerattrappen aus Pappe durch den märkischen Sand. Man brachte ihn unter, wo später die Gestapo hauste: Im Prinz-Albrecht-Palais.

 Und weiter der Spiegel:

Er verwandelte es bald in eine Art Warenhaus für alle die Güter, die er für Afghanistan kaufen wollte. In der großen Halle seines Palastes türmten sich Pyramiden moderner Teppiche, Bildhauerarbeiten, chemischer Produkte und eines gewaltigen Glasmosaiks, das für seinen neuen Palast in Kabul bestimmt war. 

Um der Gerechtigkeit halber hinzuzufügen:

Amanullah und die afghanische Gesandtschaft zeigten sich nicht weniger großzügig als die deutschen Behörden. … der Afghaner [sic] hinterließ einen Schwarm von neugebackenen afghanischen Herzögen, in die sich unversehens eine ganze Anzahl deutscher Beamter, unter ihnen auch Reichskanzler Marx, verwandelt sah.

Aber nicht nur das.

(Lesen Sie morgen Teil 2: Wie Amanullahs Buddha nach Berlin kam und was aus ihm wurde)