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Trotz der offiziellen Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan durch die Bundesregierung könnte sie doch indirekt zu weiteren Abschiebungen dorthin beitragen. Das berichtete die Süddeutsche Zeitung am 26.6.17. Am 13. Juni seien 41 Asylbewerber, „offenbar vorwiegend Somalier und Afghanen“, im Rahmen der sogenannten Dublin-Regelung von Deutschland nach Oslo ausgeflogen und an die norwegischen Behörden überstellt worden. Die Dublin-Regelung erlaubt es EU-Ländern, Asylbewerber in andere europäische Länder zurückzusenden, in denen sie einen Erstantrag auf Asylgestellt hatten.

Aus Norwegen könnten sie jedoch nach Afghanistan abgeschoben werden, denn dort gibt es keinen Abschiebestopp. Dieses Vorgehen wird als Kettenabschiebung bezeichnet.

Viele diese Dublin-Abgeschobenen hatten bisher in Mecklenburg-Vorpommern gelebt. Das Bundesland hatte sich bisher nicht an Direktabschiebungen nach Afghanistan beteiligt.

Norwegen hat zwischen 2003 und 2016 insgesamt 1382 Afghanen in ihr Land abgeschoben, allerdings mit sinkender Tendenz (2016 waren es noch 12). Höhepunkt war 2014 mit 437 Personen. 2017 hat Norwegen bisher weitere Afghanen abgeschoben; die genaue Zahl ist unbekannt (hier). Nur Großbritannien schob in diesem Zeitraum in Europa mehr Afghanen ab.

Die afghanische Regierung stimmte im Dezember 2016 zu, dass sie 90 Prozent der etwa 4000 Afghanen zurücknehmen würde, die Ende 2015 die zeitweilig offene Grenze von Russland aus nach Norwegen überquert hatten.

Terroranschlags bei einem Begräbnis nach den Protesten in Kabul Anfang Juni 2017. Quelle: Bildschirmfoto/Tolo.

Hier der entsprechende längere Auszug aus dem SZ-Beitrag:

Flüchtlinge aus Afghanistan: Abschiebung über Umwege

SZ 26.6.17

(…) Zu Diskussionen führt unter Asylhelfern ein Abschiebeflug vom 13. Juni – knapp zwei Wochen also, nachdem die Bundesregierung die Abschiebungen nach Kabul gestoppt hatte. 41 Asylbewerber, offenbar vorwiegend Somalier und Afghanen, wurden von Deutschland nach Oslo ausgeflogen und an die norwegischen Behörden überstellt; viele hatten in Mecklenburg-Vorpommern gelebt. Die Asylbewerber seien „illegal“ in die Bundesrepublik eingereist, erklärte das Amt für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten in Mecklenburg-Vorpommern, weil sie zuvor in Norwegen bereits Schutz beantragt und in Deutschland versucht hätten, ein weiteres Asylverfahren zu durchlaufen. Das aber erlaube die Dublin-Regelung nicht, die Rückführung beruhte somit auf
europäischem Recht.

Was den Fall jedoch brisant macht: In Norwegen gilt kein Afghanistan-Moratorium, große Teile des Landes sind nach Ansicht der norwegischen Behörden sicher, auch die Hauptstadt Kabul. Afghanen haben nur sehr geringe Chancen auf Asyl in Norwegen; und im Gegensatz zu Deutschland schieben die norwegischen Behörden auch Familien mit Kindern nach Kabul ab. Das in Norwegen zuständige Amt für Immigration sagte der SZ, dass die Mehrheit der 41 zurückgeschickten Asylbewerber in Norwegen bereits ihre Verfahren vollständig durchlaufen hätten. Diejenigen, deren Asyl abgelehnt wurde, würden nun in ihre Heimatländer zurückgebracht – auch die Afghanen.

Deutschland, Norwegen, Afghanistan: Eine Abschiebung über Umwege sei das, findet die fraktionslose bayerische Landtagsabgeordnete Claudia Stamm. Rechtlich könne man den Behörden zwar nichts vorwerfen, sagte sie, „aber inhaltlich ist das natürlich eine Farce.“ Auch Ulrike Seemann-Katz, Sprecherin des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern, kritisiert die Bundesregierung: Sie mache sich „unglaubwürdig, wenn sie die Abschiebung nach Afghanistan von Deutschland aus aussetze, dann aber über diese Kettenabschiebung ermögliche“.

Das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern verweist auf das Dublin-Verfahren. Die Landesregierung habe in diesen Fällen „keine Kenntnis über das weitere Verfahren im zuständigen EU-Mitgliedstaat“. Dass Norwegen die Sicherheitslage ganz anders einschätzt, spielt offenbar keine Rolle. Die Entscheidung über „eine mögliche Abschiebung nach Afghanistan ist abschließend durch den zuständigen Mitgliedstaat zu treffen und liegt nicht im Einflussbereich Deutschlands“, so ein Sprecher.

 

Zudem teilte gestern (28.6.17) die Links-Fraktion im Bundestag mit, dass im Innenausschuss bekannt geworden ist, dass es ebenfalls bis zur vereinbarten Neubewertung der Lage in Afghanistan einen Entscheidungsstopp im BAMF zu afghanischen Flüchtlingen gibt. Allerdings würden Anhörungen und Vorbereitungen von Entscheidungen weiter erfolgen, ebenso Bescheide und Überstellungen im Rahmen des Dublin-Systems (siehe oben). „Das ist eine überraschende Information“, heißt es in der Mitteilung, „denn erst in der vergangen Woche hatte die Bundesregierung auf eine mündliche Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (LINKE) erklärt, dass Asylverfahren von afghanischen Staatsangehörigen ‚weiter bearbeitet‘ würden – von einem Entscheidungsstopp war dort nicht die Rede, obwohl hiernach ausdrücklich gefragt worden war.“ Jelpke hatte daraufhin öffentlich kritisiert, „dass afghanische Flüchtlinge weiterhin auf der Grundlage veralteter Lageeinschätzungen abgelehnt würden“ und deshalb einen Ablehnungsstopp gefordert. Sie verlangte auch, auch die Ablehnungen afghanischer Flüchtlinge aus den letzten eineinhalb Jahren „dringend überprüft werden“ müssten, da auch sie auf der falschen Lageeinschätzung basierten.

Das Bundesinnenministerium habe dementiert, dass es sich um einen „Entscheidungsstopp“ handele, sondern sprach von einer „Rückpriorisierung“.