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Heute (am 17.7.17) wurde in Kabul der neue Bericht der dortigen UN-Mission UNAMA über zivile Opfer veröffentlicht. Es handelt sich um die Zahlen für das erste Halbjahr – die erneut, so die UNO, auf „Rekordniveau“ seien. Hier meine Zusammenfassung, die leicht redigiert schon auf der taz-Webseite (hier) steht und morgen auch im Print erscheint. Die Links zu diesem und allen vorhergehenden Berichten finden sich hier.

Terroranschlags bei einem Begräbnis nach den Protesten in Kabul Anfang Juni 2017. Quelle: Bildschirmfoto/Tolo.

 

UN-Bericht zum Krieg in Afghanistan

Zahl ziviler Opfer auf Rekordniveau

In Afghanistan sterben immer mehr Frauen und Kinder. Der Halbjahresbericht der Vereinten Nationen zeichnet ein verheerendes Bild.

Von anhaltendem „extremen Leid“ für die Bevölkerung in einem „hässlichen Krieg “ sprechen die Vereinten Nationen in ihrem jüngsten Halbjahresbericht über zivile Opfer in Afghanistan. Die Zahl der verlässlich festgestellten Toten und Verletzten liege mit 1662 und 3581 nur sehr knapp, um 24 Menschen, unter dem „Rekordniveau“ des ersten Halbjahres 2016. Nach einem gewissen Rückgang im Vorjahr waren Frauen und Kinder mit 610 Toten sowie 1603 Verletzten wieder besonders stark betroffen.

Die UNO konzediert in dem Bericht erneut, dass ihre Zahlen „konservativ“ seien. Die Organisation verwendet nur Fälle, die drei voneinander unabhängige Quellen bestätigen. Wie groß die Dunkelziffer an Kriegstoten ist, kann niemand sagen. Zudem fielen die zahlreichen Opfer und Binnenvertriebenen im Resultat neuer Kämpfe im ehemaligen Bundeswehrhauptstadtort Kundus Anfang Juli nicht in die Berichtsspanne.

Über zwei Drittel – 67 Prozent – aller registrierten Opfer gingen auf das Konto der Aufständischen, vor allem der afghanischen Taliban und des örtlichen Ablegers des Islamischen Staates (IS). Auf ein IS-Opfer kommen dabei etwa neun Taliban-Opfer. Das zeigt noch einmal das unterschiedliche strategische Gewicht beider Organisationen.

Die UNO macht vor allem Selbstmordanschläge und den Gebrauch sogenannter improvisierter Sprengsätze für den hohen Anteil von etwa 40 Prozent an den Opfern verantwortlich. Diese Mittel seien „unverhältnismäßig, wahllos“ und, nach internationalem Recht, auch „illegal“, so der Japaner Tadamichi Yamamoto, UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan. In der Tat widerspricht das selbst der offiziellen Politik der größten Aufstandsbewegung, der Taliban, nur militärische und Regierungsziele anzugreifen und Zivilisten zu schonen. Erst im Mai hatte Taleban-Chef Hebatullah Achundsada neue Instruktionen erlassen, die diesen Punkt noch einmal hervorhoben (mehr dazu hier bei AAN). In der Kriegspraxis wirkt sich das bisher nicht aus.

Den schwersten einzelnen Anschlag am 31. Mai in Kabul mit „mindestens 92 Toten und 491 Verletzten“, bei dem auch die deutsche Botschaft schwer beschädigt wurde, konnte die UNO allerdings keiner Gruppe sicher zuordnen. Taliban wie IS bestritten eine Urheberschaft. Allerdings deuten viele Indizien auf erstere.

Auf Seiten der Regierungstruppen und ihrer Verbündeten stieg bei insgesamt abfallender Tendenz vor allem die Zahl von Opfern der milizähnlichen Lokalpolizei und von Luftangriffen, und zwar um 43 Prozent. Etwa ein Drittel davon entfielen auf die afghanische und zwei Drittel auf US-Luftstreitkräfte.

Besonders viele Opfer entfielen auf die Hauptstadt Kabul, die die Bundesregierung bisher für sicher genug hält, um abgelehnte Asylbewerber dorthin abzuschieben – von Dezember 2016 bis zur vorläufigen Aussetzung Anfang Juni waren das 106. Aber das heißt nicht, das es anderswo ruhiger wird. Die UNO stellte zunehmende Opferzahlen in weiteren 14 der 34 Provinzen fest, in allen sieben Regionen des Landes. Von einem Abflauen des landesweiten Krieges kann also keine Rede sein.

Thomas Ruttig