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In Kabul sprach ich anfangs des Monats mit Roschan Tseran, einer langjährigen Frauenaktivistin. Sie lehrt Naturwissenschaften an der Universität Kabul und leitet das regierungsunabhängige Studienzentrum für die Menschenrechte der afghanischen Frauen (AWHRSC), das fünf Frauen und Männer 1997 in der Illegalität unter den Taleban gründeten. Das AWHRSC gehört zum Afghan Women’s Network, eines der einflussreichsten Dachverbände der Nichtregierungsszene. Frau Tseran stammt aus Provinz Nangrahar und hat Afghanistan auch unter der Taleban-Herrschaft nicht verlassen. Unter Präsident Nadschibullah saß sie im afghanischen Parlament und war Vizechefin des Ausschusses für internationale Beziehungen.

Dieses Interview erschien in der taz bereits am 3.3.19 (siehe hier), nach dem Friedensratschlag der afghanischen Frauen (mehr hier und hier).

Afghanische Frauenrechtlerin Roschan Tseran. Foto: Thomas Ruttig

 

„Hauptsache, die Welt hört uns“

Eine afghanische Korrespondentin schrieb in der New York Times, dass nur eine der 3500 Frauen beim Frauenratschlag in Kabul verschleiert war, ein Zeichen, dass die Versammlung von städtische Frauen dominiert war. Ist das so?

Wir haben über Monate in allen Provinzen mit vielen Frauen gesprochen, nicht nur mit den gebildeten, mit denen, die in der Zivilgesellschaft oder Politik aktiv sind. Auch mit vielen Frauen, die im ländlichen Raum leben. Aber viele von ihnen können wegen der Sicherheitsprobleme oder weil ihre Familien es nicht erlauben nicht nach Kabul reisen. Wir haben hier auch für sie gesprochen. Die Hauptsache ist, dass die Welt uns jetzt gehört hat.

Der Ratschlag sollte erst über zwei Tage gehen, wurde dann verschoben und dauerte schließlich dreieinhalb Stunden. Die Resolution war schon vorher fertig, wurde nur verlesen, und niemand hatte die Chance, noch etwas daran zu ändern. War das doch nur eine Regierungsveranstaltung?

Ja, die Regierung hat das organisiert und für alles gezahlt. Aber darum geht es nicht. Wir wären auch zu Fuß gekommen. Wir erlauben auch nicht, dass irgendjemand uns für seinen Wahlkampf missbraucht. Es gab ja nicht nur diese Versammlung. Wir haben einen Impuls gesetzt, der viele Frauen erreicht hat. Wir müssen jetzt mit ihnen weiterarbeiten, vor allem mit jenen, die im Krieg Opfer zu erleiden hatten.

Die Taliban sagen, dass sie die Rechte von Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit, politische Aktivität anerkennen – im Rahmen der Scharia…

Sie sagen, dass Mädchen nur bis Klasse 6 zur Schule gehen sollen, und dass Frauen als nur als Lehrerinnen in Mädchenschulen arbeiten dürfen. Dabei haben sie in Moskau [beim dortigen „innerafghanischen Dialog“ Mitte Februar] sogar zugegeben, dass se selbst Söhne und Töchter  haben, die einen MA oder einen Doktortitel besitzen. Aber den Frauen in Afghanistan wollen sie das nicht zugestehen. Für uns ist das inakzeptabel.

Viele der Rechte, die sie in den Verhandlungen mit den Taliban verteidigen wollen, stehen in der Verfassung, werden aber schon jetzt in der Realität nicht umgesetzt. Wie gehen sie damit um?

Stimmt. Nehmen sie unsere politischen Parteien. Eigentlich dürften laut Gesetz nur jene registriert werden, deren Mitgliedschaft zu 30 Prozent aus Frauen besteht. Das zuständige Justizministerium achtet darauf aber überhaupt nicht. Niemand in der Regierung interessiert sich wirklich für Genderfragen. In der Zivilgesellschaft ist das anders: Dort haben wir Frauen uns unseren Platz erkämpft, und nun kämpfen wir darum, dass das auch im gesamten Friedensprozess geschieht, von seinem Anfang an über die Verhandlungen bis zu seinem Abschluss im Friedensprozess. Wir wollen, dass auch die Frauen der anderen Seite teilnehmen. Die politischen Parteien, die Machthaber, das sind alles Männer, und die können nicht für uns sprechen.

Die Taliban erkennen dieser Verfassung nicht einmal an, wollen zumindest Änderungen. Bei den Verhandlungen wird es Zugeständnisse geben müssen…

 Wir wollen, dass die Verfassung umgesetzt wird. In Artikel 22 ist von Rechten für alle Bürger die Rede, von Männern und Frauen. Sie gibt ja auch den Taliban alle Rechte. Sollen sie kommen und sich Wahlen stellen, für das Präsidentenamt kandidieren, ihre Söhne und Töchter schicken, damit sie sich durch unsere Verwaltungsreformkommission für Ämter auf niedrigerer Ebene bewerben. Ihnen steht das genauso zu wie uns. Die Frauen sollen alle Rechte haben, die in der Verfassung stehen – auf Bildung, auf Arbeit, in der Politik und im Business aktiv zu werden. Sie sollen auch frei sein zu sagen, ich will zu Hause bleiben und mich nur um die Kinder kümmern. Wir wollen nicht mehr, als das Gesetz und der Islam uns zugestehen. Warum sollen beim Geben und Nehmen immer wir Frauen draufzahlen? Wir wollen nichts aufgeben, was wir uns in den letzten 18 Jahren erkämpft haben.

Es geht doch auch um Rechte wie die Presse- und Redefreiheit, die zur Disposition stehen könnten…

Es hilft nicht, dies im luftleeren Raum zu bereden. Wir müssen uns mit den Taliban zusammensetzen. Dafür brauchen wir Druck der internationalen Gemeinschaft auf sie.

Interview: Thomas Ruttig, Kabul

Als Zusatz-Lesestoff: dieser AAN-Artikel zum Thema, warum in Afghanistan Frauen oft nicht mit ihrem Namen angesprochen werden, sondern als „Frau von“, „Mutter von“ oder „Tochter von“ – selbst bei Einladungen auf Hochzeiten und auf ihren Grabsteinen

Roschan Tseran mit dem Interviewer im Kabuler AAN-Büro. Foto: Ehsan Qaane/AAN