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Hier mein Artikel in der heutigen taz zum Ergebnis der Präsidentenwahl vom 28. September 2019, das nach fast fünfmonatigem Hin-und-Her überraschend am Dienstagabend verkündet worden war. (Achtung: Das Foto im taz-Artikel zeigt nicht Ghani.) Diese Version enthält einige Informationen, für die in der taz kein Platz mehr war.

Déjà-vu: Schon 2009 trat Ghani bei der Präsidentenwahl an. Allerdings gewann damals Karzai. Fotos: Thomas Ruttig

 

Drei Regierungen für Afghanistan?

Präsident Ghanis hauchdünne Wiederwahl schürt innenpolitischen Zwist und gefährdet bevorstehende Friedensgespräche

Die Sonne war schon hinter den Bergen versunken und die meisten Kabulis im Feierabend, als am frühen Dienstagabend Afghanistans Wahlkommission einem fast fünfmonatigen Auszählungsmarathon ein Ende setzte und Amtsinhaber Muhammad Aschraf Ghani zum Gewinner der Präsidentenwahl vom September erklärte. Es folgten ein paar Autocorsos, etwas Feuerwerk, und Männer ballerten mit Handfeuerwaffen in die Luft. Führende Regierungsvertreter gratulierten einander in den sozialen Medien zum Sieg, und Ghani ließ in einer Rede die Republik hochleben. (Afghanistan ist eine Islamische Republik.) Euphorie sieht anders aus.

Schon, dass Ghani sich gestern Vormittag nicht zur angekündigten Feier im Festzelt beim Kabuler Polytechnischen Institut einfand (offiziell sollte der Jahrestag des Abzuges der sowjetischen Besatzungstruppen vor 31 Jahren begangen werden), war ein Zeichen, dass die Wahl noch nicht zu Ende ist. Auch die meisten früheren Warlords, die sich auf die Seite seines Hauptwidersachers Abdullah Abdullah geschlagen hatten, und sonstige Polithonoratioren fehlten.

Zu knapp ist Ghanis Sieg, und nach wie vor umstritten, wie er zustande kam. Mit nur 0,64 Prozent überwand er die 50-Pozent-Marke, was ihm einen zweiten Wahlgang und den Afghanen weitere Monate Wahlstress erspart. Ausschlag gab, dass die Wahlkommission zirka 300.000 umstrittene Stimmen nach einem Audit pauschal für gültig erklärte. Ghanis Anteil liegt unter einer Million, bei einer Beteiligung von knapp 18 Prozent bei 9,7 Millionen Wahlberechtigten.

Nach den – umstrittenen – Angaben der Wahlkommission erhielt Ghani 923.592 Stimmen (50,64% der gültigen Stimmen), Abdullah 720.841 Stimmen (39,52%). Alle anderen Kandidaten landeten weit abgeschlagen unter 5 Prozent. Als nächster kam der gefürchtete Warlord Gulbuddin Hekmatyar (ein AAN-Dossier über ihn hier) mit 3,85%. Ahmad Wali Massud kam sogar nur auf 0,22%.

IEC-Ergebnistabelle der Präsidentenwahl 2019 (vom 18.2.20). Bildschirmfoto.

 

Die Opposition sprach von Betrug, Hochverrat und Putsch. Abdullah, bisher Ghanis ungeliebter Partner in einer Nationalen Einheitsregierung, erklärte sich noch am gleichen Abend ebenfalls zum Sieger und kündigte eine „Parallelregierung“ an. Einer seiner Hauptverbündeten, Warlord Abdul Raschid Dostum – pikanterweise offiziell noch Ghanis Vizepräsident –, drohte indirekt mit einer zeitweiligen Abspaltung des Nordens. Im Internet kursieren schon Kabinettslisten (es ist aber nicht klar, ob diese real sind) – einer zufolge soll Dostums Sohn Finanzminister werden. So läuft das Land Gefahr, demnächst gleich drei Regierungen zu haben, denn es gibt auch noch die Paralleladministration der Taleban.

Mit denen sollen in der ersten Märzhälfte Friedensverhandlungen beginnen, nachdem zuvor die USA und die Taleban eine siebentägige Quasi-Waffenruhe verkünden. Damit wird jeden Tag gerechnet. Dies gilt als Test, ob die Aufständischen ihre Feldkommandeure im Griff haben, um Ende Februar ein Truppenabzugsabkommen mit Washington zu unterschreiben. Das US-Taleban-Abkommen wiederum soll die Tür für innerafghanische Friedensgespräche öffnen, in die Ghani nun trotz seines Wahlsieges geschwächt gehen wird.

Falls es überhaupt dazu kommt. In den letzten Wochen verschärfte sich der Ton zwischen Ghani und den Taliban. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz forderte der Präsident sie vor den Medien auf, sich in den Dörfern als „Hundefänger“ zur Wahl zu stellen. Die Taliban zahlten diese Beleidigung mit Hohn über die Wahlen zurück, bei denen niemand wisse, „was vorn und hinten ist“.

Zudem sollte Ghani schon seit Monaten seine Delegation für die Gespräche benennen, tat das aber nicht. Abdullah und andere Ghani-Gegner sehen das als Versuch, sich nach der Wahl als demokratisch legitimierter Alleinvertreter zu positionieren. Ghani könnte so seine innenpolitischen Gegner in die Arme der Taliban treiben und am Ende bei einer Machtteilung ausgebootet werden.

Thomas Ruttig, Kabul

Eine ausführlichere Analyse von mir hier bei AAN.

Präsident Aschraf Ghani am 19.8.19 an der Unabhängigkeitssäule. Foto: Tolo