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Mit zwei neuen Fällen am 23.3.2020 in der Provinzen Logar und Samangan stieg die Zahl der nach offiziellen Angaben in Afghanistan positiv getesteten Menschen auf 42. Dazu kommen über 220 Verdachtsfälle in Kabul allein (Stand 22.3.), ein Toter – ein 40jähriger Mann am 19.3. im Distrikt Tschimtal in der Nordprovinz Balch –, aber auch ein als geheilt Entlassener (in Herat). Eine zweite Tote soll an Asthma, nicht an Covid-19 gestorben sein.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums seien alle Infektionen bis mindestens 16.3. auf Rückkehrer aus Iran zurückzuführen, berichtete die laut New York Times. Diesem Bericht zufolge fehlten zu diesem Zeitpunkt in Herat finanzielle Mittel und Schutzmasken für das medizinische Personal; die Krankenhäusern mussten Geld aus privater Hand borgen.

Schlangen an einem Grenzübergang von Iran nach Afghanistan. Foto: Hasht-e Sobh

 

Hier die Zahl der bisherigen bekanntgegebenen Corona-Fälle pro Provinz:

Herat: 21

Samangan: 4

Logar: 3

Balkh: 2

Farah: 2

Kabul: 2

Zabul: 2

Badghis: 1

Daykundi: 1

Ghasni: 1

Ghor: 1

Kandahar: 1

Kapisa: 1

 

Die Dunkelziffer könnte aber bedeutend höher liegen. Denn es gibt nur ein Testlabor, und aus dem vom Virus schwer heimgesuchten Nachbarland Iran kehrten allein vorige Woche 53.000 Afghanen aus Sorge vor einer Ansteckung zurück. In der ersten Märzwoche waren es 19.000. 90 Prozent der Rückkehrer seien Freiwillige. Seither hat sich die Zahl der Grenzübertritte laut New York Times auf 15.000 pro Tag eingependelt.

Ursprünglich hatte Afghanistan die Grenze geschlossen, hielt dem Druck der Rückkehrwilligen aber nicht Stand. „Wir können diesen Menschen nicht verbieten, in ihr eigenes Land zu kommen, aber wir wissen genau, woher die Krankheit kommt“, sagte ein Zollbeamter. In Iran leben und arbeiten 1,5-2 Millionen Afghanen, viele davon Flüchtlinge. Alle Rückkehrer werden beim Grenzübertritt auf Fiebersymptome konrolliert.

Vergangene Woche sagte der afghanische Flüchtlingsminister Sajed Hussain Alemi Balchi, in Iran seien bis dahin zehn Afghanen durch den Coronavirus gestorben. Aus dem Distrikt Pasaband (Provinz Ghor) war am 18.3. der Tod von drei Iran-Rückkehren gemeldet worden, aber ihre genaue Todesursache war unklar.

Den Rückkehrern schlägt oft Misstrauen entgegen; so nehmen viele Menschen sie nicht in ihren Fahrzeugen mit. Zivilgesellschaftsvertreter sprachen sich dafür aus, alle Rückkehrer außerhalb der Stadt unter Quarantäne zu stellen. Die Taleban ordneten in von ihnen kontrollierten Gebieten bei Strafandrohung an, dass sie sich für 14 Tage selbst isolieren müssen.

Medienberichten zufolge (z.B. hier) weigerten sich bestimmte Krankenhäuser in Iran, Afghanen zu behandeln.

Bisher schloss die Regierung bis zum 18. April alle Schulen, Koranschulen (Madrassas) und Universitäten, untersagte große Sportveranstaltungen und Hochzeiten mit mehr als 1000 Teilnehmern und auch die traditionellen Naurusfeiern in Masar-e Scharif, schränkte das öffentliche Leben sonst aber kaum weiter ein. Einige Ämter, wie die Pass- und Tazkera-Stelle im Innenministerium sind geschlossen. Viele Geschäfte schließen aus Eigeninitiative, aber vielerorten sind sie immer noch offen wie normal. In Kabul sind auch einige Hochzeitspaläste weiter offen, in denen oft tausende zusammen feiern. In sozialen Medien waren v.a. aus dem Landesnorden noch von großen Menschenmengen besuchte Sportveranstaltungen zu sehen, z.B. Buskaschi-Spiele. Zum Naurus, dem afghanischen Neujahrsfest am 20.3., waren riesige Autokarawanen zu Ausflugslokalen am Kargha-Stausee bei Kabul zu sehen.

Buzkaschi in Masar und Ausflügler in Kargha zu Naurus 2020.

 

In der bisher am stärksten betroffenen Provinz Herat, nahe der iranischen Grenze, sind auch die Freitagsgebete abgesagt. Die Provinzregierung diskutiert eine Abschottung vom Rest des Landes, die im zentralistischen Afghanistan aber von Kabul angeordnet werden müsste. Einige Mitglieder des gewählten Provinzrates sollen sich gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen, da diese dann ihrer Ansicht nach von Polizei und Armee durchgesetzt werden müsste – und das würde die Verteidigungsfähigkeit gegenüber den Taleban schwächen.

Die Behörden haben auf Zwei-Schicht-Betrieb – je fünf Stunden – umgestellt. Präsident Aschraf Ghani und seine Mitarbeiter zeigten sich bei einigen Treffen symbolisch mit Gesichtsmasken, aber schon beim Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo trat er wieder ohne auf.

Die Taleban haben allen internationalen Gesundheitsorganisationen „Zusammenarbeit und Koordination“ zugesagt und aufgefordert, sich um die 5-12.000 Taleban-Gefangenen in Haftanstalten der Regierung zu kümmern..

Die UNO hat die Rückkehr von Flüchtlingen aus Pakistan suspendiert. Die Vizeflüchtlingsministerin Dr Alema hat sich Medienberichten zufolge mit der Bitte an die deutsche und andere europäische Regierungen gewandt, Abschiebungen nach Afghanistan für die Dauer der Pandemie einzustellen.

Die Grenzen zu Pakistan waren zeitweise geschlossen. Afghanistan-Flüge aus Delhi (bis Ende des Monats) und Dubai (bis Ende Juni) sind eingestellt. Die Preise für Lebensmittel und Hygieneartikel schossen kurzzeitig in die Höhe, gaben dann aber wieder nach. Nahrungsmittel kommen vor allem weiter aus Usbekistan und Turkmenistan.

 

Schlechte hygienische Zustände in Krankenhäusern, Misstrauen gegenüber dem Gesundheitswesen, Mangel an Nahrungsmitteln und Isolierstationen sowie die Furcht, von der Familie isoliert zu sein, führten in mehreren Fällen zur Flucht von Kranken aus der Quarantäne (siehe ein Bericht hier). Ein Massenausbruch der Krankheit könnte noch bevorstehen; vor allem Kasernen und Gefängnisse sind Problemzonen.

Landesweit standen nach UN-Angaben am 19.3. am 15.500-Testsätze zur Verfügung, die z.T. aus Dubai kamen. China hat Hilfslieferungen zugesagt. Auch die südasiatische Staatengemeinschaft SAARC, zu der Afghanistan gehört, hat eine Zusammenarbeit vereinbart.

In Kabul verteilten Aktivist:innen Handschuhe und Masken an ambulante Straßenhändler (kurzes Video hier).

In Herat wird zur Zeit ein zusätzliches 100-Betten-Hospital gebaut (nach anderen Meldungen sogar mit 300 Betten). es soll in drei Wochen fertig seien. Damit wird die Gesamt-Bettenkapazität dort auf 1000 steigen.

Zusätzliches Krankenhaus, das in Herat für die Versorgung von Corona-Erkrankten aufgebaut wird.

 

Offenbar sorgt der Virus-Ausbruch nach dem Ende einer einwöchigen teilweisen Feuereinstellung vom 21.-18.2 erneut für einen Rückkehr der Gewalt. Am 15.3. meldete das afghanische Innenministerium 16 Zwischenfälle für diesen Tag; am 13.3. waren es noch 95 gewesen.

Am 14.3. hieß es in US-Militärmedien, dass für die US-Soldaten in Afghanistan keine Covid19-Tests bereit stünden, aber bei entsprechenden Symptomen sofort auf ihren Basen behandelt werden könnten. Tests würden u.a. an die US-Basis Landstuhl in Deutschland geschickt. Die USA hätten wegen des Virus auch ihre reguläre Truppenrotation in Afghanistan gestoppt. Die US-Army Times berichtete, dass 300 US-Soldaten nach ihren Rückkehr aus Afghanistan in den USA für 14 Tage in Quarantäne genommen worden seien.

Die US/NATO-geführte Resolute Support-Mission in Afghanistan dementierte, dass Mitglieder bereits positive getestet worden seien. Zuvor hatte ein afghanischer Journalist berichtet, das sei bei acht italienischen Soldaten der Fall gewesen.

 

Hier eine Analyse von Prof Barnett Rubin, wie die Pandemie den Friedensprozess in Afghanistan beeinflussen könnte.

Corona-Hotline in Afghanistan.