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Der 38. monatliche deutsche Sammelabschiebeflug nach Afghanistan ist heute morgen (8.4.) mit 20 Menschen an Bord in Kabul gelandet. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur (dpa) von Beamten am dortigen Flughafen. Von Protesten begleitet, war er gestern abend gegen 21.30 Uhr vom Berlin-Brandenburger Hauptstadtflughafen BER gestartet. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der seit Dezember 2016 in das laut Global Peace Index des australischen Institute für Economics and Peace „unfriedlichste“ Land der Welt auf 1035. 

[Aktualisierung 8.4., 14.10 Uhr: Auf der Grundlage von Informationen des Bundesinnenministeriums (BMI) berichtete der Evangelischen Pressedienst (epd) jetzt, dass sich „nach bisherigen Angaben der Bundesländer“ sieben Bundesländer an der Abschiebung beteiligt hätten: Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen beteiligt gewesen. Berlin sei nach Angaben der Senatsverwaltung für Inneres doch nicht an der Abschiebung beteiligt gewesen, meldete dpa. Außerdem gab es Hinweise darauf (siehe unten), dass auch Berlin beteiligt war. Laut BMI seien 19 der 20 abgeschobenen Afghanen Straftäter gewesen.

Aktualisierung 9.4.: Der sächsische Flüchtlingsrat berichtete am 8.4., dass aus diesem Bundesland ein Mensch auf dem Flug am 7. April nach Afghanistan abgeschoben wurde, der aus einer Haftanstalt gekommen sei. Das gehe aus einer Antwort der Landesdirektion auf eine Presseanfrage hervor. Zuvor sei der Mann im Landkreis Vogtland ansässig gewesen.

Die Webseite des bis zur Jahreswende sehr auskunftsfreudigen bayerischen Landesamtes für Migration und Rückführung berichtete wie schon im März nicht über den April-Abschiebeflug. Letzte „aktuelle“ Meldung mit Afgghanistan-Bezug ist dort ein Besuch des afghanischen Generalkonsuls in München Mitte Februar. Auch die gemeldete Asylbilanz des Landes enthält wenige Informationen und konstatiert, die (Landesasyl-)“Politik der Humanität und Ordnung“ sei „konsequent“ fortgeführt worden.]

Die Migrations-Initiative Rheinland-Pfalz kommentiert die Abschiebung sehr treffend:

Wer sich fragt, warum die Charter immer morgens ankommen: Damit die „Abschiebebegleiter“ nicht übernachten müssen, wo die Abgeschobenen künftig leben müssen – in Lebensgefahr.

Bei den Abschiebebegleitern handelt es sich um mindestens drei Bundespolizisten pro Abzuschiebendem sowie Ärzte. Letztere scheinen bei dieser Abschiebung vom Land Brandenburg gestellt worden zu sein. Nach epd-Angaben waren an der Abschiebung mehr als 75 Bundespolizisten beteiligt.

Die Flüchtlingsräte in Berlin und Brandenburg kritisieren die Abschiebung. In Schönefeld protestierten nach Polizeiangaben 350, nach Veranstalterangaben 500 Menschen gegen die Abschiebung. Es kam zu einer versuchten Straßenblockade vor der nahegelegenen Abschiebehafteinrichtung des Landes. Die Polizei sei „rabiat“ gegen die Protestierenden vorgegangen. Im Tagesspiegel liest sich das so:

Aktivisten blockierten erst die Schönefelder Mittelstraße, die zum Flughafen führt. Dann versammelten sie sich vor dem Terminal 5. Immer mehr behelmte Einsatzkräfte der Polizei rückten an, um zu verhindern, dass Demonstrierende das Gebäude betreten. Die Lage wurde unübersichtlich. Nachdem die Maschine gegen 21.30 Uhr gestartet war, löste sich aber auch der Protestzug mit etwa 350 Teilnehmenden auf. Laut Polizei gab zwar eine Rangelei, aber keine Festnahmen.

[Aktualisierung 8.4., 20.45 Uhr: Hier noch ein neuerer nd-Bericht zu den Protesten gestern.]

Der Flug wurde erneut von der spanischen Fluggesellschaft Privilege Style durchgeführt. 

[Aktualisierung 10.4.: Unterdessen sagte Brandenburgs Grünen-Chefin Julia Schmidt bei Radioeins (*): „Wir stellen das Flugzeug, aber wir können als Land leider nicht entscheiden, dass wir nicht nach Afghanistan abschieben wollen.“ Die Entscheidung, dass abgeschoben wird, treffe der Bund – siehe auch dieser taz-Berlin-Bericht.

(*) Vorsicht: dieser Radioeins-Bericht enthält auch fremdenfeindlichen O-Ton eines AfD-Mannes.]

Protest am BER am 7. April 2021 ggen die 38. Afghanistan-Abschiebung. Foto via Flüchtlingsrat Berlin.

Wie bereits beim März-Abschiebeflug ab Hannover machten die Behörden auch diesmal noch weniger Angaben zu der Abschiebung als sonst – ein deutliches Zeichen, dass sie dabei rechtlich angreifbar agieren und Proteste befürchten. Die Potsdamer Märkische Allgemeine Zeitung berichtete dazu am 8.4., dass sich offizielle Stellen auf ihre Anfrage „bedeckt“ gehalten hätten. „Das Bundesinnenministerium teilt mit, dass man keine Angaben mache, um die Durchführung der Maßnahme nicht zu gefährden. Der BER verweist an die Bundespolizei, die wiederum an das Landesinnenministerium – und das gab am Mittwoch auf MAZ-Anfrage keine Stellung ab.“

Vorab hatte das nd berichtet, laut seinen Informationen sollte

… aus Brandenburg ein Mann abgeschoben werden, der unter anderem wegen schwerer Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde. Dem Brandenburger Innenministerium zufolge werden bei Abschiebungen ausreisepflichtige Afghanen priorisiert, die männlich, alleinstehend und sogenannte Gefährder sind, Straf- und Intensivtäter, »Mitwirkungs-« oder »Integrationsverweigerer«. Der Flüchtlingsrat kritisiert die Kategorie »Integrationsverweigerer« als willkürlich. Nach Angaben der Organisation wurden seit 2017 zehn Personen nach Afghanistan abgeschoben, unter ihnen Anfang Februar auch Ahmad N., ein ausgebildeter Sanitäter ohne Vorstrafen.

Aus Berlin sollen nach nd-Informationen zwei Männer abgeschoben werden. Eigentlich sind laut Koalitionsvertrag zwischen SPD, Linke und Grünen Abschiebungen ausgeschlossen, die aus humanitären Gründen nicht tragbar sind. 

Diese Zahl für Berlin meldete auch der Tagesspiegel. Ein Sprecher der Berliner Innenverwaltung wollte sich am Mittwoch der Zeitung nicht zu dem konkreten Fall äußern. Er meldete weiter, dass laut einer Antwort der Innenverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Kahlefeld seit Dezember 2020 fünf Menschen in das Land abgeschoben wurden. Alle fünf seien „wegen erheblicher Gewaltdelikte verurteilt“, teilte die Innenverwaltung mit. (Berlin beteiligte sich dann doch nicht – siehe oben.)

Das Land Brandenburg hat laut der Linken-Abgeordneten Andrea Johlige zudem die Kategorie der „Intensivstörer“ „neu erfunden.“ Sie sagte der taz: „Das sind Leute, die irgendwie mal auffällig geworden sind – genauer definiert ist das nicht, was natürlich sehr problematisch ist.“

Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader, sagte dem nd, er halte die Argumentation des Innensenators, dass Abschiebungen von Straftätern der öffentlichen Sicherheit dienen, grundsätzlich für problematisch. »Abschiebung ist kein Ersatzstrafrecht«, sagt Schrader. »Wir haben ein funktionierendes Justizsystem, in dem die Menschen ihre Strafen absitzen können. Abschiebungen nach Afghanistan sind daher in jedem Fall auszusetzen.«

Im Land Brandenburg sollen laut Innenministerium in Potsdam 490 geduldete Afghanen leben, meldete rbb24. Allerdings seien nicht alle ausreisepflichtig, weil bestimmte Formen der Duldung – wie die Ausbildungsduldung – vor Abschiebung schützen.

„In Afghanistan werden die Abgeschobenen in der Regel von Beamten empfangen, wo sie eine kleine Summe Geld als Startkapital [eher ein Taschengeld] erhalten und vierzehn Tage in einem Gästehaus unterkommen dürfen. Danach sind sie auf sich allein gestellt“, meldete dpa. „Zuletzt ist vor allem in der Hauptstadt Kabul die Zahl gezielter Tötungen angestiegen. Die Wirtschaft und das ohnehin schon schwache Gesundheitssystem Afghanistans werden durch die Corona-Pandemie zusätzlich stark belastet.“


Diese Zusammenstellung wird entsprechend der Nachrichtenlage weiter aktualisiert – also bitte immermal wieder reinlesen.

Hier ein Hintergrund-Artikel zur deutschen Asyl- und Abschiebepolitik.

Zur UNO-Einschätzung der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan bitte hier weiterlesen.

Eine Materialsammlung von Pro Asyl zum Thema „Unsicheres Afghanistan“ findet sich hier.

Zudem möchte ich auf ein gerade erschienenes Themenheft zu Afghanistan der österreichischen Asylkoordination verwiesen – dazu hier entlang.

Ein paar Einschätzungen von mir zur deutschen Abschiebepolitik nach Afghanistan in diesem langen Video-Interview (ab 1:46:09) mit Tilo Jung von „Jung&Naiv – Politik für Desinteressierte“ vom 31.3.2021).


Gesamtübersicht der bisherigen deutschen Abschiebeflüge

Gesamtzahl seit Dez. 2016:

1035 

2021:

April: 20

März: 26

Feb.: 26

Jan.: 26

Summe 2021 bisher: 98

2020:

Dez: 30

April-Nov.: coronabedingte Aussetzung

März: 39

Feb: 31

Jan: 37

Summe 2020: 137

2019:

Dez: 44

Nov: 36

Okt: 44

Aug: 31

Juli: 45

Juni: 11

Mai: 24

April: 32

März: 21

Feb: 38

Jan: 36 (einer von den afghanischen Behörden zurück geschickt, d.h. 35)

2019 insgesamt: 361

2018:

Dez: 14

Nov: 42

Okt: 17

Sept: 17

August: 46

Juli: 69

Juni: —

Mai: 15

Apr: 21

März: 10

Feb: 14

Jan: 19

Summe 2018: 284

2017:

Dez: 27

Nov: —

Okt: 14

Sept: 8

Mai-Juli: —

Apr: 14

März: 15

Feb: 18

Jan: 25

Summe 2017: 121

2016:

Dez: 34