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Dieser Text erschien heute (6.11.2023) online unter dem Titel „Taliban erfolgreich gegen Drogen“ und in der Printausgabe der taz. Unten, wie meist, der Text in einer deutlich ausführlicheren Version mit zusätzlichen Informationen und Hintergründen [in eckigen Klammern].

Afghanistans Opiumanbau und -produktion 1994-2023. Quelle: UNODC-Bericht.


Taleban senken Schlafmohnanbau um 95 Prozent – ohne Rücksicht auf die Armut im Land

Die Taleban haben ihr Anbauverbot von Schlafmohn von April 2022 durchgesetzt. Das bestätigt ein am Sonntag [5.11.2023] veröffentlichten Bericht des UNO-Büro zu Drogen und Kriminalität (UNODC). Sowohl die dafür genutzte Agrarfläche als auch die prognostizierte Ausbeute an dort gewonnenem Rohopium seien 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 95 Prozent zurückgegangen. [Die Anbaufläche ging von 233.000 auf 10.800 Hektar zurück, die Ausbeute von 6200 auf 333 Tonnen.] Die Angaben beruhen auf der Auswertung von Satellitenbildern. Zuletzt stammten 85 Prozent des weltweit produzierten Opiums aus Afghanistan.

[Nur 2001, während des ersten Taleban-Verbots wurde mit 8000 Hektar auf weniger Landfläche Opiummohn angebaut (Zählung ab 1994).

Afghanistans verbliebener Schlafmohnanbau konzentriert sich auf die Provinz Kandahar, insbesondere im deren nördlichem Teil, mit 33 Prozent der geschätzten landesweiten Gesamtproduktion. Badachschan im Nordosten folgt mit 15 und Sabul im Süden mit 8 Prozent. Nach Regionen gerechnet liegt die Südwest-Region mit Helmand, Kandahar, Nimrus, Urusgan und Sabul mit 49 Prozent des Gesamtanbaus vorn, gefolgt vom Nordosten mit 15 Prozent. 18 der 33 Provinzen (die Taleban betrachten Pandschir, das erst nach 2001 eine eigene Provinz wurde, nicht als Provinz) gelten mit einem Mohnanbau von unter 100 Hektar als „opiumfrei“. Wo noch gepflanzt wurde, geschah das auf im Durchschnitt die Hälfte kleineren und entlegeneren, also besser versteckten Einzelfeldern.

Auch die Einnahmen der Opiumbauern aus dem Anbau sanken um 92 Prozent, von geschätzten 1,36 Milliarden aus der 2022er Ernte auf 110 Millionen 2023. Die Diskrepanz geht wahrscheinlich auf Rohopium-Reserven zurück, die meist wohlhabendere Bauern anlegen konnten.

Aus den 333 Tonnen Rohopium lassen sich 24 bis 38 Tonnen Heroin in Exportqualität gewinnen. Allerdings verboten die Taliban im Januar auch die Einfuhr von Chemikalien für die Heroinherstellung. Afghanistan Heroin landete bisher vor all auf Märkten in Westeuropa, Russland und der Golfstaaten. Hier dürften sich jetzt die Nachfrage verknappen und die Preise steigen.

Laut einem der führenden Afghanistan-Drogenexperten, David Mansfield haben es die Taleban geschafft, Druck „sowohl auf den Anbau als auch den Handel aufzubauen. Bestimmte Drogenrouten wurden geschlossen, wodurch sich auch die Kosten für den Schmuggel erhöhen. Der UN-Bericht widerlegt so auch die weit verbreiteten Zweifel, die es vor allem am politischen Willen der Taleban gab, das Verbot umzusetzen. Diese Zweifel resultierten vor allem aus der weit verbreiteten Ansicht, dass die Taleban ihren Aufstand aus Drogeneinnahmen finanzierten. Das stimmte zum Teil auch; allerdings ermutigten sie den Drogenanbau nicht, sondern besteuerten ihn „nur“. Nach dem gewonnenem Krieg glauben sie offenbar, auf diese Einnahmen jetzt verzichten und ihre religiös-ideologische Position durchsetzen zu können, dass Drogen laut Scharia verboten sind.]

Getreide [v.a. Weizen] habe großflächig Schlafmohn abgelöst, so die UNO. In den vier Provinzen [Helmand, Kandahar, Farah und Nangrahar], aus denen bisher knapp drei Viertel des afghanischen Rohopiums kamen, sei das auf 68 Prozent der Felder erfolgt, [auf denen zuvor der Drogenrohstoff angepflanzt worden war]. Das decke jedoch immer noch nicht den Inlandsbedarf an Brot, dem afghanischen Hauptnahrungsmittel. 15 von etwa 40 Millionen Afghan*innen sind mindestens mangelernährt; zwei Drittel von ihnen hängen von humanitärer Hilfe ab. [Das Land musste 2023 bei kriegsbedingt steigenden Weltmarktpreisen und seit der Taleban-Machtübernahme von allen Entwicklungsgeldern abgeschnitten 3,4 Tonnen Weizen und Weizenmehl importieren.]

Vor der zweiten Machtübernahme der Taliban im August 2021] repräsentierte Afghanistans Markt für Rohopium zwischen 9 und 14 Prozent des nationalen Bruttosozialprodukts. Die Einkommen aus dem Schlafmohnanbau standen für 29 Prozent des gesamten Agrarsektors. Das daraus gewonnene und exportierte Heroin, so die UNO, überstieg zuweilen den Wert von Afghanistans Gesamtexporten. Der Profit daraus blieb vor allem am oberen Ende der nationalen Wertschöpfungskette, bei den Händlern, Angehörigen der westlich gestützten Regierung, die sie protegierten, und den Taleban, die sie besteuerten. Sie überstiegen „bei Weitem“ die Einkünfte der Opium kultivierenden Bauern.

Schlafmohnbekämpfung nach Taleban-Art. Foto: Tolo.


In Afghanistan gibt es keinen spezialisierten Anbau von Opiummohn. Zahlreiche Bauern kultivieren ihn neben ihren Hauptkulturen wie Weizen. 6,9 Millionen Afghan*innen partizipieren an der Opiumwirtschaft. Laut dem UN-Bericht verkaufen vier von fünf Opiumbauern ihre Ernte noch im selben Jahr, weil sie „dringende und Grundbedürfnisse abdecken“ müssen wie Nahrungsmittel, Saatgut und Dünger zu kaufen, Gesundheitskosten und Schulden zurück zu zahlen.

Diese Bauern, die bisher im Durchschnitt etwa die Hälfte ihrer Einkommen aus dem Verkauf von Rohopium erzielten, trifft das Anbauverbot jetzt stark. Noch mehr leiden die hunderttausenden Tagelöhner, die sich als Wanderarbeiter bei ihnen zum Nesch, der Opiumernte, verdingen. Allein in den vier Hauptanbauprovinzen beträgt der finanzielle Gesamtverlust 2023 laut dem UN-Bericht umgerechnet eine Milliarde US-Dollar. [Die UNO rechnet durch das Verbot mit einem Schrumpfen des durchschnittlichen BSP pro Kopf von vier Prozent.]

Das kompensieren auch die Einkünfte aus noch vorhandenen Rohopiumreserven sowie dem Getreideanbau nicht. Das Durchschnittseinkommen pro Hektar Weizen liegt bei 700 Dollar, bei Schlafmohn sind es über 10.000 Dollar. [Auch dass der monatliche Durchschnittspreis für ein Kilo Rohopium gegenüber der Vor-Taleban-Zeit um das Fünffache auf 408 Dollar stieg, macht dabei nicht den großen Unterschied – wenn keine neue Ware nachkommt. Zudem zitiert UNODC in seinem Bericht Bauern, die sich beklagen, dass das Verbot zu plötzlich kam und sie daher daran gehindert habe, auf Hoch-Einkommens-Kulturen wie Granatäpfel, Mandeln, Pistazien oder die Arzneimittelpflanze Asa foetida umzusteigen – zudem sich dabei ein Ertrag erst nach mehreren Jahren einstellt.]

Mit dem Schlafmohnanbau verboten die Taleban auch „die Verwendung, den Transport, Handel, Export und Import aller Arten berauschender Substanzen.“ Neue Angaben zu Cannabis, wo Afghanistan ebenfalls zu den führenden Produzenten gehört, und der zuletzt stark angestiegenen Ernte der wildwachsenden Ephedra-Staude, woraus ein Grundstoff für synthetische Drogen [in Afghanistan K-Tabletten genannt] gewonnen wird, liegen nicht vor.

Die UNO warnt deshalb, dass das Verbot mangels ausreichender Alternativen Afghanistans schon flächendeckende Armut noch verschärfen und zu sozialen Verwerfungen könnte. Bauern in den Mohnanbaugebieten Südafghanistans gehörten bisher zur politischen Basis der Taleban. Fehlender Marktzugang für andere Agrarprodukte war laut UN einer der Hauptgründe, warum afghanische Bauern überhaupt Schlafmohn anbauten. Vielleicht schaffen die Taleban auch hier aus eigenen Mitteln, was der Westen trotz Milliardeninvestitionen nicht vermochte – wie beim Opiumverbot – obwohl sie seit ihrer Machtübernahme von allen ausländischen Entwicklungsgeldern abgeschnitten sind (siehe hier und hier). Immerhin wurden nach Kriegsende Infrastrukturmaßnahmen deutlich billiger [– weil die Sicherheitskosten dafür wegfielen (die ja größtenteils von den Taleban verursacht worden waren)].

[Bereits Anfang Oktober haben die Taleban die Drogengesetzgebung verschärft. Ihr Oberstes Gericht sandte den Provinzbehörden ein neues Drogenstrafgesetz zu, dem zufolge sowohl Drogenbauern wie Drogenhändlern Haftstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr drohen. Das Gesetz wird bereits über Dorfälteste und Moscheen verbreitet. Laut ihrem Innenministerium verhafteten die Taleban im vergangenen Jahr 5919 Personen wegen Drogenhandels verhaftet, die wegen einer fehlenden gesetzlichen Grundlage noch eine Verurteilung erwarteten. Auch wenn jähe Wendungen nie ausgeschlossen sind: Was nach einer weitgehend kohärenten Politik aussieht, habe auch bestimmte Lücken: Die Taleban bevorzugen laut Mansfield dabei „bestimmte Gruppen“; das bezeuge, dass es auf einer der wichtigsten Exportrouten, die aus Helmand in Richtung Süden nach Pakistan, „als einzige“ keine Kostensteigerung gegeben habe.

Gleichzeitig erhöhe Mansfield zufolge die Preissteigerung bei Rohopium auch den Anreiz für Bauern (besonders jene die die Protektion örtlicher Taleban-Kommandeure genießen), doch Schlafmohn anzubauen. Er verweist vor allem auf die Nordostprovinz Badachschan, weit außerhalb ihrer südafghanischen Hochburgen, wo sich „weder [ihre eigenen] Behörden noch die Bevölkerung“ in diesem Jahr an das Verbot hielten. Dort sieht er sogar das „Risiko gewaltsamen Widerstands“ gegen das Verbot. Auch in Süd-Afghanistan ist das nicht ausgeschlossen.

Mansfield geht trotzdem davon aus, dass die Taleban ihre Verbotspolitik doch durchsetzten, nicht durch „einen einzelnen Verbotsakt, sondern graduell“ und teilweise „heimlich“. Der Lackmustest wird also werden, ob die Taleban das Verbot auch 2024 durchhalten – und ob sie dann auch die Helmand-Route schließen und damit auch ihre Kernklientel „graduell“ ihrem Gesetz unterwerfen. Die Mittel dafür – nämlich die Berufung auf die Scharia – stehen ihnen zur Verfügung.]

Thomas Ruttig

Mohnblüte mit bereits ausgetretenem Opium“harz“. Foto: soziale Medien.