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… auch wenn die Idee – wie schon berichtet – vom Tisch zu sein scheint.

Der gut informierte Blogger Thomas Wiegold (von Augen geradeaus!) wusste schon am 11. November folgendes zu berichten:

Für die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan will die Bundesregierung eine Erhöhung der bisherigen Obergrenze von 850 auf künftig 980 Soldatinnen und Soldaten vorsehen – und damit knapp unter der psychologisch wichtigen Schwelle von 1.000 deutschen Soldaten am Hindukusch bleiben. Auch künftig soll das Mandat für die Beteiligung an der NATO-geführten Resolute Support Mission aber ausschließlich die Beratung afghanischer Sicherheitskräfte erlauben…

Die Erhöhung um 130 Soldaten (faktisch mehr, weil zum Jahresende der Lufttransportstützpunkt in Termes in Usbekistan geschlossen wird und damit Dienstposten frei werden) begründet die Bundesregierung mit zusätzlichen Anforderungen an die Bundeswehr. So … hatte die Luftwaffe bereits CH53-Hubschrauber für die medizinische Evakuierung nach Mazar-e Sharif verlegt, weil Dänemark seine Hubschrauber abgezogen hatte. Weitere Dienstposten sollen eine bessere Beratung als bisher ermöglichen.

Das Mandat wird außer bei der personellen Obergrenze nur in einem weiteren Punkt verändert: Die Beratung für afghanische Einheiten soll künftig auch während deren Operationen möglich sein [und] soll im neuen Mandat nicht mehr auf Besprechungen und ähnliches begrenzt werden. Hintergrund ist die für die Bundeswehr etwas peinliche Situation bei der vorübergehenden Eroberung von Kundus durch die Taliban: Da flogen dann deutsche Soldaten aus Mazar nach Kundus zur Beratung der afghanischen Armeeinheiten ein, und am gleichen Tag wieder aus – denn dann waren Besprechungen und Abstimmungsgespräche ja beendet. Die beratende Unterstützung der Afghanen soll damit auch in der aktuellen Lage am Ort des Geschehens möglich werden, was für andere Nationen ohnehin selbstverständlich ist.

Ansonsten wird es wohl bei dem bisherigen Mandatstext bleiben, und damit sind jegliche Kampfaufträge für die Bundeswehr am Hindukusch weiterhin nicht Teil der vom Parlament gebilligten Aufgabe. Eine Rückkehr zum Partnering wie vor ein paar Jahren, bei dem deutsche Soldaten auch aktiv in Kämpfe eingriffen, ist nicht geplant. Und damit dürfte sich auch die Debatte über eine Bundeswehr-Absicherung von Schutzzonen erledigt haben.

Die Idee von Sicherheitszonen gab es im übrigen schon einmal, und zwar als die Lage bei weitem noch nicht so gefährlich war wie heute. Unmittelbar nach dem Sturz der Taleban 2001 hatten wir bei der UNO vorgeschlagen, die verschiedenen ISAF-Nationen sollten in „ihren“ jeweiligen Provinzen nicht „PRTs“, sondern „PSTs“ bilden – Provincial Security (nicht: Reconstruction) Teams. Diese PSTs sollten den afghanischen Behörden Sicherheit gegen Taleban (damals noch nicht so stark) und ehemalige Mudschahedin (damals die größere Gefahr, weil sie ja entwaffnet werden sollten, was dann nur sehr unzureichend geschah) geben sollten – und sie ansonsten beim Wiederaufbau selbst machen lassen, in Zusammenarbeit mit UN-Agenturen, (zivilen) Regierungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit und NGOs. Die Bundeswehr und andere Militärs hätten nur bei Infrastrukturgroßprojekten mit schwerem Gerät u.ä. helfen sollen.

Stattdessen musste aber gerade die Bundesregierung durchsetzen, die Bundeswehr als „Technisches Hilfswerk in Uniform“ einzusetzen, eine Aufgabe, die gar nicht die ihre ist und zu der sie auch nicht ausgebildet ist, wie schon der Einsatz in Somalia zeigte.

Zudem igelte man sich auf der vermeintlich sicheren Insel Kunduz ein und wollte mit dem „Krieg“ (dessen Existenz man ja im offiziellen Sprachgebrauch abstritt; man erinnere sich an Wortkonstruktionen wie „umgangssprachlich Krieg“ (Guttenberg), die es natürlich im Völkerrecht gar nicht gibt) im übrigen Afghanistan nichts zu tun haben. Bis sich im Mai 2007 auf dem Bazar von Kunduz der erste folgenreiche Anschlag auf Bundeswehrsoldaten (beim Einkauf von Gerät für ihr Lager in Kunduz) ereignete und man langsam begann aufzuwachen.

Zudem war die Bundeswehr nicht einmal in der Lage, sich hinreichend selbst zu schützen und verzichtete deshalb über Jahre weitgehend darauf, ihre Soldaten auf Missionen außerhalb des Lagers im „Feld“ übernachten zu lassen. 2007 gab es deshalb norwegische Vorwürfe, weil deshalb eine Anti-Taleban-Operation abgebrochen werden musste.

Bei lokalen Unruhen in Faizabad im Jahr 2004 zogen sich Bundeswehrsoldaten zurück und überließen örtlichen NGO-Mitarbeitern zumindest vorübergehend ihrem Schicksal.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am 13.9.04:

Hilfsorganisation: Bundeswehr hat Helfer in Feisabad nicht geschützt=   

Kabul (dpa) – Bei den jüngsten Ausschreitungen im nordafghanische nFeisabad hat die Bundeswehr zivile Helfer nach Angaben einer Schweizer Hilfsorganisation nicht vor Randalierern geschützt. Die Soldaten des deutschen Wiederaufbauteams (PRT) hätten Mitarbeiter der Hilfsorganisation Medair «nicht aus dem Mob herausgeholt», sagte Medair-Vertreter Mark Campbell am Montag in Kabul der «Berliner Zeitung». Zwei ausländische Medair-Mitarbeiter seien bei den Unruhen am Dienstag vergangener Woche verletzt worden.

   Nach Informationen der «Berliner Zeitung» zog sich eine deutsche Patrouille auf den Stützpunkt zurück, statt einzugreifen. 25 afghanische Polizisten seien mit dem Mob zurückgeblieben. Die Soldaten hätten ihren eigenen Krankenwagen mitgenommen, berichtet das Blatt, ohne Quellen zu nennen. Campbell sagte, die deutschen Soldaten hätten aber «exzellente medizinische Behandlung» geleistet, als die Verletzten zum PRT-Stützpunkt gebracht worden seien.

Bei den Kabuler Riots 2006 nach einem Unfall eines US-Militärfahrzeugs, bei dem mehrere afghanische Zivilisten überrollt wurden, und gewalttätige, von einem der Regierung nahestehenden Ex-Mudschahedin-Kommandanten aufgewiegelte Demonstranten mehrere NGO-Büros niederbrannten, beantwortete die Bundeswehr nicht einmal Anrufe aus der deutschen Botschaft. (Ich habe damals dort gearbeitet.)

Das ganze heißt in NATO-Sprech „force protection“ – d.h. schützt erst sich und dann, wenn noch Spielraum bleibt, vielleicht auch andere. Das wiederum ist eine völlige Verkehrung des Afghanistan-Einsatzes, der ja den Afghanen Sicherheit bringen sollte. Auch darin liegt eine Ursache der derzeitigen Massenflucht.