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Die afghanischen Taleban haben in einer am Wochenende im Internet veröffentlichten Botschaft „einheimische Geschäftsleute, internationale Nichtregierungsorganisationen, andere Länder und die UNO“ aufgerufen, der von den schweren Schneestürmen und Regenfällen betroffenen Zivilbevölkerung zu helfen. Gleichzeitig befahl die Taleban-Führung allen Kämpfern, den Entwicklungshelfern die „notwendige Sicherheit zu bieten“, berichtete dpa. Die Taleban veröffentlichen in letzter Zeit auch Bilder und berichte von eigenen Hilfslieferungen an notleidende Menschen und von Entwicklungsprojekten zum Beispiel im Straßenbau.

Der Hilfsaufruf ist bereits die zweite ähnlich lautende Botschaft. Im November hatten die Taleban Schutz und Unterstützung für große Entwicklungshilfeprogramme versprochen, nachdem im Distrikt Quschtepe in der Nordprovinz Dschausdschan ein abtrünniger Kommandeur sechs afghanische Mitarbeiter des Internationalen Riten Kreuzes ermordet und zwei weitere entführt hatte.

 

Folgenden kurzen Kommentar von mir dazu veröffentlichte vorgestern (6.3.17) nach einer Email-Anfrage die Katholische Nachrichtenagentur (KNA):

Taleban bitten um Hilfe – Tür zum Dialog?

(mit leichten Korrekturen und Ergänzungen [in eckigen Klammern] – auch das Fragezeichen in der Überschrift habe ich eingefügt, siehe auch den Text unten)

Kabul (KNA) Der deutsche Afghanistan-Experte Thomas Ruttig […] bestätigte am Montag gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Kabul, dass die Taleban in einer am Wochenende im Internet veröffentlichten Botschaft internationale Hilfsorganisationen und Regierungen dazu aufgerufen hätten, den vom harten Winter betroffenen Afghanen zu helfen. Zugleich hätten sie versprochen, die dafür notwendige Sicherheit zu garantieren.

„Ich würde das als positives Zeichen bewerten, das die Tür zu ernsthaften Gesprächen mit den Taliban öffnen könnte“, sagte der Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN). „Es sieht so aus, als ob sich die Taleban ein moderateres Gesicht geben wollen.“ Vor einer Woche hätten sie beispielsweise zum Pflanzen von Bäumen aufgerufen [siehe hier] – ihre Art von islamisch-religiös motiviertem Umweltschutz.

[Die Bemühungen, ihr Image zu verbessern und sich als Parallelregierung zu präsentieren, gelten aber auch der afghanischen Bevölkerung. Das hat mit dem Auftreten neuer bewaffneter Gruppen zu tun, die sich mit dem Islamischen Staat verbündet haben oder ihm nahestehen und dabei weitaus radikaler auftreten als die Taleban. Zudem sehen sich die Taleban weiterhin als die rechtmäßige Regierung, die durch die ausländische Intervention 2001 gestürzt wurde.]

Zudem hätten die Taleban schon vor einigen Jahren ihre Bildungspolitik und ihre Haltung gegenüber NGOs verändert und gemäßigt, fügte Ruttig hinzu. „Das wird übrigens auch dem jetzigen Taleban-Chef Hebatullah Achundsada zu gute gehalten, der daran maßgeblich beteiligt gewesen sein soll.“ Bislang g[a]lten Mitarbeiter internationaler Organisationen als „Kollaborateure“ der verhassten afghanischen Regierung.

[Diese Ansicht haben die Taleban bereits 2012 aufgegeben, jedenfalls was ihre offizielle Politik betrifft; damals strichen sie Paragraphen aus ihrer Layha – einer Art schriftlichem Verhaltenskodex für ihre Kämpfer –, die NGOs und Bildungseinrichtungen pauschal zu Angriffszielen erklärte. Dazu könnte der „humanitäre Dialog“ beigetragen haben, den verschiedene internationale Organisationen mit den Taleban führen, aber auch damalige Annäherungen der Karsai-Regierung, die mit den Taleban ein inoffizielles Abkommen trafen, das staatliche Schulen auch in Taleban-kontrollierten Gebieten am Laufen hielt, allerdings mit Zugeständnissen wie Einfluss der Taleban auf Aspekte des Lehrplans, der Auswahl von Lehren sowie des Zuflusses finanzieller Ressourcen.]

Der Experte warnte zugleich vor zu großem Optimismus: Die Taleban-Führung sei nicht in der Lage, ihre Politik immer und überall umzusetzen. Das bedeute ein Risiko für NGOs, die sich nicht voll auf diese Zusicherungen verlassen könnten. Ruttig verwies auf einen Anschlag von Anfang Februar in der Nordprovinz Jowzjan. Dort habe ein Taleban-Abtrünniger sechs afghanische Rot-Kreuz-Mitarbeiter getötet und zwei weitere entführt. Die Taleban-Führung habe sich davon distanziert und den NGOs erneut Schutz versprochen. Nach wie vor sei jedoch mit Anschlägen auf nicht genehme Organisationen oder auf Medienvertreter zu rechnen. Bei Attentaten würden zudem „Kollateralschäden“ und zivile Opfer in Kauf genommen.

Szene während des Angriffs heute (8.3.17) auf das Kabuler Militärkrankenhaus. Foto: Tolo.

 

[Das kam erneut bei den beiden Angriffen auf Geheimdienst- bzw Polizeieinrichtungen in Kabul am 1.3.17 mit insgesamt 16 Toten sowie heute, bei dem Angriff auf das Sardar-Daud-Militärkrankenhaus in Kabul zum Ausdruck. Dabei sind einem Augenzeugenbericht zufolge, den die BBC zitierte, (http://www.bbc.com/news/world-asia-39202525) mindestens zwei Menschen erschossen sowie 13 Menschen verletzt worden. Die Angreifer, von denen sich mindestens einer mit einem Arztkittel getarnt eingeschlichen hatte, hätten sich im Krankenhaus verschanzt. Eine erste deutschsprachige Zusammenfassung hier bei Spiegel online.

[Update 9.3.17: Inzwischen hat sich der afghanische Ableger des Islamischen Staates – genannt IS-Provinz Chorassan (ISKP) zu dem Anschlag bekannt, während die Taleban sich davon distanziert haben. Laut Guardian kamen 38 Menschen bei dem Angriff ums Leben und über 100 wurden verletzt.]

Bereits 2011 hatten die Taleban für einen Selbstmordanschlag auf das Krankenhaus übernommen, bei dem sich ein Attentäter in der Kantine in die Luft sprengte und mindestens sechs Menschen tötete und 26 weitere verletzte (hier ein BBC-Bericht).]