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Im Januar 2017 zitierte ich einen taz-Artikel, der die Erfahrung vieler afghanischer Asylbewerber und ihrer Unterstützer widerspiegelte: dass sie wegen ihrer von der Bundesregierung behaupteten „schlechten Bleibeperspektive“ vielerorten von Integrations- und Sprachkursen ausgeschlossen worden sind.

Das war allerdings offensichtlich Auslegungsfrage, und mancherorten wurden auch Afghanen für solche Kurse zugelassen. Das links-regierte Land Thüringen z.B. fördert seit 2016 mit eigenen Sprachkursen afghanische Flüchtlinge – “um die Lücke im System des Bundes zu schließen. Diese Eigenleistung war notwendig, um diesen Menschen wenigstens den Einstieg in den Integrationsprozess zu ermöglichen.“

Die taz hatte damals u.a. Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Inte­gration, mit der Aussage „mit Blick auf die Haltung des BMI (Bundesministerium des Innern) bei den Afghanen“ zitiert: „Das bisherige Vorgehen erscheint mir rechtlich zu unbestimmt.“ Matthias Jung, Vorstand des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, sagte: „Wer während des Asylverfahrens vom Sprachkurs ausgeschlossen bleibt, verliert Zeit.“ Weiter hieß es, die Bundesregierung ließe das BMI „die Entwicklung der Gesamtschutzquoten“ prüfen und ggf. Veränderungen bekannt geben. 

Hier den Artikel im ganzen lesen.

Jetzt hat nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 4.7.17 das Bundesarbeitsministerium bekannt gegeben, dass Asylsuchende aus Afghanistan, die noch auf ihren Asylbescheid warten, von sofort an auch offiziell berufsbezogene Sprachkurse belegen, sich bei der Jobsuche fördern lassen oder Hilfen für eine künftige Ausbildung bekommen können.

[Aktualisierung 1 v. 12.7.17:

Sofortweisung der Bundesagentur für Arbeit mit folgendem Wortlaut:

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat entschieden, die in den Zuständigkeitsbereich des BMAS fallenden Integrationsmaßnahmen, die eine gute Bleibeperspektive voraussetzen, für Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Afghanistan für das zweite Halbjahr 2017 zu öffnen.

Damit wird dem genannten Personenkreis der Zugang zu folgenden Integrationsmaßnahmen gewährt:

·         Berufssprachkurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach der Deutschsprachförderverordnung (DeuFöV)

·         Frühzeitiger Zugang zu vermittlungsunterstützenden Leistungen der Arbeitsförderung

·         Ausbildungsbegleitende Hilfen, Assistierte Ausbildung und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen nach drei Monaten gestattetem Aufenthalt

Ebenso besteht im zweiten Halbjahr 2017 für den genannten Personenkreis ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach 15 Monaten gestattetem Aufenthalt im Anschluss an die Grundleistungen zum Asylbewerberleistungsgesetz.                                                                             

Die in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern fallenden Integrationskurse sind hiervon nicht berührt.

Für die berufsbezogene Sprachförderung nach der DeuFöV hat dies zur Folge, dass die Teilnahme an Berufssprachkursen ab dem Sprachniveau B1 ermöglicht wird, auch wenn vorher kein Integrationskurs absolviert wurde.“]

 

Das betrifft aber nicht die Integrationskurse, die nicht in den Verantwortungsbereich des Bundesarbeitsministerium fallen (siehe hier).

Dem vorausgegangen sei, so die SZ weiter, „ein Streit mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über die Frage, von wann an für die afghanischen Asylbewerber Integrationskurse und Hilfen von der Bundesagentur für Arbeit (BA) offenstehen sollen.“ Mit einer Schutzquote von etwa 57 Prozent im zweiten Halbjahr 2016 wären auch Afghanen unter diese Regelung gefallen, aber das Innenministerium argumentierte, dass diese Quote für afghanische Asylbewerber nur deshalb so positiv sei, weil darin viele Altverfahren mit einer besonders hohen Schutzquote enthalten seien und deshalb nicht „den Querschnitt der Antragsteller“ abbilde.

Wozu diese Praxis führte, stellte u.a. der Deutschlandfunk in einem Beitrag über die Praxis in Bayern unter dem Titel „Abschiebung statt Ausbildung: Wie Bayern die eigene Integrationspolitik unterläuft“ dar.

Die SZ berichtete weiter:

Im Arbeitsministerium wird darauf verwiesen, dass es nicht nur für Asylsuchende, sondern auch für die Bürger problematisch sei, wenn Menschen hier leben, „ohne sich richtig verständigen zu können und soziale Teilhabe zu genießen“. Ohne Angebote zum Spracherwerb, zur Integration, zur täglichen Arbeit und einer Perspektive, für sich selbst sorgen zu können, bestehe die Gefahr, dass sich „Parallelstrukturen bilden und die Betroffenen im schlimmsten Fall in die Kriminalität abgleiten“. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass die Afghanen wegen des Abschiebestopps ohnehin länger in Deutschland bleiben. (…)

Die Ministerin hat deshalb veranlasst, dass zumindest in ihrem Zuständigkeitsbereich afghanische Asylbewerber im zweiten Halbjahr 2017 von Integrationsmaßnahmen profitieren können. (…) In einem Schreiben an de Maizière hat Nahles nun angekündigt, „nicht länger wertvolle Zeit ungenutzt“ verstreichen lassen zu wollen.

Die Thüringer Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge, Mirjam Kruppa, fordert nun das Bundesinnenministerium auf, alle Integrationskurse des Bundes für Afghanen zu öffnen

Bildschirmfoto der NDR-Serie über einen abgelehnten afghanischen Asylbewerber, der Alzheimer-Patienten betreut.

 

[Aktualisierung 2 v. 12.7.17:

BMI zur Bleibeperspektive der Afghanen v. 20.4.2017 (hier, Frage26).
Was hat die Prüfung erbracht (vgl. Plenarprotokoll 18/214 vom 25. Januar 2017, S. 21451, Anlage 13), ob afghanische Asylsuchende einen Zugang zu Integrationskursen erhalten können, und falls diese Entscheidung immer noch nicht getroffen wurde, woran liegt das?
Der Zugang zu den Integrationskursen bereits im Asylverfahren steht seit dem Asylpaket I (Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz) u. a. Ausländern offen, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (§ 44 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG). In der Gesetzesbegründung wurde hierzu ausgeführt: Erfasst sind von Nummer 1 Asylbewerber, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht. Ob dies bei Asylsuchenden aus Afghanistan der Fall ist, wird geprüft.
Diese Prüfung dauert wegen der sich dynamisch entwickelnden Gesamtschutzquote noch an.]

 

Wie der Alltag eines abgelehnten afghanischen Asylbewerbers aussieht und welchem Druck solche Menschen unterliegen – darüber berichtet der NDR in einer Serie über einen jungen Kabuli, der nach Hamburg geflüchtet war, seit dem Sommer 2015, hier:

Aus der letzten Folge vom 14.6.17:

Mitte Januar, vor fast fünf Monaten, wurde Nazims Asylantrag abgelehnt. Zur Begründung hieß es damals, es gebe für ihn in Kabul keine konkrete Bedrohung. Nazims Argument, dass die Arbeit seiner Brüder bei der Polizei die Familie zur Zielscheibe der Taliban macht, ließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht gelten. Wie hoffnungslos Nazims Situation in Deutschland eigentlich aussieht, versucht der Junge im Alltag zu verdrängen.

Derzeit arbeitet er. Das Praktikum als Pflegehelfer im Pflegeheim Gast- und Krankenhaus in Hamburg macht ihm Spaß, sagt er auf Deutsch. (…) Dort hilft er Demenzkranken beim Essen, wäscht und pflegt sie. (…) Er gilt als fleißig und ist bei allen beliebt. „Nazim ist ein sehr ruhiger Mensch, der sehr höflich und sehr respektvoll mit den Bewohnern umgeht, und ich denke mal – Mitarbeiter spüren ja auch, ob es jemand ehrlich meint. Empathie hat er, und er wäre für den Beruf definitiv geeignet.“ Nazim hofft auf eine Ausbildung. Damit dürfte er in Deutschland bleiben. Doch derzeit ist seine Zukunft noch ungewiss, die Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags ist noch nicht entschieden. (…)

Eine Ausbildung bleibt die große Hoffnung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Nazim im kommenden Jahr seinen Schulabschluss schafft – und dass er nicht doch noch vorher abgeschoben wird.