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Auch wenn die Bundesregierung die Direktabschiebungen nach Afghanistan zeitweise ausgesetzt hat, und das BAMF seine Entscheidungen über afghanische Asylanträge (in beiden Fällen unklar, für wie lange, siehe hier und hier) – Abschiebungen aus europäischen Ländern gehen weiter.

Nach Angaben des Kabuler Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden zwischen Oktober 2016 und April 2017 zwölf Abschiebeflüge mit insgesamt 176 abgelehnten afghanischen Asylbewerbern durchgeführt (siehe Tabelle unten, Quelle: AAN). Inzwischen sind noch mehr Flüge dazu gekommen – siehe unten.

 

Arrival Date Country # of Returnees
1 13-Dec-16 SWEDEN 13
2 15-Dec-16 GERMANY 34
3 28-Dec-16 FINLAND 3
4 24-Jan-17 GERMANY 25
5 23-Feb-17 GERMANY 18
6 25-Feb-17 FINLAND 3
7 1-Mar-17 DENMARK 12
8 28-Mar-17 GERMANY 15
9 29-Mar-17 AUSTRIA 19
10 29-Mar-17 SWEDEN 10
11 4-Apr-17 FINLAND 10
12 25-Apr-17 GERMANY 14
Total number of deportees during the period 13 Dec 2016 to 1 May 2017 176
Number of Afghan Deportees – IOM data
Returning From 2003-2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Grand Total
Australia 2 3 4 1 10
Belgium 1 9 11 2 2 3 28
Denmark 62 7 69
Finland 3 3
France 39 39
Germany 224 1 34 259
Indonesia 1 1
Netherlands 71 6 78 61 14 2 232
Norway 284 41 74 196 250 437 88 12 1,382
Oman 466 466
Portugal 1 1
Sweden 4 5 74 94 26 26 229
Switzerland 1 1
UK 2,989 733 1,023 527 513 404 89 87 6,365
Grand Total 4,143 781 1,103 817 909 954 212 166 9,085

Quelle: IOM Kabul

 

Seither hat es folgende Abschiebeflüge gegeben (obwohl nicht klar ist, ob das alle sind):

Am 30.5.17 fand ein gemeinsamer schwedisch-österreichischer Flug statt, mit 20 aus Schweden (siehe hier und hier) sowie 17 aus Österreich abgeschobenen Afghanen (siehe hier). Nach einem österreichischen Presseartikel hat das Land 2017 insgesamt 37 Afghanen in den Herkunftsstaat abgeschoben (Stand: 2.6.17). Es könnte also sein, dass in diesem Zeitraum noch ein einzelner Afghane abgeschoben wurde (Flug 29.3., siehe Tabelle oben, mit 19 + Flug 30.5. mit 17 nur = 36).

Dazu kam einem weiteren Pressebericht zufolge am 5.7. ein weiterer einzelner afghanischer Asylbewerber namens Ahmad S.. Ihm wurde wenige Tage nach seiner Zwangsrückkehr gegen diese vom Bundesverwaltungsgericht in Wien aufschiebende Wirkung gewährt (siehe auch der Bericht über einen ähnlichen finnischen Fall unten). Der Bericht zitiert Herbert Langthaler vom NGO-Zusammenschluss Asylkoordination, dass Wien keine Gruppenabschiebungen nach Afghanistan mehr durchführe, stattdessen werde einzeln rückgeführt.

Frankreich hat möglicherweise um den bzw ab dem 20.6.17 einen oder mehrere Abschiebeflüge durchgeführt. Das hatten Flüchtlingsunterstützer vorab bekannt gegeben. Ob es wirklich zu (allen) diesen Flügen kam, ist unklar.

Am 23.6.17 konnte die geplante Abschiebung eines Mannes aus Frankreich nicht durchgeführt werden, nachdem er (er war schon an Bord, gefesselt und mit einer Augenmaske) anfing zu schreien und Passagiere protestierten (Bericht hier). Zuvor hatte es am Flughafen schon Protest gegeben. Er wurde wieder von Bord und in Abschiebehaft gebracht, von wor er aber offenbar entlassen werden musste, das die Frist, wie lange er festgehalten werden konnte (45 Tage) abgelaufen gewesen sei. Offenbar war das schon der zweite gescheiterte Abschiebeversuch bei diesem Afghanen.

Aus dem gleichen Bericht der Unterstützer geht hervor, dass ein weiterer Afghane, der an diesem Tag abgeschoben werden sollte, einen Selbstmordversuch unternommen habe.

Berichtet wurde weiterhin, dass Anfang Juli eine Abschiebung eines Afghanen aus Frankreich, Vater eines achtmonatigen Kindes, der von seiner iranischen Frau und dem Kind getrennt werden sollte, durch Petition verhindert wurde (siehe hier). Mehr Hintergrund zu dem Fall hier.

Am 4.7.17 schob Finnland, wie auch schon bisher, per Charterflug einen(!) Afghanen nach Kabul ab. Zuvor kam es zu Protesten am Flughafen (siehe hier) – und die Umstände waren mehr als problematisch (siehe Artikelübersetzung unten).

Am 10.7.17 verhinderte dänischen Medienberichten zufolge (zit. hier) ein Passagier, dass ein 20-jähriger Afghane vom Kopenhagener Flughafen Kastrup aus mit einem Linienflug der Turkish Airlines nach Istanbul abgeschoben wurde. Zuvor hatte eine Gruppe, die sich die Freunde Ruhollas nennt (so heißt der Betroffene mit Vornamen), am Flughafen auf die Aktion aufmerksam gemacht und friedlich in der Abflughalle demonstriert. Einige der Passagiere hätten sich über den Anlass der Demo informiert und ein türkischer Passagier habe versprochen, dass er sich persönlich im Flieger einen Eindruck verschaffen wolle. Der türkische Mitreisende, berichtet Politiken, habe sich an den Kapitän gewandt und gesagt, dass er nicht in einem Flugzeug reisen wolle, in dem eine Person deportiert wird. Kurze Zeit später, berichtet eine der Demonstrierenden dem Blatt, sei der Afghane wieder aus dem Flugzeug abgeführt worden. Der junge Afghane sitze nun wieder in Abschiebehaft. Die Aktivisten wollen den Fall jetzt juristisch erneut aufrollen und vor dem Menschenrechtskomitee der UN klagen.

Auf der Facebook-Seite des Afghan Refugees Movement sollen Videos von Abschiebungen auch aus den Niederlanden und Großbritannien zu finden sei. (Ich bin nicht auf Facebook; vielleicht kann ein*e Leser*in ja aushelfen und das auswerten…)

 

Geplante Abschiebungen und Dublin-Fälle

Einem weiteren abgelehnten afghanischen Asylbewerber in Österreich, Bahar Z. (29), wurde ebenfalls sein Abschiebetermin mitgeteilt – der 15.7.17 (also heute). Dem Vernehmen nach soll auch Z. in einer Linienmaschine nach Kabul gebracht werden. Auch im Fall Bahar Z. seien noch Beschwerden offen (mehr Informationen zu diesem Fall hier).

Auch Schweden plant offenbar (wenn ich das im Schwedischen richtig verstanden habe – siehe hier) einen weiteren Abschiebeflug für den 15.7.17.

Trotz des Abschiebestopps hat Deutschland in diesem Jahr am meisten Afghanen nach Afghanistan abgeschoben: Die Zahl stieg von 8 (2013) auf je 9 (2014 und 2015) auf 67 (2016) und 72 in den ersten vier Monaten des Jahres 2017 (Quelle: dpa 22.5.17, hier).

Dpa spricht in einem aktuelleren Bericht auf Grundlage einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage aus der Bundestagsfraktion der Grünen, dass mit Stand Ende Mai 670 Afghanen „aus freien Stücken“ über ein staatliches Förderprogramm in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Diese Zahl ist damit im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen (2014: 101; 2015: 309; 2016: 3323).

In Bayern wehren sich unterdessen zwei Afghanen, die gerade in Hof und Nürnberg leben, gegen ihre Abschiebung. Sie haben im Landtag Petitionen eingericht und bekommen große Rückendeckung aus der Bevölkerung, berichtete der Bayerische Rundfunk am 12.7.17.

Inzwischen hat sich der deutsche Caritas-Verband in einer offiziellen Stellungnahme gegen Rückführungen nach Afghanistan ausgesprochen, hier im Wortlaut:

20170706Caritas-Position Rückführungen nach Afghanistan

 

Gleichzeitig hat Deutschland wieder die Abschiebung sogenannter afghanischer „Dublin-Fälle“ – also in EU- und andere europäische Länder, in denen die Asylbewerber zuerst eingereist waren – aufgenommen (Fälle siehe schon hier). Der Tagesspiegel vom 30.6.17 zitierte das Bundesinnenministeriums, demzufolge 2017 bisher 182 Afghanen an andere europäische Staaten rücküberstellt wurden. Darunter seien „alle EU-Staaten, die nach Afghanistan abschieben, und Norwegen. 41 Afghanen wurden allein in die skandinavischen EU-Mitglieder zurückgeschickt, 56 nach Norwegen“ und fünf nach Österreich.

Unter den nach Norwegen Zurückgeschobenen seien u.a. Afghanen aus Mecklenburg-Vorpommern, teilen Flüchtlingsaktivisten aus diesem Bundesland mit (hier); einige von ihnen sollen demzufolge bereit weiter nach Afghanistan abgeschoben worden sein. (Zahlen über Abschiebungen aus Norwegen liegen mir nicht vor.)

Aus Österreich wurden in den ersten sechs Monaten 2017 dem o.z. Medienbericht zufolge bereits 457 Afghanen außer Landes gebracht, davon 304 zwangsweise (das schließt Abschiebungen direkt in den Herkunftsstaat und „Dublin-Fälle“ ein) und 153 „freiwillig“. (Bis einschließlich April waren es 37 nach Afghanistan und 168, die gemäß Dublin-Regeln innerhalb Europas (wohl v.a. nach Italien, Bulgarien und einige westeuropäische Länder) überstellt wurden, also insgesamt 205). Jetzt wurde nicht mehr nach Direktabschiebungen und Dublin-Fällen differenziert.

 

 

Und hier der von mir übersetzte Artikel aus einer finnischen Zeitung zu der o.g. Einzelabschiebung:

Flüchtling Stunden vor Gerichtsentscheidung abgeschoben, die den Beschluss suspendiert 

Daily Finland, 7.7.17

Ein Asylbewerber im Teenager-Alter aus Afghanistan wurde am Dienstag aus Finnland nur Stunden vor einem Gerichtsbeschluss abgeschoben, der die Abschiebeorder suspendierte, berichtete der staatliche Fernsehsender Yle am Donnerstag.

Das Berufungsgericht in Turku gestattete es dem 19-jährigen Asylbewerber Zaki Hussaini, wegen seines Antrags auf Arbeitserlaubnis in Finnland zu bleiben, aber die Vollzugsbehörden hatten die Abschiebung zu diesem Zeitpunkt bereits durchgeführt. Die Polizei nahm ihn am Sonntag an seinem Wohnort in Loimaa, einer Stadt in Südwest-Finnland, fest und setzte ihn am frühen Dienstag morgen auf einem Flug nach Afghanistan, nachdem sein Asylantrag zum zweiten Mal abgewiesen worden war. 

Das Berufungsgericht in Turku erließ allerdings ein paar Stunden nach der Abschiebung eine Anordnung, die Abschiebung zu suspendieren, da er auf der Basis einer Anstellung um eine Aufenthaltserlaubnis nachgesucht habe. Obwohl das Arbeitsamt seinen Antrag im Juni bewilligt hatte, stand die Enscheidung der Einwanderungsbehörde noch aus, Hussaini eine Arbeitserlaubnis zu gewähren, so der Yle-Bericht.

Als das Gericht entschied, dass es ihm gestatte werden solle, in Finnland zu bleiben, um die Entscheidung abzuwarten, war er schon in Kabul.

Jetzt ist seine Rückkehr in Finland, um seinen Job anzutreten, unwahrscheinlich, da er [durch die Abschiebung] einen zweijährige [Einreise-]Sperre für das Schengen-Gebiet hat.

Polizei und Einwanderungsbehörde behaupten jedoch, dass sie der Standardprozedur gefolgt seien. „Die Polizei hat sich an das Gesetz gehalten,” sagte Marko Heikkilä von der Immigrationsmonitoring-Einheit der südwestfinnischen Polizei gegenüber Yle. Der Antrag auf Aussetzung der Abschiebeorder war jedoch eingereicht worden, bevor der Flug Helsinki verließ.

Liisa Lintuluoto von der Polizei in Helsinki sagte Yle, dass man von Beamten nicht erwarten könne, mit gerichtlichen Schritten mitzuhalten, die „in der letzten Minute“ eingeleitet würden.

Obwohl sie es ablehnte, individuelle Fälle zu diskutieren, sagte Lintuluoto, dass Hussainis Fallgeschichte eine Rolle bei der Entscheidung der Polizei gespielt haben könnte, ihn abzuschieben. „Wenn es Fälle gib, in denen es bereits mehrere frühere negative Bescheide gegeben hat, und die Umsetzung der Abschiebung nicht ausgesetzt worden ist, wird die Polizei nicht warten, was diesmal die Entscheidung sein wird,” sagte Lintuluoto gegenüber Yle.

Auch wenn das Arbeitsamt eine positive Entscheidung getroffen hat, bedeutet das nicht, dass [der Betroffene] eine Aufenthaltserlaubis habe, da die Einwanderungsbehörde, die die abschließende Entscheisung trifft, den Antrag noch nicht behandelt habe.

Marjaana Laine vom Flüchtlingsberatungszentrum sagte Yle, dass es nicht unüblich sei, dass Abschiebebescheide in der letzten Minute ungültig erklärt würden — oder [machmal] sogar etwas zu spät. “Unseer Erfahruncg ist es, dass es jetzt mehr solche Fälle gibt als früher,” sagte Laine gegenüber Yle. Laine bezeichnete die schlechte Kommunikation zwischen Asylbewerbern, Gerichten, der Polizei und Anwälten als problematisch.