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[Aktualisiert 27.3.18, 11.15 Uhr:

Wie dpa gerade meldete, sind zehn Passagiere auf dem heute in Kabul eingetroffenen Abschiebeflug gewesen, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mitteilte. Damit erhöht sich die Zahl der nach Afghanistan abgeschobenen abgelehnten afghanischen Asylbewerber nach elf Sammelabschiebungen seit Dezember 2016 auf insgesamt 198 Männer. Laut Bundesinnenministerium hatten sich an der Maßnahme fünf Bundesländer beteiligt. Vier Passagiere kamen demnach aus Bayern, zwei aus Baden-Württemberg, zwei aus Hamburg, einer aus Rheinland-Pfalz und einer aus Mecklenburg-Vorpommern.]

[Aktualisiert 27.3.18, 12.55 Uhr: Laut Bundesinnenministerium handelte es sich in sieben Fällen um Straftäter. Die drei weiteren Abgeschobenen galten als sogenannte Identitätstäuscher (Quelle hier).]

Heute morgen (am 27.3.2018) ist in Kabul der erste Abschiebeflug unter der neuen GroKo, dem vierten Kabinett Merkel, und dem neuen Innen- und Heimatminister Horst Seehofer eingetroffen. Abflug war vom Flughafen Leipzig-Halle. Der Flug sei dpa zufolge gegen 8.00 Uhr (Ortszeit) in Kabul eingetroffen, wie ein Vertreter einer mit den Abschiebungen befassten Organisation am Flughafen bestätigt habe. Wie viele Passagiere an Bord waren, sei zunächst nicht unmittelbar klar geworden. Zahlen waren bei vorangegangenen Flügen immer stets sofort bekannt gegeben worden, meist zunächst aus Bayern.

Vorab hatte Stephan Dünnwald, Sprecher des bayerische Flüchtlingsrats, mitgeteilt, er wisse bisher von drei Abschiebekandidaten aus Bayern, zwei aus Baden-Württemberg und einem aus Rheinland-Pfalz. Nach MDR-Informationen schiebt Sachsen niemanden ab. Auf Twitter hieß es weiter: »Der Bayerische Flüchtlingsrat hat Informationen zu drei Personen aus Bayern, die für die Abschiebung heute Abend ab Flughafen Leipzig-Halle vorgesehen sind. Keiner dieser drei hat Straftaten begangen, keiner ist Gefährder.« Dies lässt erneut Zweifel daran aufkommen, ob die Bundesregierung  tatsächlich „nur“ sogenannte Gefährder, Straftäter und sogenannte Mitwirkungsverweigerer bei der Identitätsfeststellung – eine sehr schwammige Kategorie – abschiebt.

Es handelt sich bereits um den elften Abschiebeflug seit Unterzeichnung des »Joint Way Forward«-Abkommens zwischen der EU und Afghanistan im Oktober 2016, mit dem Ziel Abschiebungen nach Afghanistan zu erleichtern, und seit Wiederaufnahme der Abschiebepraxis durch Deutschland im Dezember 2016.

Die heutige Abschiebung ab Leipzig/Halle ist laut Sächsischem Flüchtlingsrat die zweite, die von dort vollzogen wird. Bisher wurden zwei Personen aus Sachsen und drei Personen aus Sachsen-Anhalt nach Afghanistan abgeschoben. Beide Bundesländer beteiligten sich heute aber nicht.

 

Hier die ganze Pressemeldung:

Bayern schickt wieder „hartnäckige Identitätsverweigerer“ nach Afghanistan

Auf dem für heute angesetzten Abschiebeflug nach Kabul werden wieder mehrere Afghanen aus Bayern sein, die unter dem zweifelhaften Label der „hartnäckigen Identitätsverweigerung“ laufen. Während diese Kategorie in anderen Bundesländern keine Rolle spielt, dehnt die bayerische Regierung den Begriff der Identitätsverweigerung weit aus.

So ist heute wohl wieder ein Flüchtling auf dem Flug, dessen Tazkira (afghanisches Identitätspapier) gerade auf dem Weg von Kabul nach Deutschland ist. Vor 14 Tagen wurde die Zentrale Ausländerbehörde darüber informiert, und es liegt ihr auch eine Kopie dieser Tazkira vor. Wenn die Tazkira also in Deutschland ankommt, ist ihr Besitzer schon auf dem Rückflug nach Kabul. Ganz sicher ist noch nicht, dass Herr D abgeschoben wird, es laufen noch Rechtsmittel gegen die Ausländerbehörde.

Der Bayerische Flüchtlingsrat hat Informationen zu zwei weiteren Personen aus Bayern, die für die Abschiebung heute Abend ab Flughafen Leipzig-Halle vorgesehen sind. Keiner dieser drei hat Straftaten begangen, keiner ist Gefährder. Zudem geht der Bayerische Flüchtlingsrat davon aus, dass Bayern wieder mehrere Personen aus Strafhaft oder Untersuchungshaft zur Abschiebung bringen wird.

Im Fall von Herrn M aus Oberfranken hatte das Amtsgericht Lichtenfels am vergangenen Donnerstag die Haft als unrechtmäßig erklärt und aufgehoben. Die Bediensteten der Abschiebehaft Eichstätt hielten Herrn M. jedoch mehr als zwei Stunden fest. Der Anwalt, der nach Eichstätt gefahren war um seinen Mandanten abzuholen, wurde vertröstet. In der Zwischenzeit organisierte die Ausländerbehörde einen neuen Haftbeschluss. Als die JVA Eichstätt den Flüchtling endlich gehen ließ, kam eine Polizeistreife, verhaftete den Afghanen und brachte ihn zurück in die Abschiebehaft. Der Anwalt hat inzwischen Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung gegen die Bediensteten der JVA Eichstätt gestellt.

„Die unbedingte Vollstreckung der Abschiebung nach Afghanistan ist ein zynisches Spiel mit Menschenleben. Kabul wird als ausreichend sicher deklariert, auch wenn die Hauptstadt inzwischen zu den gefährlichsten Gebieten in Afghanistan gehört. Die Fiktion „sicherer Gebiete“ wird auch von der neuen Bundesregierung aufrechterhalten, gleichzeitig weigert man sich, eine aktuelle Lagebewertung vorzunehmen“, kritisiert Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats.

„Bayerns Behörden haben sich der Durchsetzung von Abschiebungen mit besonderem Furor verschrieben. Rechtsmissbrauch wird dabei kalkuliert in Kauf genommen. Eines Rechtsstaats ist dieses Behördenhandeln nicht würdig. “

Baden Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz werden vermutlich Afghanen zur Abschiebung bringen.

In mehreren bayerischen Städten, darunter München, Nürnberg, Augsburg, Würzburg und Bamberg, finden heute Demonstrationen oder Mahnwachen gegen die Abschiebungen nach Afghanistan statt. 

 

Das Verhalten der Bundesregierung sei vollkommen absurd, kritisierte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl: »Die Lage in Afghanistan ist derart dramatisch, dass der Militäreinsatz der Bundeswehr aufgestockt wird und gleichzeitig wird weiter ins Krisengebiet abgeschoben«. Das Auswärtige Amt (AA) müsse den seit Monaten überfälligen »Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage« für Afghanistan endlich vorlegen, so Pro Asyl weiter. Dass das AA nicht in der Lage sein soll, einen faktenorientierten Lagebericht zu veröffentlichen, sei inakzeptabel, zumal aufgrund eines Perspektivberichts der Bundesregierung die Aufstockung und Verlängerung des Bundeswehrmandats beschlossen wurde. »Es ist skandalös, dass unter der Fiktion, es gebe sichere Gebiete, Menschen abgeschoben und zuvor im Bundesamt auf Basis einer veralteten Lageeinschätzung abgelehnt werden«, beklagte Burkhardt. »Das AA kann nicht im Land rumreisen, aber Flüchtlinge sollen in der Lage sein, eine »inländische Fluchtalternative« zu erreichen – und wo diese liegt und ob sie dauerhaft sicher ist, kann niemand sagen.«

Der bayerische Flüchtlingsrat hatte schon vor einigen Tagen auch das Datum der neuen Abschiebung mitgeteilt, nachdem bekannt geworden war, dass in diesem Bundesland der erste Abschiebekandidat in Abschiebehaft genommen worden war. Die Ankunft war vorab auch vom Flüchtlingsministerium in Kabul bestätigt worden. Aber ich konnte das diesmal nicht eher melden, das mich wegen einer Konferenz hinter der Großen Chinesischen Firewall befand, wo auch mein Blog-Programm WordPress nicht zugelassen ist. Deshalb hier eine erste schnelle Zusammenfassung des Geschehens.

(Ich werde diesen Blogeintrag laufend nach Meldungslage aktualisieren – also bitte immer mal wieder reinlesen.)

Hier zum Thema eine Karikatur von Klaus Stuttmann.

Neue Anschlagsserie

Unterdessen verdeutlichten vier Anschläge in den fünf ersten Tagen nach Beginn des afghanischen Neuen Jahrs am 21.3.2018, dass die Unsicherheit immer noch auf sehr hohem Niveau liegt. Direkt am Neujahrstag tötete ein Selbstmordattentäter in der Nähe des Sakhi-Schreins, des schiitischen Hauptschreins in Kabul nahe der Universität, nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums 32 Menschen und verletzte über 50. Darunter seien zahlreiche Frauen und Kinder. D.h. er gelangte noch nicht einmal in die unmittelbare Nähe des Schreins, der zum Naurusfest von Menschenmengen umringt ist, weil dort die Dschanda – eine Standarte zum neuen Jahr – aufgezogen wird. Die Explosion ereignete sich nach dieser Zeremonie, als viele Menschen auf dem Heimweg waren. Der Attentäter sprengte sich Berichten zufolge mit einer Sprengstoffweste vor dem Aliabad-Krankenhaus in die Luft, nach dem er Augenzeugen zufolge mit einem Motorrad in die Menge gefahren war. Anderen Berichten zufolge war er zu Fuß.

Der örtliche Ableger des „Islamischen Staat“ hat den Anschlag über die IS-Nachrichtenagentur Amaq für sich reklamiert. Er erklärte spezifisch, dass dieser gegen die schiitische Bevölkerungsgruppe gerichtet gewesen sei. Die Taleban erklärten, sie hätten den Anschlag nicht verübt. Laut AFP handelt es sich um fünften Selbstmordanschlag in Kabul innerhalb weniger Wochen. Der IS griff den selben Schrein bereits im Oktober 2016 zum Aschura-Fest an und töteten 18 Menschen.

Zwei Tage später, am 23.3.18, tötete eine Autobombe afghanischen Medien zufolge vor dem Ghazi-Muhammad-Ayub-Khan-Stadion in Laschkargah, der Hauptstadt der Südprovinz Helmand, mindestens 16 Menschen und verletzte 52 weitere. Die Menschen waren dabei, nach einem Ringkampf die Sportanlage verlassen. Auch hier hat der Attentäter offenbar versucht, direkt in das Stadion zu gelangen, war aber von zwei Polizisten aufgehalten worden, die durch die Explosion ums Leben kamen.

Weder die Taleban noch IS übernahmen die Verantwortung für den Anschlag. Bereits am 25.2.2018 waren dort bei zwei Anschlägen mit Autobomben auf ein Armeecamp und eine Geheimdiensteinrichtung sechs Menschen ums Leben gekommen.

Laschkargah war in den beiden vergangenen Jahren immer wieder Ziel von Anschlägen geworden; die Taleban hatten sich der Stadt genähert, offenbar in der Absicht, sie einzunehmen, waren in den letzten Monaten aber teilweise wieder zurückgedrängt worden. Sie kontrollieren weiterhin große Teile der Provinz.

Einen weiteren Tag später, am 24.3.18, wurden in Kabul durch eine Magnetmine (die möglicherweise an ein nahes Fahrzeug angebracht worden war) ein Mensch getötet und drei weitere verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen eine Gruppe von Protestierern, die auf der Kabuler Festwiese Tschaman-e Husuri nahe dem Nationalstadium in Solidarität mit friedlichen Paschtunen-Protesten im Nachbarland Pakistan ein Zelt aufgeschlagen und eine Mahnwache eingerichtet hatten. Auch hier gab es keine Bekennererklärung.

Noch einmal einen Tag später sprengte sich ein Attentäter nahe einer schiitischen Moschee im westafghanischen Herat in die Luft und tötete drei und verletzte neun Menschen. Augenzeugen zufolge (https://ariananews.af/at-least-12-killed-wounded-in-herat-mosque-explosion/) hatten zwei Attentäter versucht, in die Moschee zu gelangen, wurden aber aufgehalten. Einer der beiden löste dann den Sprengsatz aus, der zweite wurde erschossen. Zu dem Anschlag bekannte sich erneut der IS.

Gleichzeitig wurden schwere Kämpfe aus der Südprovinz Urusgan gemeldet, bei denen sowohl die afghanische Armee als auch die Taleban schwere Verluste erlitten. Die Aufständischen hatten Polizeiposten im Distrikt Tschora angegriffen. Dies folgt auf eine Serie von Luftschlägen der afghanischen Luftstreitkräfte gegen die Taleban in demselben Gebiet sowie im Distrikt Chas Urusgan.

Schon im Januar hatten die Taleban das Distriktzentrum von Tschinartu angegriffen, konnten es nicht einnehmen, setzten sich aber in der Nähe fest. Im November hatten sie trotz des Winters, in dem die Kämpfe gewöhnlich abflauen, das gleiche in Tschora, Tschartschino und Gizab sowie in der Provinzhauptstadt Tirinkot versucht.

Proteste in Afghanistan

Nach dem Anschlag in Laschkargah errichteten örtliche Jugendliche dort ein Protestzelt und forderten die Taleban auf, das jüngste Verhandlungsangebot der afghanische Regierung anzunehmen.

Ebenfalls in Helmand beschwerte sich der Leiter des örtlichen Bildungswesens dass afghanische Streitkräfte 20 Schulgebäude besetzt hätten und diese als Stützpunkte benutzten. Vor kurzem habe das afghanische Militär das Distriktgymnasium von Nad Ali nach anderthalb Jahren zurückgegeben. (Die Taleban waren in dem Distrikt zurückgedrängt worden, nachdem sie dort über längere Zeit die Regierungstruppen belagert hatten.) Dabei seien die meisten Dokumente der Schule zerstört und das Gebäude beschädigt worden; die Schüler hätten woanders den Unterricht besuchen müssen. Von den etwa 400 Schulen der Provinz seien 102 geschlossen, wodurch 165.000 Schüler, davon 23.000 Mädchen, keinen Unterricht hätten.

Unter ähnlichen Umständen sind in der Provinz Sabul, ebenfalls im Landessüden, über die Hälfte aller Schulen geschlossen. In den weitgehend von den Taleban kontrollierten Distrikten Daitschopan, Atghar, Chak-e Afghan und Naubahar existierten überhaupt keine Schulen.