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Erst bewegt sich lange nichts, dann geht es wieder ganz schnell, und zwar im Zick-Zack-Kurs. Hier also schon eine Aktualisierung meines vorigen Textes hier auf Afghanistan Zhaghdablai – seit gestern nachmittag etwas kürzer auch bei der online-taz und noch ein bisschen kürzer in der Druckausgabe.

Von der Regierung freigelassene Taleban. Foto: Tolonews.

Frieden in Afghanistan: Dämpfer statt Durchbruch

Zum islamischen Opferfest gibt es in Afghanistan einen kurzen Waffenstillstand, aber auch wieder Kontroversen über einen Gefangenenaustausch

Während des am Freitag begonnenen, dreitägigen islamischen Opferfests Id al-Azha gehen die Menschen in Afghanistan wieder einmal durch ein Wechselbad der Gefühl. Bei der Suche nach einer Verhandlungslösung für den Krieg in dem mittelasiatischen Land gab es in den beiden letzten Tagen erst Hoffnung auf einen Durchbruch. Es schien, dass schon in der kommenden Woche direkte Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den aufständischen Taleban beginnen könnten. Dann goss Präsident Aschraf Ghani kaltes Wasser auf diese Hoffnungen.

In einer Freitag früh veröffentlichten Feiertagsbotschaft an die Bevölkerung (hier der Text auf Englisch) erklärte er, dass er die Freilassung weiterer 500 gefangener Taleban-Kämpfer angeordnete habe. Damit erfüllt er formal die Verpflichtung, insgesamt 5000 Aufständische aus der Haft zu befreien, als vertrauensbildende Maßnahme für den Beginn von Friedensgesprächen. Diese Verpflichtung war die US-Regierung in ihrem Abkommen mit den Taleban vom Februar in seinem Namen eingegangen. Die Ghani-Regierung war an diesem Abkommen nicht direkt beteiligt, aber konsultiert worden. Die Taleban sollten im Gegenzug 1000 gefangene Soldaten, Polizisten und Angestellte der Regierung freilassen. Sie ließen am Donnerstag verlauten, dass sie weitere 82 Gefangene nach Hause geschickt, damit eine Gesamtzahl von 1005 erreicht und damit ihre Verpflichtung eingehalten hätten.

Der Haken ist: Die Taleban hatten Kabul eine Namensliste derjenigen Gefangenen zukommen lassen, deren Freilassung sie verlangen. Darunter waren 597 Personen, die wegen Verbrechen wie Mord verurteilt worden waren, etwa 200 davon wegen Anschlägen, unter anderem auch auf ausländische Einrichtungen, zum Tode. Zu letzteren gehören etwa Anas Haqqani, Bruder des Chefs eines wichtigen Taleban-Netzwerkes und einer der wichtigsten Finanzbeschaffer der Organisation, sowie ein gewissen Lailullah (nur ein Name), der den schweren Anschlag im Mai 2017 in der Nähe der deutschen Botschaft in Kabul organisiert haben soll. Dabei tötete eine LKW-Bombe bis zu 200 Menschen, alles Afghanen. Die genaue Zahl der Opfer wurde nie bekannt, da die Wucht der Explosion so stark war, dass etwa von Wachpersonal vor der Botschaft keinerlei Überreste mehr gefunden werden konnten und vor allem Passanten betroffen waren. Deutsche Opfer soll es nicht gegeben haben, aber die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genutzte Botschaftskanzlei, ein dreistöckiger Block, wurde zerstört.

Eine mögliche Freilassung der 597 stieß in Teilen der afghanischen Öffentlichkeit auf heftige Ablehnung. Kabul wurde in dieser Haltung auch von europäischen Regierungen unterstützt. Nun kündigte Ghani an, über das Schicksal dieser Gruppe solle eine sogenannte konsultative Loja Dschirga (mehr zu diesen Begriffen hier bei AAN) befinden, eine traditionelle Zusammenkunft von Führern der ethnischen, sozialen und politischen Gruppen des Landes. Dies zu organisieren könnte Monate dauern und, wenn die Taliban auf ihrer Namensliste beharren, den Beginn von Gesprächen weiter verzögern.

Die Taleban haben bisher noch nicht offiziell reagiert, es hieß aber aus diplomatischen (pakistanischen?) Kreisen, dass sie auf der Freilassung der 400 bestünden. Reuters berichtete inzwischen, US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad habe vorgeschlagen, die umstrittene Gruppe sollten aus dem gefängnis, aber in Hausarrest kommen.

Die Regierung hält nach Schätzungen afghanischer Menschenrechtler insgesamt 10-15.000 Taleban fest; die Zahl der Gefangenen in den Händen der Aufständischen ist nicht bekannt.

Hoffnung gab es, da seit Freitag in Afghanistan wieder einmal die Waffen schweigen. Mitte der Woche hatten Regierung und Taleban unabhängig voneinander jeweils eine dreitägige Waffenruhe über das Opferfest angeordnet. Noch am Vorabend detonierte in Pul-e Alam, Hauptstadt der Provinz Logar südlich der Hauptstadt Kabul, eine Autobombe. Sie richtete sich gegen einen Polizeiposten nahe dem Gouverneurssitz. Mindestens 18 Menschen, darunter acht Zivilist:innen, sollen dabei getötet und 22 weitere verletzt worden sein, auch auf einem nahegelegen Markt. Die Taleban dementierten noch am Donnerstag eine Urheberschaft. Allerdings sind solche Erklärungen nicht zuverlässig. Der Anschlag könnte auch auf das Konto des afghanischen IS-Ablegers gehen. Der war zwar seit Jahren nicht mehr in der Provinz aktiv, soll dort aber nach wie vor über Anhänger verfügen; außerdem gibt es Netzwerke in den Nachbarprovinzen Kabul und Nangrahar, wi die Gruppe regelmäßig Anschläge verübt.

Bereits Mitte Juli hatte die US-Regierung bekannt gegeben, dass sie ihre Verpflichtung aus der Vereinbarung mit den Taleban erfüllt und ihre Truppen in Afghanistan auf 8600 reduziert habe. Die Waffenruhe geht offenbar auf neue Aktivitäten von Khalilzads zurück, der in den letzten Tagen unter anderem Kabul und Pakistan besuchte.

Thomas Ruttig