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Hier zunächst mein Artikel zum Machtkampf bei den Taleban, der heute (wahrscheinlich etwas gekürzt) in der taz erschien – in der Druckausgabe und hier auf der Webseite:

Alt und neu: Mulla Mansur (links) und Mulla Omar (r.), Foto: Ariana News.

Alt und neu: Mulla Mansur (links) und Mulla Omar (r.), Foto: Ariana News.

 

Krieg der Audios und Videos

Der Machtkampf in der Taliban-Bewegung nach dem Tod Mullah Omars ist noch lange nicht vorbei

Der Machtkampf um die Nachfolge Mullah Muhammad Omars an der Spitze der Taleban ist noch längst nicht entschieden. Zur Zeit spielt er sich vor allem über die Medien ab. Die konkurrierenden Seiten versuchen ihre Truppen um sich zu scharen. Deshalb hat der neue Talebanchef Mullah Akhtar Muhammad Mansur in seiner ersten Audiobotschaft auch die Weiterführung des Kampfes gegen die „westliche Okkupation“ des Landes in den Mittelpunkt gestellt, ohne Gespräche völlig auszuschließen. Dass der bewaffnete Kampf legitim ist, darüber sind sich bei den Taleban alle einig. Streitpunkt – und möglicher Spaltungsgrund – ist die Haltung zu direkten Friedensgesprächen mit der afghanischen Regierung.

Auf der von ihm kontrollierten offiziellen Webseite al-Emara („Das Emirat“) lässt Mansur gerade reihenweise Gefolgschaftserklärungen hochrangiger Taliban-Führer veröffentlichen. Per offenem Brief dementierte dort der bisher als Mansurs ärgster Rivale betrachtete, 2014 abgesetzte frühere Taliban-Militärchef Qajum Zaker, dass er Streit mit Mansur habe. Der Anführer des berüchtigten Haqqani-Netzwerks, Dschlalaluddin Haqqani – wie Mullah Omar schon mehrmals totgesagt – stellte sich ebenso an Mansurs Seite wie die Familien zweier verstorbener früherer Mudschahedinführer, die sich 1994 der damals neugegründeten Taliban-Bewegung angeschlossen und ihr erst eine Massenbasis verschafft hatten. Haqqanis Sohn Seradschuddin war am Donnerstag zum Stellvertreter Mansurs aufgerückt.

(Diesen Absatz musste ich schon selbst aus Platzgründen kürzen: Seine Kämpfer operieren vor allem in Südost- und Zentralafghanistan und werden für eine lange Reihe blutiger Anschläge in der Hauptstadt Kabul verantwortlich gemacht. Da das Haqqani-Netzwerk dem pakistanischen Geheimdienst – seit Jahrzehnten Förderer der Taleban – besonders nahesteht, kann dieser Schritt zweierlei bedeuten, wahrscheinlich sogar beides gleichzeitig: Pakistan sichert sich damit Einfluss auf die neue Taleban-Führung, die sich eigentlich vom pakistanischen Einfluss zu befreien versucht, und Mansur bindet eine wichtige Fraktion an sich, die ansonsten seine innerorganisatorischen Gegner stärken könnte.)

Al-Emara verbreitete gestern ein Video, auf dem gezeigt wird, wie tausende Taliban-Anhänger in Anwesenheit eines der führenden Geistlichen der Bewegung öffentlich – beim Begräbnis eines prominenten Kollegen – Mansur Gefolgschaft schwören. Wo das Video aufgenommen wurde, wird nicht gesagt. Wahrscheinlich aber stammt es aus Pakistan und zeigt, welche Bewegungsfreiheit die Taliban dort trotz aller Dementis immer noch genießen.

Unter den Gegnern Mansurs profilieren sich besonders zwei Familienangehörige Mullah Omars, sein 26jähriger, ältester Sohn Mullah Muhammad Yaqub sowie ein Bruder namens Mullah Abdul Mannan. Die Familien Omars hatte bisher keine Rolle gespielt. Man kann davon ausgehen, dass mächtige Mansur-Gegner, vielleicht sogar Pakistan, sie in den Vordergrund schieben und vom Prestige des Namens des ehemaligen Taleban-Chefs profitieren wollen.

Diese Strömung kritisiert vor allem die schnelle Proklamation Mansurs zum neuen Taliban-Chef, die nicht inklusiv gewesen sei und in repräsentativer Form wiederholt werden müsse. “Wir haben niemanden als Nachfolger Mullah Omars akzeptiert“, so Mannan in einer Audiobotschaft, „und wir werden auch niemanden akzeptieren, bis nicht alle Dispute geregelt sind.“

Allerdings gibt es bei den Taleban mehr als nur zwei Strömungen. Besonders die Gesprächsbefürworter scheiden sich an ihrer Haltung zu Pakistan. Mansur will der pakistanischen Kontrolle ausweichen, während eine andere Strömung – die sich mit Omars Angehörigen verbündet haben – stark Pakistan-orientiertist. Wegen der Unzuverlässigkeit der Quellen ist es schwierig zu sagen, wer sich am Ende durchsetzen wird, ob es eine Spaltung gibt oder alle Seiten wieder zusammenfinden. Im letzteren Szenario würde die Taleban militärisch und politisch, in Hinblick auf Friedensgespräche, stärker dastehen. In Kabul hoffen wichtige Regierungsmitglieder, durch eine Spaltung die Taleban entscheidend schwächen und zum Kompromiss zwingen zu können.

Thomas Ruttig, Kabul

 

 

Das folgende sind Zitate von mir, die in diesem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung von 2.8.2015 in indirekter Form und gekürzt erschienen:

Mansur galt bisher als Befürworter von Verhandlungen und als enger Vertrauter Pakistans. Wie Thomas Ruttig vom Forschungsinstitut Afghanistan Analysts Network in Kabul vermutet, sei Mansur immer noch an einer politischen Lösung des Konflikts interessiert, habe sich aber schon länger dem pakistanischen Einfluss entziehen wollen. Dafür spreche, dass er durch die Verlegung der für Verhandlungen allein zuständigen  politischen Kommission der Taliban in das Verbindungsbüro nach Katar den politischen Prozess der Kontrolle Pakistans entziehen wollte. Die jüngsten Gespräche, die am Freitag hätten fortgesetzt werden sollen, hatten unter pakistanischer Vermittlung unweit Islamabads stattgefunden.

Mit seiner Haltung versucht Mansur, die Verhandlungen ablehnend gegenüberstehenden Taliban hinter sich zu scharen, wobei er laut Stellungnahmen aus diesem Lager auch Erfolg hatte. Allerdings treten laut Ruttig in der Bewegung andernorts Bruchstellen auf, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zu Pakistan.

 

 

Und hier als Nachschag Auszüge aus einem Artikel, den ich im November 2010 für die Schweizer WoZ schrieb – damals versuchten die Amerikaner, über gezielte Gespräche mit bestimmten Taleban den Spaltpilz in die Taleban (bzw. ihre südostafghanische Unterabteilung, das Haqqani-Netzwerk) tragen wollten. Ein paar Parallelen zu heute gibt es.

(…)

Verhandeln oder spalten?

Dass zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban Kontakte bestehen, wurde erstmals im Juni bekannt, als der arabische Fernsehsender al-Dschasira Wind von Reisen von Abgesandten des Haqqani-Netzes nach Kabul bekam. Dieses Netz ist eine Unterabteilung der ­Taliban in Südostafghanistan, während die meisten anderen Talibangruppierungen ihre Hochburgen weiter südlich um Kandahar haben. Sein Führer Dschalaluddin Haqqani ist ein Islamist der ersten Stunde, und seine erste bewaffnete Aktion unternahm er 1975, als er und Gesinnungsgenossen den Kampf gegen die Beteiligung von Linkspolitikern an der Kabuler Regierung begannen. Das Haqqani-Netz ist für seine engen Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst ISI sowie für seine seit Jahrzehnten bestehenden Beziehungen zu Usama Bin Laden und zu arabischen Finanziers bekannt. Dass die Haqqani-Taliban, deren Infrastruktur in den zu Pakistan gehörenden Stammesgebieten das primäre Ziel der US-Drohnenangriffe ist, nun eine politische Lösung anstreben sollten, erregte natürlich Aufsehen.

Doch neuere Berichte deuten darauf hin, dass die US-Militärs es in Wirklichkeit auf eine Spaltung und Schwächung des Haqqani-Netzes abgesehen haben. Am letzten Oktobertag meldete die Nachrichtenagentur AP, drei Talibanführer seien zu Gesprächen nach Kabul geflogen worden. Unter ihnen befand sich auch Mullah Abdul Kabir, der während des Talibanregimes von 1996 bis 2001 zeitweilig Regierungschef war. Kabir gehört zu den Dzadran, demselben Paschtunenstamm wie Haqqani, und hatte bis 2008 vergeblich versucht, von Haqqani unabhängige, direkt von Mullah Muhammad Omar kontrollierte Talibanstrukturen in Südostafghanistan aufzubauen. Der jetzige Kontakt wird deshalb als Versuch gewertet, die Stammesbasis des Haqqani-Netzes zu spalten.

Allerdings bleibt die neue US-Strategie gegenüber den Taliban bisher ohne tiefer greifende Folgen. In den Kerngebieten des Aufstands in Süd- sowie Südostafghanistan führte sie bisher nicht zu einem Rückgang der Operationen der Aufständischen. Im Gegenteil: Die Zahl ihrer Attacken sowie der Neurekrutierungen steigt weiter an. (…) Im Südosten verfügt das Hakkani-Netz erstmals über feste Stützpunkte auf afghanischem Territorium und baut nun ebenfalls Strukturen einer Schattenregierung auf. Selbst nach US-Einschätzungen bleiben die Taliban in der Lage, ihre Verluste zu kompensieren und ihre Befehlskette aufrechtzuerhalten.

(…) Gleichzeitig wird aus mehreren Gebieten Afghanistans berichtet, dass nachrückende Kommandeure oft jünger und radikaler sind als ihre Vorgänger. Das Haqqani-Netz, in dem sich gegenwärtig der Generationswechsel vom alt Mudschahed Dschalaluddin zu seinem Sohn Seradschuddin Haqqani abspielt, der eine wahhabitisch geprägte Erziehung in Saudi-Arabien genoss, ist nur ein Beispiel dafür.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Radikalisierung der Taliban im Rahmen der US-Strategie beabsichtigt ist; von hohen US-Militärs wie Petraeus war immer wieder zu hören, dass es «zunächst schlechter» werde, bevor es dann «besser» werden würde. Sie hegen die Hoffnung, dass radikalere und brutalere Talibankommandeure die Bevölkerung letztlich doch in die Arme der Kabuler Regierung und ihrer Verbündeten treiben.

Wie angesichts der beidseitigen Gewalt­eskalation sinnvolle Gespräche stattfinden sollen, die alle politisch relevanten Kräfte ­Afghanistans einbinden müssten und nicht nur die bewaffneten Fraktionen, ist bisher offen. Noch stehen auch die Vorbedingungen der Taliban und der USA im Weg: keine Verhandlungen vor einem «vollständigen und bedingungslosen Abzug» aller ausländischen Truppen einerseits, und Anerkennung der gegenwärtigen Verfassung, Kappen der Verbindungen mit al-Qaida sowie eine Entwaffnung andererseits. Eine Abgabe ihrer Waffen käme einer Kapitulation der Taliban gleich und ist für sie inakzeptabel. (…)

Die gegenwärtig beginnenden Kontakte zwischen Kabul und einzelnen Taliban dürften also eher Teil der psychologischen Kriegführung von Petraeus sein. Offenbar wollen die US-Militärs in Afghanistan Misstrauen zwischen den verschiedenen Talibannetzen säen. Warum sonst sollte man an die Öffentlichkeit durchsickern lassen, dass solche Kontakte bestehen? Der unerschütterte Zusammenhalt der Taliban, ihr Einfluss im Lande und ihre teilweise Radikalisierung machen eine Verhandlungslösung zudem wenig wahrscheinlich.

Schließlich muss der «Pakistan-Faktor» berücksichtigt werden. Solange Islamabad die Taliban in Pakistans wichtigstem Konflikt, mit Indien, instrumentalisiert und beide Staaten nicht mehr Entspannung zulassen, bleibt eine Lösung in Afghanistan extrem schwierig. So kann man davon ausgehen, dass die zu Gesprächen nach Kabul eingeflogenen Talibanführer den Segen Pakistans genießen – und vom ISI kontrolliert werden.

Den gesamten Artikel kann man hier nachlesen. Dort gibt es auch eine ganze Liste von Afghanistan-Artikeln über die letzten Jahre.