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Tadschikistans Regierung treibt die islamische Opposition in den Untergrund / Vizeverteidigungsminister greift zu den Waffen

Monumental: Poster von Präsident Rahmon auf der Staumauer des Wasserkraftwerks in Nurek. Foto: Thomas Ruttig (2013).

Monumental: Poster von Präsident Rahmon auf der Staumauer des Wasserkraftwerks in Nurek. Foto: Thomas Ruttig (2013).

 

Zwei Ereignisse haben seit dem Wochenende die Situation in Tadschikistan erschüttert, der südlichsten und ärmsten der nun unabhängigen früheren Sowjetrepubliken in Mittelasien: Am Montag musste mit der Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans (PIWT) die einzige legale islamische Partei in ganzen Region ihre offizielle Tätigkeit einstellen. Bereits am Freitag hatten bewaffnete Gruppen in zwei Städten Regierungseinrichtungen angegriffen und sich dann in die Berge zurückgezogen.

Am Freitag griffen Bewaffnete am Rand der Hauptstadt Duschanbe, nahe des Flughafens, sowie in der Kleinstadt Wahdat, 20 Kilometer weiter östlich, Waffenlager des Innenministeriums an. In Duschanbe wurden dabei zwei, in Wahdat neun Beamte getötet und zahlreiche Waffen und Munition erbeutet. Die etwa 150 Mann starke Gruppe, von Regierungsvertretern abwechselnd als „Terroristen“ und „Kriminelle“ bezeichnet, wird vom bisherigen Vizeverteidigungsminister Abdu(l)halim Nazarzode angeführt. Er war am Freitag wegen nicht näher erläuterter Straftaten aus seinem Amt entlassen worden. Die Angreifer zogen sich danach ins Romit-Tal, eine Berglandschaft im Bezirk Wahdat, zurück. Dort werden sie jetzt von Sicherheitskräften gejagt. Obwohl das Vorgehen sich ähnelte, ist nicht klar, ob beide Angreifergruppen zusammenarbeiteten.

Die Regierung in Duschanbe behauptet inzwischen, die Lage wieder im Griff zu haben. Am Montag ließ sie verlautbaren, bereits 31 der Anhänger Nazarzodes seien gefangen genommen und 13 weitere „liquidiert“ worden. Präsident Emom Ali Rahmon – ein früherer Kolchos-Vorsitzender, der aus der Kommunistischen Partei Tadschikistans der Sowjetzeit stammt (seine Partei heißt aber inzwischen Volksdemokratische Partei und er gibt eine oppositionelle KP) und seit der Unabhängigkeit 1992 an der Macht ist – ließ sich am Sonntag demonstrativ in Wahdat sehen.

Zuvor waren der zentrale Basar in Duschanbe sowie die US-Botschaft geschlossen sowie der Zugang zu sozialen Medien unterbrochen worden. Der Verkehr auf Überlandstraßen sowie der Hauptallee in Duschanbes Zentrum mit den wichtigsten Regierungsbauten wurden gesperrt bzw. stark eingeschränkt; Regierungskräfte errichteten Straßensperren. Die seit 2012 wieder im Land stationierten russischen Truppen wurden in Alarm versetzt und führten am Montag gemeinsame Übungen mit den heimischen Streitkräften durch, bei denen laut tadschikischen Agenturen auch Drohnen eingesetzt worden seien. Putin sagte Rahmon Unterstützung zu.

Ob ein direkter Zusammenhang zwischen beiden Ereignisse besteht, ist nicht völlig klar. Nazarzode ist zwar ein früheres PIWT-Mitglied. Aber die relativ gemäßigte islamische Partei, die den säkularen Charakter Tadschikistans anerkennt, hat sich von den Angriffen distanziert. Landeskennern zufolge könnte Nazarzodes Vorgehen nicht vom Verbot der PIWT, sondern allein von seiner drohenden Verhaftung ausgelöst worden sein. (Nach einigen Berichten waren einige der späteren Angreifer aus einem Gefängnis ausgebrochen; ob das auch auf Nazarzode zutraf, blieb unklar.)

Die PIWT war seit 1997 Mitglied der Regierung, als nach fünfjährigem Bürgerkrieg mit bis – nach unterschiedlichen Angaben – 20.000 bis 100.000 Toten und zehntausenden Vertriebenen (darunter viele nach Nord-Afghanistan) ein Friedensabkommen abgeschlossen wurde. Es führte zu einer Machtteilung zwischen der post-sowjetischen Partei von Präsident Emom Ali Rahmon und der Vereinigten Tadschikischen Opposition, deren stärkste Kraft die islamische Partei war.

Ihre Vertreter wurden über die letzten Jahre unter verschiedenen Vorwänden aber nach und nach von Rahmon wieder aus der Regierung getrieben. Das hat sicher politische Ursachen, aber die oft dazu angewandten Vorwürfe krimineller Vergehen müssen in vielen Fällen gar nicht erfunden sein. Tadschikistans ist ein Durchgangsland für den Schmuggel zum Beispiel von Drogen und Edelsteinen aus Afghanistan, und es ist klar, dass viele in Regierung und Militär ihre Hände dabei im Spiel haben. Aber eben nicht nur die ehemalige Opposition.

Die Abmachungen von 1997 gerieten zusätzlich unter Druck, nachdem Rahmon die islamische Partei bei einem Live-Fernsehauftritt Mitte 2013 als dem „nationalen Interesse“ entgegengesetzt bezeichnet hatte. (Um genau zu sein, war das bei einem Treffen mit islamischen Geistlichen und er legte einem der Teilnehmer diese Formulierung in den Mund; d.h. er fragte ihn, ob die PIWT nicht „antinational“ sei und der Überraschte sich stotternd gezwungen sah zuzustimmen. Diese Information stimmt von im Lande Lebenden, die diese Rede gesehen haben.) Zur gleichen Zeit entließ die Regierung auch den Anführer der bis dahin verfolgten, aber parteipolitisch nicht organisierten und meist unpolitischen Salafisten. Der griff die PIWT mit dem Argument an, der Islam kenne keine Parteien und sie sei deshalb unislamisch. (Im Straßenbild von Duschanbe sieht man viele junge Salafisten, mit dort immer noch auffallenden langen Bärten und weiten Hochwasserhosen „im afghanischen Stil“. Insgesamt gibt es eine Hin- oder Rückwendung zur Religion – wobei viele Städter nach wie vor säkular eingestellt sind.)

Hadschi-Yaqub-Moschee in Duschanbe. Foto: Thomas Ruttig (2013).

Hadschi-Yaqub-Moschee in Duschanbe. Foto: Thomas Ruttig (2013).

 

Danach begann eine Kampagne, bei der PIWT-Mitglieder mit dem Verlust ihres Arbeitsplatz bedroht und gezwungen wurden, sich öffentlich von ihr zu distanzieren. Solche Videos wurden im Fernsehen gezeigt. PIWT-Funktionäre wurden zusammengeschlagen (siehe z.B. hier). Ein solcher Vorfall wurde auch während meines letzten Aufenthalts in der damals noch relativ unkontrollierten Oppositionspresse berichtet – er folgte auf den Versuch des PIWT-Chefs in Khorog, im Osten der Landes, in Räumlichkeiten der Partei eine Konferenz zu organisieren. In dem Gebiet war bereits 2011 ein örtlicher Führer unter dubiosen Umständen ermordet worden. Es kam auch zu Brandanschlägen; immer mehr Büros mussten schließen. Im Juni erzwangen öffentliche (möglicherweise organisierte) Proteste die Schließung des PIWT-Büros in der Nordprovinz Soghd.

Auch andere Oppositionskräfte wurden zunehmend verfolgt. Regierungskritiker im Ausland (oft in ehemaligen UdSSR-Nachfolgestaaten) wurden verhaftet, etwa im Februar 2012 in der Ukraine ein ins Ausland geflohener früherer Premierminister. Zaid Saidov, ein Geschäftsmann und früherer Industrieminister, der Mitte 2013 im Lande eine neue Oppositionspartei namens Neues Tadschikistan gegründet hatte, wurde eine Woche später verhaftet und später wegen einer angeblicher Vergewaltigung und geschäftlicher Unregelmäßigkeiten zu einer Haftstrafe von 26 Jahren verurteilt. (Seine Strafe wurde später noch einmal um drei Jahre verlängert.) Omar Ali Quwwatov, der 2012 in Moskau die oppositionelle Gruppe 24 gegründet und die Regierung in Duschanbe der Korruption beschuldigt hatte, wurde erst aus Moskau vertrieben und, nachdem er Dubai ausgewichen war, dort von der Auslieferung bedroht. Er ging nach Istanbul – wo er im März 2015 ermordet wurde.

Als sich die PIWT und die sozialdemokratische Opposition vor zwei Jahren auf die Menschenrechtlerin Oinikhol Babanazarova als Gegenkandidatin zu Rahmon für die Präsidentschaftswahl einigten, führte der politische Druck der Regierung dazu, dass sie nicht genügend Stimmen für ihre Registrierung bekam und deshalb nicht antreten konnte.

Im März diesen Jahres verlor die PIWT bei den Wahlen ihre letzten zwei Sitze im Parlament. Auch die andere bis dahin im Parlament vertretene Oppositionspartei, die Kommunisten, schaffte es nicht mehr über die 5-Prozent-Hürde, genauso wie die Sozialdemokraten und die Demokratische Partei, die im Bürgerkrieg Teil der Anti-Rahmon-Koalition war. Nur drei andere Pro-Rahmon-Parteien schafften es ins Parlament: die Agrarpartei, die Sozialisten und eine Wirtschaftsreformpartei.

Europäische Beobachter sprachen von Wahlen in „beschränktem Handlungsspielraum“, der KP-Chef Schodi Schabdalov von einer „Farce“. Ende August wurde der Hauptsitz der Partei in Duschanbe versiegelt, ihre Zeitung geschlossen. Als die Partei mit einer Pressekonferenz protestieren wollte, wurde ihr der Strom abgestellt. Im Juni ging Kabiri, ein in Russland ausgebildeter früherer Diplomat, ins Exil nach Istanbul, nachdem eine Regierungszeitung ihm geschäftliche Unregelmäßigkeiten vorgeworfen hatte, was er als Vorwand bezeichnete.

PIWT-Chef Kabiri, Foto: Asia Plus.

PIWT-Chef Kabiri, Foto: Asia Plus.

 

Die Regierung verbot die PIWT nun ausgerechnet mit der Begründung, sie habe in „58 Städten und Regionen“ Büros geschlossen und sie sei nicht mehr landesweit präsent.

Schon nach dem Wahlbetrug im Frühjahr hatte die PIWT vermieden, auf Konfrontation zu setzen, und sah von Demonstrationen abgesehen. Aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass junge Mitglieder sowie ehemalige Bürgerkriegskommandeure wie Nazarzode nun zu den Waffen greifen.

Auch die Angst vor dem Islamischen Staat (IS) treibt die Regierung um. Im April war der Kommandeur der tadschikischen Sonderpolizei OMON, Gulmurod Halim, aus dem Land verschwunden und im Mai ausgerechnet auf einem angeblich in Syrien aufgenommen Video des IS wieder aufgetaucht. Darin drohte er Russland und den USA (er war auch von US-Spezialeinheiten ausgebildet worden) mit Dschihad, bezog sich aber auch auf die religösen Verfolgungen in Tadschikistan. In dem Video fragte er die tadschikischen Soldaten, ob sie für eine Regierung sterben wollten, die gegen das Tragen des Schleiers und öffentliche Gebete vorgehe. Tadschikische Geheimdienst schätzt die Zahl der Landsleute, die sich dem IS angeschlossen haben, auf 200 bis 500.

Danach begann Rahmon, die PIWT auch in die Nähe des IS zu rücken. Zudem verstärkte Duschanbe den Druck auf religiös eingestellte Tadschiken. Unter 18-Jährigen ist es schon seit Mai 2010 gesetzlich verboten, Moscheen oder islamische Schulen zu besuchen. An Arbeitsplätzen darf nicht gebetet werden. Sayed Ibrahim Nazar, Mitglieder des Politischen Rates der PIWT, erzählte mir 2013, dass ihn der Generalstaatsanwalt in seinem Parteibüro besuchte und ihm, als er dort betete, sagte, er müsste nun eine Untersuchung gegen ihn eröffnen, da er damit den säkularen Charakter des Staates verletzt habe.

Die Medien starteten eine Kampagne gegen Frauen, die sich verschleiern, Polizisten nahmen immer wieder bärtige junge Männer fest. Die Internet-Plattform Global Voices veröffentlichte mehrere solcher Vorfälle, zum Teil völlig abstruser Natur – denn manchmal trifft es nicht strenggläubige Muslime, sondern Hipster oder orthodoxe Russen. Nach einem solchen Vorfall war Ende August in Wahdat ein 23-jähriger Student – Omar Bobodschonov – nach einem Polizeiübergriff ums Leben gekommen. Er sei zusammengeschlagen worden, ins Koma gefallen und dann im Krankenhaus gestorben. Über 100 Menschen hatten vor dem Krankenhaus protestiert. Auch das könnte ein Auslöser der Angriffe am Sonntag gewesen sein.

Ebenfalls Ende August wurden im Süden des Landes etwa 20 Menschen, darunter der über 70-jähriger Leiter eines örtlichen PIWT-Büros, festgenommen, nachdem junge Leute auf der Straße schwarze IS-Flaggen angebracht hätten.

Hinter den Spannungen stehen allerdings auch wirtschaftliche Probleme. Tadschikistan ist von Überweisungen seiner Gastarbeiter abhängig. Bei meinem letzten Besuch warteten hunderte junge Tadschiken auf ihre Flüge nach Russland. Über eine Million sollen sich allein dort aufhalten. Die dortige Wirtschaftskrise hat die Überweisungen – die 2014 fast die Hälfte des Bruttoinlandprodukts ausmachten – nun erheblich schrumpfen lassen. Für 2015 wird mit einem Sinken von 40 Prozent gerechnet – weil der Wert der Verdienste der Tadschiken in Russland sinkt und weil viele von ihnen wegen der Wirtschaftskrise ihre Jobs verlieren. Tadschikistan ist weltweit das Land, das prozentual am meisten von solchen Überweisungen abhängig ist.

Da tadschikische und andere zentralasiatische Gastarbeiter in Russland oft diskriminiert und sogar von rechtsnationalistischen Bürgerwehren drangsaliert werden, nehmen dort Rekrutierungen für den IS zu. Hier, auf einer oppositionellen russischen Webseite, wie die IS-Rekrutierung unter Tadschiken in Russland ablaufe.

Erst Anfang September hat China mit einem 500-Millionen-Dollar-Abkommen, einem sogenannten Swap, die Landeswährung Somoni vor dem Zusammenbruch gerettet, berichtete die Nikkei Asian Review, eine zum japanischen Börsenkonzern gehörende Wirtschaftszeitung. Das erlaube es China, schon zuvor größer Kreditgeber und Investor Tadschikistans, seinen Einfluss auf die dortige Wirtschaft weiter auszubauen. Der Somoni musste 2014 um 11,1 Prozent und in diesem Jahr noch einmal um 19,5% gegenüber dem US-Dollar abgewertet werden. Ende Juni hätte das Land nur Devisenreserven für zwei Monate an Importen gehabt.

Die Führung in Duschanbe scheint nun den Weg der Diktatur im benachbarten Usbekistan zu gehen. Auch dort hatte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine gemäßigte Opposition gebildet, war dann aber verboten worden und hatte sich radikalisiert. Sie arbeitete in den späten 1990ern mit den Taleban in Afghanistan zusammen, floh 2001 nach Pakistan und hat inzwischen dem IS Gefolgschaft geschworen.

Bleibt zu hoffen, dass die Ereignisse der letzten Tage nicht zu einem neuen Bürgerkrieg führen. Davor hatten schon Beobachter wie der ehemalige DDR-Botschafter und spätere hochrangige Mitarbeiter der OSZE-Mission in Tadschikistan, Arne C. Seifert, gewarnt. Er sagte 2013, dass die tadschikische Regierung „die positive Transformation der PIWT nicht anerkannt“ habe und inzwischen das Konzept der Kooperation, auf dem das Friedensabkommen von 1997 basiere, „zurückweise, nachdem sie ihre eigene innenpolitische Position gestärkt und ein monozentrisches Machtkonzept angenommen hat“. Er spricht von einem „Dilemma des Misstrauens“. Auf der anderen Seite misstrauen viele Tadschiken dem Bekenntnis der PIWT zu einem säkularen Staat. Ihr ehemaliger Hauptverhandlungsführer, der Geistliche Haji Akbar Turadschonzode (er ist nicht PIWT-Mitglied), hatte 1992 erklärt: “Niemand will Tadschikistan zu einem islamischen Staat machen. Wir hoffen [aber], dass es in 40 Jahren passieren wird, aber das ist für Allah zu entscheiden.”

 

Eine Kurzfassung des Artikels erschien heute in der taz (noch nicht online).

 

Mehr Hintergründe zu Tadschikistan (auf Englisch) bei AAN:

  • „Taleban in Tadschikistan?“, mein Artikel vom Oktober 2013, Teil 1 und Teil 2 (über Taleban und IMU);