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Gestern morgen (am 24.1.17) traf der zweite deutsche Abschiebeflug mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern auf dem Flughafen Kabul ein. An Bord waren 26 junge Männer – aus Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz.

Das sind weniger als beim ersten Flug, der am 16.12. dort eingetroffen war und wieder deutlich unter der „Auslastungsgrenze“ von 50, die mit Afghanistan vertraglich vereinbart ist. Das deutete darauf hin, dass die Bundesregierung weiterhin Schwierigkeiten hat (u.a. mit einigen Bundesländern, die Abschiebungen nach Afghanistan skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen), die Flüge voll zu bekommen, aber auch, dass sie gewillt ist, solche Flüge auch ohne Auslastung regelmäßig durchzuführen. Ähnlich wie im Dezember hat die Bundesregierung bisher sonst wenig Einzelheiten bekannt gegeben. AFP meldete, das Bundesinnenministerium habe am Dienstag mitgeteilt, unter den Männern hätten sich sieben Straftäter befunden.

Diesmal gab es auch noch deutlichere Proteste, vor allem von den großen Kirchen, als beim ersten Mal – sicher ein Resultat der jüngsten Lageeinschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), die der der Bundesregierung diametral widersprochen hatte.

Anti-Abschiebe-Demo am 23.1.17 auf dem Flughafen Frankfurt/Main. Foto: Protestfotoffm/Twitter

Anti-Abschiebe-Demo am 23.1.17 auf dem Flughafen Frankfurt/Main. Foto: Protestfotoffm/Twitter

 

Hier – auf der Grundlage deutscher Medienberichte – erst einmal die Fakten, so weit bis jetzt bekannt. Die Nachrichtenagentur dpa berichtete wie folgt aus Kabul und hat zum ersten Mal auch Angaben zu den Herkunftsprovinzen der Abgeschobenen:

(…) Das Charterflugzeug landete planmäßig um 7.15 Uhr. Die Ankunft verlief ruhig.

Die afghanischen Behörden wussten bis zum Schluss nicht, wieviele Passagiere an Bord sein würden. Am Vortag standen auf einer Liste des Außenministeriums noch 14 Passagiere. Im Flüchtlingsministerium war von bis zu 45 die Rede. Wieso es weniger Ankömmlinge waren als erwartet, wurde nicht unmittelbar klar.

Laut einer Liste, die der Deutschen Presse-Agentur vorlag, kamen mehrere der jungen Männer aus Kabul und der westafghanischen Stadt Herat, andere aus den unsicheren Provinzen Logar, Kunar, Kapisa oder Wardak.

Am Flughafen warteten Vertreter der deutschen Botschaft, der afghanischen Polizei und mehrerer Ministerien. Vertreter der Internationalen Organisation für Migration boten den Ankömmlingen Unterkünfte für einige Tage sowie Transport zu ihrem Zielort an. Auch Mitarbeiter einer von der deutschen Regierung unterstützten Nichtregierungsorganisation, die psychologische Unterstützung anbietet [laut AFP IPSO], waren in der Ankunftshalle. 

Einer der Passagiere konnte oder wollte das Flugzeug nicht verlassen. Afghanische Polizeibeamte sagten, der Mann sei krank. Ein Vertreter des Flüchtlingsministeriums sagte, die deutsche Seite sei „entgegenkommend“ gewesen und fliege den Kranken wieder nach Deutschland. Nach einer anderen Quelle ist die Entscheidung noch nicht gefallen. 

[AFP berichtete dazu, ein Sprecher der afghanischen Flughafenpolizei habe gesagt, dem Mann müsse wegen der psychischen Belastung wohl zurück nach Deutschland gebracht werden.]

Wie beim ersten Abschiebeflug im Dezember waren unter den Ankömmlingen junge Männer, die gut Deutsch sprechen und teilweise jahrelang Arbeit hatten. Badam Haidari (31) erzählte in gut verständlichem Deutsch, er habe sieben Jahre lang in Würzburg gelebt. Fünf Jahre und acht Monate davon habe er bei Burger King gearbeitet, „immer Vollzeit.“ Er habe nie Ärger gehabt. „Kein Klauen, kein Krieg mit irgendwem, keine Schlägereien.“ Haidari stammt aus der unsicheren Provinz G[h]asni. Dort finde er sicher keinen Job, sagte er. Trotzdem reise er jetzt erstmal dorthin. Nur dort habe er Familie.

Arasch Alokosai (21) aus Kabul sagte, er habe sechs Jahre in Nürnberg gelebt. Er habe einen Ausbildungsvertrag als Karosseriebauer in der Tasche gehabt, da sei „die Absage“ gekommen. Die Freundin sei im dritten Monat schwanger. Ramin Afschar (19), ebenfalls aus Kabul, sagte, er sei in Deutschland zur Berufsschule gegangen. Man habe ihm am Montagmorgen aus dem Bett geholt und in Handschellen abgeführt.

Unter den Abgeschobenen waren offenbar auch wieder Kriminelle, die ihre Strafe verbüßt haben. Ein junger Mann, der seinen Namen mit Mohammad Sarwari angab, sagte, er habe vier Monate wegen einer Schlägerei im Gefängnis gesessen.

Mehrere Passagiere riefen noch in der Ankunftshalle laut, dass sie sich bald wieder auf den Weg nach Deutschland machen würden.

Im Gegensatz zu freiwilligen Rückkehrern, die bisher 700 Euro erhalten, bekommen abgeschobene Afghanen keine Unterstützung. Sie haben oft keine Möglichkeit, vor dem Flug Verwandte anzurufen.

Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok zitierte einen der Abgeschobenen, Mansur Parsa aus Kunar: „Meine bulgarische Frau ist im siebten Monat schwanger. Die Polizisten, die an meine Türk kamen, gaben mir nicht einmal Zeit, meinen Anwalt anzurufen.“

Der AFP-Bericht ergänzt:

Mehrere der Afghanen sagten AFP, sie seien am frühen Montagmorgen in Deutschland festgenommen und zum Flughafen gebracht worden. Sie konnten demnach jeweils nur ein kleines Gepäckstück oder einen Rucksack mit ihren Habseligkeiten mitnehmen. „Was würden Sie hier machen?“, fragte ein 19-jähriger Abgeschobener. „Hier gibt es nur den Tod.“

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden die Afghanen von 79 Beamten der Bundespolizei, einem Dolmetscher sowie Ärzten begleitet. Außerdem seien drei Vertreter der Anti-Folter-Kommission und ein Beamter der EU-Grenzschutzbehörde Frontex an Bord der Maschine gewesen.

 

Der bayrische Flüchtlingsrat teilte mit, 18 der 26 abgeschobenen Afghanen seien aus Bayern gekommen.

Wie schon bei der Charterabschiebung am 14.12.2016 deutet nichts auf eine Vorauswahl hin. Zwei werdende Väter und mehrere psychisch Kranke saßen im Flugzeug. Mehrere hatten eine feste Arbeit, machten Kurse, eine Person lebte seit sieben Jahren in Bayern. In zwei Fällen wurden die Abschiebungen von den Verwaltungsgerichten ausgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Fall eine Beschwerde abgelehnt.

„Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert diese beispiellos wahllose und rücksichtslose Abschiebung. In anderen Bundesländern wurden die Abschiebungen angesichts des neuen UNHCR-Berichts zurückgefahren. (…) Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats [sagte]. „Die Abschiebung einer frisch operierten Person verhinderten die behandelten Ärzte im Krankenhaus, nicht das Bayerische Innenministerium. Der Bayerische Flüchtlingsrat appelliert an die Bayerische Staatsregierung, endlich die Realität in Afghanistan zur Kenntnis zu nehmen und Abschiebungen nach Afghanistan sofort zu stoppen.“

Vier Männer seien aus Baden-Württemberg abgeschoben worden, berichtete die Stuttgarter Zeitung. Drei von ihnen seien aus der Abschiebehaftanstalt in Pforzheim rückgeführt worden, teilte das Innenministerium am Dienstag in Stuttgart mit. Dort befinden sich abgelehnte Asylbewerber, die sich etwa schon einmal einer Abschiebung entzogen haben.

Drei der Afghanen seien nach Angaben der Hamburger Ausländerbehörde laut NDR aus Hamburg abgeschoben worden:

Ein Sprecher der Ausländerbehörde sagte, zwei der aus Hamburg abgeschobenen Männer seien im Alter von 21 bis 24 Jahren gewesen und aus der Abschiebehaft des Landes verwiesen worden. Bei dem dritten Mann handele es sich um einen verurteilten Straftäter. Ursprünglich seien sogar zehn Abschiebungen aus Hamburg geplant gewesen, sagte die Linken-Politikerin Christiane Schneider NDR.de.

In Nordrhein-Westfalen sollen drei für die Abschiebung vorgesehene abgelehnte Asylbewerber abgetaucht sein, so die Rheinpfalz:

Wie unsere Redaktion von einem unmittelbar mit der Durchführung Beteiligten erfuhr, hatte das Innenministerium sie zuvor nach einer Einzelfallprüfung durch NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) für den Charterflug nach Kabul angemeldet. Aus bislang ungeklärter Ursache konnten sich die Asylbewerber aber der Rückführung entziehen. Einen entsprechenden Bericht der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ wollte das NRW-Innenministerium zunächst nicht kommentieren.

Damit scheint niemand aus NRW an Bord gewesen zu sein.

Der verbliebene 26. Passagier kam wohl aus Rheinland-Pfalz; es soll sich um einen verurteilten Straftätet handeln, der bereits in der Haftanstalt Ingelheim gesessen hatte.

 

Die ARD-Tagesschau berichtete, dass die großen Kirchen die Abschiebung als inakzeptabel kritisiert hätten.

„Kein Mensch darf in eine Region zurückgeschickt werden, in der sein Leben durch Krieg und Gewalt bedroht ist“, erklärten der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, und der Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Rekowski, gemeinsam. Die Sicherheit der Menschen müsse stets Vorrang haben gegenüber migrationspolitischen Erwägungen.

Heße verwies dabei auf die im Verlauf des vergangenen Jahres verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan. „Die innerstaatlichen bewaffneten Konflikte in Afghanistan haben sich zugespitzt, zugleich hat auch die Zahl der innerhalb des Landes in die Flucht getriebenen Menschen zugenommen.“ Da immer mehr Binnenvertriebene in der afghanischen Hauptstadt Kabul Schutz suchten, sei auch dort die Situation schwieriger geworden.

Präses Rekowski erklärte: „Die Berichte des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen und weiterer internationaler Organisationen deuten darauf hin, dass Rückführungen nach Afghanistan humanitär unverantwortlich sind“. „Wenn die Sicherheitslage prekär ist, sind auch die Menschenrechte in Gefahr“, fügte er hinzu. Die Kirchen sprächen sich nicht grundsätzlich gegen die Abschiebung von Menschen ohne Bleibeperspektive in Deutschland aus, hieß es weiter. Abschiebungen in lebensgefährliche Gebiete seien jedoch inakzeptabel.

Abschiebungen in ein Kriegs- und Krisengebiet seien inhuman und unverantwortlich, erklärten Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband laut Weser-Kurier. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, sprach von einem „russischen Roulette auf dem Rücken der Flüchtlinge“. Angesichts der dramatisch verschlechterten Situation in Afghanistan müssten Ablehnungen aus den Jahren 2015 und 2016 noch einmal überprüft werden, forderte er.

Die „Etikettierung junger, alleinstehender Männer“ oder „Straftäter“ verurteilt Pro Asyl scharf, berichtete die Deutsche Welle. Damit solle eine Hemmschwelle gesenkt und mehr gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden. „Auch Abschiebungen von jungen, alleinstehenden Männern oder Straftätern in ein Kriegs- und Krisengebiet sind bedenklich, da die Betroffenen sehenden Auges in eine Gefährdungslage geführt werden.“

Unterstützung kam laut Spiegel von Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt. Eine Rückkehr „in Sicherheit und Würde“ sei nicht gewährleistet, sagte der SPD-Politiker den Tageszeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. „Das gesamte Staatsgebiet ist letztlich von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen.“ Deshalb fordere er einen Abschiebestopp nach Afghanistan.

[Aktualisiert: Und hier eine Erklärung von Human Rights Watch: „Why the European Union Shouldn’t Deport Afghans“]

Auf dem Flughafen Frankfurt/Main hatten zwischen 100 und 250 Menschen protestiert. „Wir protestieren gegen Abschiebungen in ein Land wie Afghanistan“, sagte Sarmina Stuman von der Afghan Refugees Movement, die die Demonstration mit organisiert hatte.

Weiter laut Spiegel waren von den rund 250.000 in Deutschland lebenden Afghanen Mitte Dezember nach Angaben des Bundesinnenministeriums rund 1600 ausreisepflichtig. Weitere 10.300 sind geduldet. Das heißt, dass sie zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, die Abschiebung aber ausgesetzt ist. Das kann jedoch jederzeit aufgehoben werden.

 

[Aktualisiert 25.1.17, 11:18: Auch afghanische Medien berichten inzwischen mehr, wie hier die Tageszeitung Hasht-e Sobh, die Material der Deutschen Welle und von dpa verwendet, u.a. über die Kritik und Proteste von Pro Asyl sowie des schleswig-holsteinischen Innenministers Studt.]

Dieses Foto auf der Webseite von Hasht-e Sobh schient die Ankömmlinge vom 24.1.17 zu zeigen.

Dieses Foto auf der Webseite von Hasht-e Sobh schient die Ankömmlinge vom 24.1.17 zu zeigen.

 

Inzwischen kommen auch erste Berichte, wie es einigen der im Dezember Abgeschobenen ergangen ist.

Der NDR hat Samir Narang interviewt, einen afghanischen Hindu, der aus Hamburg nach Afghanistan abgeschoben worden war. Dort lebe er jetzt in einem Tempel – in großer Angst. „Ich will hier nicht sterben“, sagt er.

 

Abgeschobener: „Ich will hier nicht sterben“

Samir Narang lebt seit seiner Ankunft in einem Sikh-Tempel in Kabul.

20.1.17

Es war Mitte Dezember, als der Afghane Samir Narang seine Duldung in Hamburg verlängern lassen wollte. Doch von der Ausländerbehörde kam er direkt in Abschiebehaft. Wenige Tage später saß Narang im ersten Flugzeug, das abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurück nach Kabul brachte. Mehrere Hundert Menschen protestierten damals gegen die Abschiebungen.

Narang gehört zur Minderheit der Hindus im muslimischen Afghanistan. Deswegen spricht er weder die Landessprache Dari noch Paschtu sondern Multani. Der 24-Jährige wohnte vor seiner Abschiebung etwa vier Jahre lang geduldet in einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft, wo auch seine Familie lebt. NDR.de hat mit dem jungen Mann in Kabul telefoniert. Das Gespräch fand auf Deutsch statt. Wir haben seine Antworten grammatikalisch korrigiert.

NDR.de: Wie geht es Ihnen nach gut einem Monat in Afghanistan?

Samir Narang: Ganz schlecht. Ich bin gerade krank, habe Fieber und eine Erkältung, aber kein Geld für einen Arzt.

Wo leben Sie jetzt und wie verbringen Sie ihren Alltag?

Narang: Ich wohne in einem Zimmer im Sikh Tempel. Wir haben keine Heizung und kein warmes Wasser. Draußen sind jetzt Minusgrade. Der Strom fällt immer wieder aus. Ich gehe nur zum Essen aus dem Zimmer. Im Moment schlafen wir zu viert hier, aber wir reden wenig miteinander. Insgesamt wohnen 30 bis 40 Leute in dem Tempel. Jeder Tag ist gleich.

Im muslimischen Afghanistan leben nur noch einige Hundert Hindus und Sikhs – fast alle sind in den vergangenen Jahren geflüchtet. In einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schrieben die Autoren im September 2016: „Religiöse Minderheiten wie Hindus und Sikhs sehen sich im Alltag mit Diskriminierung, Einschüchterung, Schikanen und gewaltsamen Übergriffen konfrontiert.“ Empfinden Sie ihre Situation als sicher?

Narang: Ich habe richtig Angst. Ich gehe nicht aus dem Tempel. Es ist zu gefährlich, weil die Nachbarn mich hier kennen und wissen, dass ich Hindu bin. Ein Fernseh-Team hat mich hier interviewt. Das hat mich noch bekannter gemacht. Im Tempel warnen die Leute mich davor rauszugehen. Sie sagen, dass die Leute denken, ich sei reich und eine wichtige Person. Manche könnten mich entführen. Vor einigen Tagen gab es ganz in der Nähe eine Schießerei. Zudem wurde ein Sikh in Kunduz erschossen und seine Leiche hierher gebracht. Ich habe ihn gesehen. Auch im Tempel sind wir nicht sicher. Wir haben keine Security. 

Sie waren in Büren einige Tage in Abschiebehaft. Wie erinnern Sie den Tag der Abschiebung?

Narang: In Büren bekamen wir ein Mal am Tag warmes Essen und Brot. Am 14. Dezember holte ein Polizist mich morgens um 9 Uhr ab und wartete mit mir am Flughafen. Dort durfte ich ganz kurz meine Mutter sehen. Eine Minute. Eine Frau von der Kirche (Anmerkung der Redaktion: die Abschiebe-Beobachterin) ließ mich auch ganz kurz mit meiner Familie telefonieren. Die Frau hat mich auch gefragt, wie es mir geht. Ich habe gesagt: „Ich habe dort keine Wohnung, ich spreche die Sprache nicht. Wie soll ich da leben?“ Dann sind zwei Polizisten mit mir in das Flugzeug gestiegen. 

Laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) waren am Kabuler Flughafen Vertreter der Internationalen Organisation für Migration (IOM), der deutschen Botschaft, Bundespolizei, afghanischer Behörden und Psychologen. Wer hat Ihnen dort geholfen?

Narang: Am Flughafen in Kabul sagte ein afghanischer Mann einer Behörde – ich weiß nicht, woher er genau war – dass ich zwei Wochen lang bei ihnen wohnen könnte. Ich wollte aber direkt zum Tempel. Er gab mir 500 Afghani (7 Euro). In Deutschland hatte man mir gesagt, ich bekäme hier 50 Dollar. Mir wurde nämlich in Deutschland mein ganzes Geld bis auf 50 Euro abgenommen. Von meinem Restgeld habe ich mir hier eine Telefonkarte und Essen gekauft. Ansonsten half mir am Flughafen niemand. Diese Woche war ich dann bei der IOM (Internationale Organisation für Migration), aber sie sagten, sie hätten keine Zeit. Ich solle später wiederkommen. Ich kenne hier niemanden mehr. Meine ganze Familie lebt in Deutschland. Bisher gibt es auch keine Möglichkeit für meine Familie, mir Geld zu schicken. Im Tempel bekomme ich ein oder zwei Mal am Tag Essen.

Sie haben lange in Hamburg gelebt, die Sprache gelernt und mussten nun ganz allein zurück nach Afghanistan. Bereuen Sie, damals nach Deutschland gekommen zu sein?

Narang: Es war richtig, nach Deutschland zu gehen. Dort hatte ich meine Ruhe in Sicherheit. Ich wollte arbeiten, aber die Behörde hat immer wieder Nein gesagt. Deswegen habe ich Praktika gemacht: im Tempel und im Kiosk. Ich habe nichts Illegales getan. Ich weiß nicht, wieso ich abgeschoben wurde. Auch Muslime können hier nicht leben: keine Sicherheit, keine Medizin.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Narang: Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich bin zu einem Bettler geworden. Ich will zurück nach Deutschland. Ich kann nicht mein Leben lang im Tempel in einem Zimmer leben. Afghanistan ist nicht sicher. Ich will hier nicht sterben.

Das Interview führte Carolin Fromm, NDR.de.

 

Die Deutsche Welle hat mit einem weiteren der Dezember-Gruppe gesprochen:

 

Heim in die Fremde 

DW 24.1.17

Farid heißt eigentlich nicht Farid. Aber seinen echten Namen möchte er nicht nennen. Mehrfach weist er im Interview darauf hin. Zu groß ist die Sorge, dass ihm etwas zustoßen könnte. Dass Taliban oder IS ihn aufspüren könnten. Auch diese beiden Begriffe fallen immer wieder, in fast jeder Antwort. Nur, wenn man ihm garantieren könne, dass ihm nichts passiert, würde er zustimmen, sich zu erkennen zu geben.

Farid weiß selbst, dass das nicht geht, dass ihm niemand solch ein Versprechen geben kann. Aus seinen Aussagen spricht die pure Verzweiflung. Und genau das ist er: verzweifelt. „Ich habe sehr große Angst. Ich fühle mich in Afghanistan wie ein Fremder. Ich kenne hier niemanden mehr, es ist für mich ganz schlimm.“ Er ist heute 22, als Teenager hat er beide Eltern verloren. Er vermutet, dass die Taliban sie umgebracht haben.

Farid kommt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Er lernt die Sprache, will sich eine Existenz aufbauen. Aber trotz Unterstützung von Freunden und Flüchtlingshelfern gelingt es ihm nicht, Asyl zu bekommen. Sein Traum von Deutschland endet am 14. Dezember am Frankfurter Flughafen. Gemeinsam mit 33 anderen Männern aus Afghanistan muss er eine Maschine besteigen, die ihn nach Kabul bringt. „Auf dem Flug saßen rechts und links von mir Polizisten. Selbst wenn ich auf die Toilette gegangen bin, hat mich einer bis zur Tür begleitet und dort gewartet.“

Allein in Kabul

Am nächsten Morgen hat er wieder afghanischen Boden unter den Füßen. Empfangen wird die Gruppe von Vertretern des afghanischen Flüchtlingsministeriums und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Doch Hilfe hätte er von ihnen nicht, bekommen, sagt Farid. Niemand habe sich um ihn gekümmert, er habe sich komplett verlassen gefühlt. Überprüfen lässt sich diese Angabe allerdings nicht. Farid weiß nicht, wohin. Er reist zuerst in seine Heimatstadt in Zentralafghanistan, macht sich auf die Suche nach Verwandten. Doch die leben nicht mehr dort, die Sicherheitslage ist schlecht. Deshalb kehrt er zurück nach Kabul.

400 Euro hat er zu diesem Zeitpunkt bei sich, die hat er von einer deutschen Bekannten bekommen. Er hat ein billiges Zimmer gefunden, wo er zurzeit wohnt. Rund die Hälfte des Geldes ist mittlerweile aufgebraucht. Was danach ist, weiß er nicht. „Ich gehe jeden Morgen um sieben Uhr aus dem Haus, um nach einem Job zu suchen. Ich frage mich durch. Ich würde alles machen, auch harte körperliche Arbeit. Hauptsache, auf eigenen Beinen stehen.“ Bislang aber hat er nichts gefunden. Organisierte Hilfe für abgeschobene Rückkehrer gebe es nirgendwo, sagt er. Er fühlt sich allein gelassen. „Und ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann.“ Kontakt zu anderen, die mit ihm in der Maschine aus Deutschland saßen, hat er nicht. (…)

„Mein Leben ist in Gefahr. Hier habe ich keine Zukunft.“ Das sei nicht mehr sein Land, sagt er. Jederzeit würde er den beschwerlichen und gefährlichen Weg nach Deutschland wieder auf sich nehmen, aber die Chancen stehen schlecht. „Ich habe kein Geld mehr, wie soll ich das bezahlen?“ Die erste Flucht hatte er mit dem Geld seiner Eltern finanziert.

Jeden Tag am späten Nachmittag geht er zurück auf sein Zimmer. In der Dunkelheit möchte er nicht mehr auf der Straße sein, das sei zu gefährlich, sagt er. Eigentlich träumt er davon, eines Tages eine eigene Familie zu haben. Doch das scheint weit weg. Farid fühlt sich als kaputter Mensch. Die ständige Angst hat ihn müde gemacht, lebensmüde. „Selbst der Tod ist besser als hier zu leben. Dieses Leben bedeutet, jeden Tag aufs Neue zu sterben.“