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Nicht nur in Deutschland, wo sie bei den Koalitionssondierungen ein Knackpunkt ist, ist die Asylpolitik ein zentrales und umstrittenes politisches Thema. In Norwegen hat die Opposition jetzt eine Abstimmung im Parlament, dem Storting, gegen die konservative Minderheitskoalitionsregierung zum Thema der sogenannten „Oktober-Kinder“ gewonnen. Das berichteten norwegische Medien am 14.11.17 (siehe auf Englisch hier). Bei den „Oktober-Kindern“ handelt es sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die im Herbst 2015 während der großen Flüchtlingsbewegungen ins Land gekommen waren. Die Regierung wollte diejenigen unter ihnen, die inzwischen 18 Jahre alt geworden sind, abschieben. Unter den davon betroffenen 130 Fällen sind 128 Afghanen.

Die linke Opposition – die Sozialistischen Volkspartei (11 von 169 Sitzen), die Grünen (1) und die kommunistischen Roten (1) sowie die liberale Venstre (8) – hatten sich dafür stark gemacht, wegen der schlechten Sicherheitslage alle Abschiebungen nach Afghanistan einzufrieren und eine Abstimmung darüber beantragt. Dieser Antrag wurde auch von der norwegischen Sektion von amnesty international unterstützt.

Die ebenfalls oppositionelle sozialdemokratische Arbeiterpartei – mit 49 Sitzen die größte Einzelpartei im Parlament – sprach sich allerdings gegen eine solche weitreichende Lösung aus, ebenso die Zentrumspartei (19), die die Minderheitsregierung unterstützt. (Die AP unterstützte bisher mehrheitlich die harsche Abschiebepolitik der Regierung.)

Dagegen hatte es in der AP zunehmend Widerstand gegeben. Vor allem der frühere Außenminister (und Chef des Norwegischen Roten Kreuzes) Bjørn Tore Godal, der an der Spitze einer hochrangig besetzten Kommission auch Norwegens selbstkritische Bilanz des Afghanistan-Einsatzes gezogen hatte (siehe AAN-Bericht hier; hier kürzer auf Deutsch) war für ein Abschiebestopp eingetreten; er bezeichnete die bisherige Praxis als „Rückschlag für das zivilisierte Norwegen“.

Das führte zu dem Kompromissvorschlag, alle Fälle unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber, die seit Oktober 2016 entschieden worden waren (und mit einem zeitweiligen Bleiberecht endeten), noch einmal zu überprüfen. Dabei handele es sich nach AP-Angaben insgesamt um 200 bis 300 Fälle. Bis dahin darf niemand von ihnen abgeschoben werden.

Dafür stimmten am 14.11.17 schließlich alle nicht an der Minderheitsregierung direkt beteiligten Parteien – einschließlich der Zentrums- und der Christlichen Volkspartei (8), die sonst die Minderheitsregierung unterstützen. Der Antrag der Linksparteien und der Venstre kam nicht mehr zur Abstimmung.

Die Abstimmung folgt auf Schülerproteste gegen die geplante Abschiebung einer in Iran geborenen und aufgewachsenen Afghanin, Taibeh Abbasi, nachdem diese ihren 18. Geburtstag erreicht hatte. Amnesty unterstützte diese Kampagne.

Protest in Trondheim gegen die geplante Abschiebung der afghanischen Schülerin Taibeh Abbasi (Mitte). Foto: amnesty

 

Das Norwegische Afghanistan-Komitee kritisierte den Parlamentsbeschluss, der „keine Lösung“ für die minderjährigen Afghanen sei, die bis zur Beschlussfassung über ihre Fälle weiter „im Limbo“ leben müssten, was zu „schweren Konsequenzen“ für ihren Gesundheitszustand führen könne. Das Komitee verwies in seiner Erklärung vom 14.11.17 auf die vielen Fälle afghanischer Minderjähriger, „die aus norwegischen Aufnahmezentren verschwunden sind (… und) ein Leben in den Straßen europäischer Städte einer Abschiebung nach Afghanistan vorziehen“. (Ein detaillierterer Pressebericht dazu hier.) Allerdings sei der Beschluss ein Schritt vorwärts dabei, „Verletzlichkeitskriterien bei der Fallbetreuung der Oktober-Kinder“ zur Anwendung zu bringen und damit internationalen Rechtsstandards zu entsprechen.

Norwegens bisherige Regelung hatte bisher vorgesehen, dass abgelehnte Asylbewerber auch in Regionen der Herkunftsländer abgeschoben werden dürfen, aus denen sie nicht stammen.

Nach Angaben der EU-Behörde Eurostat hat Norwegen 2016 etwa 760 Menschen und im ersten Halbjahr 2017 172 Menschen nach Afghanistan zurückgeführt. (Diese Zahlen umfassen offenbar Zwangs- und „freiwillige“ Rückkehrer, denn laut IOM-Angaben hat Norwegen 2016 12 Afghanen abgeschoben, siehe hier.)

Deutschland hatte in der ersten Jahreshälfte 56 afghanische „Dublin-Fälle“ nach Norwegen zurückgeschoben, von wo ihnen die Abschiebung droht.

Protest gegen Abschiebungen vor dem Storting in Oslo. Foto: VG.