Schlagwörter

, , , , , , ,

Es sei eine Mahnung, sich „der Verbrechen jener Kriminellen“ zu erinnern, „die unschuldige Menschen getötet haben, aber heute an der Macht beteiligt sind“. Das erklärte Omaid Scharifi (auf Twitter: ), Gründer einer afghanischen Graffiti-Künstlergruppe, die am Wertfrauentag am 8. März in Kabul ein Porträt von Hamida Barmaki an eine Wand in der afghanischen Hauptstadt sprühte, gegenüber der afghanischen Nachrichtenwebseite ToloNews.

Über die sozialen Medien wurde bekannt, dass das Gemälde inzwischen wieder mit weißer Farbe übermalt wurde.

Das Hamida-Barmaki-Wandgemälde der Artlords in Kabul…

… das anschließend zwei Männer übermalen. Quelle: Hushdar

Die Originalfotos von Scharifi hier.

Ein Foto von der Entstehung hier:

Quelle: Zaki Daryabi

Hamida Barmaki war Dozentin an der juristischen Fakultät der Universität Kabul, Repräsentantin des Heidelberger Max-Planck-Instituts in der afghanischen Hauptstadt und Mitglied der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans, dort zuständig für den Schutz der Kinderrechte. Im Januar 2011 war sie mit ihrem Mann, dem Arzt Massud Yama – Sohn der Senatorin und früheren Frauenministerin Mahbuba Huquqmal – und den drei Töchtern und dem Sohn (geboren 1997, 1998, 2000 und 2007) in einem der neuen, nach westlichem Vorbild eingerichteten Kabuler Supermärkte einkaufen, als ein Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz auslöste (Medienbericht hier). Alle sechs starben, und mit ihnen drei weitere Afghanen, darunter ein Kind und wohl zwei Wachmänner, sowie fünf Ausländer, darunter vier Filipinas, die für eine ausländische Vertragsfirma arbeiteten (weiterer Bericht hier).

Die afghanische Menschenrechtskommission hat immer zu den Hassobjekten der afghanischen Warlords gehört. Sie war 2001 im Ergebnis der Bonner Afghanistan-Konferenz gegründet worden, um Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen der verschiedenen Perioden der afghanischen Kriege – von prosowjetischen Kommunisten, Mudschahedin und Taleban – zu dokumentieren und Wege zu einer Aufarbeitung zu finden. Die Kommission wurde von einem Teil der internationalen Gemeinschaft aktiv unterstützt und finanziert, während ein anderer Teil – v.a. die USA – die Arbeit zwar verbal begrüßten, intern aber immer wieder behinderten, weil sie fürchtete, eine Anprangerung von Alliierten würde Afghanistan und die damalige Regierung unter Präsident Hamed Karsai destabilisieren. Ihr erster Bericht – „Ein Ruf nach Gerechtigkeit“ – fand große Aufmerksamkeit, da die Mehrheit der Befragten es ablehnte, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen einfach davonkommen zu lassen. Die Veröffentlichung einer im Kooperation erarbeiteten umfangreicher Kartierung („conflict mapping“)der Kriegsverbrechen seit 1978, die Ende 2005 begann und 2012 fertiggestellt wurde und auch Namen von westlichen Verbündeten nennt, wurde im Zusammenspiel der USA und Karsais verhindert. (Den geleakten Text findet man hier und hier). Auch die Bundesregierung machte sich nie besonders stark für die Arbeit der AIHRC. (Hier ein AAN-Dossier zu diesem Thema.)

Das trug dazu bei, dass das afghanische Parlament – unter direkter Beteiligung darin sitzender Warlords und Kommandeure – 2010 eine Selbstamnestie dekretierten, die bis heute gültig ist. Präsident Ghani hat das Prinzip der Straflosigkeit in seinem Deal mit der Hesb-e Islami und sein jüngstes Friedensangebot an die Taleban noch bestärkt – nicht durch die Friedensangebote als solche, aber dadurch, dass sie einer Amnestie gleichen.

Über die Hintermänner des Supermarkt-Anschlags von 2011 herrscht bis heute Unklarheit. Sowohl die Taleban als auch die Islamische Partei Afghanistans (Hesb-e Islami-ye Afghanistan), die damals noch als zweitstärkste bewaffnete Gruppierung neben den Taleban an der Aufstandsbewegung aktiv war, bekannten sich zu dem Anschlag, wie es auch im UN-Halbjahresbericht über zivile Opfer für 2011 steht. Sowohl Taleban als auch Hesb hatten behauptet, sie hätten den Landeschef der berüchtigten „Sicherheits“firma Blackwater – damals bereits in Xe umbenannt und heute als Academi firmend – anvisiert. Es ist nicht klar, ob die Filipinas zu dieser Firma gehörten oder sich die angebliche Anschlagszielperson überhaupt in dem Supermarkt aufhielt.

Am 8. Mai 2016 wurde ein Mitglied des Haqqani-Netzwerkes, einer Untergliederung der Taleban, in Kabul für die angebliche Planung des Anschlags hingerichtet (siehe hier bei AAN). Unter den nach dem Hesb-Deal freigelassenen Gefangenen sollen sich weitere an dem Anschlag Beteiligte befunden haben, was zumindest auf eine Beteiligung der Partei hindeuten könnte.

Wichtig aber ist, dass sich die Hesb – mit der die afghanische Regierung im September 2016 ein Friedensabkommen schloss (mehr hier bei AAN) – sich nie von dem Anschlag distanzierte, auch nicht als Parteichef Gulbuddin Hekmatjar nach dem Friedensschluss in Kabul von Journalisten dazu befragt wurde (mehr Hintergrund zu ihm hier, auf deutsch und bei AAN hier und hier). Auch die afghanischen Opfer sahen sie weiterhin als Verursacher des Anschlags an (siehe hier).

Afghanischer Cartoon mit Ghani, Hekmatjar – und einem mythischen Tier.

Sollte Hesb tatsächlich dafür verantwortlich gewesen sein, wäre das eine ihrer letzten großen Aktion gewesen. (2014 übernahm sie noch einmal die Verantwortung für einen Anschlag in Kabul, bei dem zwei ausländische Sicherheitskontraktoren getötet wurden.) Auf dem Kampffeld war sie in diesen Jahren kaum noch aufgefallen – was auch die Notwendigkeit des Friedensschlusses mit ihr fraglich erscheinen lässt. Dessen einziges Ergebnis war nämlich, dass Hesb-Anführer Gulbuddin Hekmatjar mit großem Bahnhof – inklusive Ehrenempfang im Präsidentenpalast – nach Kabul zurückkehren und seitdem mehrere Hesb-Fraktionen wieder unter seiner Führung zusammenführen konnte, was ihm – der bereits im politischen Abseits gestanden hatte – neues politisches Gewicht verlieh. (Nur mit einer Fraktion unter dem früheren Wirtschaftsminister Abdul Hadi Arghandiwal, die 2005 die Partei unter ihrem ursprünglichen Namen in Afghanistan registrierte, gibt es noch einen Konflikt darüber, wer die Partei nun repräsentiert, siehe hier).

Das Abkommen sah u.a. vor, dass alle Sanktionen gegen die Parteiführer aufgehoben werden, die Strafverfolgung von Hesb-Mitgliedern in Afghanistan beendet, Hesb-Vertreter Positionen in staatlichen Institutionen erhalten (seither wurden mehrere Hesbis zu Provinzgouverneuren ernannt, und auch der neue Vorsitzende der Unabhängigen Wahlkommission gehört zu der Partei) und Hekmatjar selbst eine quasi-staatliche protokollarische Behandlung “in Anerkennung seiner Dienste für Frieden und Sicherheit“ erhält (Text des Abkommens hier). Einquartiert wurde er in einem Gebäude in West-Kabul, dass Präsident Aschraf Ghani gehören soll. Das läuft auf mehr als nur eine Blanko-Amnestie hinaus.

Hekmatjars Rückkehr löste Proteste aus. Bei einem Besuch in Herat im September 2016 warf ein junger Mann einen Schuh auf ihn (hier, mit Video), in einer charakteristisch orientalische Geste der Verachtung, die durch den Schuhwurf des irakischen Journalisten Muntadhar az-Zaidi auf US-Präsident George W. Bush im Dezember 2008 in Bagdad auch im Westen bekannt wurde. Schon einen Tag nach seiner Rückkehr fanden nahe von Hekmatjars neuer Residenz die erste Protestdemo gegen ihn statt. In der Nähe findet sich auch das neue Graffiti der Künstlergruppe um Scharifi, die sich „Artlords“ nennen – der Name ist Gegenprogramm.

Scharifi sagte weiter zu deren neuem Werk:

Wir wollen durch die Kunst eine Stimme für das Volk sein. Wir wollen sicherstellen, dass die, die die Macht haben, diese Stimme hören und sich schämen. Sie sollten wissen, dass die Menschen die Verbrechen nicht vergessen haben, die sie in den vergangenen Jahren verübt haben.

Auf die Übermalung durch, wie man vermuten darf, Hekmatjar-Sympathisanten, reagierte die afghanische Zivilgesellschaftsaktivistin Shahrzad Akbar (die inzwischen im Büro von Präsident Ghani arbeitet):

Sie haben das Wandgemälde der Märtyrerin Barmaki übermalt. Sie fürchteten sich vor ihrer Existenz und Arbeit – und jetzt fürchten sie sich vor ihrem Bild. Sie können das Bild auslöschen, aber nicht unsere Erinnerung. Hamida Barmaki wird weiterleben.

 

Der junge Gulbuddin Hekmatjar während des Kampfes gegen die sowjetische Besatzung. Foto via Twitter.

Begrüßung hekmatjars im Kabuler Präsidentenpalast durch Amtsinhaber Ghani und dessen Vorgänger Karsai. Foto: ToloNews