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Angriffe auf Krankenhäuser, Schulen und Hilfeleistende haben die humanitäre Arbeit in vielen Gebieten Afghanistans paralysiert. Das erklärte der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC), eine seit Jahrzehnten im Land aktive Hilfsorganisation, am 14.2.19. Der NRC appellierte an alle kriegführenden Parteien, Hilfsorganisationen Zugang zu schwierig zu erreichenden Gebieten zu erlauben.

Im Jahr 2018 seien 1150 Schulen entweder angegriffen oder zeitweilig im Verlauf von Militäroperationen besetzt worden. Im Ergebnis sei eine halbe Million Kinder dazugekommen, die keinen Zugang zu Bildung mehr haben. Offiziell sprach der afghanische Bildungsminister Mir Wais Balchi von 3,7 Millionen Kindern landesweit, die keinen Schulzugang hätten, drei Viertel davon Mädchen.

„Intensivierte Konflikt“ in den ersten Wochen des Jahres 2019 habe zu weiteren Vertreibungen im ganzen Land geführt, so NRC-Sekretär Jan Egeland. “Während die internationale Aufmerksamkeit auf die Friedensgespräche fokussiert, habe ich zahllose afghanische Frauen, Männer und Kinder getroffen, vor Luftangriffen, Kreuzfeuer und Militäroffensiven in Zentral- und Süd-Afghanistan geflohen sind,” so Egeland. Zwei Drittel der Bevölkerung (17 Millionen Menschen) lebten in direkt vom Krieg betroffenen Gebieten, etwa 6,3 Millionen benötigten humanitäre Hilfe, 60 Prozent davon Kinder.

Bei einem Aufenthalt diese Woche in Herat sagte mir eine UN-Vertreterin, die dort direkt in den Flüchtlingslagern arbeitet, dass allein um die Stadt Herat etwa 25.000 Familien von Dürre- und Kriegsvertriebenen – 125.000 Menschen – in drei Lagern lebten. Ein viertes sei inzwischen am Flughafen von Herat entstanden, so der örtliche Chef der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission. Neben dem Menschenschmuggel – v.a. Kinder zwischen 11 und 18 Jahren, die in Iran im Bauwesen und der Landwirtschaft arbeiten müssten und extrem ausgebeutet würden – seien die Vertreibungen das größte menschenrechtliche Problem in Herat.

[Ergänzt 24.2.19: Der Hilfsorganisation Save the Children International zufolge starben 2017 mindestens 3179 Kinder in Folge des Konflikts in Afghanistan. „Viele dieser Fälle haben mit  improvisierten Sprengsätzen und nichtexplodierter Munitions zu tun, und diese Fälle sind für mindestens 33 Prozent dieser Opfer verantwortlich. Die Kinder-Todesopfer umfassten „Kinder, die benutzt werden, Bomben zu legen und/oder selbst Anschläge auszuführen.“]

Lager von Kriegs- und Dürrevertriebenen nahe Herat. Foto: UNHCR

 

Am gleichen Tag wie der NRC appellierte auch die Deutsche Welthungerhilfe, die Menschen in Afghanistan nicht zu vergessen und ihnen weiter zu helfen. Im afghanischen Alltag seien sie „mit einer humanitären Krise konfrontiert“, so Thomas ten Boer, der Landesdirektor der Hilfsorganisation, vor Journalisten in Berlin. Zur Zeit gehe es darum, mit den Folgen der schweren Dürre vom letzten Jahr fertig zu werden. „Wir arbeiten direkt mit Gemeinschaften vor Ort [und] geben den Dörfern positive Beispiele,“ sagt er und nennt etwa Gewächshäuser. „Wenn die Menschen sehen, was wir machen, wollen sie das auch haben.“

Sein afghanischer Kollege Farshid Farzam bestätigt die NRC-Angaben, dass insgesamt sechs Millionen Menschen hilfsbedürftig seien. Die Schwierigkeit sei, auf der ersten Nothilfe weiter aufzubauen.„So geht es etwa nicht nur um die Menge der zur Verfügung stehenden  Lebensmittel, sondern auch um deren Qualität,“ ergänzt ten Boer. Es gebe inzwischen meist genug Brot, aber damit allein sei die Ernährung der Menschen viel zu einseitig.Zudem sieht er Lücken in der internationalen Hilfe: „Es gibt Nothilfe bei Dürre, und auch Hilfen für Flüchtlinge,“, sagt er. Von denen seien zuletzt fast eine Million aus dem Iran zurückgekehrt. „Es gibt auch Entwicklungsprojekte, aber kein Geld, um Gemeinschaften vor Ort widerstandsfähiger gegen Katastrophen und Notlagen zu machen.“ So fehlten Gelder, um etwa Futtermittel anzubauen. Auch seien die Projektzyklen oft zu kurz.

„Wir arbeiten direkt nur in Gebieten unter Regierungskontrolle,“ sagt DWHH-Programmleiterin Julia Broska. In umkämpften Gebieten arbeite die Welthungerhilfe entweder gar nicht oder nur über lokale Gruppen. Sei man mit Forderungen der Taliban nach einer „Besteuerung“ von Projekten konfrontiert, würde Projekte zunächst ausgesetzt und die Dorfältesten aufgefordert, Lösungen zu finden.Die Gesetzeslage verbiete „Steuern“ an die Taleban zu zahlen. Das gelte als Terrorfinanzierung, wobei die Taliban etwa im Unterschied zum IS nicht offiziell als Terrorgruppe geführt würden. Zugleich pocht die Welthungerhilfe auf ihre Neutralität. „Und es gibt auch Wege, wie wir die Zahlung von ‚Steuern‘ an die Taliban verhindern können,“ sagt ten Boer. Es gäbe auch Fälle, wo Projekte beendet werden müssten. So arbeite die Welthungerhilfe nicht mehr an dem früheren Bundeswehrstandort Kundus.

Auch die GIZ arbeitet dort nicht mehr, seit das Büro 2015 bei der Besetzung der Stadt von den Taleban geplündert wurde. Unklar sei, was passiere, sollten die Afghanistan-Mittel der GIZ weiter reduziert würden, mit der die Hungerhilfe teilweise kooperiere, so Ten Boer. Er sieht einen Trend bei westlichen Regierungen, mehr Hilfsgelder über UN-Organisationen zu geben statt direkt an Nichtregierungsorganisationen. „Wir können uns auf UN-Projekte bewerben, aber dann gibt es damit eine weitere Ebene in dem Projekt,“ sagt ten Boer.