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Auf dem 22. deutschen Sammelabschiebeflug, der am am Mittwoch morgen (20.3.) – dem Vorabend des afghanischen Neujahrsfests Naurus – in Kabul eintraf, saßen 21 Zwangspassagiere. Afghanische Beamte bestätigten diese Zahl. Abgeflogen war die Maschine vom Flughafen Leipzig-Halle. Laut Bayerischem Flüchtlingsrat wurden wieder Leute aus festen Beziehungen, mit Arbeits- oder Ausbildungsangeboten zur Abschiebung gebracht. „Das Zerreißen von festen Beziehungen und die Abschiebung von gut integrierten Menschen ist nicht christlich, nicht sozial und nicht vernünftig“, so David Förster vom Flüchtlingsrat.

Am Folgetag (21.3.19) kamen in Kabul bei Anschlägen mindestens 6 Menschen ums Leben, 23 weitere wurden verletzt.

[Die Daten in den beiden oben stehenden Absätzen wurden korrigiert. Sorry für den ursprünglichen Fehler.]

Bei den bisherigen 21 Abschiebungen hatten Bund und Länder 512 Männer nach Afghanistan zurückgebracht. Die Zahl erhöht sich mit Abschiebeflug22 damit auf insgesamt 533. Nach einer Sammelabschiebung Anfang Juli des Vorjahres hatte einer der 69 Männer kurz nach seiner Ankunft in Kabul Suizid begangen.

Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge beteiligten sich sechs Bundesländer an der Abschiebung. Verschiedenen Medienberichten zufolge schob Bayern diesmal 10 Afghanen ab; drei der abgeschobenen Afghanen – junge Männer von 20, 21 und 23 Jahren – kamen aus Hessen; einer kam aus Sachsen. Die übrigen sieben Abgeschobenen verteilen sich nach Angaben des Bundesinnenministeriums und von Flüchtlingshelfern auf Rheinland-Pfalz (3), Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen (je 2).

Laut Bundesinnenministerium seien 12 Personen aus der Haft zugeführt worden; ebenfalls bei 12 Personen hätten die jeweiligen Bundesländer angegeben, dass bei diesen rechtskräftige strafrechtliche Verurteilungen vorgelegen hätten. Diese Zahlen müssen nicht identisch sein, da auch aus Abschiebehaft abgeschoben wird. „Das Spektrum dieser Verurteilungen ist wie üblich groß und umfasst u.a. Straftaten gg. die sexuelle Selbstbestimmung, Raub, Diebstahl, Körperverletzung und Hausfriedensbruch“, hieß es in der BMI-Mitteilung. Bei den drei abgeschobenen Afghanen aus Hessen hätten dem Innenministerium in Wiesbaden zufolge u.a. Delikte wie gefährliche Körperverletzung, räuberische Erpressung sowie unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln vorgelegen. Bei den Fällen aus Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein habe es sich laut Angaben aus Flüchtlingshilfekreisen ebenfalls um Straftäter gehandelt.

In zumindest einem Fall, dem des 26-jährigen, psychisch kranken und in Nürnberg lebenden Realschülers Jan Ali Habibi musste die Abschiebung auf Anordnung des bayerischen Innenministers abgebrochen werden. Der Merkur berichtete:

Als die Ausländerbehörde am Dienstag einen Mann abholen wollte, flüchtete er [durch ein Fenster] in den Innenhof des Wohnhauses. Dabei wurde er von Polizisten gestellt, die routinemäßig die Ausländerbehörde begleitete. Nach Angaben eines Polizeisprechers drohte der Mann daraufhin, sich etwas anzutun. Aus diesem Grund wurden SEK und speziell geschulte Beamte angefordert.

Die Nachrichtenwebseite In Franken sprach von einem „Großaufgebot“. Nach seiner Festnahme sei Habibi zunächst zum Abflugsort gebracht worden, nach einer medizinischen Untersuchung die Abschiebung aber ausgesetzt worden, so ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Laut Bayerischem Flüchtlingsrat sei Habibi nun in der Psychiatrie. Für sein Bleiberecht hatten zuvor rund 700 Menschen demonstriert.

In Franken schreibt weiter zum Hintergrund des jungen Mannes:

Laut Flüchtlingsrat floh der heute 26-jährige Habibi mit seiner Familie [aus der ethnischen Gruppe] der Hazara als kleiner Junge in den Iran, nachdem sein Vater von den Taliban ermordet worden war. […] Seit 2010 leben die Habibis in Nürnberg. Zur Familie gehören Jan Alis erwachsene Geschwister und seine kranke Mutter. Nach Informationen [des Flüchtlingsrats] hat Habibi keine Straftaten begangen. In den vergangenen vier Jahren besuchte er die Abendrealschule in Nürnberg. […] Außerdem habe er in [Afghanistan] keine familiären oder sozialen Kontakte.

Habibi war einer der jungen Männer, die 2015 mit einem handgeschriebenen Brief an den damaligen Chef des Bundesamts für Asyl und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, für Aufmerksamkeit sorgten. Er protestierte mit einem Camp in der Nürnberger Innenstadt gegen jahrlange Kettenduldungen. Zu dieser Zeit wurden die Duldungen der Protestierenden alle drei Monate verlängert, sodass auch Arbeitserlaubnisse nicht möglich waren.

 

Neues zu früheren Abschiebefällen

Der Saarländische Flüchtlingsrat schilderte der Saarbrücker Zeitung am 14.3.19 den Fall von Aref Saidi, zu dem seit einigen Wochen der Kontakt abgebrochen sei. Bei seiner Abschiebung habe er nur fünf Minuten Zeit gehabt, um seine Habseligkeiten einzusammeln, bevor er in Handschellen abgeführt wurde. Danach sei Saidi, der seiner ehrenamtlichen Betreuerin aus Saarlouis zufolge vor seiner Abschiebung einen Arbeitsvertrag in der Tasche hatte, von seiner Familie im Heimatland nicht mit offenen Armen empfangen, sondern versteckt worden. Sie habe sich an das saarländische Innenministerium gewandt, wo man aber keine weiteren Angaben zum Fall habe machen können.

Das Saarland hat seit 2016 fünf Menschen nach Afghanistan abschieben lassen. Das Innenministerium teilt mit, dass es sich um drei Straftäter, einen Identitätsverweigerer und eine „sonstige ausreisepflichtige Person“ gehandelt habe. Namentlich zuordnen dürfe man sie aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.

In Thüringen machte der dortige Flüchtlingsrat inzwischen bekannt, dass es sich bei dem dritten Afghanen, der im Februar 2019 aus diesem Bundesland nach Afghanistan abgeschoben wurde, um einen gerade volljährig gewordenen Jugendlichen gehandelt hat.Er war als minderjährig unbegleiteter Flüchtling eingereist und hatte gerade eine einjährige Jugendhaftstrafe verbüßt.