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Auf den ersten Blick kann man sich ja freuen, dass sich die heute in Kiel beginnende Innenministerkonferenz der Länder (IMK) nicht darauf einigen wird, mehr abgelehnten afghanische Asylbewerber als bisher nach Afghanistan abzuschieben (ich berichtete schon hier). Dort herrscht Einstimmigkeitsprinzip, und die SPD-geführten Länder sowie das schwarz-grün regierte Schleswig-Holstein (und wohl auch das rot-rot-grüne Thüringen) haben klar gemacht, dass das für sie – zumindest jetzt – nicht geht.

Aber man muss sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen, über was man sich hier freut: Eine Anzahl von Bundesländern lehnt es ab, Schutzsuchende in das Land mit dem derzeit wieder blutigsten Krieg weltweit (2018: 30  Prozent aller Zivilopfer) abzuschieben. Abgelehnte Schutzsuchende zwar, aber es liegt ja auf der Hand, dass viele dieser Ablehnungen in einer flüchtlingsfeindlich ideologisierten Atmosphäre unter erheblichem politischen Druck eines auf Effektivität (und nicht primär Menschenwürde) optimierten BAMF, das wiederum von einem abschiebegeilen Heimatminister beaufsichtig wird, getroffen wurden. Die Zahlen der gerichtlich korrigierten BAMF-Bescheide sprechen Bände: bei Afghanen liegen sie bei 58 Prozent (siehe hier).

Ein zweites Problem ist, dass damit die sogenannte Beschränkung der Afghanistan-Abschiebungen auf die drei bekannten Kategorien „Straftäter, Gefährder und sogenannte Identitätstäuscher“ (so heute in der taz, hier online, wo man eigentlich etwas mehr Verstehen der Problematik voraussetzen sollte, denn das „sogenannte“ gehört vor „Gefährder“, obwohl die Identitätstäuscher ebenfalls sogenannt sind und eigentlich Mitwirkungsverweigerer bei der Identitätsfeststellung heißen, was aber auch noch falsch ist, siehe unten). Ich habe hier wiederholt dazu geschrieben, wie vage alle diese Kategorien sind.

Wo beginnen „erhebliche“ Straftaten, für die man abgeschoben werden kann (eine Einschränkung, die die meisten Bundesländer hier ansetzen)? Viele Bundesländer schieben “Wiederholungstäter“ ab – und in den tendenziösen Pressemitteilungen des Seehofer-Ministeriums bzw. des bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen (ein Beispiel hier, bitte auf den 22.5.19 gehen) ist dann von meist von „Vergewaltigern“ und anderen Schwerverbrechern die Rede, für die mensch wenig Sympathie aufbringen kann. (Für die allerdings trotzdem die Menschenrechte gelten – etwa nicht in ein Kriegsgebiet abgeschoben zu werden.) Aber in manchen Gegenden ist ja auch Fahren ohne Fahrschein kriminell – also werden auch Wiederholungsschwarzfahrer nach Afghanistan abgeschoben, oder Afghanen, die ein paar Joints im Park vertickt haben? Die Pressemitteilungen sind ja meist unvollständig, machen nicht alle Fälle klar, aber auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz tauchen dort immer wider auf.

Darüber, wer ein Gefährder sein soll, sind sich nicht einmal die Bundesländer einig. Da aber die IMK es mangels Einstimmigkeit allen Bundesländern freistellt, jeden, den sie für richtig halten abzuschieben – und Bayern und etwas weniger rabiat Sachsen tun das auch schon (immerhin noch nicht Familien, Frauen und Kinder) –, definieren die Länder wohl auch „Gefährder“ selbst.

Allerdings: Wen gefährden diese Leute wirklich? Die afghanischen regierungsfeindlichen Organisationen Taleban und Islamische Partei (Hezb-e Islami), die in Afghanistan durchaus auch auf deutsche Soldaten schießen, operieren nicht außerhalb Afghanistans. Sie haben auch mit al-Qaeda wenig zu tun. Es wird zwar immer mal wieder (von anonymen Sicherheitsexperten) behauptet, es gebe Afghanen bei al-Qaeda oder Taleban und Hezb seien mit ihnen „assoziiert“; aber letzteres ist Quark (sie operieren getrennt von- und oft gegeneinander); ersteres zumindest in der Praxis bedeutungslos: Afghanen aus deren Umfeld haben je an keinen Terroranschlägen oder anderen bewaffneten Aktivitäten außerhalb ihres Landes (und Pakistan) teilgenommen. Bleibt der IS – aber haben deutsche Behörden wirklich je IS-Sympathisanten unter afghanischen Flüchtlingen festgenommen?

Wie dem auch sei: Gefährder könnten afghanische Asylbewerber nur werden, wenn sie nach Afghanistan abgeschoben werden und sich dort wieder einer bewaffneten Gruppe anschließen sollten. Dann wären sie in ihrem eigenen Land „Gefährder“. Werden sie aber vorab als solche den afghanischen Behörden gemeldet, laufen sie Gefahr, verhaftet und dort gefoltert zu werden: Dem jüngsten UN-Bericht über Folter in Afghanistan zufolge werden dort ein Drittel aller im Konfliktkontext Verhafteten gefoltert oder anderen Misshandlungen unterworfen (eine AAN-Analyse hier; der ganze Bericht hier). Aber die deutsche Regierung argumentiert ja, sie muss nicht weiter verfolgen, was mit abgeschobenen Afghanen – auch aus dieser Kategorie – geschieht.

So sieht die neue e-tazkera aus. Die ersten Exemplare wurden schon verteilt, aber die meisten Afghanen und Afghaninnen haben noch eine aus Papier, wenn überhaupt. Foto: Pajhwok.

 

Ebenso problematisch ist die Kategorie der „sogenannte Identitätstäuscher“, also die sogenannten „Mitwirkungsverweigerer bei der Identitätsfeststellung“. Mitwirkungsverweigerung bei der eigenen Abschiebung ist ja keine Straftat, wird aber dadurch, dass diese Gruppe meist in einem Atemzug mit Straftätern und sogenannten Gefährdern genannt wird, indirekt kriminalisiert.

Einer „Mitwirkungsverweigerung“ machen sich Asylbewerber, praktisch betrachtet, schon schuldig, wenn sie sich keine tazkera (der afghanische Personalausweis) besorgen. Von Nichteinhaltung deutscher Fristen dabei abgesehen gibt es dabei eine ganze Reihe von Problemen. Das fängst schon damit an, dass viele, die auf dem Lande leben, sich mit ihren mageren Taschengeldern gar nicht die (oft wiederholt erforderliche) Anreise zum nächsten afghanischen Konsulat leisten können. Und es hört damit auf, dass die hiesigen Behörden – und auch viele Flüchtlingsunterstützer – davon ausgehen, dass man sich, wenn man seine tazkera auf der Flucht verloren hat, relativ einfach eine Kopie besorgen kann. Das klappt zwar in vielen Fällen (meist über Angehörige), aber jeder, der Afghanistan kennt, weiß, dass man das nur in der Provinz machen kann, in der man seine tazkera erhalten hat. Viele davon sind aufgrund der Sicherheitslage schwer erreichbar, und wer es versucht, muss sich erheblichen Gefahren aussetzen. Es gibt auch Berichte, dass es direkt beim Innenministerium in Kabul möglich sei – aber das stellt eine Umgehung der afghanischen Gesetze dar, die möglich ist, aber Schmiergeld kostet, also Korruption fördert. Ich habe einen solchen Fall (Provinz Logar} intensiv mitbegleitet, an dessen Ende die Familie trotz als „Gebühren“ getarnter Schmiergeldzahlungen (und wiederholter Fahrten in diese fast vollständig Taleban-kontrollierte Provinz) keine tazkera erhielt und es zur Abschiebung kam.

Natürlich gibt es auch wirkliche Identitätstäuscher. Pakistanis, vor allem Pashto sprechende, versuchen, sich als Afghanen auszugeben; Afghanen versuchten wiederholt, als Syrer durchzugehen (wegen der höheren Anerkennungsquote). Aber in der Regel fliegt so etwas schnell auf, und die Herkunftsländer müssen ja einer Aufnahme Abgeschobener zustimmen, also sie als Staatsbürger ihres Landes anerkennen. Dabei gibt es hierzulande Vorprüfungen durch die afghanischen Konsulate, und dabei gab es meines Wissens erst zwei umstrittene Fälle, von denen zumindest einer schnell ausgeräumt werden konnte (siehe hier).

Fazit: Nicht vergessen – schon die derzeitige Abschiebepraxis in den Krieg nach Afghanistan ist eine Schande, beruht, siehe oben, auf unzulässigen Verallgemeinerungen und ist von Intransparenz über die Betroffenen in den dargestellten drei Kategorien geprägt. Asylrecht muss Einzelfall- und nicht Kategorienrecht sein.