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Trotz der Gerichtsurteile von Mannheim (hier und meine Berichterstattung hier) und von Bremen (hier) (1) sieht es so aus, als ob morgen (am 9.2.2021) die nächste Abschiebung nach Afghanistan stattfinden wird. Nach mir vorliegenden Informationen wurden in Bayern in etwa einem halben Dutzend Fällen Duldungen gestrichen, so dass den Betroffenen Abschiebegefahr droht. In einem folgte das kurz nach Erkundigungen über eine Eheschließung, offenbar behördlicherseits um ein weiteres Abschiebehindernis zu verhindern.

Hier eine Stellungnahme von Pro Asyl zur Lage vor der Abschiebung.

Am Textende eine Pressemitteilung mit der Forderung nach einem sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan von 96 Organisationen und Initiativen.

Hier ein Video, das zeigt, was die Einwohner Kabuls jeden Tag und anderer Städte und ländlichen Gebiete häufig genug durchmachen:

Mehrere der für die Abschiebung Vorgesehenen sind bereits in Abschiebehaft. Dazu gehört der 20-jährige H. aus Nordrhein-Westfalen, der im Iran geboren wurde, mit 9 Jahren nach Deutschland kam, in Deutschland
aufgewachsen ist, wo auch seine Mutter und seine Geschwister leben, noch nie in Afghanistan war und dort auch keine Angehörigen hat. Er wird nach Informationen von Nedaje Afghan نداى افغان – Afghanischer Aufschrei im Abschiebegefängnis in Büren in Ostwestfalen festgehalten.

Die Gruppe bestätigt, dass H. ein verurteilter Straftäter sei, aber „kein Schwerverbrecher“. Er sei „zwischen 15 und 17 Jahre alt“ gewesen, also moch minderjährig, „als er angefangen hat, Alkohol und Drogen zu nehmen und mit anderen Jugendlichen in Jugendkriminalität abgerutscht ist. … Er hat dafür eine Haftstrafe verbüßt und bereut sein Verhalten. Er ist jetzt drogenfrei, war auf Arbeitssuche und wollte den Schulabschluss nachholen.“ H. verdiene „eine zweite Chance im Leben“, aber er bekomme nun „eine lebenslange zweite Strafe. Diese Abschiebung ist unmenschlich, falsch und verletzt die Würde von uns allen.“

Der zweite Fall, über den bereits verschiedentlich berichtet wurde (z.B. hier), ist der 22-jährige Hasib A., der seit 2015 in Deutschland ist und bereits als Minderjähriger nach Bayern kam und zuletzt in aus Kempten/Allgäu lebte. Zuvor war er in Afghanistan als 15-Jähriger von Taleban-Anhängern zu Hause überfallen und mit einem Messer schwer verletzt worden. Seine Eltern hatten offenbar für die US-Truppen gearbeitet. (Das kann als Dolmetscher oder auch als Wäscher oder Bauarbeiter gewesen sein.) Derzeit sitzt Hasib in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) in Abschiebehaft. 

Wie aus einem Offenen Brief von Stephan T. Reichel, Vorsitzender des Vereins Matteo – Kirche und Asyl in Nürnberg an die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer vom 2.2. d.J., der mir vorliegt, hervorgeht, war zuvor in Saarbrücken an der französischen Grenze verhaftet worden, da er in panischer Angst vor einer Abschiebung nach Kabul nach Frankreich geflohen war. Das wird hierzulande als Vergehen gegen die Ausländergesetzgebung bewertet und kann – wie in diesem Fall – zur Abschiebung als „Straftäter“ führen.

Zuvor hatte nach weiteren vorliegenden Informationen der zuständige Verwaltungsgerichtshofseine Berufung gegen die Ablehnung seines Asylantrags nicht zugelassen, und es war zu einem Abschiebeversuch aus seiner Unterkunft gekommen. Daraufhin floh er nach Frankreich, wurde dort aber ebenfalls abgelehnt, im Dublin-Verfahren nach Deutschland rücküberstellt und an der Grenze sofort verhaftet.

Die Ereignisse um Hasibs Asylantrag, Ablehnung und Flucht sind besonders für das Land Bayern mit seiner Hardliner-Asylpolitik typisch, aber haben sich ähnlich auch schon in anderen Bundesländern ereignet: Nach der Ablehnung seines Asylantrags wurde ihm laut Brief „unverzüglich die Arbeit verboten und der weitere Weg in die Ausbildung verwehrt“ und ihm damit die Chance verwehrt, „die vom Bundesgesetzgeber vorgesehene Wechsel in Beschäftigungs-oder Ausbildungsduldung zu vollziehen und seine Integration fortzusetzen.“ Die Umsetzung dieses Bundesgesetzes werde von Bayern systematisch torpediert. Im Ergebnis hatte Hasib „keinen Schutz mehr vor Abschiebung“ und habe versucht, nach Frankreich zu fliehen, „wo viele bayerische Afghanen Anerkennung und Aufenthalt bekommen.“

Zuvor wer der junge Mann im Allgäu „bestens integriert, ging dort zur Schule, spielte im Fußballverein, arbeitete in der Gastronomie und als kommunaler Arbeiter im Werkstoffhof und war auf dem Weg in eine Ausbildung“ und „nie straffällig geworden.“ Wegen der psychischen Probleme nach dem Überfall auf ihn absolvierte er eine Therapie. 

Hasib hat inzwischen keine Familie mehr in Afghanistan, da seine Eltern wegen ihrer Arbeit für die US-Truppen das Land verlassen mussten. In Afghanistan wäre die Existenz des jungen Mannes schon allein deshalb massiv bedroht; er entspricht damit dem Muster des Falls, in dem der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg auf ein eines nationales Abschiebungsverbot erkannt hatte. Seine behandelnde Ärztin habe ihm aber auch schon 2019 eine extreme Infektanfälligkeit attestierte) im Zusammenhang mit Corona als sehr kritisch. Und seit Sonntag stuft das Auswärtige Amt Afghanistan als Hochinzidenzgebiet ein.

Deutsche Behörden wollen auch einen politisch aktiven Kurden in sein Herkunftsland Iran abschieben, wo ihm die Todesstrafe droht.

Zudem scheint es auch in der Schweiz Bestrebungen zu geben, zumindest einen abgelehnten Asylbewerber nach Afghanistan abzuschieben (Bericht hier).

Logo of the new European Campaign against Deportations to Afghanistan


Am heutigen Montag finden in vielen Städten Mahnwachen gegen die Abschiebung nach Afghanistan statt, u.a. in München, Leipzig, Erfurt, Köln. Die Kölner Kundgebung am Montag 8.2. von 18 bis 19 Uhr am HBF (hier auf Facebook) wird von einer breiten Solidarisierung lokaler Initiativen getragen: AG Bleiben, AfghanistanNotSafe KölnBonn, Alarmphone Köln, Bündnis Köln-Nord gegen Rechts, Kölner Flüchtlingsrat e.V., Kölner Netzwerk Kein Mensch ist illegal, Köln gegen Rechts, Migrantifa NRW, Mosaik Köln-Mülheim e.V., Nedaje Afghan ندای افعان – Afghanischer Aufschrei – Afghan Outcry Düsseldorf, Obdachlose mit Zukunft Köln e.V., Seebrücke Köln.

Bitte informiert auch in der sozialen Medien über weitere Aktionen.

Hier noch ein Foto vom gestrigen Protest vor dem Münchner Rathaus:


Pressemitteilung vom 9. Februar 2021:

Sofortiger Abschiebestopp nach Afghanistan!

96 Organisationen und Initiativen verurteilen aufs Schärfste die geplante Abschiebung mitten im Lockdown in das Kriegs-und Krisengebiet Afghanistan

Wie im Dezember letzten Jahres wieder begonnen, setzt Deutschland seine monatlichen Abschiebungen nach Afghanistan auch 2021 fort. Abschiebungen in ein Land, welches 2020 schon das zweite Mal in Folge vom Institute for Economics & Peace in seinem Global Peace Index 2020 als das gefährlichste Land der Welt eingestuft wurde. Am 31. Januar 2021 hat das Auswärtige Amt Afghanistan als Gebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet) ausgewiesen und als Konsequenz seine Reise-und Sicherheitswarnungen noch weiterverschärft, daAfghanistan von COVID-19 besonders stark betroffen sei und das Gesundheitssystem den Belastungen nicht standhalte.

Im September 2020 stellte das Oberverwaltungsgericht Bremen und im Dezember 2020 auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg außerdem fest, dass auch gesunde, alleinstehende Männer ohne soziales Netzwerk in Afghanistan nicht dorthin abgeschoben werden dürfen, da sie aufgrund der durch die Corona-Pandemie verschlechterten wirtschaftlichen Lage nach einer Abschiebung ihre elementarsten Bedürfnisse absehbar nicht decken können.

Ungeachtet dessen plant Deutschland am 9.2.2021 den nächsten Abschiebeflug nach Afghanistan, bei dem sich erfahrungsgemäß wieder viele Bundesländer beteiligen werden.

Während in Deutschland einerseits um jedes Leben gekämpft wird, werden andererseits Menschen in ein Covid19-Hochrisiko- und Kriegsgebiet abgeschoben und die lebensbedrohliche Situation dort wissentlich in Kauf genommen.

Der Sammelcharter am 9. Februar wäre der erste Abschiebeflug aus Deutschland seit der informellen „Joint Declaration on Migration Cooperation“, die die Europäischen Union und Afghanistan im Januar dieses Jahres unterzeichnet haben und die für unbestimmte Zeit gelten soll. Demnach können künftig monatlich bis zu 500 Flüchtlinge aus der EU nach Afghanistan abgeschoben werden.

Unter den von der Abschiebung am 9. Februar Betroffenen sind voraussichtlich der 22jährige Hasib aus Kempten/Allgäu, der dort zur Schule ging, jobbte, Fußballspielen liebt, eine Ausbildung beginnen wollte und jetzt in Abschiebehaft in Ingelheim sitzt sowie der 20jährige H. aus NRW, der im Iran geboren wurde, mit neun Jahren nach Deutschland kam, noch nie in Afghanistan war und dort auch keine Angehörigen hat. Um nur zwei Schicksale zu nennen.

Der Schutz von Menschenleben während einer globalen Pandemie einzigartigen Ausmaßes kann nicht an nationalen Grenzenhalt machen und vom Aufenthaltsstatus oder der Nationalität abhängen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sofort jegliche Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen und Menschenleben zu schützen!

Unterzeichnende:

1.We’ll Come United Berlin Brandenburg

2.Jugendliche ohne Grenzen

3.Migrant Support Network e.V.

4.Afghan Refugees Movement

5.Aktionsbündnis Antirassismus

6.No Border Assembly

7.Karawane München

8.YAAR e.V.

9.Hazara Zentrum Berlin

10.World Hazara Council –Germany e.V.

11.Zaki–Bildung und Kultur e.V.

12.Afghanisches Kommunikations-und Kulturzentrum e.V.

13.Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V.

14.Afghanischer Aufschrei Düsseldorf

15.Links*Kanax

16.moveGLOBAL e.V.-Berliner Verband migrantischer-diasporischer Organisationen in der Einen Welt

17.CISPM (coalition international des sanspapiers et migrants) Mannheim

18.Initiativ Oury Jalloh Mannheim 

19.Migrantifa NRW

20.PRO ASYL 

21.borderline-europe 

22.SEEBRÜCKE

23.IPPNW Deutschland

24.medico international 

25.Ärzte der Welt e.V

26.Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte vdää

27.Republikanischer Anwältinnen-und Anwälteverein RAV

28.Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

29.Bayerischer Flüchtlingsrat

30.Flüchtlingsrat Berlin 

31.Flüchtlingsrat Bremen 

32.Flüchtlingsrat Brandenburg 

33.Flüchtlingsrat Hamburg 

34.Flüchtlingsrat RLP

35.Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt

36.Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein 

37.Flüchtlingsrat Thüringen

38.Hessischer Flüchtlingsrat

39.Münchner Flüchtlingsrat 

40.Sächsischer Flüchtlingsrat 

41.KuB -Kontakt-und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V

42.BBZ –Beratungs-und Betreuungszentrumfür junge Geflüchtete und Migrant*innen

43.Afghanisch-Deutscher Kulturverein Flensburg

44.BZSL e.V. 

45.Migrationsrat Berlin e.V. 

46.lifeline Vormundschaftsverein im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.

47.AWO Kreisverband Berlin-Mitte e.V.

48.BNS BerlinerNetzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen 

49.Evangelischer Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf

50.Diakonisches Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf

51.Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V. 

52.Weltweit-die Freiwilligengruppe von Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V.

53.XENION Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.

54.Zentrale Bildungs-und Beratungsstelle für Migrant*innen e.V. (ZBBS) 

55.Flüchtlingsbeauftragte des Ev.Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg

56.Flüchtlingsbeauftragte des ev. Kirchenkreises Schleswig-Flensburg

57.AfghanistanNotSafe KölnBonn

58.Protest LEJ Leipzig

59.Leipziger Initiativkreis: Menschen.Würdig

60.Bon Courage e.V.

61.Wedding hilft

62.Sprungbrett Zukunft Berlin e.V. 

63.Place4Refugees e.V. 

64.Kölner Netzwerk „kein mensch ist illegal“

65.Lübecker Flüchtlingsforum e.V.

66.Seebrücke Lübeck

67.Seebrücke Berlin

68.Seebrücke Flensburg

69.Seebrücke Bochum

70.Seebrücke Kiel

71.AG Bleiben, Köln 

72.Seebrücke Potsdam

73.Mosaik Köln Mülheim e.V. 

74.Diakoniewerk Simeon FB SozInt

75.Lupine Mentoring e.V.

76.Vernetzung gegen Abschiebung Hessen/M

77.Humanistische Union OV Lübeck

78.WeGe ins Leben e.V.

79.MediNetz Bielefeld

80.Multikulturelle Zentrum Trier e.V.

81.Initiative -Abschiebestopp Thüringen

82.MOVE e.V.

83.Bleibe.e.V.

84.AK Politik Köln

85.die AG Bleiben Köln

86.Mosaik Köln Mülheim e.V.

87.Pallottinische Gemeinschaft St. Christophorus unterschreiben

88.Fremde brauchen Freunde e.V., Nordfriesland

89.Helferkreis Mohammad Zaki Kulmbach

90.MeG betreutes Wohnen

91.Die Flüchtlingslotsen im Amt Hürup

92.Barnim für alle 

93.Bürger*innenasyl Barnim

94.OMAS gegen Rechts Lübeck

95.Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V.

96.Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz.


(1) Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat mit Urteil vom 22. September 2020 entschieden, dass derzeit nicht mehr „jeder alleinstehende, gesunde junge Mann im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sein wird, dort wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu führen“. Die humanitären Lebensbedingungen haben sich nach Auffassung des Gerichts seit März 2020 weiter erheblich verschlechtert. In dem konkreten Fall wurde einem alleinstehenden jungen Mann daher ein Abschiebungsverbot zugesprochen.

Am 24. November 2020 hat das Oberverwaltungsgericht Bremen in einem weiteren Rechtsstreit ebenfalls einem alleinstehenden, gesunden jungen Mann ein Abschiebungsverbot zugesprochen.

Schon mit Urteil vom 09. Juli 2020 hat das Verwaltungsgericht Hannover einem jungen Mann aus Afghanistan Abschiebungshindernisse wegen der drastischen Verschlechterung der Lage in Afghanistan zuerkannt.

(Quelle: Flüchtlingsrat Niedersachsen)