Schlagwörter

, , , ,

Trotz Hochstufung Afghanistans zum Covid19-Hochrisikogebiet, zunehmender Anschlagsdichte und einem durch den Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim ausgesprochenes „nationalen Abschiebungsverbot“ für Männer ohne unterstützendes Familiennetzwerk in ihrem Herkunftsland haben die Bundesregierung und Landesbehörden gestern (9.2.2021) abend die 36. Afghanistan-Sammelabschiebung dorthin durchgezogen. Wie dpa aus Kabul bestätigte, landete das in München gestartete Charter-Flugzeug dort am heutigen morgen mit 26 Menschen an Bord.

[Aktualisierung 10.2., 14.10 Uhr: Die afghanischen Behörden lehnten laut dpa die Aufnahme eines Mannes am Mittwoch nach eigenen Angaben ab. Ein Sprecher des afghanischen Flüchtlingsministeriums sagte, dass der Mann vorläufig in ein Gasthaus in Kabul gebracht werde.]

Damit erhöht sich die Zahl der seit Wiederaufnahme der Abschiebeflüge im Dezember 2016 auf diese Weise abgeschobenen abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan auf 989 [aktualisiert: bzw, wenn Deutschland den Abgelehnten wieder zurücknehmen muss, um 988] (Übersicht am Ende des Textes).

Zu den Abgeschobenen gehört nach Informationen aus Unterstützerkreisen der 22-jährige Hasib A., der als Minderjähriger nach Deutschland gekommen war und zuletzt im Kempten (Bayern) lebte (mehr Details zu seinem Fall hier). Damit wird ein weiteres Mal in Frage gestellt, dass die Bayern und die Bundesrepublik „nur“ Straftäter und Terrorismusverdächtige („Gefährder“) abschieben.

[Aktualisierung 10.2., 9.45 Uhr: Nach Informationen des Saarländischen Flüchtlingsrates sei gestern erneut ein Geflüchteter aus dem Saarland abgeschoben worden. „Es handelt sich um einen Afghanen aus dem Lager Lebach, der seit acht Jahren in Deutschland lebt und sehr gut Deutsch spricht. Er wurde am Montagmorgen verhaftet, als er auf der Ausländerbehörde seine Duldung verlängern wollte“, hieß es.

Mindestens ein Abgeschobener kam aus Sachsen. Nach Angaben des Sächsischen Flüchtlingsrates handelte es sich um einen jungen Mann mit Sucherkrankung, der bisher kaum in Afghanistan gelebt hat (mehr Details hier). Aktualisierung 11.2.2021, 0.15 Uhr: Inzwischen bestätigten die Behörden in Sachsen, dass von dort am 9.2. zwei Menschen abgeschoben wurden. Beide seien zuvor in einer Justizvollzugsanstalt und einer Jugendstrafvollzugsanstalt inhaftiert gewesen.

Aktualisierung 10.2., 10.15 Uhr: Auch der 20-jährige H. aus Nordrhein-Westfalen, der eine Jugendstrafe wegen Kleindelikten längst verbüßt hatte, wurde mit diesem Flug abgeschoben (mehr Details zu diesem Fall hier). ]

[Aktualisierung 10.2., 14.10 Uhr: Am Nachmittag berichtete dpa dann unter Berufung auf eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums, die auf Anfrage mitgeteilt habe, dass sich elf Bundesländer an der Abschiebung beteiligt hätten: neben den schon bekannten Bayern, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen (siehe oben) seien das Brandenburg, Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gewesen. 23 der 26 Abgeschobenen seien „in Deutschland strafrechtlich verurteilt worden“ – das heißt aber auch, wie bereits oben geschildert, dass darunter auch Menschen waren, die ihre Strafen bereits abgesessen hatten. Eine genaue Aufschlüsselung liegt bisher nicht vor.

Nur aus Bayern liegt eine genaue Gesamtzahl vor. Laut des dortigen Landesamts für Asyl und Flüchtlinge seien zwölf Männer abgeschoben worden, ausschließlich „Straftäter, unter ihnen zwei Mehrfach- und Intensivtäter, die wegen Sexualverbrechen an Kindern und Jugendlichen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden seien. Den anderen zehn Männern wurden demnach teils [meine Hervorhebung] schwere Straftaten zur Last gelegt.“

Es ist bisher auch unklar, ob das Land Baden-Württemberg auf das oben genannten VGH-Urteil reagiert hat.

Der bereits zitierte dpa-Bericht nennt auch die Namen weiterer zwei Abgeschobener: Sajed Nur (24) aus der Provinz Parwan und Nur Ali Schah (23) aus der östlichen Provinz Nangarhar. Sajed Nur habe nach der Landung gesagt: „Ich sollte eigentlich mit dem letzten Flug abgeschoben werden, aber mein Anwalt hat mich gerettet“. Er war nach eigenen Angaben seit 2015 in Deutschland, hatte eine Arbeit, sei aber in Haft geraten. Auch Nur Ali Schah sagte, er sei seit 2015 in Deutschland gewesen. „Ich habe dort studiert. Ich wurde dreimal abgewiesen [abgelehnt?]. Ich weiß nicht, warum sie uns abschieben“, sagte der junge Mann.]

Die Maschine gehört der spanischen Fluggesellschaft Privilege Style, die auch die Fußballklubs FC Sevilla und Atletico Madrid zu ihren wichtigen Kunden zählt.

[Aktualisierung 10.2., 9.30 Uhr: Die Süddeutsche Zeitung meldete unterdessen, dass in den Reihen der evangelischen Landeskirche Bayern die Empörung über diese Abschiebungen wachse und die bayerische Abschiebepraxis auch Thema einer Sitzung des Landeskirchenrats gewesen sei. „Die Sturheit, mit der die Staatsregierung um jeden Preis an ihrer Linie festhält, macht mich betroffen“, zitierte die Zeitung Michael Bammessel, Präsident des Diakonischen Werks Bayern, der als Gast an der Online-Konferenz teilnahm. „Abschiebungen nach Afghanistan sind jetzt generell nicht zu verantworten, und schon gar nicht die Abschiebung von jenen Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen“, habe er weiter erklärt.

Zuvor hatten 96 Organisationen und Initiativen aufs Schärfste die geplante Abschiebung mitten im Lockdown in das Kriegs- und Krisengebiet Afghanistan verurteilt.]

Protest gegen Abschiebungen vor dem bayerischen Innenministerium in München am 7.2.2021.

Gesamtübersicht bisheriger Abschiebeflüge

Gesamtzahl seit Dez 2016: 

989 (988) (siehe Text)

2021:

Feb.: 26 (25) (siehe Text)

Jan.: 26

2020:

Dez: 30

April-Nov.: coronabedingte Aussetzung

März: 39

Feb: 31

Jan: 37

Summe 2020 bisher: 137

2019:

Dez: 44

Nov: 36

Okt: 44

Aug: 31

Juli: 45

Juni: 11

Mai: 24

April: 32

März: 21

Feb: 38

Jan: 36 (einer von den afghanischen Behörden zurück geschickt, d.h. 35)

2019 insgesamt: 361

2018:

Dez: 14

Nov: 42

Okt: 17

Sept: 17

August: 46

Juli: 69

Juni: —

Mai: 15

Apr: 21

März: 10

Feb: 14

Jan: 19

Summe 2018: 284

2017:

Dez: 27

Nov: —

Okt: 14

Sept: 8

Mai-Juli: —

Apr: 14

März: 15

Feb: 18

Jan: 25

Summe 2017: 121

2016:

Dez: 34