Schlagwörter

, , , , ,

Während die Bundesregierung und anderen Behörden den nächsten und 39. deutschen Sammelabschiebeflug nach Afghanistan vorbereiten, der nach Informationen des Bayerischen Flüchtlingsrats am 4. Mai 2021 starten soll (mehr Informationen hier), mehren sich Bemühungen, angesichts der bevorstehenden vollständigen Truppenabzugs aus Afghanistan weiteren Ortskräften von Bundeswehr, Polizeimission, Entwicklungsministerium (BMZ) und Auswärtigem Amt in Deutschland aufzunehmen.

Hier noch das alte ISAF-Logo: Hilfe und Zusammenarbeit. Foto: Thomas Ruttig.

Der Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, mahnte , jene Kräfte, die der Bundeswehr vor Ort halfen, „schnell und unkompliziert“ nach Deutschland zu holen. „Denn wir müssen davon ausgehen, dass sie auch noch nach Jahren verfolgt würden.“ Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte in der vorigen Woche eine entsprechende Ankündigung gemacht und erklärt: „Wir reden hier von Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg auch unter Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit an unserer Seite gearbeitet, mitgekämpft und ihren persönlichen Beitrag geleistet haben.“ Sie empfinde es daher „als eine tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, diese Menschen jetzt nicht schutzlos zurückzulassen“.

Mehrere Ortskräfte, die mit dem deutschen, britischen und US-Militär oder anderen Behörden in Afghanistan gearbeitet hatten, wurden bereits ermordet. Einen Fall eines früheren Bundeswehr-Übersetzers wurde schon 2013 berichtet; Beispiele aus Großbritannien finden sich hier und hier und aus den USA hier. Medien des US-Militärs meldeten, dass bisher etwa 300 US-Ortskräfte oder Familienmitglieder getötet worden seien. Berichte zu dieser besonderen Gefährdungslage gab es im Tagesspiegel und im Bundeswehr-Journal.

Das deutsche Innenministerium teilte laut dpa jetzt der „Welt am Sonntag“ mit, die Bundesregierung werde eigens ein Büro in Kabul und voraussichtlich auch in der Region um Masar-e Scharif als Anlaufstellen einrichten, „um die Verfahren im Interesse der Betroffenen einfacher zu organisieren und abwickeln zu können“. Damit sollen die afghanischen Angestellten „weiterhin die Möglichkeit haben, auch innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung ihres Dienstes ihre Gefährdung anzuzeigen“. Das heißt aber auch, dass es gegenwärtig nur um Ortskräfte geht, die in den vergangenen zwei Jahren mit deutschen Behörden arbeiteten.

Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums (BMI) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am 18.4. waren zuletzt 520 Afghanen als Ortskräfte bei der Bundeswehr beschäftigt. [Nachtrag 30.4.: Auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel teilte das Bundesverteidigungsministerium im Gegensatz dazu am 12.4. mit, dass die Bundeswehr zuletzt noch 301 afghanische Helfer unter Vertrag hatte, davon zwei in der Hauptstadt Kabul und 299 am Bundeswehrstandort Masar-i-Scharif. Von ihnen hätten 41 „eine individuelle Gefährdung angezeigt“, heißt es in der Antwort (S. 15, Volltext hier).]

„Im Falle einer Gefährdung und nach Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden würden sie und ihre Kernfamilien eine Aufnahmezusage erhalten“, sagte ein BMI-Sprecher laut RND. Das heißt, dass das BMI möglicherweise nicht alle Bundeswehr-Ortskräfte als gefährdet betrachtet. Bundesverteidigunsministerin Annegret Kamp-Karrenbauer wollte zuletzt keine genauen Zahlen nennen, sagte aber zu, dass die zuständigen Ministerien sich „auf der Ebene der Minister … jetzt sehr schnell zusammensetzen, um … pragmatisches Verfahren“ zu finden. Sie gab indirekt zu, dass diese sich „in der Vergangenheit eben auch als relativ langwierig erwiesen haben“ und man jetzt „in der Lage sein [muss], andere Verfahren zu wählen,“ um schnell reagieren zu können.

Wie viele für BMZ, Auswärtiges Amt und die zum Monatsende schließende Polizeimission arbeiten, ist unklar. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) lehnt laut Medienberichten eine pauschale Aufnahme der Ortskräfte ab: „Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit stellt sich die Frage nach einer pauschalen Aufnahmezusage für afghanische Ortskräfte nicht.“ Anders als die Bundeswehr werde die Entwicklungszusammenarbeit auch weiterhin vor Ort in Afghanistan tätig bleiben. „Wir sind und bleiben auf Ortskräfte angewiesen, um Projekte und Programme im Land umzusetzen“, sagte er.

Eine erste Runde von Verfahren für die Aufnahme der sogenannten Ortskräfte gab es bereits, meldete dpa. Die taz berichtete dazu, dass 2013 i“n Deutschland ein peinliches Gewürge zwischen Verteidigungs- und Innenministerium darum [begann], wer denn nun als wie gefährdet anzusehen sei, und ob dies dann auch gleich die ganze Familie beträfe…, während andere Nato-Staaten umstandslos erklärten, sie nähmen ihre Ortskräfte mit, wenn diese wollten.“ (Was im Fall der USA unter Trump auch teilweise wieder rückgängig gemacht wurde.) „Es musste erst ein ehemaliger Sprachmittler in Kundus ermordet werden, bis politische Bewegung in die Sache kam.“

Seit Beginn des Ortskräfteverfahrens im Jahr 2013 wurden nach Angaben der Verteidigungsministeriums 781 Ortskräfte in Deutschland aufgenommen. Es gäbe aber auch noch eine Reihe strittiger Fälle von damals. Bis Mitte April 2014 waren laut Bundeswehr-Journal schon 766 afghanische Ortskräfte aufgenommen worden, so dass zwischen 2014 und 2021 nur 15 zusätzliche Ortkräfte hinzukamen Dort hieß es weiter:

Am 19. Juli [2014] meldeten die Stuttgarter Nachrichten neuere Zahlen. Dabei beruft sich die Tageszeitung auf einen Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung. Diesem zufolge haben bislang 937 Ortskräfte einen Antrag auf Aufnahme in Deutschland gestellt. Von den mittlerweile 908 bearbeiteten Anträgen sollen 313 bereits bewilligt worden sein. 168 Helfer mit 377 Angehörigen seien nach Deutschland gekommen, zitiert die Tageszeitung den Vertreter des Presse- und Informationsstabes des Ministeriums. In den übrigen 595 Fällen – bearbeitet aber abgelehnt – seien „beispielsweise die Gefährdungskriterien von den Antragstellern nicht erfüllt“ worden, hieß es.

Omid Nouripour, Sprecher für Außenpolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, und Pro Asyl kritisierten damals das undurchsichtige Verfahren. Medien berichteten damals von einem „beschämendem Umgang“ mit den Ortskräften, „Ungleichbehandlung“ und sogar „Druck“, keine Aufnahmeanträge zu stellen. So habe die zum BMZ gehörende Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ihre lokalen Mitarbeiter in Afghanistan nach Schilderungen Betroffener nicht aktiv informierte und sogar mehrfach von Ausreiseanträgen abgeraten. Von den bisher 437 Aufnahmezusagen unter anderem an Dolmetscher entfällt lediglich eine einzige Zusage auf den Bereich des BMZ. Die Bundesregierung habe bis dahin rund 60 Prozent der Ausreiseanträge afghanischer Mitarbeiter abgelehnt. Der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Reinhold Robbe habe den Umgang mit den Ortskräften als „beschämend“ und „unseres Landes unwürdig“ bezeichnet.

Das Bundeswehr-Journal meldete damals, dass seit Beginn der ISAF-Mission im Jahr 2001 bis 2014 „rund 1500 Einheimische“ für die Deutschen gearbeitet hätten – „meist als Übersetzer, Fahrer oder Wachpersonal.“

Auf der Bundeswehr-Webseite heißt es, dass bisher „781 Ortskräfte in Deutschland aufgenommen“ worden seien. „Dazu zählen auch afghanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, des BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und seiner Unterorganisationen sowie des Innenministeriums.  Insgesamt – mit Kernfamilien bestehend aus Ehepartnern und minderjährigen leiblichen Kindern – hat Deutschland in den vergangenen Jahren für diese Personen rund 3.300 Einreisevisa erteilt.“

Ulrike Winkelmann kommentierte in der taz:

Nun direkt zuzugestehen, dass die Bundesrepublik Verantwortung für ihre afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort trägt, heißt übersetzt: Wir gehen, wir hinterlassen das Chaos, das ihr kennt. Aber wenigstens ein paar Hundert von euch lassen wir nicht im Stich. Alle anderen bleiben ja wohl da, wo sie sind – egal, was jetzt hier wird.

Es ist eine Frucht der beschämenden Umstände, unter denen die Nato abzieht. Eine bittere Frucht.

Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour stellte in einer Erklärung am 14.4. den Zusammenhang zu den weitergehenden Abschiebungen her. Er sagt, dass „vor dem Hintergrund des Abzugs der Bundeswehr umso klarer [ist], dass die Sicherheitslage keine Abschiebungen nach Afghanistan erlaubt. Diese müssen sofort aufhören.“