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[Aktualisierung 7.8., 13 Uhr: Gerade melden dpa, die New York Times und weitere Medien den Fall der Provinzhauptstadt von Dschusdschan, Schiberghan, an die Taleban. Hier aus der dpa-Meldung:

Den Behördenvertretern und einem Parlamentarier zufolge haben die Islamisten die wichtigsten Regierungsgebäude unter ihrer Kontrolle – das Polizeihauptquartier, das Gefängnis und den Gouverneurssitz. 

Sicherheits- und Pro-Regierungskräfte haben demnach auch den Sitz des Geheimdienstes und das Haus des ehemaligen Kriegsfürsten Dostum verlassen und sind lediglich noch im Gebiet rund um den Flughafen und in einer Militärbasis.

In Kandahar musste nach Raketentreffern der Taleban der Flughafen geschlossen werden.]

Offenbar kampflos haben die Taleban heute (6.8.) Saradsch, die Hauptstadt der afghanischen Südwestprovinz Nimrus direkt an der Grenze zu Iran eingenommen. Das bestätigten der Vizegouverneur sowie zahlreiche afghanische Medien. Das ist die erste Provinzhauptstadt, die ihnen in die Hände fällt. (Ob dauerhaft, bleibt noch abzuwarten – aber die Stadt liegt isoliert vom Rest des Landes und dürfte schwer zurückzuerobern sein.) Danach kam es zu Plünderungen von Regierungseinrichtungen durch die Bevölkerung.

Tolonews berichtete, dass die iranische Grenzwachen Menschen nicht durchgelassen hätten, die über die Grenzbrücke in Sarandsch in Richtung Iran überqueren wollten

Warum sich die dortigen Regierungskräfte zurückzogen – und wie viele es dort überhaupt gab – sowie wo sich Provinzgouverneur Karim Brahwi sich aufhält ist bisher unklar. (Brahwi bestritt, nach Iran geflohen zu sein, wo er über Grundbesitz verfügt.) Damit verlor die Regierung ein/e weitere/r wichtige/r Grenzübergang und Einkommensquelle. Die Financial Times gab den Wert des dortigen Warenverkehrs für 2020 mit 512 Mio US-Dollar an. Auch den nahegelegenen kleinen Flughafen kontrollieren die Taleban.

Am Tag zuvor hatten die Taleban den Distrikt Kang, nur 10 km nördlich und mit einem „inoffiziellen Grenzübergang“ (also Schmuggelroute) eingenommen. Nach Angaben des Afghanistan-Forschers David Mansfield nahmen dortige Regierungsvertreter jährlich knapp 7 Mio US-Dollar an illegaler Besteuerung von geschmuggelten Drogen und Treibstoff ein.

Gleichzeitig wurde gestern auch in Schibarghan, der Hauptstadt der Nordprovinz Dschusdschan gekämpft. Die Taleban eroberten zunächst den Gouverneurpalast, wurden aber von Milizen des usbeko-afghanischen Warlords Abdul Raschid Dostum wieder zurückgedrängt. Dostum soll sich in Kabul aufhalten, offenbar zu Gesprächen über die Organisation der Gegenwehr. Die Kämpfer vor Ort werden von seinem Sohn Yar Muhammad angeführt. Talebannahe Quellen in den sozialen Medien behaupteten, Dostums Residenz in Schibarghan sei in Brand gesetzt worden.

Brennendes Laschkargah. Foto: Bilal Sarwary via Twitter

Auch in Laschkargah, der Hauptstadt der Südprovinz Helmand, gingen die Kämpfe weiter. Dort hatten die Taleban neun der zehn Polizeibezirke (Stadtbezirke) eingenommen. Die Regierung forderte die Bevölkerung auf – die bereits zu großen Teilen geflohen war – die Stadt zu verlassen. Danach bombardierte sie Talebanpositionen im Stadtzentrum. Auch US-Flugzeuge sollen beteiligt gewesen sein. Talebannahe Quellen in den sozialen Medien zeigten brennende Geschäftsgebäude. Auch unabhängige afghanische Medien bestätigten Zerstörungen und berichteten, dass Basarhändler in Kampfpausen versuchten, ihre Bestände zu retten.

Das Regionalzentrum Kandahar, wo vor wenigen Tagen ebenfalls im Stadtgebiet gekämpft wurde, war die Lage relativ ruhig. Die Taleban hielten Positionen in einigen Stadtteilen, belagern die Hauptquartiere von Polizei und Geheimdienst, die wichtigste Armeebasis sowie den Gouverneurssitz, aber die Regierungstruppen erhielten Verstärkung und bereiten eine Gegenoffensive vor.

[Aktualisierung 7.8.: Auch in Teilen der Stadt Kundus wird gekämpft, wie Kabul Now berichtet. Dabei seien mindestns 11 Zivilisten getötet und 41 verwundet worden. In diesem Video hört man Schüsse, während ein Mtarbeiter des örtlichen Gesundheitswesen spricht. In Schibarghan – siehe oben – drangen die Taleban weiter vor, nahmen das Gefängnis ein und öffneten dessen Tore.]

In Kabul wurde heute (6.8.) unterdessen mit Dawa Chan Minapal, Leiter des Medien und Informationszentrums der Regierung (GMIC), der auf dem Weg zum Freitagsgebet war, erstmals ein hoher Regierungsvertreter erschossen. Die Taleban bekannten sich zu dem Anschlag. Sie hatten bereits am 3.8. versucht, während eines hochrangigen Treffens in dessen Kabuler Residenz den afghanischen Verteidigungsminister Bismillah Muhammadi zu töten. Bismaillah bliebt unverletzt.

Der UN-Sicherheitsrat wollte heute nachmittag in einer Dringlichkeitssitzung die Lage in Afghanistan beraten.

Hier mehr zur aktuellen Situation:

Basar von Sarandsch (Feb. 2006). Fotos: Thomas Ruttig
Grenzbrücke in Sarandsch.
Treibstoffschmuggel unter den Augen der Polizei in Kang.