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Der Begriff „Fake News“ hat es nun in den Duden geschafft. Keine Ahnung, warum man nicht bei „Falschmeldung“ bleiben kann, was nicht viel länger wäre – aber sei’s drum.

Ich wäre allerdings dafür – aus ganz aktuellem Anlass –, auch den Begriff „Sloppy News“, also „nachlässige Nachrichten“ (oder vielleicht deutsch: „Schlampermeldung“), einzuführen. Also die Verbreitung von ungeprüften bzw uneingeordneten „Fakten“ oder Einzelmeinungen als „Nachrichten“, nur weil sie auf den ersten Blick sensationell klingen.

Es ist z.B. zwar interessant, was bestimmte Menschen zu bestimmten Themen sagen, aber allein sollte das noch keine Meldung geben und schon gar nicht als Fakt verkauft werden. (Siehe Konrad Adenauers Zitat: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Aber vielleicht ist ihm das ja auch nur zugeschrieben worden…) Tut es leider aber immer öfter, wie mir scheint.

Was Afghanistan betrifft, waren die „Nachrichten“ der letzten Tage voll solcher „Schlampermeldungen“, die man gern noch einmal gegengecheckt gehabt hätte, bevor man sie in die Zeitung stellt.

 

Beispiel 1:

„[Gemeinsamer] Angriff von IS und Taleban“

(Quelle: AFP/taz 8.8.17, S. 2).

In einer seltenen gemeinsamen Aktion [meine Hervorhebung] haben die radikalislamischen Taliban und IS-Extremisten in Afghanistanoffiziellen Angaben zufolge einen Angriff auf ein mehrheitlich schiitisches Dorf verübt.

Es geht also um einen – angeblich – gemeinsamen Angriff von Taleban- und IS-Kämpfern auf Zivilisten in einem Dorf mit vielen Toten, darunter offenbar zahlreiche Zivilisten. (In der Tagesschau gab es dazu nichts, deshalb hier der einigermaßen ausgewogene BBC-Bericht dazu.)

Die Nachricht lief aber unhinterfragt z.B. auch bei:

Der Beitrag stammt allerdings von einem Autoren, der in London sitzt (hier auf Twitter, mit der Tower Bridge als Erkennungsphoto) und sich auf Zitate von CNN und aus der New York Times stützt.

Kämpfer der radikalislamischen Taliban und der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) haben [meine Hervorhebung; nicht “sollen… haben”] im Norden Afghanistans mindestens 58 Menschen erschossen. 

  • Ebenso die Deutsche Welle (bisher offenbar nur im englischen Programm), die in ihrer Unterzeile die „Nachricht“ als Tatsache wiedergibt : “Taliban and Islamic State fighters have added [meine Hervorhebung] a new twist to the Afghan conflict by carrying out a number of deadly attacks on the Shiite Muslim minority”. Erst viel weiter unten im Text wird relativiert: “If true, …”

Wenn man sich also nur die Überschriften ansieht (was viele Leser ja beim Durchblättern oder Scrollen auch tun), hakt sich die Mitteilung schon als „Fakt“ fest.

Aber merkwürdig ist diese „Nachricht“ schon, oder? Eigentlich sind Taleban und IS ja Kontrahenten auf dem afghanischen Gefechtsfeld, und die Taleban haben neu aufkommende Pro-IS-Gruppen, zum Teil Abtrünnige aus ihren Reihen, zum Teil Splittergruppen der pakistanischen Taleban-Dachverbandes TTP von Anfang an und in einigen Provinzen sehr erfolgreich bekämpft (siehe meine Berichterstattung z.B. hier und hier). Sie wollten keine Konkurrenz aufkommen lassen. Es wäre also durchaus bemerkenswert, wenn sie nun auf einmal kooperierten täten – aber eben auch sehr unwahrscheinlich.

Was also war überhaupt die Quelle dieser Nachricht?

Ein Sprecher des Provinzgouverneurs (…) (AFP, s.o.)

Und die Agentur fügt sogar hinzu:

Von unabhängiger Seite konnten diese Angaben zunächst nicht bestätigt werden.

Genau. Warum dann aber die Meldung überhaupt bringen? Oder wie wäre es mit einer zweiten Quelle? Die Taleban etwa, auch wenn die natürlich ebenfalls nicht unabhängig sind? Sie erklärten über ihren Sprecher (laut Independent) nämlich:

„Das [die Zusammenarbeit mit IS] ist völlig falsch, es ist Propaganda unserer Feinde, ISIS ist unser Feind, es gibt keinen ISIS in Sarepul.”

Das heißt dann natürlich auch, dass die Taleban für das Massaker verantwortlich sind. (Sie behaupten, dass sie nur Angehörige einer örtlichen regierungstreuen Miliz getötet hätten. Siehe BBC.)

Das scheint auch unstrittig zu sein, denn es gibt mehrere Quellen dafür, nämlich afghanische Offizielle und Bewohner der Gegend, dass bei dem Massaker tatsächlich viele Zivilisten umgebracht wurden. Das bedeutet dann, dass die Taleban ihrer erklärten Politik zuwider handeln (nicht zum ersten Mal – siehe die Frage der zivilen Opfer), nämlich keine Zivilisten zu töten oder gegen Schiiten als solche vorzugehen. Vor allem aber wäre dies ein neues Kriegsverbrechen.

Aber darum geht es hier im Moment nicht.

Wie man es besser berichten kann, zeigte an diesem Fall z.B. die Neue Zürcher Zeitung. Dort lautet die Überschrift „Ein Massaker in Nordafghanistan zeigt, dass sich die Sicherheitslage in dem Land immer weiter verschlechtert“, die Unterzeile erläutert sofort „Wer hinter Terroranschlägen steht, lässt sich in Afghanistan nicht immer eindeutig eruieren“ und, nach Verwendung der gleichen Information (über die angebliche IS-Taleban-Kooperation, die ja auch nicht unter den Tisch fallen soll), wird relativiert und erläutert. Autor ist übrigens ein Korrespondent in der Region, der natürlich mehr weiß als die Nachrichtenredakteure in der Heimatredaktion:

Laut dem Bezirkschef von Sayad waren die Taliban und der sogenannte Islamische Staat (IS) gemeinsam an dem Angriff und dem darauffolgenden Massaker beteiligt. Sollte dies stimmen, wäre das eine massgebende Neuerung im afghanischen Konflikt. Dies ist allerdings unwahrscheinlich, denn die beiden Gruppierungen haben sich in Nangarhar, wo der IS über eine etablierte Präsenz verfügt, stets bekämpft.

Ausserhalb der ostafghanischen Provinz – und auch der Hauptstadt Kabul – ist der IS allerdings schwer zu fassen. Zwar werden in seinem Namen Anschläge verübt, es handelt sich bei den Tätern aber meist um islamistische Splittergruppen, die sich aus Gründen der lokalen Machtpolitik oder des Prestiges mit dem Namen des bekannten Terrornetzwerks schmücken. Über direkte Verbindungen zu diesem verfügen sie kaum. 

Dass die Führung der Taliban jeweils Anschläge gegen die schiitische Minderheit verurteilt, schliesst eine Beteiligung am Massaker in Sar-e Pul nicht aus. In der Vergangenheit verübten auch die Taliban zahlreiche Übergriffe auf Angehörige anderer Religionsgruppen. (…) Die Faustregel, dass die Taliban vor allem Vertreter der Staatsgewalt und deren internationale Verbündete angreifen, der IS aber auch gezielt die schiitische Minderheit ins Visier nimmt und somit gegen die Zivilbevölkerung Krieg führt, stimmt nur bedingt.

Auch z.B. die Süddeutsche behandelt das Thema mit mehr Fingerspitzengefühl, sprach von „Extremisten“ und fügte hinzu:

In afghanischen Medien [meine Hervorhebung] hieß es, die Taliban und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) seien für das Massaker verantwortlich.

Und die BBC hat einen guten Weg gefunden – bei Fakten, Aussagen (besser „Behauptungen“) o.ä., die sie zwar interessant genug zu verbreiten findet, aber von denen sie weiß, dass es dafür keine zweite unabhängige Quelle oder daran Zweifel geben könnte, setzt sie die Überschrift oder Teile davon (siehe hier z.B.) in Anführungszeichen. Ganz einfach eigentlich, und auch im Deutschen möglich.

 

Beispiel 2:

“Taleban scheinen [sic!] die Kontrolle über Afghanistans Heroin-Industrie übernommen zu haben”

Wieder eine AFP-Meldung, die hier allerdings schon im Titel immerhin einen leichten Zweifel anklingen lässt: „Taliban appears to have taken control of Afghanistan’s heroin industry” (“scheinen…”) – aber eben auch, entgegen allen Erkenntnissen, soll das für die gesamte Heroin-Industrie so sein. Auch diese Meldung life am 8.8.17 weltweit, von der Japan Times und der South China Morning Post in Hongkong über den Iran Daily bis France 24. (In Deutschland scheint das weniger gelaufen zu sein.)

Hier haben wir immerhin zwei Quellen, zunächst den US-Assistant Secretary for Drugs and Law Enforcement William Brownfield, mit der bemerkenswerten Aussage: “Ich fühle ziemlich stark, dass sie die gesamte Ernte verarbeiten.” (“I pretty firmly feel they are processing all the harvest”), wie er Reportern bei einem Besuch in Kabul sagte. Dann setzte er allerdings auch hinzu, dass “die Taleban davon [vom Drogenhandel] einen substanziellen Prozentsatz einnehmen” (“Obviously we are dealing with very loose figures, but drug trafficking amounts to billions of dollars every year from which the Taliban is taking a substantial percentage.”) Also doch nicht alles?

Dazu kommt ein Sprecher der Antidrogenabteilung des afghanischen Innenministeriums, der meint: “Die Taleban brauchen mehr Geld, um ihre Kriegsmaschinerie zu betreiben und Waffen zu kaufen, deshalb haben sie die Kontrolle über die Drogenfabriken übernommen.” Hört sich logisch an, ist aber kein Beweis, dass das stimmt. (Man hört regelrecht den Journalisten fragen: “Warum, denken Sie, haben die Taleban die Kontrolle über die Drogenfabriken übernommen?” Also nicht: “Haben…?” Ich kenne solche Fragestellungen zur Genüge.)

Schließlich wird ein Mitarbeiter des UN-Antidrogenprogramms UNODC zitiert, der meint, es gebe “anekdotische Beweise”, dass Taleban-Kommandeure in die Herstellung von Opiaten (dazu zählt Heroin) verwickelt seien, aber dass das nicht ausreichend sei, um sagen zu können, dass die Taleban als Organisation ein systematisches Programm von Heroin-Fabriken betrieben. Was sich nun doch schon ganz anders anhört.

Im ganzen Bericht kein Wort darüber, dass in Afghanistan jeder weiß, dass zahlreiche Offizielle auf Regierungsseiten in den Drogenhandel verwickelt sind, dass Posten bei der Polizei und Grenzpolizei gerade an Schmuggelrouten und Grenzübergängen für dickes Geld verkauft werden (im oben zitierten Innenministerium – siehe diesen AAN-Beitrag), dass keinesfalls die Taleban die Heroinherstellung nach Afghanistan gebracht haben, sondern schon die Mudschahedin, mit Duldung ihrer westlichen Finanziers, als es noch gegen die Sowjets ging und die Mudschahedin die von denen gelieferten Waffen oft bezahlen mussten und v.a. Pakistan damals endlich einen Weg hatte, die Heroinlabors aus dem Land zu kriegen – also einfach über die Grenze, aus der Khyber Agency nach Nangrahar.

Wir bei AAN haben – auf der Grundlage eines UNODC-Bericht – kürzlich berichtet, dass – bei einem Bruttogesamtwert der afghanischen Opiat-Industrie 2016 von geschätzt etwas über 3 Milliarden US-Dollar (Anbau, Produktion und Handel bis zu den Landesgrenzen inkl. des Inlandsmarkts) – die Taleban daraus schätzungsweise 200 Millionen US-Dollar einnähmen. Das wären etwa 6,66666… Prozent der Gesamtdrogenwirtschaft. Die anderen knapp 94 Prozent (oder 2,8 Milliarden US-Dollar) gingen dann an Nicht-Taleban. Damit wäre ihr Anteil (selbst wenn der Heroin-Handel nur einen Teil der Opiatwirtschaft ausmacht, aber offenbar den größten, wenn die Kontrolle über die Verarbeitung so lukrativ ist) also alles andere als „alles“.

Vorsicht Fake News: Taleban im Dunst und auf japanischem Pick-up. Foto: Thomas Ruttig, Nimruz (2006)

 

Beispiel 3 mache ich kurz:

“Videos suggest Russian government may be arming Taliban”

(CNN, 26.7.17)

Hier ist mal die Überschrift vorsichtiger, als was im Text und Videos als Beweis gepriesen wird: „zwei Videos zeigen Scharfschützengewehre, Varianten der Kalashnikov und schwere Maschinengewehre, bei denen, wie Waffenexperten sagen, alle Herkunftszeichen entfernt worden seien (…) und ursprünglich von russischen Regierungsquellen bereit gestellt worden waren.” Kämpfer einer (wie wir bei AAN berichteten) auch vom afghanischen Geheimdienst unterstützten Taleban-Abspaltung behaupteten, “die Russen” hätten ihnen solche Waffen aus Tadschikistan gebracht. Immerhin heißt es im CNN-Begleittext: “die Videos stellen keinen unumstößlichen Beweis” für den russischen Waffenhandel dar.

Nun halte ich die russische Seite weder für dazu unfähig, mit den Taleban zu kungeln oder ihnen sogar Waffen zu liefern, und ihre Afghanistan-Politik ist mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch vor allem vom Versuch motiviert, Rache an den Amerikanern für deren Unterstützung der Mudschahedin zu nehmen. Aber, wie der legendäre BBC-Korrespondent John Simpson nach dem Bericht tweetete:

This is basically the same as saying Japan is arming the Taliban because they all drive beat up Toyotas.

Dazu ist danach nichts mehr zu sagen.

 

Fazit:

Solche Schlampermeldungen wie in den drei Beispielen oben sollten überhaupt nicht verwendet werden, und wenn, dann nur – wie die NZZ es vormacht – mit deutlicher Einordnung. Gerade in Bezug auf Afghanistan, wo sich immer schnell ein paar Meinungsstarke (oder anderweitig Interessierte) finden, die – pardon – bereit sind, jeden Mist ungeprüft in Umlauf bringen. Die Afghanen haben übrigens einen prima Begriff dafür: Saheb-e Nazar (Meinungsinhaber). Sollte man vielleicht auch für den nächsten Duden vorsehen. Als (halb-)deutsche Übersetzung könnte man vielleicht „Talkshowgast“ verwenden.