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Afghanistan – das Land, wo die Rosen blühen und wohin man deshalb abschieben kann?

Der Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner von der SPD, gleichzeitig Mitglied des Verteidigungsausschusses, ist jemand, dem Afghanistan am Herzen zu liegen scheint. Seit Jahren hat er immer wieder das Land – nun ja, wohl meistens das Bundeswehrcamp – besucht und gilt deshalb in seiner Fraktion offenbar als Afghanistan-Kenner. Deshalb durfte er für sie am 23.3.18 wohl auch vor dem Plenum zur Debatte über die Verlängerung des Bundeswehrmandats und die Erhöhung der Truppenstärke (https://thruttig.wordpress.com/2018/03/05/bundesregierung-will-truppe-in-afghanistan-um-ein-drittel-aufstocken/) das Wort ergreifen. Dort sagte er u.a., den Vorschlag der GroKo befürwortend:

Machen wir uns doch nichts vor: Der Alltag in Afghanistan, das ist Alltag in Gewalt, Alltag im Terror … Menschen verlieren ihr Leben und werden bei uns zu Zahlen… Wir dürfen nicht wegschauen… Wir müssen schonungslos zugeben, dass sich die Sicherheitslage erheblich verschlechtert hat…

Hier das Video seiner gesamten Rede.

Ein paar Tage später kommentiere er auf dem berlin-brandenburgischen RadioEins die jüngste Abschiebung nach Afghanistan. Dort klang er nun schon wieder ganz anders, nachdem er Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu einem Truppenbesuch begleitet hatte. Auf die Frage, wie weitere Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge in das Land zu rechtfertigen seien, sagte Brunner:

Nach Afghanistan reisen freiwillig aus verschiedenen Ländern, Jahr für Jahr zwischen 450.000 und 600.000 Menschen in ihre Heimat zurück. Afghanistan ist ein sehr vielschichtiges Land. Es gibt nicht nur das gefährliche Kabul, in dem Explosionen stattfinden und Selbstmordattentäter unterwegs sind, es gibt auch das Afghanistan, in dem Rosen blühen und das Afghanistan, in dem die Menschen wieder Perspektive sehen. Und bei dieser Perspektive müssen wir die afghanische Bevölkerung unterstützen.

Zum einen ist es absoluter Schmarrn (Brunner ist aus Neu-Ulm und dürfte diesen Ausdruck verstehen), dass er die Gefährdung der afghanischen Zivilbevölkerung durch Anschläge und Selbstmordattentäter den im Frühjahr dort regelmäßig – Krieg hin, Krieg her – blühenden Rosen gegenüberstellt. Als ob nicht Bomben auch in Parkanlagen explodieren könnten.

Zum zweiten ist seine Behauptung, dass „Jahr für Jahr zwischen 450.000 und 600.000 Menschen… aus verschiedenen Ländern… freiwillig … nach Afghanistan zurück reisen“ uninformiert und schlicht falsch. (Auch wenn das Anfang 2017 in einem gemeinsamen Brief von Bundesinnenministerium und Auswärtigen Amt behauptet wurde, aus fadenscheinigen abschiebungspolitischen Gründen, siehe hier.) Ein Großteil der aus Pakistan und Iran zurückkehrenden afghanischen Flüchtlinge – denn um diese handelt es sich bei diesen Größenordnungen ­– kommen alles andere als freiwillig, sondern unter den Druck der dortigen Behörden, oft mit purer Gewalt verbunden, etwa dem Rauswurf aus gemieteten Unterkünften unter Schlägen, oder falschen Versprechungen von Land und Unterstützung seitens afghanischer Offizieller. Auch UN-Agenturen wie IOM verwenden den euphemistischen Begriff „freiwillige“ Rückkehr oft entgegen den Tatsachen.

Und schon gar nicht handelt es sich bei diesen Zahlen um solche „Jahr für Jahr“, sondern um den absoluten Spitzenwert von 2016, als Pakistan besonders rabiat gegen Afghanen vorging. (Iran ist schon seit langem anhaltend rabiat bei Abschiebungen von Afghanen.)

Aber das scheint Brunner nicht zu wissen. Während seines Besuches mit Ministerin von der Leyen dürfte er das Bundeswehrcamp kaum verlassen haben, und wenn, dann zu schnellen, gut abgesicherten Büros von Offiziellen, wo er auch kaum etwas als die offizielle und „optimistische“ Version der Lage der Dinge dargelegt bekommen haben dürfte. Kritische Nachfrage – offenbar Fehlanzeige.

Das belegt auch seine Erwiderung auf die RadioEins-Frage: „Haben sie sich sicher gefühlt in Afghanistan?“ Ja, denn er war „gut bewacht von unseren SoldatInnen und PolizistInnen“, etwas worauf sich der afghanische Durchschnittsbürger kaum verlassen kann. Abgesehen davon, dass die deutschen SoldatInnen und PolizistInnen ja nur höchst indirekt, wenn überhaupt, durch Ausbildung für Sicherheit sorgen; direkt schützen tun sie schon lange niemanden mehr, außer eben offizielle Besucher vom Schlage Brunners. Der nun – nach seinen x-ten Besuch in Afghanistan weiterhin den Experten spielt.

Hier sein gesamte RadioEins-Interview zum Nachhören (noch bis zum 4.4.18)

Anschläge (am Kabuler Flughafen am 3.7.2014. Foto: ToloNews)…

… und Rosen, alles gleichzeitig.

 

Hier ein weiterer Bericht, der ihm im Jahr 2014 zitiert, etwa dass in Kundus die Sicherheitslage so stabil sei,

„… dass zivilgesellschaftliches Leben auch dort ermöglicht wurde“, sagt SPD-Politiker Brunner. Er und seine Abgeordneten-Kollegen haben Schulen und andere Ausbildungseinrichtungen und Gerichte besichtigt. Die Situation war sehr bizarr, erzählt Brunner. Die Delegation wurde in gepanzerten Fahrzeugen transportiert und mit Panzerweste und Stahlhelm ausgestattet – „und am Straßenrand spielten die Kinder“.

Aber nicht weil es dort so sicher ist, sondern weil sie sich eben keine ähnlichen Sicherheitsmaßnahmen leisten können wie besuchende Parlamentarier. Gut, Brunner konnte natürlich nicht voraussehen, dass ein knappes Jahr später die Taleban die Stadt erobern würden.

Es wird wirklich Zeit, dass die Parteien im Bundestag wieder wirkliche Afghanistan-Expertise entwickeln, denn erstens ist der Krieg und der deutsche Einsatz dort noch lange nicht vorüber und zweitens steht eine nüchterne Zwischenbilanz immer noch aus.

Kabuler Rose im Regen – die aber trotz (und nicht anstatt) des Krieges blüht. Foto: ThRu.