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[Aktualisierung: Inzwischen hat ein Mitarbeiter des afghanischen Flüchtlingsministeriums der dpa in Kabul bestätigt (siehe hier), dass der nächste deutsche Abschiebeflug dort am 3. Oktober 2018 erwartet wird, der Abflug wird deshalb wie unten berichtet am Abend des 2.10. erfolgen.]

[Aktualisierung 28.9.18, 23.00 Uhr:

Unten im Text ist die Geschichte eines 18-jährigen Afghanen enthalten, der am Morgen des 27.9. in Passau (Bayern) in Abschiebehaft genommen wurde. Die gute Nachricht zuerst (leider gibt es auch weiterhin Beunruhigendes): er ist inzwischen wieder frei gekommen – die bayerischen Behörden tun so, als ob sie nicht gewusst hatten, dass er besondere „Integrationsleistungen“ erbracht hatte: er sollte am Montag einen Kurs beginnen. Das ist natürlich vorgeschoben: Bei vorangegangenen Abschiebungen war in mehreren Fällen sichtbar geworden, dass soetwas – trotz vorhergehender Beteuerungen von Landespolitikern – auch nicht vor Abschiebung geschützt hatte. Offenbar hat hier Medien- und sonstige Öffentlichkeit geholfen.

In einem Bericht der Passauer Freien Presse, die auch zuerst die Verhaftung gemeldet hatte, heißt es u.a.:

Der 18-jährige Passauer Berufsschüler, der am frühen Donnerstagmorgen zur Abschiebung nach Afghanistan verhaftet worden war, durfte heute das Gefängnis in Eichstätt wieder verlassen.

Wie die Pressestelle der niederbayerischen Regierung in einem schwer verständlichen Schachtelsatz mitteilt, sei sein Fall zurückgestellt und werde nochmals eingehend überprüft. Ahmed A. wird am Montag seine schulische Ausbildung an der „Berufsfachschule für Ernährung und Versorgung“ in Vilshofen beginnen können. Der Bayerische Rundfunk meldet irrtümlich, es handele sich um einen Integrationskurs mit Deutschunterricht.

Die niederbayerische Regierung begründet die Freilassung des jungen Abschiebehäftlings vor allem damit, dass er besondere Integrationsleistungen gezeigt und sich um Ausbildung bemüht hätte. In der Begründung wird es so dargestellt, als habe es der Schüler versäumt, der Zentralen Ausländerbehörde in Deggendorf diese Bemühungen und Leistungen mitzuteilen.

Stephan Dünnwald vom bayrischen Flüchtlingsrat nennt die Entscheidung der Regierung einen „vernünftigen ersten Schritt“ und merkt an, dass solche genaueren Überprüfungen vor der Verhaftung erfolgen sollten. Gerade afghanische Flüchtlinge stünden vor Ausbildungsmöglichkeiten, die von derselben Regierung nicht genehmigt würden.

Dem bayerischen Flüchtlingsrat ist [aber auch] bekannt geworden, dass es einen weiteren aktuellen Fall aus dem Passauer Raum gibt. Der 23-jährige Mujtaba A., der in Büchlberg (Landkreis Passau) wohnt, ist vor einer Woche [am 17.9.] – bei einer Vorsprache in der Zentralen Ausländerbehörde in Deggendorf – verhaftet und ins Abschiebegefängnis nach Bremen verlegt worden. Auch sein Fall sollte geprüft werden, fordert der Sprecher des Flüchtlingsrates. „Wer sich schulisch und sprachlich stark nach vorne gearbeitet hat und von der Wirtschaft einen Ausbildungsplatz angeboten bekommt, sollte diesen auch antreten dürfen. Auch die schulischen Ausbildungsberufe sollten diese Anerkennung finden“, schreibt Dünnwald.

Das ganze Statement hier.

Mujtaba A. hatte sich offenbar bei seiner Lebensgefährtin versteckt, einer Mutter mit zwei Kindern. Ein Anwalt hatte ihnen schließlich geraten, den Weg nach Deggendorf zur Zentralen Ausländerbehörde freiwillig anzutreten. Sein Ausweis war abgelaufen, der Termin einen Monat überfällig. Die Frau habe ihn dann nach Deggendorf gefahren „und dann haben sie ihn vor meinen Augen festgenommen und abgeführt, zwei Polizeibeamte. Er wollte sich doch bloß bei Euch entschuldigen!, habe sie gebettelt und geheult.

„Ich weine jeden Tag um ihn. Wir telefonieren bis spät in die Nacht“, erzählt die 28-jährige Frau aus Tittling. „Wir möchten heiraten“, sagt sie. Es sei schwer den Behörden zu vermitteln, dass es um keine Scheinehe gehe, sondern sie sich wirklich lieben.

Dann sei er nach Bremen in Abschiebehaft gebracht worden. Man habe ihr gesagt, dass angeblich alle anderen Haftanstalten überfüllt gewesen seien.

Dies ist fadenscheinig und hinterlistig: Nach meiner Einschätzung wollen die Behörden es der Fra unmöglich machen, sich für ihren Freund einzusetzen.

Weitere junge Männer „sitzen in Abschiebegefängnissen in Eichstätt, in Bremen und anderswo“, heißt es in dem PFP-Bericht weiter.

Auch der Bayerische Rundfunk und die Passauer Neue Presse berichteten. Hier ein weiterer Bericht zu dem Fall bei der PFP:

Der zuständige Schulleiter hat gestern gegenüber der Heimatzeitung erklärt, dass sich die Polizei nicht an Absprachen gehalten habe, derartige Zwangsmaßnahmen vorher abzusprechen gewesen seien. Heute darf er sich nicht mehr dazu äußern. Er hat schriftlich von der Regierung einen Maulkorb erhalten.

 

Ebenfalls aus Passau wird folgender Fall eines im Januar von dort abgeschobenen Afghanen berichtet (das Original hier):

Gestern berichteten wir Euch über die Abschiebung von Shams A. aus einer Passauer Asylgemeinschaftsunterkunft in die afghanische Hauptstadt Kabul. Shams meldete sich heute morgen telefonisch über eine afghanische Nummer bei seinem Passauer Helfer Pfr. i.R. Klaus Peter Metzger. In dem kurzen Gespräch sagte Shams folgendes: 1) Er hat in Kabul keinerlei Ansprechpartner. 2) Er weiß nicht, wo er unterkommen soll, da seine Mutter und seine Geschwister alle in den Iran geflohen sind. 3) Er hat keinerlei Geldmittel und weiß nicht mehr weiter. Dass er krank und auf medizinische Hilfe bzw. Medikamente angewiesen ist, berichteten wir bereits. Eines der Argumente der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde in Deggendorf zum „Schübling“ Shams A. war, dass seine Mutter und Bruder (der Vater wurde ermordet) in Kabul lebten. Dies hat sich nun als unzutreffend erwiesen.

Das Video, mit dem sich Shams A. aus Kabul meldete, findet sich hier.

 

Inzwischen forderten auch der Arbeitskreis Asyl/Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V. und der Initiativausschuss für Migrationspolitik die Bundesregierung auf, die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan „ausnahmslos und mit sofortiger Wirkung“ zu stoppen. Dies solle auch dann gelten, wenn Flüchtlinge schwere Straftaten begangen haben. „Auch Straftäter haben Menschenrechte“, so Torsten Jäger vom Initiativausschuss. Die rheinland-pfälzische Landesregierung solle sich an Abschiebungen nach Afghanistan nicht beteiligen und sicherstellen, dass „kommunale Ausländerbehörden keinen Ausreisedruck auf geduldete afghanische Flüchtlinge ausüben“, heißt es in einer Mitteilung der Organisationen.

 

Ebenfalls in Bayern gibt es offenbar Bemühungen, einen offenbar unrechtmäßig abgeschobenen Afghanen zurückzuholen:

Wann kehrt der abgeschobene Afghane Marof F. nach Kaufbeuren zurück? Die Hoffnung im Freundeskreis des abgelehnten Asylbewerbers auf ein baldiges Wiedersehen ist groß. Allerdings gibt es auch Skepsis angesichts der Ankündigungen von CSU-Politikern, die Bemühungen um den Mann zu unterstützen. „Was hinter den Kulissen läuft, wissen wir nicht“, sagt Waltraud Schürmann, die Marof K. gut kennt.

Foto: Ruttig

 

Hier in einem Blog fand ich folgende Meldung aus Österreich:

für montag, 1.10., ist der salzburger lehrling ali wajid vom BFA (bundesamt für fremdenwesen und asyl) zu einer einvernahme vorgeladen.

das bedeutet für ali wajid allerdings nach 3 monaten im kirchenasyl nichts anderes, als konkrete gefahr: es wäre nicht das erste mal, dass ein asylwerber anlässlich eines solchen termines einfach festgenommen wird und die abschiebung unmittelbar bevorsteht.

Ich spekuliere: Ist es möglich, dass diesmal Deutschland und Österreich einen gemeinsamen Abschiebeflug veranstalten? Ist so etwas beim jüngsten EU-Gipfel in Salzburg vereinbart worden? Bisher hatte Österreich wiederholt mit Schweden bei solchen Flügen – von der EU-Agentur Frontex organisiert – kooperiert.]

 

Hier beginnt mein ursprünglicher Text:

„Es gab bereits einige Hinweise auf den nä[chsten] Termin in der 1. Oktoberwoche. Wir gehen nun davon aus, dass die nä[chste]  #Sammelabschiebung am Di[enstag], 02.10.18, vom Flughafen München stattfinden wird.“ Das tweetete gestern der Bayerische Flüchtlingsrat (siehe auch hier).

Damit wird nach dem umstrittenen Flug vom 3. Juli 2018, den Bundesinnenminister Horst Seehofer als eine Art Geschenk zu seinem 69. Geburtstag am gleichen Tag darstellte, nun ein weiterer, nun nationaler Feiertag auf diese unmenschliche Weise begangen: der Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober.

An diesem Tag wird, wenn der Bayerische Flüchtlingsrat recht hat, der dann 17. deutsche Abschiebeflieger seit Dezember 2016 in der afghanischen Hauptstadt Kabul landen – die das Bundesinnenministerium gerade in Zurückweisung der Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks als „grundsätzlich (…) als Ort internen Schutzes “ und damit legitimen Landepunkt für Abschiebeflüge „in Betracht“ ziehe (ich berichtete hier).

Zudem gibt es inzwischen einen weiteren Bericht, dass in Bayern Afghanen in Abschiebehaft genommen wurden. Die Abschiebehaft ist in diesem Fall nach vorliegenden Informationen bis zum 2. Oktober befristet, was ebenfalls auf diesen Tag als Abschiebetermin hindeutet.

Die Passauer Freie Presse berichtete gestern auf ihrer Webseite:

Ein 18-jähriger Schüler ist im Gebäude einer Passauer Berufsschule von zwei Polizeibeamten festgenommen und ins Amtsgericht verbracht worden. Dort verhängte eine Richterin, dass er in Abschiebehaft genommen wird. Er soll nach Afghanistan abgeschoben werden. (…)

Der Schulleiter kritisiert in der Heimatzeitung, dass entgegen von Absprachen mit der Polizei gehandelt worden sei, in solchen Fällen vorher mit der Schulleitung Kontakt aufzunehmen. Der Fall habe für Bestürzung und Unruhe an der Schule gesagt, vor allem unter den 100 Schülern, die sich als Asylbewerber derselben Gefahr ausgesetzt sehen.

Laut der Flüchtlingshelferin einer kirchlichen Einrichtung, die Ahmed A. betreute, gilt dieser als unbescholten. (…) Ahmed A. stamme aus der Stadt Ghazni, die erst vor wenigen Wochen von den Taliban gestürmt und zeitweilig eingenommen worden war.

Der BR-Bericht hier.

Diesem zufolgehätte der Afghane am kommenden Montag eine integrative Fördermaßnahme inklusive Deutschunterricht beginnen sollen. Das Polizeipräsidium Niederbayern in Straubing bestätigte die Festnahme am Nachmittag dem BR.

Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert die Verhaftung als „unnötig und völlig unverständlich“. Während Ministerpräsident Söder von humaner Flüchtlingspolitik schwadroniere, würden seine Abschiebe-Behörden unbescholtene junge Schüler aus der Klasse heraus verhaften, so Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat, der Söder und Innenminister Herrmann auffordert, sich für die Freilassung von Ahmed A. einzusetzen.

Kritik kommt auch von der Bildungsgewerkschaft GEW. Anton Salzbrunn, der Vorsitzende der GEW Bayern: „Die Festnahme des Afghanen in der Berufsschule kurz vor Ausbildungsbeginn und das Verbringen in Abschiebehaft entlarvt das Gerede der Staatsregierung als Farce. Kurz vor der Bayerischen Landtagswahl hofft man mit diesen Aktionen im rechten Stimmenteich fischen zu können.“

In meinem vorhergehenden Beitrag hatte ich darüber berichtet, dass in Rheinland-Pfalz offensichtlich ein vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung trotzdem völlig widersinnig als „Gefährder“ abgeschoben werden könnte.

 

Infos/Warnhinweise darüber, wer unter afghanischen Asylbewerbern tatsächlich abgeschoben werden könnte, hier.

Schulkinder fliehen vor einem Anschlag in Kabul im Mai 2018. Foto: Habib Khan Totakhel/Twitter.

 

Die Hauptstadt Kabul betreffend – also den Zielort deutscher Abschiebungen nach Afghanistan – schreibt das UNHCR:

Um die Relevanz Kabuls als vorgeschlagene inländische Fluchtalternative, und besonders das reale Risiko ersthaften Schadens, einschließlich ernsthafter Risikos für Leben, Sicherheit, Freiheit oder Gesundheit, oder eines ernsthafter Diskriminierung, dem sich der [Asyl]Antragsteller gegenüber sehen würde, einzuschätzen, müssen Entscheidungsträger die negativen Trends in der Sicherheitssituation für Zivilisten in Kabul gebührend in Betracht ziehen. (…) UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die sich am täglichen Wirtschaftsleben und sozialen Aktivitäten in Kabul beteiligen, einem Risiko ausgesetzt sind, verallgemeinerter Gewalt zum Opfer zu fallen, die die Stadt beeinflusst. (…)

Um die Angemessenheit Kabuls als vorgeschlagener inländischer Fluchtalternative einzuschätzen, muss sichergestellt werden, dass der Antragsteller in Kabul Zugang haben muss zu: 

(i) Unterkunft;
(ii) essentielle Dienstleistungen wie Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung;
(iii) Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, oder nachweisliche und nachhaltige Unterstützung, die Zugang zu einem adäquaten Lebensstandard ermöglichen.

(…) Eine relevante Information, die dabei von Entscheidungsträgern in Betracht zu ziehen sind, beinhalten das ernste Besorgnis, das humanitäre und Entwicklungsakteure über die Grenzen der Absorptionskapazität Kabuls zum Ausdruck bringen. (…)

Vor [diesem] Hintergrund, und in Betracht der generellen Konfliktsituation und der Menschenrechtsverletzungen sowie des nachteiligen Einflusses, das diese auf den breiteren sozio-ökonomischen Kontext haben, geht UNHCR davon aus dass in Kabul generell eine inländische Fluchtalternative nicht verfügbar ist (Hervorhebung im Orig.).