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Hinweise darauf, dass der nächste, dann 17. deutsche Sammelabschiebeflug nach Afghanistan um den 3. Oktober 2018 starten könnte. Da der 3. Oktober Feiertag ist, könnte es sich um 2. oder den 4. Oktober handeln.

Die bisher letzte Abschiebung fand am 11.9.2018 statt, die vorvorletzte am 3.7.18, dem 69. Geburtstag von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Offenbar suchen sich die Bundesregierung jetzt immer Daten aus, die man sich gut merken kann. Diesmal also möglicherweise einen Termin nahe dem Tag der deutschen Einheit.

Dies könnte damit zusammenhängen, dass am 14. Oktober in Bayern und am 20. Oktober in Afghanistan (siehe mein kürzliches Interview mit der Deutschen Welle) Wahlen stattfinden werden.

Bis zum Juli hatten die Sammelabschiebungen nach Afghanistan immer zum Monatsende stattgefunden. Bei der Abschiebung der Seehofer69 war das erstmals geändert worden; nach Angaben der gewöhnlich immer gut unterrichteten Kreise sollte der Flug eigentlich schon am 26.6. gehen, wurde dann aber verschoben.

Mit Abschiebung Nr. 16 hatte sich die Gesamtzahl der seit Dezember 2016 aus Deutschland abgeschobenen Afghanen auf 366 und derer im Jahr 2018 auf 211 erhöht.

Kurz nach dem IS-Anschlag in Kabul am 23.7.16. Foto: Tolo.

 

Freigesprochener „Gefährder“ vor Abschiebung?

Offenbar sitzen in Bayern und Rheinland-Pfalz schon die ersten Kandidaten für den Flug in Abschiebehaft. Dazu könnte auch ein junger Mann gehören, der sich selbst bezichtigt hatte, bei den Taleban Leibwächter für einen derer Schattengouverneure und bei 50 Hinrichtungen anwesend gewesen zu sein. Offenbar behauptete er dies in der Hoffnung, nicht nach Afghanistan abgeschoben werden, denn gefangenen Talebankämpfern droht dort das Todesurteil, das in Afghanistan auch wiederholt vollstreckt worden ist. Denn er widerrief dies später, offenbar nachdem er festgestellt hatte, dass ihm deshalb nun wegenMitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Beihilfe zum Mordder Prozess gemacht wurde. Davon wurde er dann im Dezember wegen „unüberwindbarer Zweifel“ an seinen früheren Angabenfreigesprochen. U.a. hatte der Bundesnachrichtendienst seine Angaben für unglaubwürdig befunden.

Das ist zwar alles nicht sehr sympathisch, aber wenn der inzwischen 22-jährige Khan A. (siehe hier und hier) nun tatsächlich als „Gefährder“ abgeschoben werden soll, wäre das mehr als absurd.

Da, wie der Trierer Volksfreund schon im März berichtete, auch das Asylverfahren des im Februar vergangenen Jahres abgelehnten Asylbewerbers inzwischen beendet ist und sein Anwalt auf zwei Aufforderungen des Trierer Verwaltungsgerichts, die Klage gegen seine ursprüngliche Ablehnung zu begründen, nicht reagiert habe, könne er auf dieser Grundlage jetzt abgeschoben werden. Allerdings ist die bisherige Linie der Landesregierung, nur Straftäter, „Identitätstäuscher“ und eben „Gefährder“ abschieben, was auf Khan A. dann ja allerdings alles nicht zuträfe.

 

Über solche Taleban-Selbstbezichtigungen unter afghanischen Asylbewerbern hatte ich bereits hier berichtet. Damals schrieb ich:

Bemerkenswert dabei ist, dass entgegen zahlreichen Medienberichten (u.a. auch in Spiegel und Welt) die afghanischen Taleban als Organisation in Deutschland nicht verboten oder als terroristische Organisation gelistet sind. Auch die UNO (hier, siehe Abschnitt B, ab S. 119, und hier, siehe Abschnitt B, ab S. 54; beide Stand 22.4.17), die EU und die USA haben sie nicht als „terroristische Organisation“ gelistet und unter Sanktionen gestellt – wohl aber eine ganze Reihe führender(!) Einzelmitglieder. (Eine Ausnahme bildet Großbritannien, wo die Taleban offiziell als „verbotene terroristische Organisation“ eingestuft sind; hier). Die Nichtsanktionierung der Taleban als Organisation wird dahingehend interpretiert, dass sich die US-Regierung nicht die Möglichkeit für politische Gespräche mit beiden Organisationen verbauen möchte.

Damals wurde ich auch wie folgt in einem Spiegel-Artikel zitiert:

Thomas Ruttig analysiert Strukturen und Verbrechen der Taliban seit vielen Jahren für das „Afghanistan Analysts Network“. Er warnt: „Eine definitive Zuordnung von Verdächtigen zu den Taliban dürfte schwierig werden, denn anders als beim Islamischen Staat gibt es bei ihnen offenbar keinerlei Listen von Mitgliedern.“ 

Ruttig ist eine Autorität unter den deutschsprachigen Afghanistan-Experten. Statt von einer straff koordinierten Terror-Organisation rede man bei den Taliban eher von einem Netzwerk teilweise autonomer Fraktionen von Kämpfern. „Die Taliban haben zwar eine Hierarchie und eine mehrstufige Befehlskette von ihrem Anführer zu den Frontkommandeuren hinunter“, sagt Ruttig, „diese Kommandeure wiederum sind jedoch teilweise unabhängig und rekrutieren sogar eigenständig“. Bis heute sei noch nicht einmal klar, ob alle Kämpfer den sogenannten Treue-Schwur auf die Taliban-Führer leisten müssten. 

In Afghanistan habe zudem fast jeder Einwohner, vor allem in den ländlichen Regionen, irgendwann einmal Kontakt zu den Taliban gehabt. Sie kontrollieren einen Großteil des Bürgerkriegslands. „In den Dörfern müssen viele junge Leute für die Taliban arbeiten oder ihnen helfen, weil sie sich kaum gegen den Druck der Kommandeure oder aus der Familie wehren können“, sagt Ruttig. 

Damals schrieb ich auch folgende ergänzende Anmerkungen zum Spiegel-Artikel:

Zur Mitgliedsfrage bei den Taleban: Eigentlich müssen alle Mitglieder einen Gefolgschaftseid (baja) auf den Chef der Organisation schwören, in dessen Kapazität als religiöser Führer (amir ul-momenin), die auch der Nach-Nachfolger Mulla Muhammad Omars, Mulla Hebatullah Achundsada, innehat. Ob das in der Praxis aber immer auch der Fall ist, ist eine andere Frage. Die Taleban sind eben kein SPD-Ortsverein, mit Mitgliedsausweisen etc pp. (Obwohl, einen Kassenwart dürften sie hie und da auch haben…)

Ob es beim Islamischen Staat (bzw dessen afghanisch-pakistanischem Ablegen, „Provinz Chorassan“, Mitgliederlisten gibt, weiß ich auch nicht. Die Aussage oben [in meinem ursprünglichen Artikel] bezieht sich auf Medienberichte, der IS in Irak und Syrien habe solche Listen geführt.

„Netzwerk teilweise autonomer Fraktionen“ ist Spiegel-Terminologie, nicht meine. Ich bevorzuge es, von den Taleban als „Netzwerk von Netzwerken“ zu sprechen, nicht von „Fraktionen“. Netzwerke sind örtlichen Natur, Fraktionen wären politischer und dauerhafterer Natur – und zwischen ihnen bestehen normalerweise deutlich Meinungsunterschiede in politischen Fragen. Das scheint mir bei den Taleban-Netzwerken nicht der Fall zu sein, die allerdings manchmal um Ressourcen konkurrieren. (Das heißt aber auch nicht, dass es in den Reihen der Taleban keine politischen Meinungsverschiedenheiten gäbe – allerdings äußern die sich nicht in festen Fraktionen, sondern zwischen – führenden – Einzelpersonen.)

Die Taleban sind aber nicht nur ein „Netzwerk von Netzwerken“, sondern haben eine duale Struktur: horizontal gibt es dieses „Netzwerk von Netzwerken“ mit viel Autonomie für Feldkommandeure und ihre lokalen Fronten sowie größere Netzwerke und damit Elastizität und Widerstandsfähigkeit; aber es gibt gleichzeitig auch eine starke, religiös legitimierte Vertikale (s.o. baja etc) und eine zentralisierte Kommando-Kette.

Dass Kommandeure „unabhängig“ seien, halte ich für zu weit gehend und habe das auch dem Spiegel so nicht gesagt.

Der letzte Absatz bezieht sich auf die Aussagen im Artikel – denn damit begründen manche Asylbewerber ihren Antrag. Es gibt natürlich auch junge Leute in Afghanistan, die freiwillig bei den Taleban mitmachen.

Die weiße Flagge der Taleban mit der Kalema, dem Glaubensbekenntnis.

Die weiße Flagge der Taleban mit der Kalema, dem Glaubensbekenntnis.

 

Es scheint zudem, dass sowohl die Welle an Selbstbezichtigungen als auch die Anklagebereitschaft der Bundesgeneralanwaltschaft gegen Afghanen aus solchen Gründen inzwischen stark abgenommen hat. Die letzte solche Anklage stammt vom Januar 2018.

Zum Thema (nicht nur afghanischer) „Gefährder“ finden sich Ausführungen von mir hier.