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Viele Schlagzeilen hat sie nicht gemacht, aber eigentlich war es ein bedeutendes Ereignis: der erste spontane Protest von afghanischen Abgeschobenen in Kabul am 9. Mai 2019 in Kabul nach der Ankunft eines Sammelabschiebefluges aus der Türkei. Nur die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok berichtete – die Übersetzung der gesamten Meldung am Ende dieses Textes.

Es gab zudem – bisher unbestätigte – Hinweise darauf, dass sich bei einer Abschiebung aus der Türkei nach Afghanistan Ende der Vorwoche einen Todesfall ereignet haben soll und ein weiterer Asylsuchender trotz deutlich sichtbarer gesundheitlicher Probleme auf diesen Flug gesetzt worden sei.

Spontaner Protest abgeschobener Afghanen aus der Türkei am 9.5.19 in Kabul. Foto: Pajhwok.

 

„Unverhältnismäßige“ Gewaltanwendungen gegen afghanische Abgeschobene durch Bundespolizei

Gleichzeitig kritisierte jetzt das Antifolterkomitee des Europarat (Medienberichte dazu hier und hier) Deutschland dafür, bei einer Abschiebung afghanischer Flüchtlinge im August 2018 „unverhältnismäßige und unangemessene“ Gewalt angewendet zu haben. Sie forderte die Behörden auf, keine Methoden anzuwenden, die bei den Betroffenen „ein Erstickungsgefühl auslösten oder ihnen starke Schmerzen zufügten“.

In einem ausführlichen Fallbericht (hier im ganzen nachzulesen) wird geschildert, wie in der Nacht zum 15. August 2018 zwei Afghanen – einer von ihnen hatte vor der Abschiebung eines Suizidversuch unternommen, und die Wunden davon öffneten sich während seines Widerstandes – auf einem Abschiebeflug München-Kabul Methoden eingesetzt hätten, die „eindeutig darauf ab[gezielt haben], durch Zufügung starker Schmerzen kooperatives Verhalten zu erreichen“. So habe ein Beamter einem Mann von hinten einen Arm gegen den Hals gedrückt, was seinen Atem eingeschränkt habe; ein anderer Polizist habe ihm zuvor, auf ihm sitzend, mehrmals für längere Zeit die Genitalien gequetscht, damit er seinen Protest gegen seine Abschiebung einstelle. Insgesamt hätten sechs Polizisten den Letztgenannten bearbeitet. Beide seien zuvor mit Hand- und Fußschellen sowie Klebeband gefesselt und von mehreren Polizisten gewaltsam in die Maschine befördert worden. Einer der beiden leistete auch Widerstand, als er in Kabul aus dem Flugzeug gebracht werden sollte, wurde „fixiert und von einem aus bis zu sieben Begleitbeamten bestehenden Team aus dem Flugzeug getragen“, danach auf dem Rollfeld in ein separates Polizeifahrzeug gesetzt und an afghanische Polizeibeamte übergeben.

An Bord des Fluges waren 46 Flüchtlinge gewesen (meine Berichte damals hier und hier).

Die Experten des Europarates, die Abschiebeflüge begleiten, kritisierten, ein solches Vorgehen sei „unverhältnismäßig und unangemessen“. Abgesehen davon seien alle Begleitbeamten „während der gesamten Abschiebungsmaßnahme professionell und respektvoll mit den ihnen zugewiesenen Rückzuführenden“ umgegangen .

In dem Bericht heißt es, das Komitee:

… empfiehlt, dass Begleitbeamte der Bundespolizei nicht gestattet sein sollte, Techniken anzuwenden, die die Atemfähigkeit einschränken, und/oder absichtlich starke Schmerzen zuzufügen (z.B. durch Quetschen der Genitalien), um kooperatives Verhalten zu erreichen.

Das Komitee kritisierte außerdem, dass Abschiebungen aus Deutschland den Betroffenen häufig zu kurzfristig angekündigt werden – selbst Betroffenen in Abschiebehaft erst spät oder in letzter Minute. Es ist immer wieder bekannt geworden, und auch hier wiederholt berichtet worden, wie afghanische Flüchtlinge in Schulen, am Arbeitsplatz oder selbst in ihrer Unterkunft abgeholt wurden und ihnen, wenn überhaupt, nur wenige Minuten Zeit gelassen wurde, einige Sachen zusammenzupacken oder das sogar die Beamten taten. Ich habe in Kabul selbst mit von solchem Vorgehen Betroffenen gesprochen.

Es sei unerlässlich, so der Europarat, dass den Menschen rechtzeitig mitgeteilt werde, dass sie Deutschland verlassen müssten. Nur so könnten sich die Menschen psychisch mit der Situation auseinandersetzen. Das Gremium bemängelte auch die Einrichtung eines besuchten Abschiebegefängnisses in Bayern.

In dem Bericht wird auch die Forderung hervorgehoben, „dass unabhängige Monitoring-Stellen das Verfahren der Übergabe [der Abgeschobenen] an die Behörden des Ziellandes beobachten können.“ Das ist bisher nicht der Fall.

Aus dem Bericht gehen auch weitere Einzelheiten zu dem Abschiebeflug von August 2018 hervor, etwa dass „vor Abflug […] insgesamt 104 männliche afghanische Staatsangehörige für die Abschiebung nach Afghanistan vorgesehen“ waren, von mir in früheren Berichten als Pool bezeichnet, da den Behörden klar ist, dass immer für die Abschiebung vorgesehene Flüchtlinge nicht angetroffen werden oder der Abschiebung ausweichen könnten. Der Bericht gibt auch die genaue Zahl der Abgeschobenen aus den Bundesländern an, die damals von der Bundesregierung (so wie auch bei der jüngsten Abschiebung) nicht genau angegeben worden war:

Baden-Württemberg (3 Rückzuführende), Berlin (1 Rückzuführender), Brandenburg (3 Rückzuführende), Hamburg (1 Rückzuführender), Hessen (2 Rückzuführende), Nordrhein-Westfalen (5 Rückzuführende), Rheinland-Pfalz (2 Rückzuführende), Saarland (1 Rückzuführender), Sachsen (2 Rückzuführende) und Schleswig-Holstein (1 Rückzuführender).

Am Tag des Abflugs seien 47 Personen zum Flughafen München gebracht worden, von denen 46 tatsächlich nach Afghanistan abgeschoben wurden. Die verbleibende Person wurde von den zwei Ärzten, die die ärztliche Untersuchung am Flughafen durchführten, für nicht reisetauglich erklärt, da sie suizidgefährdet gewesen sein. Weiter heißt es in dem Bericht:

Drei andere Rückzuführende wurden hingegen zu dem Rückführungsflug zugelassen, obwohl alle in den Tagen vor oder am Tag der Abschiebungsmaßnahme einen Suizidversuch unternommen oder mit Suizid gedroht hatten. Zwei von ihnen waren in der Justizvollzugsanstalt Eichstätt (Abschiebungshafteinrichtung) inhaftiert. Beide wurden von psychologischer Seite als selbstverletzungs- und/oder suizidgefährdet eingeschätzt und waren in besonders gesicherten Hafträumen unter ständiger Überwachung untergebracht. Ein dritter Rückzuführender hatte seiner Krankenakte zufolge am Tag der Abschiebemaßnahme versucht, sich selbst zu verletzen und Suizid zu begehen, indem er sich die Unterseite seines linken Unterarms aufschnitt und Medikamente schluckte. Er wurde in einem örtlichen Krankenhaus behandelt. Während des Transports zum Flughafen soll er versucht haben, sich erneut selbst zu verletzen, u. a. indem er seine Wunden wieder eröffnete. Als er von dem Arzt der Delegation befragt wurde, wurde deutlich, dass dieser Rückzuführende auch unter psychischen Problemen litt.

Sowohl die Ärzte in den jeweiligen Hafteinrichtungen als auch am Flughafen waren der Auffassung, dass diese drei Rückzuführenden in Übereinstimmung mit der einschlägigen internen Anweisung der Bundespolizei reisetauglich seien, solange ein Arzt an Bord sei. Allerdings war die ursprüngliche Bescheinigung der Reisetauglichkeit des dritten Rückzuführenden, auf die die beiden Ärzte am Flughafen ihre Einschätzung maßgeblich stützten, bereits vor dem Selbstverletzungs- bzw. Suizidversuch am Tag der Rückführungsmaßnahme ausgestellt worden. [Das Antifolterkomitee] hat Zweifel, ob diese Vorfälle bei der ärztlichen Einschätzung der Reisetauglichkeit dieser Person angemessen berücksichtigt wurden.

Darüber hinaus deuten die Beobachtungen der Delegation auf eine doppelte Loyalität seitens des begleitenden Arztes hin, der bei dieser Person die Reisetauglichkeit bescheinigte, womit er hauptsächlich im Interesse der Bundespolizei zu handeln schien.

Ein weiterer Rückzuführender aus der Abschiebungshafteinrichtung in Büren hatte infolge eines Sturzes aus erheblicher Höhe eine komprimierte Fraktur eines Lendenwirbels erlitten, als er versuchte, aus dem Fenster zu springen, um sich bei seiner Ingewahrsamnahme etwa 10 Tage vor der Abschiebungsmaßnahme dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Anschließend unterzog er sich einer Wirbelsäulenoperation, bei der der gebrochene Wirbel intern fixiert wurde, und wurde drei Tage vor der Abschiebungsmaßnahme aus dem Krankenhaus entlassen. […] Diese Person wurde ebenfalls unter der Voraussetzung für reisetauglich befunden, dass während des Fluges ein Arzt an Bord ist. Während des Fluges gestatteten die Begleitpersonen dem Betroffenen auf seine Bitte hin, sich hinlegen zu dürfen, um seine Schmerzen zu lindern.

Die Berichterstatter bemängelten auch die Praxis, die Abzuschiebenden erst sehr kurzfristig – kürzer als gesetzlich vorgesehen (siehe Antwort der Bundesregierung unten) – von ihrer Abschiebung in Kenntnis zu setzen:

„[A]lle von der Delegation befragten Rückzuführenden [waren] von den zuständigen Behörden erst am Tag ihrer geplanten Abschiebung offiziell über ihre bevorstehende Abschiebung informiert worden, und zwar als sie von der Polizei abgeholt wurden.

Aus der Antwort des Bundesjustizministeriums auf den Report ging hervor, dass die Abschiebung in der Regel eine Woche vor dem Termin angekündigt werden soll – auch den in Haft sitzenden Betroffenen. Bayern vertrete jedoch die Auffassung, dass den Menschen in Abschiebehaft nicht das genaue Datum genannt werden müsse. Da sie sich in Abschiebehaft befänden, seien sie dadurch über ihre anstehende Ausweisung bereits informiert, hieß es.

Hier die gesamte Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht:

20190509Stellgnahme BuReg zu EuroparatCPT-Kritik

Zudem mussten die Abzuschiebenden vor Abflug, während auf dem Flughafen München Durchsuchungs- und andere Maßnahmen liefen, „bis zu mehreren Stunden in den Transportfahrzeugen warten,“ einige sogar gefesselt. „Die meisten Gefangenen wurden […] nicht mit Essen oder Wasser versorgt, so dass „mehrere Rückzuführende [seit] den frühen Morgenstunden […] weder Essen noch Wasser bekommen hatten“ „Leichtes Essen“ und Getränke gab es erst vor dem Abflug. 

 

Schließung der Übergangsunterkunft in Kabul

Im übrigen wurde inzwischen bekannt, dass die UN-Unterorganisation IOM und das afghanische Flüchtlingsministerium die Übergangsunterkunft in Kabul für Abgeschobene ohne Heimatadresse geschlossen hat, in der solche Menschen zwei Wochen lang unterkommen konnten, und durch Geldzahlungen ersetzt hat. Angeblich sei die Unterkunft nicht ausreichend genutzt worden. Allerdings handelte es sich zuletzt um Zimmer in einem Kabuler Hotel, und es ist fraglich

Dort hatte im Juli 2018 ein Abgeschobener Suizid begangen (meine Berichte hier, hier und hier).

Hier die entsprechende Auskunft der Bundesregierung:

20190506BuReg-Antwort Afgh IOM-Unterbringung

Die Regelung soll sich auf Abgeschobene aus allen europäischen Ländern beziehen.

Eine der Auswirkungen dieser Maßnahme ist es, dass nun überhaupt kein Kontakt mehr zu Abgeschobenen möglich ist, die in der Regel in Kabul oder anderen Städte einfach in der Bevölkerung verschwinden (oder untertauchen oder wieder versuchen, wie vielfach berichtet, wieder nach Iran und eventuell erneut weiter nach Europa zu gehen), wenn sie nicht aus eigener Initiative Kontakt zu Unterstützern in Deutschland halten.

 

Hier meine Übersetzung der Pajhwok-Meldung über die Demo der Türkei-Abgeschobenen:

Aus der Türkei deportierte Afghanen blockieren Kabuls Flughafenstraße

  1. Mai 2019

KABUL (Pajhwok): Dutzende [sic!] Afghanen protestierten am Donnerstag gegen ihre Zwangsdeportation nach Afghanistan aus der Türkei und blockierten die Straße zum Internationalen Hamid-Karzai-Flughafen in Kabul. [Ja, auch in Afghistan benennt man Einrichtungen bereits nach lebenden Personen…]

Etwa 250 Afghanen, die in den vergangenen Monaten wegen Unsicherheit und Arbeitslosigkeit das Land verlassen und Zuflucht in der Türkei genommen hatten, waren heute aus der Türke deportiert worden, nachdem sie sechs Monate in diesem Land zugebracht hatten [alle die gleiche Zeit?].

Einige der Deportierten beschuldigten die afghanische Regierung sich nicht dafür eingesetzt zu haben, ihre Deportation zu verhindern, und sagten, dass pakistanische und iranische Flüchtlinge in der Türkei verblieben seien, während sie zwangsausgewiesen wurden.

Sie sagten, sie würden ihren Protest [ihre Proteste?] fortsetzen, bis die Regierung ihnen Arbeitsmöglichkeiten bereitstelle und ihre Ausgaben [die Reisekosten für die Flucht?] ersetze.

Abdul Ghani, ein Einwohner des Distrikts Rustaq in der Provinz Tachar, der vor vier Monaten illegal durch Iran in die Türkei migriert war, sagte, “Die Arbeitslosigkeit hat uns gezwungen, in die Türkei zu migrieren und wir haben unseren Schleppern 800 Dollar gezahlt, aber wir wurden unmittelbar nach unserer Ankunft dort von der Polizei festegneommen.”

“Die türkische Polizei suchte uns täglich auf und bat uns, das Deportationsformular zu unterschreiben, sonst würde wir ins Gefängnis kommen, so dass wir gezwungen waren, das Formular [über eine “freiwillige Ausreise” – das ist aus früheren Berichten bekannt] zu unterschreiben und heute nach Kabul deportiert wurden,” sagte er.

Mohammad Erfan, ein Bewohner der Provinz Kunar, der unter den Deportierten war, sagte: “Wir migrierten in die Türkei wegen unserer Situation, aber sie deportierten uns illegal und unter Zwang.”

Er sagte, er sei fast drei Monate lang im Lager Usmania in der Türkei festgehalten worden, aber nie gefragt worden, warum er sein Land verlassen habe.

“Ich hatte 1200 Dollar geborgt und unseren Schmugglern gegeben, damit sie uns in die Türkei bringen, aber ich wurde zurückdeportiert. Die Regierung soll uns wenigstens unser Geld zurückgeben, so dass ich es an meine Schuldiger zuückzahlen kann,” sagte er.

Er beschuldigte die afghanische Regierung der Vernachlässigung ihrer Bürger und sagte, niemand aus afghanischen Botschaft habe sie während ihrer Haft besucht. Er sagte, pakistanische Diplomaten hingegen würden ihre Landsleute besuchen und sich für ihre Rechte im Lager in der Türkei einsetzen .

Die Protestierenden sagten, sie hätten all ihren Besitz für die Reisekosten in die Türkei verkauft und verfügten nun über keinerlei Mittel.

Sie sagten, sie würden nicht in ihre Heimatorte zurückkehren, solange die Regierung keine Arbeitsplätze für sie schaffe und paid ihre Kosten erstattete.

Nach einer anderen Quelle ging der Protest friedlich zu Ende und die Protestierenden zerstreuten sich.