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Der nächste Abschiebeflug nach Afghanistan startete gestern abend vom Flughafen Leipzig/Halle (hier der Link zum Flugradar), wie der sächsische Flüchtlingsrat der Nachrichtenagentur AFP mitteilte. Gegen die Abschiebung hatten demnach etwa 50 Menschen aus verschiedenen Bündnissen protestiert.

Nach Informationen von Behördenvertretern in Kabul befanden sich 42 Menschen an Bord, meldete dpa. Dies sind deutlich mehr als bei den bisherigen Flügen im Jahr 2021. Im Januar, Februar und März waren es jeweils 26, im April 20 (siehe hier und hier). (Im April hatte ich wegen Abwesenheit nicht berichtet ­– rückblickende Zusammenfassung folgt.)

[Aktualisierung 9.6., 16.10 Uhr: Es liegen bisher keine Informationen vor, welche Bundesländer sich an der Abschiebung beteiligten. Im Vorfeld gab es Informationen aus Bayern, dass dort Afghanen in Abschiebehaft genommen worden seien – sich also wahrscheinlich am der Abschiebung betetligte. Aus Niedersachsen und Berlin war aus Flüchtlingsunterstützer:innen zu hören, dass beide Länder sich nicht beteiligt hätten – inzwischen auch aus Rheinland-Pfalz(Aktualisierung 11.6.).

Aktualisierung 14.6.: Die schwarz-grüne Landesregierung Hessens ließ fünf Afghanen abschieben, nach Auskunft des dortigen Flüchtlingsrats „so viele wie nie“. Nach Angaben der Frankfurter Rundschau seien in den vergangenen Monaten bei den Sammelabschiebungen meistens ein bis drei Personen aus Hessen an Bord gewesen. Bei den fünf Männern aus Hessen habe es sich um verurteilte Straftäter im Alter zwischen 22 und 32 Jahren gehandelt, teilte das Innenministerium auf Anfrage mit – u.a. für versuchten Totschlag, Vergewaltigung sowie verschiedene Körperverletzungsdelikte.

Aktualisierung 9.6., 20.20 Uhr: AFP meldete, dass laut Innenministerium 40 der 42 Abgeschobenen wegen unterschiedlicher Straftaten verurteilt worden waren, u.a. für Körperverletzung, Raub, Diebstahl, Sexualdelikte oder Drogenverstößen. In einer Regierungsbefragung am gleichen Tag sagte Außenamtschef Heiko Maas (SPD), bei den 40 handele es sich teilweise um „schwere Straftäter.“ Die Zahlen werden erneut bewusst unscharf gehalten, um bei allen Abgeschobenen die Zugehörigkeit zur Kategori (schwerer) Straftäter zu insinuieren. Konkret heißt das, dass zwei der Abgeschobenen keine Straftäter waren (und auch keine „Gefährder“ – das hätte man erwähnt, und einige von ihnen, vielleicht sogar die Mehrheit keinen schweren Straftaten begangen haben.

Maas sagte dabei als Antwort auf eine Frage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Luise Amtsberg ferner, er könne solche Sammelabschiebung nach Afghanistan gut mit seinem Gewissen vereinbaren. Ein Abschiebestopp helfe nicht weiter. Das Auswärtige Amt schreibe selbstverständlich seinen Lagebericht weiter – „immer in der Hoffnung, dass das Chaos nach Abzug der Nato-Truppen ausbleibt.“ Wenn man aber mit einem Chaos rechnet, sind Abschiebungen erst recht nicht gerechtfertigt.]

Es war die 39. deutsche Sammelabschiebung seit Dezember 2016. Der Flug im Mai war verschoben worden, da er unmittelbar nach dem Termin lag, zu dem laut US-Taleban-Abkommen vom Februar 2021 die ausländischen Truppen eigentlich das Land hätten verlassen haben sollten (Präsident Biden verschon den Termin) und erhöhte Taleban-Gewalt befürchtet worden war.

Die Gesamtzahl der seit 2016 auf diesem Wege nach Afghanistan Abgeschobenen erhöht sich damit auf 1077, ausschließlich Männer. Der Flug wurde offenbar von der spanischen Gesellschaft Wamos Air durchgeführt, also nicht wie bei den letzten Malen Privilege Style.

Erneut ließ sich die Bundesregierung nicht von der verschärften Sicherheitslage sowie der präzedenzlosen Zahl von neuen Coronafällen in Afghanistan (zwischen 1000 und 1800 seit dem 1.6.) beeindrucken. Auch Proteste und Forderungen nach einem Abschiebestopp, inklusive aus kirchlichen Kreisen (siehe hier und hier), verhallten erneut ungehört. Die Bundesregierung setzte damit offenbar auch ein Zeichen, dass auf der bevorstehenden Konferenz der Innenminister*innen von Bund und Ländern von 16. bis 18. Juni in Baden-Württemberg nicht mit einer Politikänderung zu rechnen ist. [Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes wird Afghanistan als „von COVID-19 stark betroffen“ weiterhin als „Risikogebiet“ eingestuft.]

Vor der Abschiebung erschien eine Studie, die anhand von mehr als 100 Fallbeispielen die hoffnungslose Lage der Abgeschobenen dokumentiert, die angesichts der desolaten Lage in ihrem Land dieses inzwischen fast ausnahmslos wieder verlassen haben.

Die taz berichtete kürzlich über einen der Abgeschobenen, der bestreitet, ein Straftäter zu sein. Er wurde kriminalisiert, nachdem er versucht hatte, sich der drohenden Abschiebung nach Afghanistan – wo er als Kind zum letzten Mal gewesen sei – durch Flucht nach Frankreich zu entziehen.

Diese Zusammenfassung wird weiter laufend aktualisiert.