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Die Taleban setzten ihre repressiven Maßnahmen gegen Frauen und Frauenrechte fort. Eine neue Anordnung, dass Frauen ohne männliche Begleitung (mahram) nicht mehr öffentliche Gebäude betreten dürfn, scheint landesweit umgesetzt zu werden. Andere Maßnahmen und Übergriffe scheinen lokaler Natur zu sein (siehe auch hier). Hier einige der Maßnahmen, die über den Sommer in traditionellen und sozialen Medien berichtet wurden. 

Anfang September äußerte sich das Taleban-Justizministerium zu Richterinnen und zu Anwältinnen, die unter der Vorgängerregierung aktiv geworden warn und auch eine Berufsvereinigung gebildet hatten. Am 4. September teilte der Leiter der Studien- und Forschungsabteilung des Obersten Gerichts, Hesbullah Ibrahimi, mit, dass es den Richterinnen an ausreichender Kenntnis der Scharia mangele und sie deshalb nicht in der Lage seien, korrekte richterliche Entscheidungen zu treffen. Er sagte: „Die Notwendigkeit der Präsenz von Frauen [an Gerichten] ist bisher nicht gefühlt worden, und es gibt ach das Problem mit dem Hidschab (Verhüllung), da gemeinsame Büros für Frauen und Männer existierten und bisher keine Umgebung für Frauen in den Büros geschaffen wurde.“

Vizejustizminister Abdul Karim Haidar sagte am 4. September auf einer Pressekonferenz in Kabul, dass allen Frauen ihr Rechte unter dem islamischen Recht, der Scharia, gewährt würden, „wenn die Bedingungen dafür günstig seien“, auch andeutend, dass es dafür keine Anwältinnen brauche.

Ende August hatte der Sprecher des Taleban-Moralministeriums (Vice and Virtue), Sadeq Akif Muhadscher dem Sender al-Jazeera gesagt, er arbeite daran, „eine Situation zu schaffen, in der [Frauen] auf eine Weise arbeiten könne, die ihre Ehre schützt. Das sollte nicht so aussehen wie unter der alten Regierung.“ Er erklärte, dass der Islam den Frauen grundsätzlich „das Recht auf Bildung, das Recht zu arbeiten, das Recht auf Unternehmertum“ gegeben habe.

Das Taleban-Moralministerium hat einem Bericht der Frauennachrichtenagentur Ruchschana vom 31. August alle Regierungsstellen angewiesen, keine unbegleiteten Frauen mehr einzulassen. Daraufhin hätten die Distriktreviere der Taleban-Polizei in Kabul Frauen nicht mehr eingelassen, die Anzeigen wegen häuslicher Gewalt und anderer Straftaten stellen wollten. Ruchschana berichtete über mehrere Fälle, in denen Frauen aufgefordert wurden, in Begleitung eines männlichen Verwandten zurückzukommen.

In Kandahar wurde diese Anordnung laut Ruchschana-Bericht vom 6. September auch auf Märkte ausgedehnt. Dort habe die Taleban-Religionspolizei acht (offenbar männliche) Ladenbesitzer auf einem Markt für Frauen geschlagen und sieben von ihnen festgenommen, die Frauen zum Einkauf in ihre Läden gelassen hatten. (Der achte sei so schwer verprügelt worden, dass sie ihn nicht mehr festnahmen.) Laut dem Bericht hätten die Taleban die Ladenbesitzer eine Woche früher gewarnt, keine Frauen mehr in ihre Geschäfte zu lassen, sondern sie nur außerhalb zu bedienen. Die Ladenbesitzer hätten gegen die Übergriffe mit der zeitweiligen Schließung ihrer Läden protestiert und gefordert, die Religionspolizei solle sich entschuldigen, denn sie hätten nichts rechtswidriges getan. Die Ladenbesitzer wurden später wieder freigelassen.

Danach habe die Religionspolizei auch die Besitzer öffentlicher Telefonshops angewiesen, keine Frauen mehr einzulassen.

Einem weiteren Ruchschana-Bericht vom 27. August zufolge haben die Taleban auch in Bamian ihre Maßnahmen verschärft. Während sie dort bisher in Sachen Hidschab relativ zurückhaltend agiert hätten, sei es nun zu mehreren Fällen gekommen, in denen nach Ansicht örtlicher Taleban Frauen nicht ausreichend verschleierte oder zu farbenfroh gekleidete Frauen an Kontrollposten beleidigt und aus Märkten und Bildungszentren nach Hause geschickt hätten.

Die Taleban würden von „konservativen örtlichen Geistlichen“ (offenbar Schiiten) unterstützt, die bereits unter der Vorgängerregierung die „zu großen Freiheiten“ kritisiert hätten, sich aber mit ihren Ansichten nicht durchsetzen konnten. Die Geistlichen hätten in einer Kommission unter Vorsitz von Taleban-Provinzgouverneur Abdullah Sarhadi mitgewirkt, die kürzlich zu dem Schluss gekommen sei, dass sich die Frauen nicht nach den Anweisungen der Taleban gerichtet und sich „freiwillig gebessert“ hätten, so dass nun striktere Maßnahmen erforderlich seien.

Patrouille der Taleban-Religionspolizei in Bamian. Foto: Ruchschana.

Am 26. August berichtete der afghanische Reporter Ali M. Latifi, dass die Taleban am Flughafen Kabul 62 afghanische Studentinnen zurückgewiesen hätten, die mit der staatlichen Fluggesellschaft Ariana ohne männliche Begleitung zur Weiterführung oder Aufnahme ihres Studiums an der American University of Afghanistan (AUAF) in Katar fliegen wollten. Dem Bericht zufolge hätten sie schon die Sicherheitskontrolle passiert und einen Ausreisestempel erhalten, wurden aber kurz vor dem Einstieg gestoppt, nach Aussage einer Betroffenen vier Stunden lang festgehalten, gefilmt und beleidigt. Etwa 60 männliche Studenten konnten abreisen.

Die zuvor in Kabul angesiedelte AUAF hat nach der Machtübernahme der Taleban einen Campus in Katar eröffnet. 2016 war einen Anschlag auf die AUAF in Kabul verübt worden, bei dem mindestens 17 Menschen getötet und über 50 verletzt wurden. Keine Gruppe übernahm dafür die Verantwortung. Die Universität war danach acht Monate lang geschlossen. (AAN-Berichte dazu hier und hier.)

Anschlag auf die American University in Kabul 2016. Foto: Tolo.


Die afghanische Nachrichtenagentur Ariana berichtete am 31. August aus Kundus, dass sich dort Vertreter des Taleban-Moralministeriums und örtliche Frauen getroffen hätten, die die Ministeriumsvertreter aufgefordert hätten, sie gut zu behandeln, ihnen Zugang zu Arbeit und Bildung zu gewährleisten und die höheren Mädchenschulen wiederzueröffnen. Der Chef der örtlichen Religionspolizei habe „gutes Benehmen“ seiner Leute und Anzeigemöglichkeiten bei Fehlverhalten zugesichert.

Aus Masar-e Scharif berichtete Ruchschana am 8. September, dass die Taleban für Frauen den Zugang zum Sachi-Schrein (der “Blauen Moschee”) beschränkt hätten. Sie dürften ihn nur noch an Montagen und strikt verschleiert besuchen. Allerdings gab es am Schrein bereits früher getrennten Zugang für Frauen und Männer, wenn auch die jeweiligen Bereiche nicht strikt voneinander getrennt waren. (Außerdem besuchen Familien den Schrein.)

Naurus am Sachi-Schrein („Blaue Moschee“) von Masar-e Scharif. Foto: Thomas Ruttig (2005)

In Logars Provinzhauptstadt Pul-e Alam nahmen Taleban einen Arzt in seiner Praxis fest und schlugen ihn zusammen, weil er eine Ultraschalluntersuchung an einer Frau vorgenommen hatte. Das berichtete die talebankritische Internetzeitung Hascht-e Sobh am 12. September. In einem anderen Fall in der Provinz Tachar bedrohten Taleban einen Arzt und eine Ärztin, weil sie zusammen auf der Straß gingen. Beide seien miteinander verheiratet.

Ein positiver Bericht, ebenfalls von Ruchschana, bereits von Mai, vermeldet, dass im Kandaharer Distrikt Daman trotz Taleban-Restriktionen mindestens fünf von Frauen geführte Unternehmen weiterhin insgesamt mehr als 100 Arbeitsplätze für Frauen bereitstellten, vor allem in der Textil- und Kosmetikherstellung. Einige seien früher Bettlerinnen (siehe auch hier) gewesen. Allerdings seien die Löhne sehr niedrig; viele Frauen hätten mehrere Jobs nebeneinander, etwa als Reinigungskräfte. Eine Fabrikbesitzerin berichtete, dass sie nicht ins Büro des Provinzgouverneurs vorgelassen wurde, wo sie sich für die Wiedereröffnung von Verkaufsausstellungen einsetzen wollte.

Frauen in einer Kandaharer Textilfabrik. Foto: Ruchschana.

Schließlich meldeten verschiedene afghanische Medien (Zusammenfassung vom 8.9.2022 und Taleban-und Fragebogen hier), dass die Taleban die Angestellten des Finanzministeriums auf der Grundlage einer vorher verteilten Broschüre religiösen Tests unterzogen hätten. Wer unzureichende Religionskenntnisse aufwies, sei sofort entlassen worden.