Schlagwörter

, , , , , ,

Der vierte deutsche Abschiebeflug mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern wird wohl am 27. März 2017 starten – und wie am 22. Februar 2017 wohl wieder in München (oder doch aus Hamburg, wie die dortige taz-Regionalausgabe berichtet?). Dies berichten Aktivisten aus der Flüchtlingsszene. Nach bisherigen Informationen beteiligen sich die Bundesländer Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz sowie „Ausrichter“ Bayern. Über weitere Bundesländer liegen noch keine Informationen vor.

Bisher hat Deutschland nach Beendigung des seit 2005 bestehenden Abschiebestopps auch für abgelehnte afghanische Asylbewerber insgesamt 77 Afghanen per Charterflug abgeschoben: 34 im Dezember 2016, 25 im Januar 2017 und 18 im Februar 2017 (mein Bericht aus Kabul zu letzterem hier). Im Januar waren allerdings 26 Afghanen an Bord; die afghanischen Behörden verweigerten jedoch wegen gesundheitlicher Probleme die Übernahme eines Passagiers. Der war offenbar dann wieder an Bord des Februar-Flugs.

Unter diesen 77 Abgeschobenen waren mindestens 44, die aus Provinzen kommen, die selbst die Bundesregierung in ihrer umstrittenen Einschätzung der Lage in Afghanistan nicht als sicher betrachtet. (In weiteren Fällen gab es keine klare Information über die Herkunft.)

Dazu kamen (bis Ende September 2016) 27 weitere Afghanen, v.a. Straftäter, die individuell abgeschoben wurden.

Deutschland hat per bilateralem Abkommen im Oktober 2016 mit Afghanistan vereinbart, dass es in einer „Initialphase von sechs Monaten“ (bis Anfang April 2017) bis zu 50 abgelehnte Asylbewerber pro Flug ausfliegen kann. Danach kann diese Zahl erhöht werden. Eine Frequenz für diese Flüge ist jedenfalls im offiziellen [allerdings öffentlich eigentlich nicht zugänglichen] Teil des Abkommens nicht vorgesehen.

In dem ebenfalls nicht öffentlichen Zusatz zum europäischen Rahmenabkommen mit Afghanistan über „Zusammenarbeit in Migrationsfragen“ (dem sog. „Joint Way Forward“, zeitgleich Anfang Oktober 2016 unterschrieben) soll nach Information aus Kabul, die AAN vorliegen, vorgesehen sein, dass 2017 bis zu zwei Charterflüge pro Woche durchgeführt werden können – einer davon jeweils aus Deutschland. (Es ist nicht klar, ob sich das nur Abgeschobene oder auch auf „freiwillige“ Rückkehrer einschließt.) Bei 50 „Passagieren“ pro Flug würde das auf potenziell auf fast 6500 „Rückkehrer“ im Jahr hinauslaufen, die Hälfte davon (über 3200) könnten aus Deutschland kommen. IOM in Kabul bestätigte, dass sogar die Zahl von 10,000 erreicht werden könnte.

Nach IOM-Zahlen kehrten 2016 zusammen fast 7,000 Afghanen zurück, als Abgeschobene (166) sowie 6.800 auf „freiwilliger“ Basis (beide Zahlen für alle Staaten, nicht nur EU oder Europa). Zum 30.9.2016 waren nach Angaben der Bundesregierung in Deutschland 12.539 afghanische Staatsbürger „ausreisepflichtig“ (was das bedeutet, hier). Ein später (offiziell) zurückgezogener Entwurf eines EU-Dokuments vom März 2016 (für die Afghanistan-Konferenz in Brüssel im Oktober 2016) sprach von „über 80.000 Personen [in allen EU-Mitgliedsstaaten], die in der nahen Zukunft [nach Afghanistan] potenziell zurückgeführt werden müssen“ – also eine Personengruppe, die den „Ausreisepflichten“ in Deutschland entspricht.

Bei den bisherigen drei deutschen Abschiebeflügen waren allerdings weitaus weniger Afghanen als von den deutschen Behörden geplant an Bord. Die Fälle mehrten sich, in denen durch richterlichen Beschluss Abschiebung gestoppt werden konnten.

Die Bundesregierung hat vor kurzem mitgeteilt, dass ihr über den Verbleib der nach Afghanistan abgeschobenen Flüchtlinge keine Informationen vorliegen (siehe hier). Sie argumentiert, dass ihre Verantwortung nach der Übergabe der Abgeschobenen nach der Übergabe an die afghanischen Behörden endet. Allerdings gibt die Bundesregierung offenbar Gelder an die UN-Unterorganisation IOM (Internationale Organisation für Migration) in Kabul für Reintegrationshilfen für abgeschobene und freiwillige Afghanistan-Rückkehrer. Laut IOM können Regierungen beantragen, dass IOM die Rückkehrer bis zu ein Jahr lang begleitet; allerdings habe bisher als einziges europäisches Land Norwegen einen solchen Antrag gestellt.

Flüchtlingsinitiativen weisen darauf hin, dass nur abgeschoben werden kann, wer keine Aufenthaltsgestattung oder Aufenthaltserlaubnis hat. Wessen Klage gegen die Ablehnung eines Asylantrags durch das BAMF noch nicht entschieden ist, ist nicht von Abschiebung bedroht. Gleiches gilt für alle, die noch gar keine Entscheidung im Asylverfahren haben. Auch Dublinfälle werden nicht nach Afghanistan abgeschoben. Es wird allerdings dringend geraten, sich an gute Beratungsstellen zu wenden.

 

Informationen über die Rechte bei einem Abschiebeversuch sind in verschiedenen Sprachen, darunter in Farsi/Dari, hier zu finden.

 

Hier noch ein Bericht aus der Nord-taz über einen Hamburger Fall eines von Abschiebung bedrohten Afghanen:

 

Drohende Abschiebung nach Afghanistan

Rettung ins Synagogen-Asyl

Weil eine Abschiebung aus Hamburg nach Afghanistan droht, gewährt eine schleswig-holsteinische Synagoge einem jungen Afghanen Schutz.

HAMBURG taz | Mobin N. sitzt im Synagogen-Asyl und hat Angst, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Abgeschoben in das Land, in dem er als Jude verfolgt und im Kindesalter von einflussreichen Männern dazu gezwungen wurde, sich als sogenannter „Tanzjunge“ Frauenkleider anzuziehen und sich zu schminken. Immer wieder wurde er sexuell missbraucht. Diese Praxis gilt als afghanische Form der Kinderprostitution. Dass Mobin N. sie über sich ergehen lassen musste, ist mittlerweile sieben Jahre her. Doch sein Anwalt Björn Stehn befürchtet, dass der rot-grüne Hamburger Senat den heute 24-Jährigen wieder zurück nach Afghanistan abschieben will.

Stehn ist überzeugt, dass sein Mandant am 22. Februar mit einer bundesweiten Sammelabschiebung nach Afghanistan geschickt werden sollte. Doch so weit kam es nicht. Das Asyl in einer schleswig-holsteinischen Synagoge verschaffte Mobin N. vorerst Sicherheit.

„Es ist bekannt, dass Juden in Afghanistan keine Chance haben“, sagt Anwalt Stehn. Seit die Taliban in Afghanistan die Macht übernahmen, wurden fast alle Juden vertrieben. Offiziell gibt es heute noch einen Juden in Afghanistan – den Mann, der in Kabul die Synagoge betreut. „Es ist ein Skandal, dass sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch die Hamburger Ausländerbehörde wussten, dass es sich bei Mobin N. um einen Juden handelt, sie ihn aber trotzdem abschieben wollten“, findet Stehn.

Die Ausländerbehörde dementiert, dass N. nach Afghanistan abgeschoben werden sollte. „Die konkrete Planung, einen Juden nach Afghanistan abzuschieben, hat es nicht gegeben“, sagt der Sprecher der Ausländerbehörde Matthias Krumm.

Fahndung, aber keine Abschiebung?

Mobin N.s Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft hatte dem Anwalt und Mitarbeitern der unabhängigen Asylberatungsstelle „Café Exil“ berichtet, dass Polizisten am 19. Februar in der Unterkunft nach Mobin N. gesucht hatten. Wenn die Duldung abgelaufen gewesen sei, habe er keinen Aufenthaltstitel in Deutschland mehr gehabt, sagt der Sprecher der Ausländerbehörde. „Deshalb wurde nach der Person gefahndet.“

Umstrittene Abschiebungen

Im Januar erklärte Innensenator Andy Grote (SPD), dass Hamburg nicht nur straffällig gewordene oder nicht integrierbare Flüchtlinge ins Bürgerkriegsland Afghanistan zurückschicken will, sondern auch junge alleinstehende Männer.

Frauen, Kinder, Familien, Personen über 65 Jahren und unbegleitete Minderjährige würden demnach nicht ausgewiesen.

Trotz der schlechten Sicherheitslage wurde im Dezember erstmals nach Afghanistan abgeschoben.

Es gebe deutliche Hinweise auf eine geplante Abschiebung, ist dagegen Stehn überzeugt. Seit anderthalb Jahren dürfen Ausländerbehörden über Abschiebungen nicht mehr informieren. „Ich habe die Akten eingesehen und die Seiten, die sich auf den Vorgang um den 22. Februar beziehen, waren geschwärzt“, sagt der Anwalt. „Der einzige Grund, dass diese Passagen nicht zur Akteneinsicht freigegeben waren, ist, dass sie sich auf eine Abschiebung beziehen.“ Dass die Polizei in der Unterkunft war, deutet für den Anwalt darauf hin, dass Mobin N. in Ausreisegewahrsam gebracht werden sollte.

Um eine drohende Abschiebung zu verhindern, läuft jetzt ein Eilverfahren beim Hamburger Verwaltungsgericht. Wolfgang Seibert von der jüdischen Gemeinde Pinneberg hält das Vorgehen der Hamburger Behörde für ein Unding. „Ich halte alle Abschiebungen nach Afghanistan für inakzeptabel“, sagt er. „Aber dass sogar ein Jude dorthin abgeschoben werden soll, ist ein politischer Skandal.“

Fluchtgründe werden nicht geprüft

Der Fall offenbart für Anwalt Stehn ein noch viel grundsätzliches Problem: In den letzten Jahren hätten sich die Behörden gar nicht für die persönliche Fluchtgründe interessiert – und immer wieder auf die Dublin-Regelung verwiesen, wonach das Land über das ein Flüchtling Europa betreten hat, für das Asylverfahren zuständig ist. Das habe dazu geführt, dass Mobin N. bis heute kein inhaltliches Asylverfahren bekommen hat, in dem seine individuellen Asylgründe geprüft worden wären. Das einzige, was der 24-Jährige in der Hand hatte, war eine Duldung, die aber am 20. Februar hätte verlängert werden müssen.

Für Stehn belegt dieser Fall, dass es einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan geben muss, weil die vom Senat versprochene Einzelfallprüfung nicht funktioniere.

Auch das NDR-Nordjournal sowie die junge Welt (aber hinter einer Abo-Schranke, hier) berichteten.