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Vor ein paar Tagen saß ich in der Nähe von Stuttgart zusammen mit zwei führenden deutschen Parlamentariern auf einem Podium zum Thema „Wie sicher ist Afghanistan“: dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und örtlichen Bundestagssitzinhaber Markus Grübel (CDU) und dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold. Ehrlich gesagt, war ich teilweise geschockt, wie wenig Detailkenntnis beide zu bestimmten Aspekten der Rahmenbedingungen für Abschiebungen nach Afghanistan zeigten. Das betraf v.a. die ja immer noch mögliche Abschiebung von „Kriminellen“ und „Gefährdern“ (siehe zum bevorstehenden nächsten Abschiebeflug, hier).

Afghanistan-Podium in Ostfildern bei Stuttgart: Moderator Armbruster, afghanischer Flüchtling Basidsch, Ruttig, Grübel, Ex-Polizeiausbilder Hauber, Arnold (v.l.n.r.). Foto: DGVN.

 

Zu beiden Gruppen fragte ich nach Details, bekam aber keine substanzielle Antwort. Z.B. darauf, wie viele Afghanen unter der ja bekannten Zahl von bundesweit etwa 700 „Gefährdern“ (mehr dazu unten) wären, sagte Grübel, er wisse es nicht. Beide MdBs wussten auch nicht, wie viele „Straftäter“ bereits nach Afghanistan abgeschoben worden sind. Genauso wie die Spitzenpolitiker in den bisherigen Fernsehrunden (Merkel und Schulz sehr stark), aber auch die der fünf nächstgrößeren Parteien am 4.9.17 (taz-Bericht hier) befürworteten sie die Abschiebung solcher Personengruppen aber trotzdem (siehe der Bericht dazu in der lokalen Esslinger Zeitung – Link unter diesem Absatz).(*)

20170831EsslZtg-Bericht Podiumsdisk Ostfildern

 

Das bringt mich dazu, noch einmal zusammenzufassen, was wir in Sachen Abschiebungen nach Afghanistan alles nicht wissen – oder besser: was die Bundesregierung uns nicht sagen will:

 

  • Wo genau sind die „sicheren“ Gebiete in Afghanistan?
  • Wie viele Straftäter befanden sich unter den bisher abgeschobenen Afghanen – und für welche Delikte wurden sie verurteilt?
  • Werden die afghanischen Behörden davon in Kenntnis gesetzt, wer auf einem Abschiebflug ein (verurteilter) Straftäter ist? Und selbst wenn: Was nützt das, wenn die Abgeschobenen nach ihrer Registrierung (oder ganz ohne solche) vom Flughafen Kabul einfach verschwinden können (wie ich es selbst beobachtet habe, siehe hier)?
  • Wie viele afghanische Gefährder gibt es? Zählen dazu einige der oder alle etwa 70 Asylbewerber, die eine Taleban- bzw Hezb-e Islami-Mitgliedschaft zu- bzw angegeben haben, in einigen Fällen offenbar in der Hoffnung, damit Asyl zu erhalten, weil ihnen bei Rückkehr Verfolgung durch die Regierung drohe (mehr hier)?
  • Warum hat die Bundesregierung bisher IOM nicht gebeten, systematisch zu „monitoren“, wie es den Abgeschobenen und freiwilligen Rückkehrern nach Afghanistan dort ergeht (mehr hier)?

Ich werde in den nächsten Tagen – als kleine Serie – zusammenstellen, was wir trotzdem wissen.

 

(*) Mein Zitat in dem Bericht der Esslinger Zeitung ist etwas verkürzt wiedergegeben. Der Satz „Sie sind die Opfer“ bezieht sich auf die Diskussion über die Behauptung der Bundesregierung, dass sie afghanischen Zivilisten nicht das eigentliche Ziel von Taleban-Angriffen seien. Ich argumentierte, dass sie nicht nur das Hauptopfer solcher Angriffe und Anschläge seien, und es im Resultat gleichgültig sei, auf wen gezielt wurde (siehe der Anschlag nahe der deutschen Botschaft am 31.5.17 in Kabul – hier) und zudem die Taleban natürlich auch viele Bewohner der von ihnen beherrschten Gebieten (mit immerhin einem Viertel der Gesamtbevölkerung) mit Gewalt beherrschten. Der zweite Satz „Die [afghanische] Gesellschaft ist zerstört“ bezog sich auf die 40 Jahre Krieg in Afghanistan (sowohl Grübel als auch Arnold zählten nur 16 Jahre, ab 2001) und eine Frage aus dem Publikum, ob die Afghanen selbst in der Lage wären, den Krieg zu beenden – was ich bezweifle, da auch die traditionellen Regelungsmechanismen in diesen Kriegsjahrzehnten zerstört wurden oder durch Gewalt ausgehebelt werden, da in Dschirgas und Schuras keine Gleichberechtigung mehr unter den Teilnehmern besteht, sondern sie durch die lokalen militärischen Machthaber dominiert werden.