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Nach Informationen aus Kreisen der Flüchtlingsunterstützer (z.B. hier beim Bayerischen Flüchtlingsrat) wird die nächste bundesweite Sammelabschiebung voraussichtlich am Dienstag, den 14. August 2018, vom Münchner Flughafen erfolgen. 

 

Welche Bundesländer sich daran diesmal beteiligen werden – also nach den weiten Protesten gegen Bundesinnenminister Seehofers skandalöse „Geburtstagsgeschenks“-Äußerung nach der vorherigen Abschiebung am 3.7. – muss sich zeigen. (Seehofer – siehe sein ARD-Sommerinterview hier – versteht die Aufregung immer noch nicht und beschuldigt die Medien.) Zu diesen Protesten gehörte auch der bundesweite Day Orange der Initiative „Seebrücke“, der in mindestens 87 Städten (Karte hier) u.a. unter dem Motto „Seebrücke statt Seehofer“ lief. Hier als Beispiele Berichte aus Frankfurt/Main, München und meiner Heimatstadt Oranienburg.

 

Bekannt ist nach MDR-Recherchen (siehe schon hier), dass sich bisher drei Bundesländer – neben Bayern (CSU-regiert) das CDU-regierte Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern (mit einer SPD-geführten Großen Koalition, also mit der DCU) – die neue Linie der Bundesregierung zu eigen gemacht haben, nicht mehr „nur“ sogenannten Gefährder und Mitwirkungsverweigerer bei der Identitätsfeststellung sowie Straftäter abzuschieben.

 

Neues zu den Seehofer-69

 

Das ZDF-Magazin Frontal 21 hat zwei der Abgeschobenen in Kabul hinterher recherchiert: Ahmad Ahmadi, der bei einem Allgäuer Krankentransport-Unternehmen arbeitet, und Muhammad Marufkhel, der bei einem Metallverarbeitungsunternehmen in Kaufbeuren angestellt war. Wieder einmal wird klar, dass es bei diesen Abschiebungen nur darum gegangen ist, die Zahl hochzutreiben – Auskunft der Ausländerbehörde Schwaben auf ZDF-Anfrage, warum einer der beiden trotz erfolgreicher Integration abgeschoben wurde: Er war halt dafür „eingeplant.“

Aufschlussreich auch die von Ahmadis Chef dokumentierten Verwüstungen, die die Polizei bei der Abschiebung am frühen Morgen im Zimmer Ahmadis hinterließ: Bilder „wie nach einem Überfall“ (hier zum Video). Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gibt indirekt sogar Fehler zu (natürlich nicht direkt), indem er ankündigt, dass „künftig“ vor Abschiebungen der Integrationsstand überprüft werden soll. Das heißt aber auch: die schon Abgeschobenen erhalten keine neue Chance.

 

Auch der Stern hat neue Details herausgefundenDen „ausreisepflichtigen Straftäter“ Jamal Naser Mahmudi, der sich in Kabul erhängte, bezeichnet das Magazin angesichts seiner Vergehen zurecht als „kleinen Fisch“:

 

Er war schwarzgefahren, hatte geklaut und einmal mit einer Wodkaflasche nach einem Mann geworfen. Aber nicht getroffen. Mahm[u]di war keine große Nummer. Kein Leibwächter Bin Ladens.

 

(…)

 

Zu Nawid Ahmadi aus Unterelchingen im Landkreis Neu-Ulm kam die Polizei im Morgengrauen. An diesem Dienstag steht seine mündliche Prüfung für einen qualifizierenden Hauptschulabschluss an. Als der 24-Jährige begreift, dass er seine Prüfung nicht antreten wird, dass er überhaupt nie mehr eine Prüfung in Deutschland antreten wird, greift er verzweifelt zu einem Messer. Er schneidet sich in seine Unterarme und ist völlig außer sich. Die Polizisten bringen ihn ins Krankenhaus, er trägt nur Unterhose und Badelatschen. Im Hospital gibt man ihm Kleidung. Ahmadi verletzt sich später, festgesetzt auf der Polizeidienststelle, mit den Handschellen am Kopf und muss erneut ins Krankenhaus. Dann bringt man ihn zum Flughafen nach München. (…)

 

Eine Zeugin, die dabei war, als Ahmadi aus dem Krankenhaus mitgenommen wurde, schrieb dem Stern. 

 

„Diese Situation habe ich zufällig gesehen (…). Es wurde mit unglaublicher Härte vorgegangen: die Arme auf den Rücken, die Beine zusammengebunden, wurde er bäuchlings regelrecht in das Polizeiauto geworfen. Wie ein Päckchen. Der Umgang und die Härte haben mich sehr schockiert.“ (…) 

 

Und der Stern schildert, wiees auf dem Flug aussah:

Der Flug erscheint nicht auf der Abflugtafel des Flughafens „Franz Josef Strauß“. An Bord sind 134 Bundespolizisten, ein Arzt, ein Dolmetscher und 69 junge afghanische Männer. Sie sprechen nicht, das Reden ist ihnen verboten. Wenn sie zur Toilette müssen, begleitet sie ein Polizist bis zur Tür. Viele fliegen zum ersten Mal. Sie haben Angst. Ab und zu hört man unterdrücktes Weinen.

 

Auch über Muhammed Marufkhel aus Kaufbeuren (siehe oben), Esam M. aus München, Sardar Vali Sadozai aus Wurzen und „Ahrun“, über die hier schon berichtet wurde, gibt es weitere Einzelheiten in dem Artikel.

 

Und es gibt das zwar schon gehörte, aber früheren Aussagen über angebliche Integrationsanstrengungen – auch in Bayern (siehe Frontal21-Beitrag) – diametral widersprechende Argument:

 

„Der Besuch einer Schule oder ein Arbeitsplatz schützen nicht vor Abschiebung. Das ist geltendes Ausländerrecht“, sagt Oliver Platzer, Sprecher des bayerischen Innenministeriums. (…) Integration ist kein Ziel mehr, sondern ein Indiz, dass jemand nicht ausreisen will. (…) Die einst willkommenen Helfer werden zur „Anti-Abschiebe-Industrie“. (… ) „Immer mehr Flüchtlinge verstecken sich oder versuchen, in andere Länder zu fliehen“, sagt [Helferin] Sigrid Thelen. „Die Leute kommen nicht mehr zum Unterricht. Viele von denen, um die wir uns gekümmert haben, sind bereits untergetaucht. Einer, das haben wir auch erfahren müssen, hat sich auf seiner Weiterflucht von Schwaben nach Frankreich das Leben genommen.“ (…)

 

Der sternhat einige der 69 Abgeschobenen in Kabul getroffen. (…) Bald müssen sie raus aus dem Hotel Spinzar, in dem sie für die ersten Tage unterkamen. Bloß wohin? (…) Nawid Ahmadi ist inzwischen, wie die meisten des Geburtstagsfluges, aus dem Hotel Spinzar in Kabul verschwunden, mit unbekanntem Ziel. Es heißt, er sei Richtung iranische Grenze unterwegs zu einem fernen Onkel im Nachbarland.

Schließlich nochmal, dass es Neues vonNasibullah S. gibt, der mit demselben Flug am 3.7.18. bei laufendem Verfahren – also rechtswidrig – von Mecklenburg-Vorpommern abgeschoben worden war: Inzwischen bestätigte seine Anwältin, er werde in Afghanistan „derzeit vom Auswärtigen Amt betreut und befindet sich in Sicherheit”. Schritte zu seiner Rückholung nach Deutschland seien eingeleitet (Bericht aus dem Nordkurier hier.).

 

Seine Rechtsanwältin, die SPD-Bundestagsabgeordnete Sonja Steffen, hoffe, dass „jetzt alles schnell über die Bühne geht”. Zuletzt war der junge Mann von einem Bekannten zum anderen gezogen, weil er nach eigenen Angaben von den Taleban verfolgt wurde. Aus Sicherheitsgründen habe er auch seine Familie nicht besuchen können.

 

Vorhergehende Informationen zu den Seehofer-69 bei mir auf Afghanistan Zhaghdablai hier.

 

Foto: Ruttig